Friedrich Rückert
Die Makamen des Hariri
Friedrich Rückert

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25.
Die Ehescheidung.

Hareth Ben Hemmam erzählt:

Ich stand im Begriffe, mit vielen andern – aus Tebris zu wandern, – weil die Lust dieser Stadt versiegt war, – die eben vom Hunger bekriegt war. – Während ich nun mit eiligem Schritt – die Straßen durchschnitt, – beschäftigt mit Reisevorbereitung – und mit Aufsuchen einer Begleitung, – begegnet' ich Abu Seid von Serug, den bedrängte ein Harm, – weil an ihn sich hängte ein Weiberschwarm, – wie Bienen an des Zeidlers Arm. – Und ich fragt' ihn, wohin er sich schleppe – mit seiner unbequemen Schleppe? – Da seufzte er schwer – und deutete auf eine im Heer, – in deren Gebärden zu sehn war die Widersetzlichkeit – und aus ihrem entschleierten Antlitz die Unergetzlichkeit; – und sprach: Die hab' ich gefreit, – daß in der Fremde sie mir sei zur Bequemlichkeit – und von mir nehme des ehelosen Lebens Grämlichkeit; – doch sie macht mir Unannehmlichkeit. – Sie spielt gegen mich den Mann – und sinnt mir mehr an, als ich leisten kann; – ich bin wie ein abgetriebnes Tier vermagert – und auf Distel und Dorn gelagert. – Nun gehn wir zusammen zum Richter, – daß er werd' unsres Handels Schlichter, – sei's nun gütliche Entscheidung, – oder die Scheidung, die Scheidung. – So sprach er, da dacht' ich doch, ich könnte nicht aus Tebris gehn, – ohne den Verlauf dieser Sache zu sehn, – und ich schob mein Geschäft auf die Seiten, – um sie zum Richter zu begleiten. – Der war nun einer, der schwer herausruckte – und der vor Sparsamkeit nicht ausspuckte, – der wegwarf keinen zerbrochenen Zahnstocher – und seine Herzensthür verschloß vor dem Anpocher. – Doch Abu Seid, als er vor ihm erschien, – hockte sich nieder auf den Knien – und rief: Gott erleuchte den Kadi und segne ihn! – Mein Reittier hier ist bockig, – muckig und stockig, – ob ich gleich ihr thue, was billig, – und ihr zu Willen bin willig. – Da sprach der Kadi zu ihr: – Wehe dir! – weißt du nicht, daß Störrigkeit den Herrn beleidigt – und verdient, daß man sie mit Streichen schmeidigt? – Doch sie sprach: Er ist ruchlos und gnadlos, – geht nebenhinaus pfadlos – und hält sich beim Nachbar schadlos; – er läßt mich allein haushalten, – wie soll ein Weib das aushalten? – Da sprach der Richter zu ihm: Schmach über dich! Bist du einer von den Leckern, – die da säen auf fremden Äckern – und hecken außer dem Neste? – pfui, dein Ding steht nicht aufs beste. – Doch Abu Seid sprach: Beim Schöpfer der Quellader – in der Felsquader, – sie ist verlogener als Ummo Sader.Geschichtlich sprichwörtlich. Aber im Texte steht hier Sedschahi, die liederliche Lügenprophetin, die zu ihrem Genossen in der folgenden Note gehört. Sie reimt im Arabischen, wozu sie im Deutschen nicht taugte. Ich weiß nicht, wo ich ihre Stellvertreterin, die Ummo Sader, hergenommen habe, doch wird sie wohl irgendwo im Hariri selbst stehen. – Sie rief: Nein, bei dem, der den Strauß beschwingt – und den Hals der Ringeltaube beringt, – der die Milch bekrönt mit dem Rahme, – er ist lügenhafter als Abu Thumame, – als er faselte in Jemame.Sprichwörtlich. Dieser Abu Thumame ist der geschichtlich bekannte Morseilama, der Gegenprophet in Jemame, der dem neugepflanzten Islam viel zu schaffen machte. – Da zischte Abu Seid, wie eine Flamme zischt, – und sprudelte des Zornes Gischt, – rufend: Schweig, Anbrüchige, – Übelrüchige, – Schandenrüchige, – du ihres Mannes Marterpfahl – und der Nachbarschaft Qual; – lässest du zu Haus mich nicht ruhig schlafen – und willst noch vor den Leuten mich Lügen strafen? – Und weißt doch, daß, als ich dich bekommen – und dich in Augenschein genommen, – ich dich fand beschaffen – häßlicher als einen Affen, – ausgetrockneter als einen Riemen, – hartleibiger als einen Pfriemen, – schwärzender als Tinten, – verbitternder als Koloquinten, – unwillkommner als eine Eule, – unbequemer als eine Beule, – lästiger als den Dumpf, – fauler als einen Sumpf, – dummer als das Kraut RidschletEine Pflanze, die auch Hamka, die dumme, heißt, weil sie so nah an den Rand der Flüsse sich stellt, daß sie der Strom mit fortreißt. – und weitläufiger als den Fluß Didschlet.Der arabische Name des Tigris. – Doch ich deckte deine Blößen – und stieß mich nicht an deinen Verstößen. – Aber nun, und wärst du Schirin mit ihrer Pracht – und ZobeideDie Gemahlin des Kalifen Harun Alraschid, die jedermann aus tausend und eine Nacht kennt, nur dort viersilbig statt dreisilbig, mit eï statt ei geschrieben, was die deutschen Übersetzer den französischen nicht hätten nachthun sollen. Die letzteren haben einen guten Grund zu dieser Schreibung, weil ihr ei nicht wie unseres und das arabische klingt. mit ihrer Macht, – BilkisBilkis, die Königin von Saba. mit ihrem Witze, – BuranBuran ist doppelt vorhanden, einmal eine Tochter des Chosru Perwis, die nach ihres Vaters Tode etwas über ein Jahr regierte, sodann die hier gemeinte, deren Vermählung mit dem Kalifen Almamun eine Erzählung von Tausend und eine Nacht ausmacht (Bändchen 13, S. 37. Hagen), wo aber die Beschreibung der Pracht und des Reichtums bei der Hochzeit, was eigentlich der historische Kern ist, ziemlich undeutlich ausgefallen. Sie saß dabei auf einem sagenhaft berühmt gewordenen, von Goldfäden gewebten Teppich, worüber ihre Großmutter Perlen ans goldenen Schüsseln ausgoß. Seltsamerweise hat man dort aus des Kalifen verwunderndem Ausruf: »Katalanillah«, d. i.: »Gott verdamme mich!« einen Poeten Katel-Allah gemacht. mit ihrem Sitze, – ZabbaZabba, die kriegerische Königin von Mesopotamien. Ihren Namen hat sie selbst von ihren langen Haaren, oder diese in der Sage von ihrem Namen. mit ihrem Haar, – ZerkaZerka, die Fern- und Scharfsehende.mit ihrem Augenpaar, – RabiatRabiat, die Tochter Ismaels aus Basra, die berühmteste aller durch Frömmigkeit berühmten Frauen. Glaubwürdige Zeugen sagen, daß sie in einem Tag und einer Nacht 1000 Rukets gebetet, und als man sie fragte: Warum thust du das? sprach sie: Nicht als gutes Werk um der Belohnung willen, sondern daß es den Propheten Gottes freue, am Tage der Auferstehung, daß er spreche zu den andern Propheten: Sehet hier ein Weib von meinem Volke! Sie pflegte auch zu sagen: Ich hörte nie den Gebetrufer, ohne daß ich an den Herold des jüngsten Gerichtes dachte, und sah nie einen Heuschreckenzug, ohne daß ich an die Auferstehung (das dortige Gedräng und Gewimmel der Scharen) dachte. mit ihrer Andacht gar, – Chindaf mit ihrem Stolz und ihren Söhnen, – Chansa mit ihren schönen – ihres Bruders Tode geweihten Trauertönen; – und hättest du alles Gute und keinen Fehler, – doch möcht' ich dich nicht zur Stute für meinen Beschäler – noch zum Schrank für meine Gerätschaft, – noch zum Siegelwachs für mein Petschaft. – Sprach's, doch sie zum Kampfe stürzte sich, – streifte den Arm auf und schürzte sich – und rief: O du, schmutziger als MadirMadir war ein Mann, der seine Brunnentränke mit Unrat verschmierte, damit kein anderer seine Kamele mit dem Reste des Wassers tränken möchte. – und unseliger als KaschirKaschir war ein Beschäler, der keine Stute besprang, ohne daß diese davon starb. Man sagt auch, damit sei ein unfruchtbares Jahr gemeint, so benannt von Kaschar, schälen, weil es den Erdboden von Pflanzen schält. – und verzagter als SafirSasir, d.h. der Pieper, ein Vogel, der sich nachts an einen Ast mit den Füßen, den Kopf unterwärts, anhängt und so die ganze Nacht durch piepet, um nicht einzuschlafen, aus Furcht vor Raubvögeln und Tieren. – Aber wird er nicht gerade diese herbeipiepen? – und unsteter als Tamir Ben Tamir.Ein mythischer Mann von besonderer Flüchtigkeit, oder auch ein Floh; Tamir Ben Tamir bedeutet Hupfer oder Hupfersohn. – Schießest du nach mir deinen Pfeil – und legst an die Wurzel meiner Ehre dein Beil? – und weißt doch, daß du unnützer bist als eine Schote ohne Same – und gebrechenreicher als das Maultier des Abu Dulame,Abu Dulame, Hofpoet und lustiger Rat des Kalifen Almansur. Er ritt ein Maultier, das war blind, lahm, stöckig, schlug vorn und hinten aus, biß die Leute, ließ sich nicht zäumen noch beschlagen; wenn es pißte, nahm es den Schwanz zwischen die Beine und spritzte dann damit die Leute. Wenn es Abu Dulame ritt, liefen die Jungen ihm nach und lachten ihn aus. Er ritt es aber im feierlichen Aufzuge der Kalifen und der Großen, um sie lachen zu machen; er dichtete auf dasselbe auch eine Kasside, worin er dessen Fehler aufzählte. – zäher als ein Filz, – schwächer als ein Pilz, – ungebetner als Stechen in der Milz; – gefräßiger als der Rost, – unerquicklicher als ein Frost; – unanständiger als in Gesellschaft ein Wind, – unverständiger als ein Rind, – kahler als räudige Füchse, – verirrter als eine Mistfliege in eines Würzkrämers Büchse. – Doch gesetzt, du wärest Hassan im Predigen – und Koß im Zweifelsfragen Erledigen – und Schabi an Gedächtniskraft – und Chalil an Sprachwissenschaft – und Gerir im Liebesgedicht – und Abd Elhamid im Redegewicht – und Abu Amru an Schriftauslegung – und Ben Koreib an Geschichtenprägung – und arabischer Kunden Hegung; – meinst du, daß ich dich möchte zum Roß meiner Weide, – oder zum Schwerte meiner Scheide? – Nein, bei Gott, noch zum Imam meiner Kapelle, – noch zum Pförtner meiner Schwelle. – Da sprach der Richter zu beiden in der Kürze: – Ich seh', ihr paßt zusammen wie Topf und Stürze. – Du Mann, laß deine Unhuldigkeit – und thu ferner deine Schuldigkeit; – und du Weib, steh ab von deinem Schimpf – und die Last, die er dir auflegt, trage mit Glimpf. – Da sprach das Weib: Bei Gott, ich werde nicht weichen, – er werde mir denn Kleider reichen; – und ich ergebe mich nicht in seinen Willen, – oder er muß erst meinen Hunger stillen. – Da vermaß Abu Seid sich hoch und teuer, – er habe nichts zu ihrer Bedürfnisse Steuer, – als einen leeren Sack – und kummerschweren Pack. – Doch der Richter, der sich auf seine Leute verstund, – sah mit einem scharfen Blicke der Sach' auf den Grund; – er wandte sich zu ihnen mit Stirnekrausen – und sprach mit Brausen: – Ist's nicht genug, vor meinem Angesichte zu thören, – mit eurer Geschichte den Ernst der Gerichte zu stören, – daß ihr noch wollet von den Worten des Unfuges – ansteigen zu den Werken des Betruges? – Bei meinem Eid! euer Steiß hat die Grube verfehlt, – und euer Pfeil hat die Halsgrube gefehlt. – Der Emir ElmumeninDer Fürst der Gläubigen, der Kalife. – (Gott erhalt' ihn und den Glauben durch ihn) – hat mir meine Stelle verliehn, – um die Rechte der Parteien zu schützen, – nicht um Betteleien zu unterstützen. – Und bei seiner Gnade, die mich bekleidet – mit der Gewalt, die fügt und scheidet! – gebt ihr nicht sogleich Auskunft von dem Zweck eures Handels – und von den Winkelzügen eures Wandels; – so lass' ich euch im Land ausschrein – und mach' euch zu einem Beispiel für groß und klein. – Da blickte Abu Seid starr, als ob er Geister beschwöre, – dann rief er laut: Höre! Höre!

Ich bin der von Serug, und dieses ist mein Weib;
Der Mond nur ist der Sonne Spießgeselle.
Nie kam in mein' und ihre Zärtlichkeit ein Bruch,
Der Mönch ward untreu niemals seiner Zelle;
Noch ward die Anstalt meiner Landbewässerung
Vergeudet, daß sie fremden Boden schwelle.
Doch seit fünf Tagen teilen wir das Los der Stadt,
Und unsrer Nahrung ist versiegt die Quelle.
Wie fest wir ihn geschnürt, wir konnten nicht dem Hund
Des Hungers wehren, daß er widerbelle.
Als wir vergessen, wie ein Schluck, ein Brocken schmeckt,
Und trocken war der Mörtel unsrer Kelle;
Als guter Rat so teuer, und so wohlfeil uns
Das Leben war, entschlossen wir uns schnelle,
Vom Haus zu gehn halb Leichen, eh wir Leichen ganz
Uns tragen ließen über seine Schwelle.
Das lecke Schiff lief aus mit der Verzweiflung Mut,
Daß es erwerbe oder gar zerschelle;
Und einem Groschen nachzustellen, stehn wir nun
In der Verstellung Kleid an dieser Stelle.
Die Armut kann wohl einen, der mit Heldenmut
Geprahlt hat, dazu bringen, daß er prelle.
Dies ist mein Zustand nun, und dies ist mein Gewerb':
Du von der Schuld zieh ab die Unglücksfälle!
Und gieb mir Kerker oder Tod, gieb Leben mir,
Zumiß mir, was du willst, du hast die Elle.

Da sprach der Richter; Mache frei deinen Odem – von der Verzweiflung beengendem Brodem! – Ich will dir deine Ränke schenken – und mit einem Geschenke dich bedenken. – Da rüttelte sich das Weib und richtete sich empor – und auf die Zuschauer deutend, trug sie vor:

O Volk von Tebris, einen Kadi gab dir Gott,
Der bünd'ger ist als einer, den man je pries;
Nur daß er von den Schalen der Gerechtigkeit
Heut eine füllte und die andre leer ließ.
Als unsrer Not gemeinschaftliches Schifflein hier
Die Luft der Hoffnung seiner Großmut herblies,
Hat er ein Paradies dem Alten aufgethan,
Doch aus dem Himmel mich verbannt wie Eblis.Eblis, diabolus, Teufel.
Er weiß wohl nicht, daß auf der Reitkunst Webstuhl ich
Allein dem Alten Faden und Geweb' wies?
Und daß, wenn ich im Stich ihn wollte lassen, er
Wär' ein Gelächter jetzt dem Volk von Tebris.

Der Erzähler spricht: Als der Kadi sah, wie ihrer beider Herzen Verwogenheit – glich ihrer beider Zungen Verlogenheit, – merkt' er, daß ein Unheil klopf' an seinen Laden – und ihn treff' ein unheilbarer Schaden; – daß, wenn er den einen der Gatten wollte beschwichten, – ohne sich zugleich den andern zu verpflichten, – sich seine Mühe würde so vernichten, – als wollt' er ein Gebet ohne AbwaschungOhne vorhergegangene Abwaschung ist das gesetzliche Gebet des Moslems ungiltig.verrichten. – Da brustete er und brummte, – hustete und hummte, – rüstete sich zum Sprechen und verstummte, – drehte sich links und drehte sich rechts, – mit Gestöhn und mit Geächz, – und schmähte auf die Kadiwürde – und die Anhängsel ihrer Bürde, – den verachtend, der sie für etwas achtete, – und als Thoren betrachtend den, der nach ihr trachtete. – Dann ächzte er wie ein Geplünderter – und lechzte wie ein Entkinderter, – rufend: O Schicksal ohnegleichen! – will man mich mit doppelten Ruten streichen? – soll ich die Parteien mit meinem Geld vergleichen, – und es bei keiner lassen fehlen? – Woher nehmen und nicht stehlen? – Dann wandt' er sich zu seinem Thürsteher – seiner Geldgeschäfte Fürsteher, – und sprach: Befrei mich von den zwei Prahlern – und stopf ihnen den Mund mit zwei Thalern. – Dann entferne den Chor – und schließe das Thor – und laß ausrufen: Heut ist ein Unglückstag, – wo den Kadi traf ein Schlag, – daß er keine Parteien mehr hören mag.


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