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An meine Mutter

Wie merkwürdig. Mir tauchte da plötzlich in meinem Sinn ein altes Märchen auf, eine Legende, woran ich in dreißig Jahren nicht gedacht hatte – und nicht nur die Legende, auch die Urahne, die ich wieder deutlich zu sehen glaube, und der ganze elterliche Hof und alles um ihn her. Die Urahne hat mir die Legende erzählt.

Am Rain vor der Scheuer saßen wir in der Frühlingssonne. Um uns herum scharrten die Hühner und watschelten die Enten. Auf dem Apfelbaume sang der Fink. Die Urahne spann und zum Schnurren ihres Rädchens erzählte sie dem Kinde Geschichtchen. Das Kind kauerte ihr zu Füßen und horchte auf und hörte vom Knaben Jesus das Wunder.

Vor der Hütte seiner Eltern saß der heilige Knabe und hatte feuchten Thon vor sich. Und wie Gott der Vater aus Thon den Menschen geformt, so bildete und formte der Knabe allerlei Gestalten. Vögel bildete er nach, kleine und große, Vögel des Himmels, die am wenigsten erdgeboren scheinen unter allen Geschöpfen. Er formte sie treu und stellte sie in einer Schar um sich her. Und so eifrig war er in seinem Formen und Bilden, daß er nicht sah noch hörte, was um ihn vorging.

Da kamen aber vier Männer des Weges, ehrwürdige Greise in weißen Bärten und langen Gewändern. Schriftgelehrte waren es und Gesetzesausleger, und ein Vikar des Oberpriesters. Ein Pharisäer war auch darunter. Ihre Augen blickten streng und finster. Sie sprachen gerade davon, wie in dem Volke von Israel die Religion der Väter gering geachtet werde in diesen Zeiten, und wie Unglauben und Unbotmäßigkeit um sich griffen bei Hoch und Niedrig. Ein heftiger Zorn wallte in ihnen auf über die beginnende Gottlosigkeit der Menschen. Denn sie fühlten sich ganz eigens bestellt als Hüter der heiligen Religion.

Da sahen sie das Spiel des Kindes vor ihnen. Und sie prallten zurück, alle drei, wie vor einer giftigen Schlange. Der Tag war nämlich ein Sabbath, und der älteste von den dreien streckte seine Arme gegen den Himmel aus und rief: »Sei uns gnädig, Herr Gott Zebaoth.« – »Wessen ist das Kind,« schrie der andere, »das also den Sabbath schänden darf auf offener Straße?«

Bei diesem Geschrei entstand in der Hütte eine Bewegung. Der Zimmermann Joseph drückte sich hinter eine Wand, er hatte Furcht vor den Männern des Gesetzes und mochte mit ihnen nichts zu thun haben. Auch die Mutter Maria erschrak. Ihr bangte um den Sohn. So trat sie unter die Thüre des Hauses, bereit ihr Kind zu schützen vor den fremden Männern. Sie war jung und schön und sie fürchtete sich nicht.

Nur blaß war sie geworden vor Bangniß, und wie eine hohe Lilie am braunen Zaun des Gartens, so stand ihr Antlitz zwischen den dunklen Pfosten des Hauses.

»Weib,« schrie der Pharisäer, »fürchtest Du nicht die Rache des Himmels, daß Du Deines Buben Sünde mit ansiehst vor Deinen Augen! Eine Mutter wie Du ist eine Schande und ein Fluch für Israel.«

Da richtete sich das schöne Weib hoch auf. »Schmähe nicht mein Kind,« rief sie. »Soll das Kind ein Sünder sein, wie willst Du dann bestehen!«

»Sie lästert Gott,« rief der Pharisäer. Und mit rotem, zorngeschwollenem Gesicht trat er nahe an den Knaben, der mit großen Augen ruhig zu ihm aufblickte. »Mann,« sprach er, »willst Du auch einen meiner Vögel haben?«

Da geriet der Pharisäer vollends außer sich. Er erhob den Fuß. Noch einen Augenblick zögerte er.

Sollte er die sündhaften thönernen Gebilde vernichten, oder war es nicht besser, den Knaben selber zu zertreten, den Sabbathschänder? In seinen Zornesaugen war der schöne Knabe zur giftigen Kröte geworden, die den Garten Gottes besudelte. Aber das Kind lächelte und klatschte in die Hände. Und siehe, seine Vögel spannten die Flügel aus und erhoben sich. Unter jauchzenden Rufen stiegen sie empor zur goldenen Sonne.

Der Knabe lächelte. Und seine Mutter eilte herbei und schloß ihn in die Arme und küßte ihn mit Inbrunst.

Der Pharisäer aber und seine Genossen machten verdutzte Gesichter.

* * *

Diese Legende, liebe Mutter, beziehe ich nicht auf mich und mein Büchlein. Das wäre vermessentlich. Beziehen dürfte ich die nur auf ein Werk der Dichtung. Nur der Dichter, wie der göttliche Genius, schafft Gebilde, die mit dem Odem des Lebens atmen und, wenn es Werke eines Lieblings der Götter sind, mit mächtigen Flügeln aufrauschen und sich erheben zum Lichte des Himmels.

Sie ist mir nur so eingefallen, diese Legende, als ich traurigen Herzens Deinen Brief las, wo Du berichtest, wie ein Priester zu Dir hingetreten, zu Dir und meiner Schwester, und Ihr in Thränen ausbracht, beide, als er wieder von Euch ging. Denn der Mann der Kirche hatte Euch gesagt, daß ich ein Verlorener sei, ein Feind der Religion.

Im Geiste sehe ich ihn weggehen von Euch, den frommen Mann und sehe, wie er heimlich in sich lächelt und sich freut ob der Macht, die er auf Euch ausübt, also, daß er nur ein Wort braucht, um Euch in Schmerz und Verzweiflung zu stürzen.

Eine solche Macht möchte er auch auf mich üben können. Er kann es nicht, das ist sein Verdruß.

Es ist das der Verdruß von noch einigen andern Leuten, die keine Priester sind, und die sich nicht an Euch armen Frauen schadlos halten können ...

Ich aber sage Euch: Keine größeren Feinde der Religion giebt es, als die, so die Religion benutzen zu ihrem Zweck, es sei dieser Zweck Habsucht oder Herrschsucht.

Dieses alles, liebe Mutter, sage ich nicht Dir, sondern eben jenen Priestern und andern Leuten. Habe ich bei Dir nöthig Worte zu machen? Und haben jene keine Mutter gekannt, daß sie so wenig eine Ahnung haben von der stärksten und unerschütterlichsten Macht dieser Welt: Dem Glauben einer Mutter an ihr Kind?

Ich halte an ... es scheint mir fast, ich sei etwas feierlicher geworden im Ton, als es sich vor diesem harmlosen Buche schicken mag, allwo scheckig durcheinander ein bischen die Rede ist, wie der Marktschreier sagt, von der ganzen Welt und sieben Dörfern.

Zu Neujahr 1901.
B. R.


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