Friedrich Rückert
Die Makamen des Hariri
Friedrich Rückert

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6.
Das Eidformular.

Hareth Ben Hemmam erzählt:

Nach Rahba, der Frühlingsros' an des Euphrats Wogen – ward ich von einem Verlangen gezogen, – dem ich folgte mit schnellem Tier – und rascher Begier. – Und als nun mein Landschiff, gerudert von den Sporen, – war eingelaufen zu den Thoren; – als ich Anker und Zeltplatz mir hatt' erkoren – und trat aus einem Bade gesalbt und geschoren: – sah ich einen Jüngling, gegossen in der Schönheit Form, – gegliedert nach der Vollkommenheit Norm, – gehalten an seines Mantels Falten – von einem Alten, – der ihn beschuldigte mit Wut, – er habe vergossen seines Sohnes Blut. – Der Jüngling aber, standhaft, – leugnete ab die Bekanntschaft – und führte mutig seine Verteidigung – gegen solchen Vorwurfs Beleidigung. – Ihres Streitfeuers Funken stoben, – und es hatte sich um des Kampfplatzes Toben – das Gedränge der Menge zusammengeschoben; – bis beide zuletzt sich verständigten, – daß sie ihren Streit, den sie nicht beendigten, – zur Entscheidung dem Wali des Orts behändigten. – Der war aber einer, von dem man sagte, – daß Knabenschönheit ihm mehr als andre behagte. – Und als sie nun mit beflügelten Hanken – waren gerannt in die Schranken, – brachte der Greis an die Sache – und beschwor des Richters Rache. – Dieser gebot dem Jüngling, zu sprechen, – und schon hatten begonnen ihn zu bestechen – die dunklen Locken um die hellen Flächen. – Der sprach: Es ist eines Lügners Lug – gegen einen, der keinen erschlug, – eine meuchlerische Hinterlist – gegen einen, der kein Meuchler ist. – Der Wali sprach zum Alten, – ungehalten: – Hast du zur Thatbescheinigung – zweier rechtgläubigen Zeugen Vereinigung? – wo nicht, so begnüge dich, ohne weitere Peinigung, – vom Beklagten mit dem Eide der Reinigung. – Der Alte sprach: Er hat schnöde – ihn erschlagen in der Öde, – wo ihm niemand hat zugesehn; – wer soll mir Zeugnis zugestehn? – Die stumme Wüste hat getrunken das Blut, – die es zu verraten nicht den Mund aufthut; – und nun birgt er Sinnes Unhuld – hinter der Mienen Unschuld. – Doch laß mir nur die Wahl des Eidformulares, – und du sollst sehn, ob ich Falsches red' oder Wahres. – Der Wali sprach: Das steht dir zu Gebot, – zum Trost um deines Sohnes Tod. – Da sprach der Alte zum Jüngling: Sprich:

Bei dem, der die Stirne geschmückt mit dem Lockenkranz – und die Augen mit dem dunklen Glanz, – die Augenbrauen mit der leisen Scheidung – und die Wimpern mit der Saumbekleidung, – die Augenlider mit der Schwere, – die Nasenwölbung mit der Hehre, – die Wangen mit dem Tagesanbruch – und das Kinn mit dem Jugendanflug, – die Knospe des Mundes mit dem Aufsprung, – die Säule des Halses mit dem Aufschwung, – die Haltung des Hauptes mit dem Sinken – und das Lächeln mit dem Zahnblinken! – ich habe deinem Sohn nichts gethan zuleide, – noch seinen Busen gemacht zu meines Schwertes Scheide. – Wo nicht, so schlage Gott mein Auge mit Decken – und meine Wange mit Flecken, – meine Schläfe mit der Kahlheit, – meine Rose mit der Fahlheit, – meine süße Frucht mit der Schalheit, – meine Stirne mit den Falten, – meine Zähne mit den Spalten, – meinen Odem mit dem Dampfe, – meine Lippen mit dem Krampfe, – mein Feuer mit dem Froste, – meinen Spiegel mit dem Roste, – meinen Mond mit dem Schwinden, – meine Sonne mit dem Erblinden, – das Silber meines Kinns mit der SchwärzeDas Silber des Kinns ist dessen jugendliche Glätte, und die Schwärze, womit es geschlagen werden soll, der gefürchtete Bart. – und das Elfenbein meiner Hüfte mit dem Schmerze!

Da sprach der Jüngling: Eh'r alles Leid, – als diesen Eid! – eh'r das Leben verloren, – als schwören, wie noch kein Mensch geschworen! – Doch der Alte bestand darauf, um seine Unschuld zu verbürgen, – müss' er den Eid hinunterwürgen. – Das Ende des Streites war unabsehbar, – der Weg der Vereinigung ward ungehbar. – Doch des Jünglings edle Weigerung – diente seiner Schönheit zur Steigerung – und zur Schürung von des Richters Brunst, – der eine Rührung spürte ihm zu Gunst. – Sein Ohr war erfüllt vom Eidformular, – das ein Verzeichnis der Reize war, – und mit des Auges Geize – verschlang er noch einmal die Reize; – bis daß ihm der Empfindung Flammen – schlugen über die Besinnung zusammen – und die Thorheit ihm den Rat einflößte, – den Jüngling zu gewinnen, indem er ihn löste. – Wenn er dem Alten ihn risse aus den Krallen – würde er ihm in die Hände fallen. – Und er sprach: Willst du hören, was die Menschenliebe rät, – und thun, was der Frömmigkeit wohl ansteht? – Der Alte sprach: Und was rietest du? – Ich gehorche, was gebietest du? – Der Wali sprach: Mein Bescheid ist, das du diesen Jüngling scheidest von der Qual – und dich bescheidest mit hundert Miskal, – die ich zum Teil werd' aus Eignem erschwingen, – zum Teil von da und dort aufbringen. – Der Alte sprach: Du hast nur zu walten – und Wort zu halten. – Da zählte der Wali zwanzig bar auf – und wandte sich zu seiner dienenden Schar drauf, – von welcher er noch zusammenbrachte, – was voll das halbe Hundert machte. – Da hatte die Sonne sich verkrochen, – das Abendgebet sollte sein gesprochen, – und die Geldernte ward unterbrochen. – Der Wali sprach: Nimm, was da ist, – und erwarte, was nah ist; – morgen früh wollen wir zusehn, – daß dir zukomme, was dir mag zustehn. – Der Alte sprach: Auf den Beding, daß diese Nacht – dieser Jüngling bleib' in meiner Macht, – nur vom Manne meines AugesDer Mann des Auges, bei uns die Pupille, das Kindchen des Auges. bewacht; – und wenn ich morgen bin entschädigt, – sei er der Haft entledigt, – frei – wie der junge Vogel vom Ei, – und für mich unschuldig an Bös und Gut – wie der Wolf an Josephs Blut.Sprichwortlich der Wolf, der den von seinen Brüdern verkauften Joseph zerrissen haben sollte. – Der Wali sprach: Du forderst Billiges, – und ich bewillig' es.

Hareth Ben Hemmam erzählt: Als ich sah des Alten Gewandtheit, – ging mir im Geist auf seine Bekanntheit. – Und als nun die Nacht die Sterne geboren – und das Geräusch sich hatte verloren, – durchschritt ich die Höfe des Wali und fand den Alten – Wache über den Jungen halten. – Ich beschwor ihn bei Gott: Bist du nicht Abu Seid? – Er sprach: Ja. beim Ordner der Jagdzeit! – beim hellsehenden Wächter der Nachtzeit; – Ich sprach: Und wer ist der Junge da, – dessen Locken ich heut im Schwunge sah? – Er sprach: Er dient mir dem Geschlecht nach zum Sohne – und dem Geschäfte nach zur Dohne. – Heute halfen mir seine Locken – diese fünfzig ins Garn zu locken. – Ich sprach: Und willst du nun den Morgen erpassen, – um die übrigen fünfzig zu fassen? – Er sprach: Nein, ehe die Vögel singen, – will ich mit diesem mich von hinnen schwingen. – Doch nun laß uns kosen bei der Sterne Kerzen, – um zu verscherzen des Abschieds Schmerzen. – Da verbracht' ich die Nacht mit ihm unter Reden, – köstlicher als Gewebe goldener Fäden, – blühender als die Gartenhaine von Eden; – bis daß nun der WolfschweifDer Wolfschweif heißt der den Himmel überfahrende erste falbe Morgenschimmer, der wieder verschwindet und eine tiefere Finsternis hinterläßt, aus welcher dann erst der zweite, oder der wahrhafte Morgen hervorgeht, im Gegensatz zu welchem jener erste Schimmer auch der lügende Morgen heißt. über den Himmel strich, – da erhob er sich zum Strich – nach einem andern Himmelsstrich – und ließ an Abschiedsgeschenkes Statt – in meiner Hand ein versiegeltes Blatt, – sprechend: Das stelle du, – wenn es tagt, dem Wali zu – daß es ihm zum Trost möge frommen, – wenn unsre Flucht ihm die Ruh' genommen. – Das sagt' ich ihm zu zum Abschied, – doch er ging mit einem Blick, der mir's abriet. – Da achtet' ich es kein Verbrechen, – den Mutelemmis-BriefDer Brief des Mutelemmis ist, wie man ohne Not und Note errät, ein Uriasbrief. zu erbrechen, – und darin stand:

So sprich zum Wali, welchen mein Verschwinden
Geworfen in der Reue Feuerpein:
Der Alte nahm dein Geld, dein Herz der Junge,
Den doppelten Verlust, o streich ihn ein.
Du hast den Beutel aufgethan, weil Liebe
Dir zugehalten hat der Augen Schein.
O lauf nicht dem nach, was du laufen ließest;
Schleuß deinen Kummer in den leeren Schrein!
Und wardst du heute durch der Liebe Großmut
Ein größrer Märtyrer als einst HoßeinDas Martyrtum des Hoßein, des jüngeren Sohnes des Ali und der Fatime, der tragische Tod des Verdurstens, den er mit seinen Waffengefährten bei Kerbela gefunden, steht zwar, wie wir eben hier ein Beispiel sehen, auch bei den Sunniten in gutem Andenken, doch lange nicht in so lebhaftem, wie bei den Schiiten, die diesem ihrem Lieblingsheiligen ein jährliches Totenfest feiern, das mit seinen öffentlichen Wehklagen und ekstatischen Ausbrüchen der Trauer, mit der mimisch dramatischen Darstellung des Kampfes, Leidens und Todes, im offnen Widerstreit mit dem Geiste des Islams, einem heidnischen Mysterium viel ähnlicher sieht.;
Belehrung kauftest du dafür, die gerne
Der Weise kauft um Gold und Edelstein.
So stelle künftig ein die Jagd! Oft locket
Das Reh den Jäger in des Löwen Hain.
Ausritt schon mancher auf Erwerb und kehrte
Nach Hause mit den Schuhen des Honein.Geschichte des Sprichworts: Er kommt nach Hause mit den Schuhen des Honein: »Honein war der Name eines Schusters; zu dem kam ein Araber aus der Wüste, um von ihm ein Paar Schuhe zu kaufen. Doch sie wurden über den Handel uneins; der Araber schimpfte den Honein und kaufte die Schuhe nicht. Als er nun wieder heimreiten wollte, lief Honein ihm voraus auf den Weg, warf einen Schuh hin, ging dann eine weite Strecke und warf den andern Schuh hin; worauf er sich an der Stelle hinter einem Strauch verbarg. Als nun der Araber an dem ersten Schuh vorüber kam, sprach er: Wie sieht doch dieser Schuh den Schuhen des Honein gleich! Wäre sein Kamerad auch dabei, so höbe ich ihn auf. So ritt er weiter und kam zu der Stelle, wo der andre Schuh lag. Da bereute er's, daß er den ersten nicht aufgehoben; ließ sein Pferd bei dem zweiten stehen und kehrte um, den ersten zu holen. Doch Honein kam hervor und ritt auf dem Tiere des Arabers davon; und als dieser zurückkam, sah er den Schuh, aber sein Tier nicht. Er nahm denn das Paar Schuhe und ging zu Fuß nach Hause. Da fragte man ihn: Was bringst du heim von deiner Reise? Er sprach: Die Schuhe des Honein; und das ward zum Sprichwort.«

Hareth Ben Hemmam erzählt: Da zerriß ich das Blatt in tausend Bitzchen und Fetzchen – und stellt' es dem Schicksal heim, ob ein Spätzchen oder Mätzchen – dem Wali zutrüge das Lied vom verlorenen Schätzchen.


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