Friedrich Rückert
Die Makamen des Hariri
Friedrich Rückert

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28.
Der gastfreie Wirt.

Hareth Ben Hemmam erzählt.

Ich richtete in einer Nacht, kohlschwarz von Haar – und pechschwarz von Talar, – meine Fahrt nach einem Feuer auf einer Anhöh' entzündet, – von welchem Gastlichkeit ward verkündet. – Es war eine Nacht von kalter Luft – und rauhem Duft, – ihre Stirne verhangen – und ihre Gestirne gefangen. – Und mir war's kühler im Blut, – als einem Fisch in der Flut, – und luftiger um des Herzens Klause – als einem Vogel in der Mause; – nur daß ich mich mit Entschlossenheit befeuerte – und mein Kamel mit Unverdrossenheit steuerte, – bis der Feuerschürer mich spürte – und sein Ohr mein Hufschlag rührte; – da rannt' er heran in vollem Lauf – und sang hell auf:

Gegrüßt, o Wandrer, der im Finstern schweift,
Dein Auge hat der Feuerglanz gestreift
Solch eines Manns, der sich auf Wohlstand steift,
Der mit den Zehrern seines Guts nicht keift,
Dem Kargheit nicht die Hand zusammenkneift,
Der mit Begier den Ärmel aufgestreift,
Nach Gästen, wie der Geiz nach Thalern, greift;
Solch eines Manns, dem, wenn der Winter pfeift,
Des Winters FruchtDas Feuer.in heller Halle reift;
Der in dem Jahre, wo kein Brunnen läuft,
Und wo die Wolke keinen Segen träuft,
Für fette Gastkamele Messer schleift
Und auf den Herd den Aschenhaufen häuft.

Dann empfing er mich mit dem Gruß eines Demütigen – und bewillkommte mich mit dem Handschlag eines Grundgütigen, – führte mich zu einem Hause, dessen Euter sprudelten – und dessen Töpfe brudelten, – dessen Aufwärter flogen – und dessen Tische sich bogen; – wo an den Wänden Gäste saßen, die mein Fänger gefangen – und denen es wie mir ergangen, – die sich an der Wintersonne wärmten – und wie junge Mücken in Wonne schwärmten. – Doch ich fügte mich zu ihnen – und vergnügte mich an ihren vergnügten Mienen. – Als nun aufgetaut war der Frost – und aufgeschaut ward nach der Kost, – wurden die Tische uns vorgesetzt, wie Monde rund, – von Gerichten wie Frühlingsgärten bunt. – Da war uns bescheert die Gnüge, – unverwehrt von Tadel und Rüge. – Wir vergaßen, was gesagt wird zur Empfehlung der Mäßigkeit, – und hielten für wohlanständig die Geäßigkeit; – bis wir, folgend unsres Wirts Einladung, – nach eingenommener voller Ladung, – streiften an den Rand der Überladung; – da ward uns gereicht das feine Tuch, an dem wir uns reinigten vom Speisegeruch; – und nachdem das Geschäft des Unterhalts war abgestellt, – saßen wir zur Nachunterhaltung gesellt. – Worauf nun jeder seine Zunge rührte – und hervorholte, was er im Sacke führte,– von Seltsamem, was er gesehen, – und Wunderbarem, was geschehen; – bis auf einen Alten, dessen Schläfe grau – und dessen Gewand war flau, – der hielt sich in seiner Ecke – und zog sich vom Gespräche zurück eine Strecke. – Uns verdroß seine unerklärte Sprödheit – und tadelnswerte Schnödheit, – nur daß wir ihn nicht wollten hart ansprechen, – aus Furcht, in das Wespennest zu stechen. – Doch so oft wir ihn einluden, herauszurücken – und mit uns gemeinsam den Strauß zu pflücken, – wandt' er sich ab mit Hohn, – als spräch er: Diese Possen kenn' ich schon. – Dann aber, als ob sich sein Gewissen rührte, – oder er eine Anwandlung von Großmut spürte, – rückte er näher, neigte seinen hohen Mut – und machte das Geschehene gut, – indem er berauschte die Lauschenden, – Nachtgesprächtauschenden, – anschwellend gleich einem Strom, einem rauschenden:

Mein Volk! in meinem Munde sind Kunden wunderbar;
Was ich gesehn mit Augen, vernehmt und nehmet wahr.
Am Morgen sah ich einen sich schwer Bemühenden,
Der auf dem Felde allein war mit einer ganzen Schar.

Anmerkung: Schar, Pflugschar.

Dann sah ich auf dem Acker auch manchen faulen Knecht,
Der vor dem halben Morgen bereits am Abend war.

Anmerkung: D. i. eh er einen halben Morgen Landes umgepflügt, war es Abend.

Manch armen Schlucker sah ich und hört' ihn schlucken auch;
Der doch bei seinem Schlucken blieb hungrig wie ein Aar.

Anmerkung: Ich schlucke, ich habe den Schlucken.

Ich sah, wie mancher Brave zu Feigen Zuflucht nahm,
Die schirmten ihm das Leben, als Not im Lande war.

Anmerkung: Feigen, die Früchte.

Auch manchen Edlen sah ich, der wollt' ein Gastgebot
Anrichten, dazu lud er zuerst ein Eselpaar.

Anmerkung: Er lud, er belud mit den zum Gastgebot herbeizuschaffenden Bedürfnissen.

Auch manche Hausfrau sah ich, die Wellen schüttete
In ihres Herdes Feuer, das brannte davon klar.

Anmerkung: Wellen, Reisholz.

Auch sah ich eine Schöne, die eine Rose trug,
Die dient' ihr, statt zur Zierde, zur Unzier offenbar.

Anmerkung: Die Rose, der Rotlauf.

Ich sah von einem Schützen die rechte Scheibe so
Getroffen, daß er lahm ward, am rechten Fuße zwar.

Anmerkung: Die Scheibe, die Kniescheibe, die rechte, die des rechten Fußes. Von einem Schützen die Scheibe. d. i. die Scheibe eines Schützen.

Auch einen Fischer, welchem vom schweren Zug das Netz
Zerriß, darauf erklärt' ihn der Arzt für unheilbar.

Anmerkung: Das Netz des Unterleibs.

Ich sah den Fuchs ausschlagen, der ab den Reiter warf,
Doch, wenn zu ihm den Schimmel man spannte, ruhig war.

Anmerkung: Wein und Wasser.

Dann sah ich Tiere säumen, die hatten keine Rast,
Und Weiber sah ich säumen, die wirkten immerdar.

Anmerkung: Ich säume mein Tier, ich lege ihm den Saum, den Saumsattel oder die Saumlast auf. Ich säume, ich ziehe nähend einen Saum.

Mit Sporen sah ich einen, der doch zu Fuße ging,
Der einen Kamm auch führte und hatte doch kein Haar.

Anmerkung: Der Hahn.

Auch einen mit zwei Hörnern, die wuchsen über Nacht
So lang, bis eine Scheibe daraus geworden war.

Anmerkung: Der Mond.

Und eine, die, je früher sie auf am Morgen stand,
Am Abend um so später zur Ruh' ging, sonderbar.

Anmerkung: Die Sonne.

Dann sah ich auch den Müden, der auf den Matten lag
Und dachte, drunter liegen sei besser noch fürwahr.

Anmerkung: Die Matte, die Wiese, der Rasen.

Wie manchen sah ich schleppen ein ausgeweidet Schaf,
In dem kein Tropfen Blutes und nur Kamelmilch war.

Anmerkung: Ein Schlauch aus der Haut eines Schafes, zur Aufbewahrung von Kamelmilch.

Auch einen Schlanken sah ich, der auf dem Haupt zum Schmuck
Gewichte trug, die einmal er ab nur legt' im Jahr.

Anmerkung: Der Hirsch. Gewichte, Geweihe.

Ich sah auf einer Heide den hohlen vollen Stock,
In welchem tausend Stachel und eine Süße war.
Und hört' in Zellen singen die fleiß'gen Mönche, die
Zu ihrem Abte hatten ein Weib, das stets gebar.
Und sah die Waffenträger, die ernteten im Feld
Am Tag, wovon im Hause die Nächte wurden klar.

Anmerkung: Bienenstock, Bienen, Wachs.

Ich sah in mancher Ecke manch runzeliges Weib,
Das spann aus seinem Nabel den Fliegen zur Gefahr.

Anmerkung: Die Spinne.

Ich sah ein Heer gepanzert, das schamlos rückwärts ging:
Gefangen drauf und sterbend errötete die Schar.

Anmerkung: Die Krebse.

Ich sah den Weggefährten, der, als ich westwärts zog,
Am Morgen weit voran mir, weit nach am Abend war.
Er bebte vor der Sonne, vor deren Glanz er floh;
Und als er war verschwunden, verschwand er unsichtbar.

Anmerkung: Der Schatten.

Dumpf hört' ich einen schelten, weil einer grell gelacht;
Darob, die's nicht hörten, weinten zur Lust der grünen Schar.
Den Schoß der feuchten Mutter zerriß der hitz'ge Sohn;
Eh deren Schmerz ward Segen, war seine Lust Gefahr.

Anmerkung: Donner und Blitz und Wolken.

Manch Stolze, Schlanke sah ich, die jung war, kühl für mich;
Geknickt im Alter, starb sie für mich in Flammen gar.

Anmerkung: Eine Palme.

Auch manchen sah ich geizen: da sprachen, die es sahn:
Es müssen seine Bäume dafür gedeihn aufs Jahr!

Anmerkung: Geizen, den Geiz, d. i. den Auswuchs der Bäume abbrechen.

Und manchen, der mit Liedern sein täglich Brot erwarb,
Der konnte weder schreiben noch singen, das ist wahr.

Anmerkung: Liedern, Leder zubereiten, gerben.

Ich sah auf einem Baume ein Schiff behende gehn,
Von Frauenhand gesteuert, das Segel stets gebar.

Anmerkung: Der Weberbaum und das Webeschiff.

Ich sah ein Haus, das schwankte und fest blieb, wo der Grund
Ihm fehlte; wo es Grund fand, ging es zu Grunde gar.

Anmerkung: Das Schiff.

Dann hört' ich welche beten: Gieb, Herr, in unser Haus
Das Mehl, auf unsre Fluren den Tau uns immerdar;
Doch gieb die zwei zu einem verbunden unserm Feind,
Daß er von beiden keines in Haus und Flur erfahr'.

Anmerkung: Mehl und Tau, Mehltau.

Hareth Ben Hemmam erzählt: Da versuchten wir unsre Gescheitigkeit – an seiner Sprüche Zweideutigkeit – und vertieften uns mit Innigkeit – in seiner Rätsel Doppelsinnigkeit. – Doch er lachte uns aus, wie ein Gesunder den Kranken, – und sprach: Zieh die Hand ab, zu hoch sind die Ranken. – Als wir nun im Kampfe mit Phantomen uns müde gefochten – und umsonst an die verschlossenen Thüren pochten; – da senkten wir ihm die Flügel – und gaben ihm hin die Zügel, – ihn bittend um die Erklärung, – doch hielt er uns schwebend zwischen Versagung und Gewährung, – sprechend: Man macht sich erst mit dem Kamel bekannt, – eh man es zu melken ausstreckt die Hand. – Da merkten wir, daß er einer sei, der aufs Empfangen ist geil, – und dem seine Weisheit nicht umsonst ist feil. – Doch unsern Gastvater verdroß es, daß unter seinem Zelt – wir sollten gefoppt werden oder geprellt, – und er stellte ihm zu ein Kamel, ein idisches, – und ein Gewand, ein sa'idisches, – sprechend: Nimm dieses mit gutem Gewissen, – und meinen Gästen hier sei nichts entrissen. – Da rief er: Ich schwör' es, diese Sinnesart ist die achsemische – und diese Großmut die hatemische. – Dann wandt' er sich zu uns mit einem Angesicht, – durchsichtig von der Freude Licht, – und sprach: Mein Volk! die Nacht ist schon vorgerannt, – und die Schläfrigkeit hat übermannt; – so verfügt euch nun an eure Statt ohne Kummer – und genießt den labenden Schlummer, – auf daß ihr Munterkeit einsauget – und aufstehet hell geauget, – dann vernehmet, was ich erkläre, – daß leicht euch werde das Schwere. – Da ward sein Vorschlag von allen gebilliget, – und dem Schlafe ward sein Recht bewilliget. – Als nun das Thor der Wimpern schloß der Augen Feste – und die Gäste schnarchten aufs beste, – ging er zu seinem Kamel und zäumte, – bestieg es und sang, indem er reimte:

Wohlauf, mein Kamel, nach Serug mich zu tragen!
Nicht raste mir, stampfend den Boden zu schlagen,
Zu trotten, zu traben, zu laufen, zu jagen.
Nicht laß es an deinem Gewissen dich nagen,
Daß hier nun dein Herr bis zu künftigen Tagen
Blieb schuldig die Antwort auf einige Fragen.
Ich trage, so magst du dem Fragenden sagen,
Das lebende Rätsel, an welchem verzagen,
Die klüger als ich sich zu dünken behagen.

Der Erzähler spricht: Da wußt' ich klar, – daß es der Seruger gewesen war, – der, wo er geerntet, sich entfernt, – und wegwirft, was er ausgekernt. – Als nun der Tag sich aufmachte, – und die Gesellschaft der Schläfer aufwachte, – unterrichtet' ich sie, was sie in der Nacht verloren – und wie sie der Alte gehabt zu Thoren. – Da gedachten sie sein voll Grimmes – und vergaßen sein Gutes über sein Schlimmes. – Dann zogen wir weiter, jeder auf seine Verrichtung, – und zerstreuend nach jeder Himmelsrichtung.


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