Friedrich Rückert
Die Makamen des Hariri
Friedrich Rückert

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3.
Die Bittschrift.

Hareth Ben Hemmam berichtet:

Ich besuchte in Meraghet die Staatskanzlei; – zwar war ich in Staatsgeschäften ganz Lai', – doch fand sich dort immer eine Konsession – von Leuten von allerlei Konfession – und Profession, – die sich besprachen über allerhand, – was ich verstand und nicht verstand. – Heute nun ergoß sich der Rede Brunst – über die Redekunst; – und einmütig, einmündig stammelten – alle die hier versammelten – Ritter des Schreibekieles – und Meister des Zungenspieles, – zum Lobe der Zeit, der vergangenen, – und zur Schmach der neu angefangenen: – daß der alten Meister scharfem Witze – kein neuer dürfe bieten die Spitze, – und keiner jetzt im Ost und West – sei so zügel- und bügelfest, – dem sein Roß nie bäume – und der den Sattel nie räume. – Wer breche noch neue Bahnen – und steche nach neuen Fahnen? – Wer könne sich mit eigenen Federn schmücken, – und brauche nicht fremde auszupflücken? – Jeder, und ob er ein Goldkleid hab' an, – stelle sich nur wie ein Bettelknab' an – gegen den Redner Sahban, – der, mit der Wortkraft Rüstigkeit – einst scheidend zweier Stämme Zwistigkeit, – stand und sprach, seit der Morgen hauchte, – bis die Sonne gen Abend tauchte, – und dabei ein Wort nicht zweimal brauchte. – – Es hatte sich aber unserm Kreis – angeschlossen ein Greis, – der an der Reihen äußerstem Anfang – dasaß als wie ein Anhang; – und wie nun die Reden sprudelten, – die Kugeln trafen und pudelten, – wie jeder seine Münzen gelten machte – und seine Waren zu Markte brachte, – Trauben und Herlinge, – Tauben und Sperlinge; – zeigte jener mit einem Blinzen – oder einem Grinsen, – einem Rasenrümpfen – oder Lippenstümpfen, – daß er einer sei, der da hält hinterm Busch, – bis er versieht seinen Husch; – der den Bogen schnitzt – und Pfeile spitzt, – bis das Glück ihm zuruft: Itzt! – und als nun jene verschossen ihre Bolzen – und ihr Vermögen eingeschmolzen, – als die Wogen sich geglättet – und die Stürme sich gebettet, – wendete er mit Sammlung – sich zur Versammlung – und sprach: Ihr spinnet wirren Faden – und rennet auf irren Pfaden; – die ihr Totengebeine – stellet in Heiligenschreine – und sie umgebt mit Heiligenscheine, – verachtend eure Lebendigen, – näher euch Zuständigen, – mit denen ihr doch allein euch könnt verständigen. – O ihr Präger und Wäger echter Gewichte, – o ihr Heger und Pfleger gerechter Gerichte! – vergesset ihr über das Hadern – um alt vernutzte Hadern – die frische Lebensfülle junger Adern? – daraus jetzt zu Tage wird gefördert, – was nie vor diesem ward erörtert: – Gedanken stark – und Worte voll Mark, – hochfarbige Schilderei, – tiefe Sinnbilderei, – Reime wie Blütenkeime – und Prosa wie Honigseime. – Was findet ihr bei den Alten, – wenn ihr es ans Licht wollt halten, – als erloschene Farben – und ausgedroschene Garben? – Sie haben der Zeit nach den Vorgang, – nicht der Trefflichkeit nach den Vorrang. – Und ich weiß noch jetzt den Mann; was er macht, das lacht;– was er schmückt, das glückt; – was er beginnt, das gewinnt; – wo er haucht, das raucht; – wo er spricht, das bricht; – was er schafft, das rafft; – was er dichtet, das vernichtet: – der, wo er rühmet, blümet, – und wo er tadelt, entadelt; – der, wo er lang ist, – wie eines Stromes Gang ist, – und wo kurz, – wie ein Wassersturz. – Da sprach der Kanzleivorstand, – der als Wortführer im Chor stand: – Und wer ist der so schwer Gerüstete, – hehr Gebrüstete? – Jener sprach: Hier dein Gespann, – dein Gegenmann. – Frag, ich stehe zur Rede; – fordere nur, ich stehe zur Fehde. – Da sprach jener: Höre du! Bei uns zu Lande verkauft der Habicht sich nicht für einen Falken, – noch der Rohrstab für einen Balken; – wir unterscheiden Spelt von Spelzen, – hohe Beine von Stelzen. – Wer sich unnütz macht, macht sich Verdruß; – wer zur Scheibe sich aufstellt, den trifft der Schuß. – Rege den Staub nicht im Feld, – oder klage nicht, wenn er dir ins Auge fällt. – Wo man früh nicht nimmt Freundesrat an, – da kommt Feindesspott spät an. – Doch jener sprach: Ein Mann kennt sein Hemde – besser als jeder Fremde. – – Da beratschlagten sie sich untereinander, – in welches Feuer der Prüfung man solle bringen den Salamander. – Einer von ihnen sprach: Gebt mir ihn her! – ich roll' einen Stein in den Weg ihm quer; – ich habe für seine Backen – eine derbe Nuß zu knacken. – Da übertrug die gesamte Mannschaft – für diesen Krieg ihm die Oberkommandantschaft; – und, sich wendend zum muntern Alten, – sprach er: Laß meine Geschichte dir entfalten. – Ich lebte von hier in ferner Gegend, – frisch und wacker mich regend, – und fand, weil klein war meine Schar, – daß groß genug mein Einkommen war. – Doch als sich mir mehrten die Zehrer, – und des Haushalts Bürde ward schwerer, – blieb ich kein träger Lastträger, – sondern wandte als ein rascher Hoffnungsjäger – meinen Blick hierher auf den Landpfleger; – und durch meiner Redegaben Nützung – fand ich bei ihm Beschützung und Unterstützung. – Auch konnte meinen Mut nicht beugen, – noch mir meines Gönners Ungunst erzeugen – ein Fehler in meinen Sprachwerkzeugen, – den mir deine Ohren bezeugen, – daß das R ist eine Klippe, – an der sich brechen die Ströme meiner Lippe. – Nun, sattgetränkt von seinem Gnadenregen – und bekümmert der Meinigen wegen, – bin ich bittend ihm angelegen, – mich zu den heimatlichen Gehegen – zu entlassen mit seinem Segen; – doch er sprach dagegen: – Versagt ist deine Bitte; – dir wird kein Roß zum Ritte, – zum Abschied keine Verehrung – und zur Reise keine Zehrung, – bis du schriftlich mir vorlegst – und mündlich selbst mir vorträgst – ein Bittgesuch, wohlgestellt, – das an Sinn und Spruch sich wohlverhält – und an Wohlgeruch mir wohlgefällt, – und in welchem ganz der Buchstab ist vermieden, – den auszusprechen dir nicht ist beschieden. – Nun hab' ich mich gemüht ein Jahr lang – und das Werk ist gerückt kein Haar lang; – ich rüttle meine Gedanken aus dem Schlummer, – und sie werden nur immer dummer. – Und auch die Gelehrten, – die hochverehrten, – die ich anruf' um Hilfe, ducken – sich alle mit Achselzucken. – Nun, wenn du der Mann bist, der du dich rühmest, – und dein Garten, wie du ihn blümest, – wenn dein Schimmer ist keine Blendung, – so bekräftige durch ein Zeichen deine Sendung! – Jener sprach: Zum Brunnen ist gekommen dein Schlauch – und zur frischen Kohle dein Hauch, – dein Pferd zu seinem Beschläger – und dein Schwert zu seinem Feger. – Drauf sann er ein Weilchen verschlossen, – bis die Wasser zusammengeflossen, – die Milch ins Euter eingeschossen; – dann rief er: Rüttle am Tintenfasse – und die Feder fasse, – daß sie bringe das schwarze Nasse – auf das trockne Blasse, – und schreib also:

Milde ist eine Tugend, – ewig jung sei deine Jugend. – Geiz ist ein Schandflecken; – deines Neidenden Auge müsse Nacht decken! – Edle Hand giebt Spenden, – unedle läßt abziehen mit hohlen Händen. – Den Gebenden schmückt, – was den Empfangenden beglückt; – und das Gold, das Dank aufwägt, – ist wohl an- und ausgelegt. – Zufließt's von innen dem Quelle, – wenn außen abfließt die Welle; – und Ausfluß des Sonnenlichts – giebt uns und benimmt dem Himmel nichts. – Wessen Gemüt ist aus edlen Stoffen, – hält sein Haus dem Gaste offen, – seinen Schutz dem flehenden, – und seinen Schatz dem gehenden. – So lange dein Gast weilt, heiß' ihn nicht eilen, – noch weilen, wenn du ihn siehest eilen; – und laß ihn ziehn mit Tasch' und Stabe – nicht ohne Lab' und nicht ohne Gabe. – So sei von Lust dein Palast bewohnt, – mit des Glückes Besuch belohnt, – von des Unglücks Fuß gemieden, – vom anklopfenden Leid geschieden. – Dein Dach sei luftig, – dein Gemach sei duftig, – deine Matten weich, – deine Schatten denen von Eden gleicht – Dein Wipfel sei vom entlaubenden Hauch geschont, – und ewig sei im Wachsen dein Mond! – Dein Lampendocht sei gesättigt vom Öle – und von Wunschfülle deine Augenhöhle. – Was du beschauest, das lenz' und maie; – was du betauest, das glänz' und gedeihe. – Was du stützest, schwanke nie, – und wen du beschützest, wanke nie. – Sei geliebt von den Gemeinden – und gelobt von den Feinden; – schaltend mit Macht, – waltend mit Bedacht – Unmilde zähmend, – Unbilde lähmende – Dein Stab sei weidend, – deine Klinge schneidend – und dein Wille entscheidend – – Dich flehet an dessen Mund, – dessen Odem schloß mit deinem Befehl einen Bund; – dessen Fuß steht, wo du ihn stellest, – dessen Stolz fällt, wo du ihn fällest. – Deine Huld hat ihn satt gemacht, – deine Sonne hat bezwungen seine Nacht. – Du nahmest an seines Lobes Huldigung, – mit seines Fehls Entschuldigung. – Deine Begleitung blieb sein Gnadenkleid – und die Geschmeidigkeit sein Halsgeschmeid, – deine Befehle – seine Seele, – und dein Gebot – sein Leben und Tod. – In deinem Dienst ist beschneit sein Haupt, – seines Kinnes Wald ist dünn gelaubt; – und ihn ziehet ein Gelüste – aus deinem Luftgeheg in seine Wüste, – aus dem Gnadenlicht, das ihn umflammt, – in das Dunkel, das ihm ist angestammt; – von wo eine Heimatluft ihn anweht, – von wo ein Sehnsuchtsduft ihn angeht; – wo jetzt sein Haus steht ungebaut – und sein Feld liegt unbetaut, – wo sein Hauswesen öd' ist, – das Los seines Hänfleins schnöd' ist, – ohne Halt und Haupt sein Gesind – und ohne Heil und Hilfe sein Weib und Kind. – So entlasse du den Dankenden, – seinem Glück Entwankenden. – Halte die fliehende Seele nicht – und mit Wohlthaten quäle nicht. – Laß mich auf meines Stammes Hütten – den Abglanz deines Palastes schütten, – daß dein Lob, wie in diesen Hallen, – mög' in den einsamen Wüsten schallen. – Dein eigen sei Gottes Wohlgefallen – und sein Segen gemeinsam uns allen.

So schloß er den Brief, – und das Wort im Munde seiner Tadler schlief; – seines Beifalls Gemurmel lief – durch die Versammlung, und sie rief: – Auf welchen Bergen ist dein Stamm entsprossen? – aus welchem Thal kommt dein Strom geflossen? – aus welchem Köcher ist dein Pfeil geschossen? – Da hub er an:Dieser Ton, den Abu Seid öfter und nie, ohne zu rühren, anstimmt, ist gleichsam der zurückgedrängte reine Grundton seines Innern, der von Zeit zu Zeit aus den moralischen Dissonanten hervorbricht und sie in sich aufzulösen strebt. Ohne diese einzige Wahrheit in seinem aus Lug und Trug gewebten Leben könnte er gar keine poetische Person vorstellen. Diese elegische Klage um ein verlorenes Jugendparadies und die Sehnsucht nach einem teueren Vaterland sind nicht erdichtet. Man fühlt das überall, wo dieser Ton anhebt, aber vollständigen Aufschluß darüber giebt der Dichter, sehr kunstgerecht, erst in der ehevorletzten Makame. Man kann sagen: Dieses gute Härchen am grauen Sünderkopf ist es, woran der Himmel ihn hält, um ihn zuletzt aus der Irre zur Heimat zurückzuführen.

Von Ghassans Wurzeln bin ich geboren,
Mir war zur Wohnung Serug erkoren,
Ein Haus, an Schimmer der Sonne gleich,
Ein Erdenhimmel mit goldnen Thoren,
O welches Leben, das ich gelebt,
O welches Eden, das ich verloren.
Wo ich gewandelt in Füll' und Lust,
Vom Most der Jugend und Rausch durchgoren,
Des Wohlbehagens Gewand geschleift
Durch Gärten, dicht wie das Haar des Mohren,
Bereit, zu duften auf meinen Wink,
Und auf mein Lächeln sich zu befloren.
Wenn Kummer hätte zu töten Macht,
Er müßte tödlich dies Herz durchbohren.
Und ließ ein Glück sich zurückbeschwören,
Mein Seufzen hätt' es zurückbeschworen.
Der Tod ist besser für einen Mann,
Als so zu leben, wie Vieh geschoren,
Vom Nasenringe der Schmach geführt,
In wunder Seite des Schicksals Sporen.
Den edlen Löwen (verkehrte Welt)
Zaust die Hyäne bei Mähn' und Ohren.
Wenn eine Thörin das Glück nicht wäre,
Würd' es mit Huld nicht beglücken Thoren;
Und wenn's die Kleider nach Manneswert
Verteilte, hätt' ich nie nackt gefroren.

Nun ward der Ruhm von seinen Proben – vor des Landpflegers Ohren erhoben: – der gebot, ihm den Mund zu füllen mit Gold, – und bot ihm an, zu treten in seinen Sold. – Doch er ließ sich am Geschenke genügen – und wollte sich nicht zu dem Amte fügen. – Der Erzähler spricht: – Ich, aus alter Freundespflicht, – da ich also sah leuchten seines Glückes Licht – und ihn stehn vor der hehren Stufe, – wollt' ihm raten, zu folgen dem Ehrenrufe. – Laut wollt' ich verkünden seine Würdigkeit, – seines Geistes Ebenbürtigkeit. – Doch er gab mir einen Wink, mich zu bescheiden – und das Schwert zu lassen in der Scheiden. – Und als er mit der Beute nun abgezogen, – mit dem Fang zufrieden abgeflogen, – folgt' ich ihm nach, um ihn zu verklagen, – daß er die Bestallung ausgeschlagen. – Doch er lächelte stiller, – dann stimmte er an mit Getriller:

Eine Stell' in dem Stall ist besser,
Als Bestallung zur Ehrenstelle.
So unsicher ist dieser Boden,
Als beweglichen Sandes Welle.
Knecht zu sein beim Herrn, ist beschwerlich,
Und gefährlicher, sein Geselle.
Wankelmütig ist stets ein Herr,
Schnell Ergriffenes läßt er schnelle;
Bäume pflanzt er und schält den Stamm,
Baut ein Haus und zerbricht die Schwelle.
Besser, daß du durch Wüsten fahrest,
Oder flüchtest in eine Zelle,
Als zu träumen von Hoheit, daß
Nackt dich wecke des Morgens Helle.

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