Friedrich Rückert
Die Makamen des Hariri
Friedrich Rückert

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8.
Das alte Weib.

Hareth Ben Hemmam erzählt:

Ich weilte in Bagdad in einem dichten Kreise – edler Dichtergreise, – die, wo sie mit ihrer Kunst hervortraten, – es den Kunstreichsten zuvorthaten, – so daß kein Gegner ihnen den Vortritt abstritt, – und kein Überlegner auf der Bahn den Vortritt abritt. – Wir ergingen uns, sitzend in der Morgenluft, – unter Redeblüten und Geistesduft, – in des Gesprächs verschlungener Windung, – Ernstes und Scherzes Verbindung, – bis daß der Tag, der sich halbete,Zu seiner Hälfte, dem Mittag gelangte. – das frische Laub der Unterredung falbete – und die muntern Augen mit Schläfrigkeit salbete. – Da sahn wir ein altes Weib heranwanken wie im Schwindel, – hinter ihr ein Kindergesindel, – jedes dünn wie eine Spinne und schmächtig wie eine Spindel, – armselig wie ein unflügges Täubchen, – verlassen wie auf dem dürren Zweig ein Räupchen. – Und kaum ward sie uns ansichtig, – so war es richtig, – daß sie uns anlief – und anrief: – Gottes Gunst den Gönnern! – eine Kunde sei den Kennern, – eine Mahnung der Menschlichkeit euch Männern! – O ihr, landflüchtiger Hoffnungen Zuflucht, – schiffbrüchiger Wünsche Ruhebucht, – ihr, dem Troste der Witwen und Waisen – gewidmeten Weisen! – wisset, daß der, die hier sich beugt, – sich einst jedes Haupt und Knie gebeugt, – eh' das Unglück sie gebeugt; – daß sie war vom Reichtum gezeugt, – von der Fülle gesäugt, – vom Überfluß ausgestattet, – nie vom Verdruß überschattet; – des Hauses Schlüssel führend, – des Herdes Flammen schürend, – in Wohlhäbigkeit – und Freigebigkeit – vertrauend auf des Glückes Ewigkeit, – schaltend und waltend über die Frauen, – wie der Mann in der Männer Gauen. – Denn mein einmal – war ein Gemahl, – der den Vorsitz führte beim Mahl – und in der Schlacht sich türmte ein Ehrenmal, – bis das Geschick uns ergriff bei den Armen – und uns schleuderte zu den Armen, – uns trieb aus den offenen Thoren – zum offenen Spotte der Thoren, – daß künftig im heimischen Hause – das Unheimliche hause. – Es zerbrach den Schlüssel und das Schlüsselbein – und wies uns von der Schüssel zum Schüsselein; – es stieß um des Herdes Kessel, – es stürzte um der Herrschaft Sessel, – es zerbrach des Dienstes Fessel – und warf die edle Rose unter die Nessel. – Es blies uns den Span aus – und zog uns den Zahn aus, – es fegte die Bahn aus – und trieb uns den Wahn aus. – Es brach die Krone dem Stamm ab – und nahm dem Huhne den Kamm ab, – die Satteldecke dem Zelter, – den Inhalt aus dem Hälter – und den Strom von der Kelter. – Es drängte und trieb, – es hetzte und hieb, – es raffte und rieb, bis nichts uns blieb, – keine Au' und keine Zeder, – keine Klau' und keine Feder – kein Schloß und kein Riegel, – kein Roß und keine Striegel, – kein Dach und keine Ziegel, – kein Gemach und kein Spiegel; – kein Halm und keine Tenne, – kein Bogen und keine Senne, – kein Riemen und kein Pfriemen, – kein Hammer und keine Klammer, – kein Haken und kein Laken; – kein Stahl und kein Stein, – kein Strahl und kein Schein, – keine Schal' und kein Schrein, – kein Thal und kein Hain, – kein Mahl und kein Wein, – als nur Qual und Pein. – Leer ist die Hand – und unstet der Fuß, – gebeugt das Haupt – und gekrümmt der Rücken. – Verdorrt ist die Lust, die grüne, – und fort ist das Gold, das gelbe; – geschwärzt ist der Tag, der weiße, – und geweißt das Haar, das schwarze; – für das Auge, das rote, – ist willkommen der Tod, der blasse. – Doch hier das verlassene Trüppchen, – wie zitternde Flämmchen am trockenen Lampenschnüppchen, – der Umfang ihres Wunsches ist ein Süppchen, – der Gipfel ihrer Sehnsucht ein altes Jüppchen; – etwas leicht Entbehrtes, – halb Verzehrtes, – etwas Abgelegtes – aus dem Hause Gefegtes; – Man hält auf des Bräutigams Gruft – nicht zu Rate SalbenduftSprichwörtlich, für: zur Unzeit oder in der Not soll man sich nicht zieren oder schämen.; – meiner armen Brut Entfiederung – zwingt mich zu der Erniederung. – Doch ich habe geschworen – bei dem Adel, der mit uns ist geboren, – bei der Ehre, die uns nie ging verloren, – eh'r zu sterben mit ihnen, – als mit demütigen Mienen – Ungroßmütigen zum Spott zu dienen. – Aber mir sagte das Herz, – eueres sei nicht von Erz, – und mir flüsterte die Seele, – daß euch eine nicht fehle. – Gott schenke dem Manne seine Schuld, – der mir Glauben schenkt und Huld. – – Und sie wandte zu mir sich mit einer Gebärde, – als ob Gewährung sie aufrichten werde – und Weigerung sie niederschlagen zur Erde. – Hareth Ben Hemmam erzählt: Wir raunten – unsere Verwunderung uns zu und staunten – über ihres Ausdrucks Blümlichkeit, – ihres Vortrags Eigentümlichkeit – und sprachen: Wenn du also die Rede stickest, – wie erst, wenn du Verse strickest? – Sie sprach dreister: – Ja, es beschämt die Meister. – Wir sprachen: Mach uns zu deinen Lehrlingen, – so wollen wir dich samt deinen Zehrlingen – dafür machen zu unseren Nährlingen. – Sie sprach: Seht erst meines Gewandes Undichten, – und dann meine Gewandtheit im Dichten! – Worauf sie uns ihre Lumpen hinhielt, – nun einen Augenblick schweigend inhielt – und dann vortrug, was sie im Sinn hielt:

Ich klag' es Gott, des Schicksals falsche Kerze
Versengt zum Scherz die Flügel armer Motten.
Mein Volk! ich war einst zugezählt den Reichen
Des Lands und schöpfte Füll' aus vollen Botten;
Im Wege stand nichts unserm Stolz auf Erden,
Kein Fels im Meer entgegen unsern Flotten;
Im dürren Hungerjahre grün der Garten
Und unterm Sonnenbrande kühl die Grotten,
Am Herde, dessen Flammen fröhlich blühten,
War frisches Fleisch den Gästen stets gesotten.
Da kam das Unglück und verschlang die Füllen
Des Meers, das der Versiegung schien zu spotten.
Die erzbeherzten Leu'n des Kampfs, die Ärzte
Der Kranken, sind ein Raub der Würm' und Motten.
Der rauhe Boden ist nun meine Sänfte,
Da schreit' ich, wo ich sonst mein Tier ließ trotten.
Und meine Kleinen, im Gedräng des Elends,
Von dem ein jeder Tag führt neue Rotten,
Flehn in der Stunde, wo nur Andacht wachet,In der Mitternacht.
Indes die Thränen fließen, fluten, flotten:
Herr, der du nährst im Nest die Brut der Raben,Die hungrigen und von Gott gespeisten Raben kennt der Araber so gut wie wir. Er hat aber dazu folgende Mythe: Wenn der junge Rabe, der Na'ab, d. i. der Kreischer, heißt, aus dem Ei kriecht und ihn seine Eltern sehen wie ein Fleisch (d. i. nackt und unbefiedert), so fliehen sie vor ihm aus Furcht, denn der Rabe ist der vorsichtigste Vogel. Da sendet nun Gott dem Jungen die Fliege, die stürzt auf ihn, öffnet ihm den Mund und kriecht hinein, daß er sie verschlucke. Und in diesem Zustand bleibt er vierzig Tage, bis ihm die Federn wachsen und er schwarz wird, dann kehren die Alten zu ihm zurück. – Sie haben sich also nur vor ihm gefürchtet, weil er nicht schwarz wie sie.
Wehr' auch dem Mangel, der uns aus will rotten,
Weis' einen Milden uns, der unsre Blöße
Verhüll', und sei es auch mit rauhen Zotten,
Und der das Feuer unsres Hungers dämpfe,
Und sei es nur mit saurer Milch und Schotten.

Der Erzähler spricht: Und bei Gott! sie sprengte mit ihren Versen der Herzen Deckel – und zog die Verborgenheiten aus Sack und Seckel, – so zwar, daß nicht nur gab, wer seines Glaubens ein Geber war, – sondern auch der sich mild bezeigte, der sonst spröder Leber war. – Und als ihr das Gefäß nun überschwoll – und jeder ihr hatte gemessen übervoll, – zog sie ab mit ihrem Geleit, – und von Dank war der Mund ihr weit. – Doch es fühlte nach ihrer Flucht – die Gesellschaft sich, sie zu versuchen, versucht, – um zu wissen, in welche Hände gefallen sei der Wohlthat Frucht. – Und ich verbürgte mich ihnen, es auszuforschen, – und schritt von ferne nach der Altermorschen; – bis sie nun kam in die Straßen voll Menschenmenge – und in die Enggassen voll Gedränge, – da tauchte sie in den Strudel – und machte sich los von ihrem Kinderrudel. – Dann hüpfte sie froh wie ein Reh – und schlüpfte in eine leere Moschee. – Ich blickte durch der Thüre Spalten – und sah sie sich wickeln aus ihren Falten – und, o Wunder, sich umgestalten – aus einer Alten in unsern Alten. – Da überlegt' ich, ob ich sollt' auf ihn einbrechen – und ihn züchtigen für sein Erfrechen. – Doch er streckte sich nieder und reckte den Nacken – und weckte den Wiederhall mit vollen Backen, – singend:

O daß ich wüßt', ob auch die Welt,
Nach meiner Müh', so tausendfacher,
Mich nun nach meinem Wert erkennt
Als Haupt der Ränk- und Schwänkemacher!
Wie manchen Streich hab' ich geführt,
Und unter allen war kein flacher.
In welchem Forst ich je gejagt,
Entging kein Raub, kein stark' noch schwacher.
Bald rüttl' ich Schläfer wach, und bald
Umnebl' ich die Besinnung Wacher;
Bald für die Weiner predigend,
Bald Lieder singend für die Lacher:
Im Weiberrock und Manneskleid,
Jetzt Chansa, dann ihr Bruder Sacher.Elchansa. d. i. die Stumpfnasige, eine Dichterin aus den letzten Zeiten des Heidentums, die noch den Islam erlebte, berühmt durch ihre zahlreichen Trauergedichte auf den Tod ihres Bruders Sachr, der an einer im Kampf empfangenen Wunde starb.
Wenn ich bedenklich wollte sein,
So stockte bald mein Lebensschacher.
Was immer sei das Baugerät,
Besser bebauter Grund, als bracher.
Ein jeder treibt, was er versteht;
Das sage meinem Widersacher!

Hareth Ben Hemmam spricht: Wie ich also hörte sein edles Selbstgeständnis – und vernahm sein offenes Glaubensbekenntnis, – sah ich, daß in ihm ein Teufel steckte, – den keine Beschwörung schreckte. – So zog ich ab, ohne ihn zu stören, – und gab, was ich gesehn, der Gesellschaft zu hören. – Sie bereuten, was sie ausgegeben, vergebens, – und vermaßen sich, nie mehr zeitlebens – mit alten Weibern zu machen so viel Aufhebens.


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