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Elftes Kapitel

Die Prinzessin tanzt und verliebt sich. Darauf gibt ihr die Königin ein Rätsel auf

Die Herzogin, jetzt Herzogin-Mutter von Rohan, unterließ es nach dem Tode Herzog Heinrichs, ihrer Tochter den herzoglichen Palast am Marais anzubieten, worauf diese als ihr Eigentum von nun an ein Recht hatte. Die Mutter schien vielmehr darauf zu warten, daß die Prinzessin das erste Wort spreche und ihr gleichsam den Befehl zukommen ließ, die herzogliche Wohnung zu räumen.

Prinzessin Margarete hütete sich sehr, dies zu tun. Man würde ihr, sie verkannte das nicht, eine solche Hätte gegen die eigene Mutter übelgenommen haben. Sie blieb darum auch fortan in dem kleinen Rohanschen Palast am Königsplatz, und die Welt rechnete ihr diese scheinbare weitgehende Rücksicht gegen die Mutter um so höher an, da jedermann wußte oder zu wissen meinte, aus welchen delikaten Motiven sie sich von dieser Mutter getrennt hatte. Ihr Betragen, im Verein mit ihrer berückenden Schönheit und hohen Geburt, gewann ihr alle Herzen, und man würde ihr kaum weniger den Hof gemacht haben, wenn sie auch nicht, was sie in der Tat war, eine der reichsten Erbtöchter von Frankreich, wenn nicht die reichste, vorgestellt hätte.

Und wie man sich denken kann, fehlte es ihr an Bewerbern jetzt weniger denn je. Der Bourbone, Herzog von Longueville, wiewohl zweimal abgewiesen, bemühte sich noch immer vergeblich um sie. Und gleichzeitig mit ihm gab sich der Herzog von Elboeuf, aus dem Hause Lothringen, alle nur erdenkliche Mühe, sie für seinen Sohn, den Herzog von Harcourt, zu gewinnen, dem sie eine Zeitlang gewogen schien, obwohl er von wenig glänzendem Äußern, ja fast ein wenig buckelig war.

Zu seinem Unglück entbrannte er in heftiger Eifersucht gegen den Prinzen Rupprecht von der Pfalz, der, ein Sohn des unglücklichen Königs Friedrich von Böhmen, in einer politisch-militärischen Sendung seines Onkels, des Königs Karl von England, am französischen Hofe weilte und dem die Tanzprinzessin, wie die Spötter sie manchmal nannten, ebenfalls mit Wohlwollen begegnete. Nun galt der junge Herzog von Harcourt, trotz seiner verwachsenen Gestalt, für den glänzendsten Fechter und verwegensten Raufbold jener Tage. Und so suchte er es eines Tages einzurichten, daß er dem blonden Prinzen aus der Pfalz begegnete, wie dieser eben den Palast der Prinzessin verließ. Er trat auf ihn zu und fragte ihn, ob er der königliche Bettelprinz sei, von dem jetzt so viel gesprochen werde.

Prinz Rupprecht war einen Augenblick verblüfft.

»Ah, richtig,« sagte er dann mit liebenswürdigem Lächeln, »da hinaus will der Herr«, und zog vom Leder. Der Harcourt tat desgleichen, und in weniger als man drei zählen kann, kreuzten sich die Klingen. Es war mitten auf dem Königsplatz, bei noch heller Dämmerstunde, eine Menge Volk scharte sich um die Kämpfenden; die Prinzessin selber sah von ihrem Balkon herunter, zusammen mit mehreren Damen und Kavalieren, dem Schauspiel zu. Dergleichen Stegreifduelle waren übrigens an der Tagesordnung damals.

Eine Weile lang schien der Harcourt im Vorteil gegen seinen Widerpart, der bereits aus einer Wunde am linken Ohr heftig blutete, aber kaum angreifend vorging und sich auf die Verteidigung beschränkte. Dann aber parierte der Prinz einmal einen Stoß des andern so geschickt, daß er dem Herzog den Degen aus der Hand schlug, worauf er ihn mit behendem Griff an der Schulter packte, mit kraftvollem Ruck niederwarf und ihm mehrere Streiche mit der flachen Klinge über den schiefen Rücken zog.

Einige der Umstehenden lachten, andere erhoben ein Gemurr. Sie fanden die Handlungsweise des fremden Prinzen wenig ritterlich. Die Prinzessin droben auf dem Balkon aber zog sich mit ihrer Gesellschaft zurück. Sie hat den Herzog von Harcourt nie wieder empfangen.

Doch auch der Prinz Rupprecht bekam seinen Abschied, und ihr Betragen in dieser Angelegenheit fand von neuem die allgemeine Billigung.

Nichtsdestoweniger kam die Tanzprinzessin ganz allmählich und immer mehr auf eine wenig schmeichelhafte Art in den Mund der Leute. Wie sie ausnahmslos die respektabelsten Freier mit Verachtung behandelte, mißfiel allmählich. Sie hatte jetzt die Dreißig beträchtlich überschritten, was einem Mädchen, besonders wenn es schön und reich ist, vom instinktiven Urteil der Menge zuletzt immer zum Verbrechen angerechnet wird. Und so wagte sich der Spott immer dreister an sie heran.

»Nun,« hieß es da, »wenn der Rechte kommt, wird sie schon zugreifen, und wer weiß, sie wartet gewiß auf die Zeit, wo der Thronfolger von Frankreich mannbar wird. Sie hält sich gewiß nicht zu gut für ihn.« Gemeint war der nachherige Ludwig XIV., damals ein Kind von sieben Jahren.

Eine Äußerung ihrerseits wurde auch um diese Zeit zuerst lautbar. Sie sei entschlossen, soll man wiederholt von ihr gehört haben, den stolzen Namen Rohan nicht erlöschen zu lassen und wolle darum nur den Mann heiraten, der willens wäre, seinen eigenen Namen gegen den von Rohan auszutauschen.

Hatte sie bereits eine bestimmte Absicht? Sicher ist nur, daß derjenige, der später ihr Gemahl wurde, schon längere Zeit bei ihr verkehrte. Ihr Freund Ruvigny hatte ihn bei ihr eingeführt als einen nahen Verwandten von sich. Ebenso war er nahe verwandt mit jenen Offizieren, von Taillefer und von La Sauvetat, denen, wie man sich erinnert, die Prinzessin für den wichtigsten Dienst verpflichtet war, der ihr je von Menschen erwiesen worden, wenn sie auch selten daran denken mochte. Auch lagen andere Motive der Bereitwilligkeit zugrunde, womit sie den neuen Mann bei sich aufnahm.

Graf von Chabot hieß er und stammte aus dem altadeligen burgundischen Geschlecht derer von Jarnay. Er ermangelte nicht nur des fürstlichen Ranges, er sah sich auch, als ein nachgeborener Sohn, von geradezu kläglicher Armut bedrückt. Seine Charge als Hofmarschall des Herzogs Gaston von Orleans trug ihm nicht so viel ein, um nur einigermaßen standesgemäß auftreten zu können. Die Karosse, mit der er bei der Prinzessin vorzufahren pflegte, sah so arm und bettelhaft aus, daß sie zum allgemeinen Gespött der Pariser wurde; man nannte sie die goldene Chabotteuse.

Aber Heinrich von Chabot galt für den besten Tänzer am Hof. Er war ein Meister in dieser Kunst. Er ging darin bis zur Erfindung, und wenn die Pariser seine schadhafte Karosse die goldene Chabotteuse nannten, so hieß dafür am Hofe ein von ihm ersonnener Tanz die Chabotte, welcher Name den der Gavotte auf längere Zeit gänzlich verdrängt hat.

Dieser Graf war also für die Prinzessin Rohan wie geschaffen. Sie dachte, als sie ihn an sich zog, einzig an ihre Tanzlust. Er galt ihr kaum für etwas anderes als eine Art Maître de plaisir, und wer ihr am Anfang gesagt haben würde, daß der schlanke braune Kerl ihr Gemahl werden könne, der hätte den verächtlichsten Blick zugeworfen bekommen, den die Prinzessin aufzubringen vermochte, die in diesem Punkte für keine Stümperin galt.

Aber bei einer Prinzessin so wenig wie bei anderen Leuten gehen die Dinge immer nach vorgefaßten Grundsätzen. Der Mensch denkt und – man kennt das Wort; kein anderer Gott aber lenkt so eigenwillig und unversehens wie Gott Amor.

Zunächst verging bald kein Tag, daß die guten Pariser nicht schon an den Vormittagsstunden und meist ebenso am Abend die »goldene Chabotteuse« vor dem kleinen Rohanschen Palast am Königsplatz bewundern konnten, indessen oben in dem Tanzboudoir der Prinzessin, neuerdings von den Freunden, man weiß nicht recht warum, »La Moquette« genannt, das lustigste Treiben stattfand mit Einübung von Tänzen aller Provinzen und Länder: von Sarabanden, Branles und Gavotten, von Giguen, Rigoldonen, Musetten und Couranten, von Bourren und Paduanen, von Gaillarden und Ciaconen und immer neuen Variationen der »Chabotte«.

Es war ein ungewöhnliches und auffallendes Wesen. Man sprach davon am Hof und in der Stadt. Und der spöttelnde Witz blieb nicht aus. Boshafte Reime schossen wie Pilze aus dem Boden. Der berüchtigte Chevalier von Gramont, damals noch der Abbé von Gramont, richtete an eine Freundin der Prinzessin von Rohan, die Marquise Gillette von Pienne, folgende Strophen, die bald auf allen Gassen gesungen wurden:

O Gillette, süßes Herz,
Schönste der Marquisen,
Nicht länger mag ich ertragen den Schmerz
Und will mich jählings erschießen,
Tut sich nicht auf durch deine Macht
Mir über Nacht
La Moquette,
O Gillette,
Will ich mich jählings erschießen.

O Gillette, sage nicht nein,
Schönste der Marquisen,
Mache, daß meinem tanzlustigen Bein
Endlich sich muß erschließen
Und auftun mir durch deine Macht
Über Nacht
La Moquette,
O Gillette,
Brauch ich mich nicht zu erschießen.

Ein anderer, sei es aus Neid, sei es aus Übermut, reimte:

Im Luxembourg langweilen sich
Gaston und seine Schranzen,
Chabot, des Herzogs Hofmarschall,
Muß täglich auswärts tanzen:
O Hofmarschall, o Graf, so schlank,
Vom Tanz wird leicht das Herze krank!

Am Königsplatz bei Tag und Nacht,
Bald Solo, bald im Chore
Graf Chabot tanzt im strengen Dienst
Der Margret-Terpsichore:
O Hofmarschall, o Graf, so schlank,
Vom Tanz wird leicht das Herze krank!

Und der Graf hätte sehr zufrieden sein können, wenn es bei Liedern dieser Art geblieben wäre. Aber schlimmere machten die Dichter der Gassen und der Weinschänken, verdorbene Advokatenschreiber und andere.

Die Prinzessin war unpopulär geworden. Denn dem Volk ist nichts so verächtlich als Mißheiraten der Großen. Diese sollen nicht heruntersteigen gegen das Volk in ihren Familienverbindungen, das Volk will sie in ihrer reinen Höhe sehen. Wie so etwas zu erklären ist, wer möchte es sagen. Aber es ist so in der Kanaille drin und zeigt sich bei jeder Gelegenheit.

Und zeigte sich auch jetzt. Daß die Prinzessin Margarete ihre Neigung einem armen und geringen Herrn zugewandt, mißfiel den Leuten aufs höchste. Was anders, wenn so was in Romanen geschieht. Da heult das sentimentale Pack rührselige Tränen. In der Wirklichkeit aber nimmt es dieselbe Sache den Beteiligten sehr übel. Und die nämlichen Leute, die sich an Amadis von Hispanien oder an dem Märchen von der Prinzessin, die den Sauhirten heiratet, bis zur Erbauung ergötzten, beehrten jetzt Margarete von Rohan um ihrer Neigung willen mit jeder Art Verachtung. Und nahmen zuletzt keinen Anstand, sie ganz in den Schmutz zu ziehen. Und die Strophen, die man über sie auf den Gassen sang, redeten noch von ganz andern Tänzen zwischen der Prinzessin und Herrn von Chabot in La Moquette, als von Sarabanten und Gaillarden. Sie waren zum Teil unerhört schamlos und von schmutzigster Laszivität.

Sie waren zugleich noch grausamer gegen ihn als gegen sie. Denn trotz aller bonne fortune, welche die Reime ihm andichteten, ließen sie ihn doch die allerverächtlichste Rolle spielen, die einem Manne nachgesagt werden kann, indem sie weniger seine galanten Dienste betonten, als vielmehr die Barbezahlung dafür, die er, den Reimen zu glauben, reichlich bezog.

Es ist nicht wahrscheinlich, daß diese frechen Spöttereien sich auf Tatsachen gründeten, obwohl sogar jener Tallemant des Réaur in der witzigen Gesellschaft seiner Tante, der Marquise von Rambouillet, alle möglichen geheimen Schandtaten der Prinzessin zum besten gab; aber man dürste eher dem Ur- und Erzverleumder Satan aufs Wort glauben, als jenem Schalk und Lästermaul. Er glaubte auch im Ernst wohl selber nicht daran, aber die Gesellschaft fand Gefallen an seinen Histörchen, und so erzählte er sie; was ging ihn die Wahrheit an. Welcher Historienerzähler, wenn nur die Historie gefällt, kümmert sich um das weitere. Was aber das Volk glauben mag, soll keinen Ehrenmann anfechten.

Also geschah es, daß die auffallende Gunst von seiten der stolzen Margarete von Rohan dem Grafen Heinrich von Chabot zunächst nur Hohn und Lächerlichkeit vor der Welt eintrug, und niemand schien im Ernst dem armen Kadetten aus Burgund das Glück zuzutrauen, das ihm bereits heimlich lächelte, allerdings so heimlich einstweilen, daß er selber weit entfernt davon schien, es auch nur zu ahnen.

Der erste aber, dem ein Verdacht aufkeimte und der von nun an dem Treiben im Rohanschen Palast mit wachsendem Unbehagen zusah, war gerade derjenige, der dazu den Anstoß gegeben: der Marquis von Ruvigny.

Er war seit kurzem Witwer geworden, und ohne es sich recht bewußt zu sein, nährte er bereits in seinem Herzen eine feindliche Eifersucht gegen Heinrich von Chabot.

Und dieses Gefühl bei ihm konnte nicht gerade unnatürlich genannt werden. Denn wenn es wirklich möglich sein sollte, daß die Prinzessin ihren Gemahl aus der Zahl ihrer nächsten Freunde wählte, konnte er selber es nicht ebensogut sein als ein anderer, nicht ebenso gut und besser als dieser Kadett aus verarmtem burgundischen Geschlecht?

Gewiß entbehrte er einige von dessen Vorzügen. Er war nur ein mittelmäßiger Tänzer. Und seine äußere Erscheinung nahm sich wenig vorteilhaft aus neben der des schlanken braunen Grafen. Aber diese Dinge, meinte er, dürften in einer so ernsten und geschäftlichen Sache, wie die Heirat ist, nur mit geringem Gewicht in die Wagschale fallen.

Besonders mußte, wenn es mit rechten Dingen zuging, seine alterprobte Freundschaft und Treue von allen anderen Vorteilen abgesehen, ihm den Vorrang sichern vor jedem, der sonst für seinesgleichen gelten konnte.

Jedenfalls wollte er nicht ruhig zusehen, daß man ihm diesen Chabot vorzog. Und er begann zunächst damit, in Gegenwart der Prinzessin schlecht und verächtlich von ihm zu reden.

Dabei beging er eine große Dummheit. Da er wirklich Nachteiliges über Heinrich von Chabot nicht vorzubringen wußte, ohne grob zu lügen, klammerte er sich, in Nachahmung der andern, an dessen Leidenschaft für den Tanz, und suchte sie ins Lächerliche zu ziehen. Er bemerkte nicht, daß er damit vor allem die Prinzessin an ihrer empfindlichsten Stelle verletzte und so, aus leicht begreiflichem Zusammenhang, die Sache des Grafen nicht wenig förderte, indem er ihr zu schaden meinte.

Dieser hatte bis jetzt nicht gewagt, den Freundlichkeiten der Prinzessin gegen ihn eine tiefere Bedeutung beizulegen. Ein Zufall öffnete ihm die Augen. Seine Familie wollte ihn verheiraten und hatte in einer Gräfin Coislin von Ségnier eine viel glänzendere Partie für ihn gefunden, als man je zu hoffen gewagt. Er selber, wie wenig er auch in der ganzen Angelegenheit getan, war es zufrieden, und in diesem Sinne teilte er der Prinzessin das bevorstehende Ereignis mit, das von den beiden Familien noch geheimgehalten wurde.

Er war früher gekommen an diesem Tag und hatte, wie er es gewünscht, die Prinzessin allein getroffen.

Aber wie erstaunte er. Die Prinzessin erblaßte und sah ihn mit großen Augen erschrocken an. Noch begriff er nicht. Er scherzte sogar.

»Und Ihr gratuliert mir nicht?«

»Doch«, antwortete sie, »ich gratuliere Euch.«

Aber das kam so kalt und tonlos hervor, daß es dem Grafen durch Mark und Bein drang. Wie Schuppen fiel's ihm von den Augen. Er warf sich der Stolzen zu Füßen.

»Noch heute«, stotterte er, »soll alles rückgängig gemacht werden. Und Ihr, ist es möglich, Ihr erlaubt mir, zu hoffen?«

»Alles«, sprach sie entschieden und reichte ihm ihre Hand, die er mit heißen Küssen bedeckte.

Die Margarete von Rohan war stolz im vornehmsten Sinne des Wortes, und in diesem Stolz verschmähte sie alle kleinen Mittel einer herkömmlichen weiblichen Strategie. Sobald sie wußte, was sie wollte, gab es für sie keine Umschweife.

Dergestalt waren einstweilen die beiden Liebenden mit sich einig, ohne sich die Schwierigkeiten zu verhehlen, die es zu überwinden galt.

Doch hatte die Prinzessin schon vorher Schritte getan. Sie hatte sich ihrem Vetter, dem jungen Herzog von Sully anvertraut (dem Enkel des Ministers), der ihre Wahl zu billigen schien. Auf seine Unterstützung durfte sie rechnen. Er verabscheute seine Tante, die Herzogin-Mutter, und hatte es darum von jeher mit der Tochter gehalten.

Eine Gefahr bedeutete der Marquis von Ruvigny. Ihn hielt die Prinzessin mit gutem Grund zu allem fähig, um diese Heirat zu hintertreiben; ihn in Ahnungslosigkeit zu erhalten, gebot deshalb die Klugheit. Es galt darum, so heimlich als nur möglich zu Werke zu gehen.

Auf ihre Mutter, die der Sache schon aus Haß entgegen sein würde, brauchte die Prinzessin gesetzlich keine Rücksicht zu nehmen; aber hinfällig wurde das ganze kühne Unternehmen doch, wenn man nicht die Einwilligung der Königin gewann.

Und Anna von Österreich, seit Ludwigs XIII. Tode die Regentin von Frankreich, mochte der Mutter wegen, deren Verehrung ihr schmeichelte, geneigt sein, Schwierigkeiten zu machen. Hier hieß es vorsichtig auf den Busch klopfen; denn wirklich, ohne den guten Willen der Königin ging es nicht mit dieser Heirat. Denn die Prinzessin von Rohan hatte bei aller Verliebtheit doch noch andere Dinge im Kopf, die sie – sie hätte keine Prinzessin sein dürfen – sogar beträchtlich wichtiger nahm als die Liebe selber.

Um folgendes handelte es sich: Als Tochter des Rohan, das heißt eines Herzogs und Pairs von Frankreich, hatte die Prinzessin ihr »Taburett« bei der Königin. Gleich einer Prinzessin von königlichem Geblüt hatte sie das Recht, sich setzen zu dürfen in Gegenwart der Majestät. Das war eine große Sache. Als verheiratete Gräfin von Chabot aber verlor sie dieses Vorrecht. Und dies bedeutete ungefähr so viel, wie wenn eine Königin ihrer Krone verlustig ginge, und die stolze Margarete von Rohan hätte zehnmal so verliebt sein dürfen, als sie es war, und sie würde immer noch zehnmal eher auf den Geliebten als auf das Taburett verzichtet haben.

Ein solcher Tausch wäre ihr nicht nur töricht, sondern auch ihrer unwürdig erschienen. Heinrich von Chabot aufgeben zu sollen, dieser Gedanke drückte sie schmerzlich, aber von sich aus einzuwilligen, daß sie ihr »Taburett« bei der Königin verlor, das schien ihr, als etwas Schimpfliches, ganz und gar undenkbar. Und das höchste menschliche Glück, das Glück in der Liebe, dem einfachsten Mädchen erreichbar, schien ihr nur begehrenswert in Verbindung mit dem höheren, dem mehr als menschlichen Glück, das nur wenigen Auserwählten vorbehalten ist: dem Taburett.

Auch darauf haben die unbesoldeten »Hof«-Poeten – nämlich Höfe- und Gassenpoeten – einen Reim gemacht, der auf seine Melodie nicht lange zu warten brauchte:

Den Chabot liebt die Ro – Rohan,
Die Gans,
Der Chabot hat's ihr angetan
Im Tanz;
Doch teilt sie mit ihm Tisch und Bett,
Zum Teufel geht ihr Taburett,
Taburett, jaja, jaja,
Taburett und Taburah.

Dem Löffel ist naturgemäß
Der Stiel,
Und dem Prinzessinnen-Gesäß
Das Ziel,
Das Ziel, das ist ihr Taburett,
Sie wär' es nicht, wenn sie's nicht hätt'
Das Taburett, jaja, jaja,
Taburett und Taburah.

Ein Schemel ist das Taburett,
Ein Sitz,
Am Hof ist es ein Schibboleth,
O Witz!
Und macht aus einem Menschenkind
Ein hochprinzeßlich Hofgesind,
Das Taburett, jaja, jaja,
Taburett und Taburah.

O Gott, o Gott, welch ein Malheur
Dem Steiß,
Wenn sie das Taburett verlör',
Wer weiß?
Denn ohne Taburett, oho?
Was soll ihr noch ihr Glanzpopo,
Glanzpopo und Tanzpopah,
Taburett und Taburahhh.

Um beides zu vereinigen, das Taburett und die gewünschte eheliche Verbindung, bedurfte es zunächst eines königlichen Patents für die Prinzessin. Zwar stellte sie im Geist noch eine weitere Bedingung, nämlich die Übertragung des Pairswürde und des herzoglichen Titels in Verbindung mit dem Namen von Rohan auf ihren Gemahl; doch darüber würde sich später reden lassen.

Zum Glück erfreute sich Heinrich von Chabot eines mächtigen Gönners in Heinrich von Bourbon, Fürsten von Condé, den das Volk schon damals den großen Condé nannte. Dieser übernahm die Unterhandlung mit der Königin-Mutter.

Anna von Osterreich machte wirklich Schwierigkeiten. Fast zwei Jahre zog sich die Angelegenheit hin. Erst ausgangs Mai dieses letzten Jahres erhielt die Prinzessin von Rohan das gewünschte königliche Breve. Man hat dasselbe später oft abgedruckt, denn es war zufällig die erste von Ludwig XIV. unter der Regentschaft seiner Mutter eigenhändig unterzeichnete königliche Urkunde; sie lautete:

»Heute als dem 25ten Mai 1645 hat hier zu Paris, in seinem Palast, dem Louvre, Seine Majestät der König also verfügt.

›Auf den Rat der Königin-Regentin, Unserer vielgeliebten Mutter, und in Würdigung der guten und löblichen Eigenschaften, die das Fräulein Margarete von Rohan in sich vereinigt, auch mit besonderer Rücksicht auf deren hohe Geburt und erlauchten Namen, haben Wir beschlossen: der genannten Margarete von Rohan ein ausdrückliches Zeichen Unseres Wohlwollens zu geben, indem Wir, für den Fall ihrer beabsichtigten Verheiratung mit dem Grafen Heinrich von Chabot, ihr gnädig gewähren, daß sie ihren Rang und ihre Würde als Prinzessin auch hinfüro behalten solle, ebenso wie das Recht eines Taburetts vor dem König und der Königin, zusammen mit allen übrigen Rechten, Vorteilen und Privilegien, die sie bis heute genossen hat oder noch genießt.‹

Und hat sonach der König mir, seinem Staatssekretär und Sekretär Seiner Heeresverwaltung und Seiner Finanzen, befohlen, hierüber diese gegenwärtige Urkunde auszustellen, die Seine Majestät zur besseren Versicherung eigenhändig mit Dero Unterschrift versehen wollte.

(Gezeichnet:) Ludwig.

weiter unten:

von Lomerie.«

Margarete von Rohan zitterte vor stolzer Genugtuung, als sie diesen Brief endlich in ihren Händen hielt. Nun konnte ihr auch die Erfüllung ihres andern noch höheren Ehrgeizes nicht mehr fehlen: die Forterhaltung ihres ruhmreichen Namens durch ihren Gemahl und dessen Nachkommen.

Und schon wenige Tage danach wurde ihr die Gnade, sich der Königin zu Füßen werfen zu dürfen, um ihr persönlich für die empfangene Gunst zu danken.

Dies geschah im Louvre, in dem täglichen Arbeitsraum der Regentin, dem sogenannten grauen Kabinett, am Ende der Galerie, die gegen den Fluß hinführt und über der man später die sogenannte Galerie des Apollo erbaut hat.

Diese Audienz nahm einen höchst merkwürdigen und ganz und gar unerwarteten Verlauf.

Zunächst schien Anna von Österreich nicht ganz so gnädig gestimmt, als die Prinzessin geglaubt hatte, es erwarten zu dürfen. Ein berühmter Ordensmann, der damals schon für einen Heiligen galt, Vinzenz von Paul, der Gründer der Lazaristen, ging von der Regentin weg, während die Prinzessin eintrat. Sie wurde mit einem strengen und kalten Blick empfangen. Abseits stand der Bischof von Lisieux, der Königin Beichtvater; ihr Ehrenkavalier, der spanische Graf Brancas, hielt sich in einer Fensternische.

»Ihr kennt die Bedingung, die sich an die Verleihung des Patents geknüpft habe?« fragte die Königin-Mutter, indem sie sich zu dreiviertel gegen Margarete von Rohan umwandte.

»Daß meine Kinder in der katholischen Religion erzogen werden«, antwortete schüchtern Margarete von Rohan.

»Gut,« erwiderte die Regentin, »und Ihr selber, wie gedenkt Ihr es zu halten? Graf von Chabot ist ein eifriger Katholik.«

Margarete von Rohan sah der Königin frei und unbefangen in die forschenden Augen und legte sogar der Majestät gegenüber in ihren Blick etwas von dem Stolz, den alle Welt ihr nachsagte. Eine leise Röte überflog bis zu den feingeringelten blonden Stirnlöckchen hinauf das Antlitz der Monarchin. Sie sagte: »Ich will Euch in Sachen Eurer Religion nicht zu nahe treten.«

»Wenn ich Eurer Majestät«, versetzte die Prinzessin, »meine aufrichtige Überzeugung sagen darf, sie besteht darin, daß es einer Frau schlecht ansteht, eine andere Religion zu haben als ihr Mann ...«

»Als ihr Mann und ihre Kinder«, fiel Anna von Österreich ein. »Ich sehe mit Vergnügen, daß Ihr darin denkt wie ich.«

Und sie wies mit einem freundlichen Blick und einem gnädigen Lächeln, in dem sich nur eine ganz leise Spur von Ironie verriet, auf das Taburett, das die Kammerfrauen für die Prinzessin hingestellt hatten.

»Ich will frei heraus mit Euch reden,« sprach sie dann; »ich war Euch bis jetzt wenig günstig gestimmt. Nach meinen Begriffen von Frömmigkeit und Religion gibt es für eine Tochter keine heiligeren Pflichten, als die gegen die Mutter, und Ihr schient mir die Eurigen gröblich zu verletzen. Ihr zeigtet der Welt einen Mangel an kindlicher Pietät, der – nein, laßt mich ausreden! – einen Mangel, den ich niemals zu entschuldigen vermochte, was auch Eurer Mutter zur Last gelegt werden kann. Das alles sage ich Euch, damit Ihr Euch nicht etwa einbildet, Ihr verdanktet jenes Patent Euren persönlichen Verdiensten. Wem Ihr es in Wahrheit verdankt, Ihr würdet es wohl nie raten.«

»Allein Eurer Güte, Hohe Frau, ich habe es nie anders empfunden«, gab höfisch die Prinzessin zur Antwort.

»Eben erklärte ich Euch, daß ich mir gar keinen Grund wüßte, gütig gegen Euch zu sein«, versetzte die Königin fast mit Schärfe.

Margarete von Rohan antwortete hierauf mit einem erschrockenen Schweigen.

»Gesprochen hat für Euch der Condé,« fuhr Anna von Österreich fort, indem die gute Laune wieder die Oberhand bei ihr gewann; »aber weder ihm noch sonst einem seinesgleichen verdankt Ihr es, den Gipfel Eures Strebens erreicht zu haben.«

Es schien der Monarchin eine Genugtuung zu bereiten, die hochmütige Prinzessin in Verlegenheit zu sehen.

»Ihr wollt nicht raten?« fragte sie von neuem.

Margarete von Rohan fühlte sich in die Enge getrieben. Eine Antwort mußte sie geben.

»Wäre es erlaubt,« stotterte sie, »an die Person Seiner Majestät zu denken?«

»Ludwig, das Kind!« lachte jetzt Anna von Österreich laut heraus.

Dahin hatte sie die stolze Prinzessin bringen wollen, die sich ihres unklugen und unvernünftigen Wortes bereits im Innersten schämte.

Und wirklich, es schien der Königin in der ganzen Unterhaltung einzig darum zu tun, die Hochmütige einmal gründlich zu demütigen.

»Es hat früher geheißen,« sagte sie jetzt heiterboshaft, »Ihr würdet nur deshalb alle Eure Freier ausschlagen, weil Ihr auf die Volljährigkeit Seiner Majestät warten wolltet. Das war ohne Zweifel höchst schmeichelhaft für meinen Sohn.«

Niemals hätte Margarete von Rohan geglaubt, daß es jemand geben könne, dem es erlaubt sei, sie so mit Hohn zu überschütten; aber es blieb hier wirklich keine andere Wahl, als sich in Demut zu beugen.

»Nein,« flüsterte ihr die Königin zu, »nicht ein Ludwig hat das Wunder getan, sondern ein – Tankred.«

Margarete von Rohan zuckte zusammen, wie wenn sie rücklings von einem Dolchstoß getroffen worden wäre. Die Regentin schien nicht darauf zu achten.

»Ihr werdet Euch wundern, woher ich den Namen weiß«, sagte sie im gleichgültigsten Ton von der Welt. »Ach Gott, die Könige und die Beichtväter erfahren gewiß vieles nicht, was sie eigentlich wissen müßten, aber doch einiges; und von der Existenz dieses Tankred wurde mir Kenntnis durch den armen Staatsrat von Thou – Ihr habt ihn doch gekannt, natürlich zur Zeit, als ihm noch sein Kopf auf der Schulter saß, den er im Leben nicht ein einziges Mal verloren hat. Aber freilich, was ihm im Tod passieren mag, das kann auch der gescheiteste Kopf nicht wissen. Der gute Staatsrat hatte nur einen einzigen Fehler, aber der war groß. Er kümmerte sich um Dinge, die ihn nichts angingen. Sogar um jenen Tankred kümmerte er sich. Er meinte, an dem jungen Menschen dieses Namens werde in der Dunkelheit ein unverantwortliches Verbrechen begangen. Und er meinte ferner, daß es meine Pflicht wäre, dieses Verbrechen zu verhindern. Ich habe ihm geantwortet, daß man es dem König sehr übelnehmen würde, wenn er sich in die inneren Privatangelegenheiten der Familien mischen wollte; hatte ich nicht recht?«

»Und im übrigen«, fuhr die Regentin fort, »lag es nicht im Interesse des Königs, die Züchtung eines neuen Hugenottenführers zu begünstigen. Seid Ihr überzeugt, daß es der Sohn Eures Vaters ist?«

»Wie hätte der Herzog, mein seliger Vater,« antwortete die Prinzessin, »mich ausdrücklich zur alleinigen Erbin eingesetzt, wenn er sich eines Sohnes bewußt gewesen wäre?«

Anna von Österreich überlegte.

»Was Ihr sagt, ist logisch,« sprach sie; »aber vor dem Richter beweist es nichts, und jener Tankred, wenn er noch lebt, kann Euch Verlegenheiten bereiten. Ich wollte Euch zeigen, daß ich in diesem Handel mich auf Eure Seite zu stellen entschlossen bin. Darum habe ich Euch das Patent bewilligt. Ihr könnt dem Herrn Tankred dafür danken. Und Ihr wißt nun, wie Ihr daran seid. An meiner Unterstützung, wenn Ihr sie in dieser Sache nötig haben solltet, wird es Euch nie fehlen. Darauf verlaßt Euch!«

Das war das letzte Wort der Regentin. Und wahrlich, was sich darin versteckte, sah bei Gott der Aufmunterung zu einem furchtbaren Verbrechen auf ein Haar ähnlich. Man wird sich vielleicht wundern, daß aus dem Munde einer Frau, deren heftige Frömmigkeit weltbekannt war, eine solche Aufmunterung kommen konnte. Aber wer sich also wundert, bedenkt nicht, daß die Frau eine Königin war und noch dazu eine Regentin. Auch war ja der Sinn ihrer Rede dunkel genug, niemand konnte sie beim Wort nehmen.

Die Prinzessin hatte dennoch vollkommen verstanden. Und man konnte die seltsam gemischten Gefühle begreifen, und den Zwiespalt in ihrem Herzen, womit Margarete von Rohan, voll Zorn in ihrem gekränkten Stolz und doch voll innerer Befriedigung, den Louvre verließ und in ihrer mächtigen Staatskarosse, mit zwei Vorreitern und sechs hintenauf stehenden Lakaien im großen Kostüm, nach dem Königsplatz zurückkehrte.


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