Erwin Rosen
Allen Gewalten zum Trotz
Erwin Rosen

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Von einer Todschande der Franzosen

Mein Erleben in der französischen Fremdenlegion erforderte ein eigenes Buch. Dieses Buch ist im Jahre 1908 geschrieben worden und unter dem Titel »In der Fremdenlegion, Erinnerungen und Eindrücke«, im Verlag Robert Lutz, Stuttgart, erschienen. Der Verfasser.

Was ich in der Legion suchte und was ich fand. – Auch hier das Geld! – Ich werde Steinzeitmensch. – Ich brauche keine schwarze Schmach; mir genügt die Fremdenlegion. – Mein Kampf gegen die Legionsschmach. – Die Gegenwart und die Fremdenlegion. – Die geglückte Flucht. – Durch Italien nach Innsbruck.

Ich war der Legionär Nummer 17 889. Ich suchte in der Fremdenlegion: Rauhes Landsknechtstum; Kampf; Vergessen.

Ich fand in der Fremdenlegion: Den kleinlichsten Gamaschendienst, den es jemals irgendwo zu irgend welcher Zeit gegeben hat; die Herabwürdigung von Soldaten zu versklavten Arbeitsknechten; das große Wuchereigeschäft mit Menschenware. Und ich fand auch nicht Vergessen und Versinken, sondern die Widerwärtigkeit jedes Tages zwang mit Gewalt zum Erinnern ...

Schon auf dem Schiff warf einem der Koch das Futter mit Verachtung hin. Man schlief im Raum zwischen Kisten und Ballen. Zudecken konnte man sich mit dem, was man besaß; so man noch etwas besaß. In Oran wurde man in ein dunkles Loch gesperrt, dessen Vorzüge harte Holzpritschen waren und einige verlauste Decken. Auf dem Kasernenhof in Sidi-bel-Abbès, dem Standort des ersten Regiments der Fremdenlegion, empfing uns ein wirrer Haufe von Legionären, die uns gröhlend auseinandersetzten, wie unendlich, unbeschreiblich, wahnsinnig dumm wir gewesen seien, auf diesen verdammten Legionsschwindel hereinzufallen! Gerade so dumm wie sie. Am ersten Tag mußten die Zivilkleider verkauft werden. Algerische Juden streckten gierig die Arme durch das Gitter der Hintertüre des Kasernenhofs und ihre schmutzigen Hände betasteten die Kleidungsstücke. Ein paar Franken wechselten ihre Besitzer. Einige Tage darauf merkte man, denn in der Fremdenlegion wird alle fünf Tage abgelöhnt, daß man einen Sold von fünf Centimes im Tag bekam. Das waren damals, als der Begriff Valuta sich noch auf Bankkreise beschränkte, fast genau vier Pfennige. Und mittlerweile schon hatte ich erkannt, daß in dieser Fremdenlegion, in die ich vor dem Geld geflüchtet war, das Geld die einzige, die große und die ausschlaggebende Rolle spielte.

Mit den paar hundert Mark, die ich noch besaß, war ich Herr und Gebieter, hoch zu schätzender Freund, einflußreicher Ratgeber. In meiner Korporalschaft drängte man sich dazu, mir das Bett zu machen und mir die Stiefel zu putzen. Denn fürstlicher Reichtum war mein eigen. In der Legion wird aller Geldwert umgerechnet in Wein. Die Flasche algerischen Rotweins, der gar nicht schlecht war, obgleich er aus vierter oder fünfter Kelterung zusammengepantscht wurde, kostete je nach dem Gewächs von vier bis zu zehn Centimes. Bei Gott, ich hätte mit meinen paar hundert Mark die ganze Kaserne von Sidi-bel-Abbès in Wein ersäufen können und vielleicht den bildschönsten Legionärsaufstand inszenieren, den Algier je erlebte. Aber mich kam nur der große Ekel an. Es dauerte nicht einmal Wochen, bis ich nicht nur fühlte sondern mit tödlicher Sicherheit wußte, daß ich den allerdümmsten Streich meines Lebens gemacht hatte.

Da kroch ich in mich hinein.

Wenn es mir im Leben so recht erbärmlich ging, dann bin ich immer in mich selber hineingekrochen und hab' nicht nach links geschaut noch nach rechts, hab' auch mit keinem Menschen gesprochen und keinem Menschen etwas vorgeklagt, sondern hab' mir auszudeuten versucht, im Wachen und im Träumen: Das ist falsch! Was ist richtig? Was mußt du tun? Wie kannst du es ändern?

Es war die Gier nach meinem bißchen Geld, die mir die armen Teufel um mich zuerst in falschem Licht erscheinen ließ. Das Geld schmiß ich hin. Die Gierigen verachtete ich. Ich wurde wie der Steinzeitmensch. Ich schlug nach jedem, der mir in die Nähe kam. Ich zog Kreidestriche um mein Legionärsbett. Wer über diesen Kreidestrich schritt, wenn ich auf diesem Bett saß oder lag, ohne mich um Erlaubnis gebeten zu haben, dem sauste die Faust ins Gesicht. Ich war sehr kräftig und ein guter Boxer. Man fürchtete mich.

So war ich unter Kameraden. Als Legionär tat ich meine Pflicht. Ich war einmal da und hatte meinen Dienst zu tun. Ich hielt den Mund. Ich war der beste Schütze in meiner Kompagnie. Ich war der beste Läufer in meiner Kompagnie. Ich wurde auch geschätzt. Es dauerte gar nicht lange, da ließ mich der Kapitän holen und eröffnete mir, daß er mich in nächster Zeit in die Unteroffiziersschule schicken wolle: Denn ich war ja offenbar ausgezeichnetes Legionsmaterial; kräftig, gesund, und obendrein intelligent. Ich hörte zu und dachte dabei: Ich weiß nicht, was mir bevorsteht. Aber das eine weiß ich – dieses Soldatentum, dieses Leben, dieser Unteroffiziersblödsinn, die haben mich nicht lange! Und ich kroch in mich hinein und grübelte.

Geschadet hat mir die Fremdenlegion nicht, glaube ich: ich bin mit ihr recht und schlecht fertig geworden. Das war sicher eine Art von primitivster Kraft. Wenn die Fäuste noch stark sind und man an den Schenkelmuskeln ein Holzscheit zerbrechen kann, dann vermag einem der Teufel nicht viel anzuhaben und die französische Fremdenlegion auch nicht ...

Aber es kam doch bald ein Umschwung. So verstumpft und vertiert war ich denn doch noch nicht, daß ich nicht endlich sah und hörte, was um mich vorging. Die Kameraden waren ekelhaft in ihren Gaunereien, die sich um eine Flasche Wein herum drehten. Sie wurden Menschen, wenn sie nach vierzig Kilometern Wüstenmarsch sich stöhnend hinwarfen. Dann war der Mann neben mir der Mensch, der litt wie ich. Wenn wir, in den paar Schießereien an der Sahara-Grenze, die ich mitmachte, zusammenstanden und feuerten – dann war der Mensch neben mir mein inniger Freund. Wenn die Leichen hereingebracht wurden von einsamen Vorposten, geschändet von Araberweibern, dann entflammte uns der gemeinsame Rachedurst. Und ich sah, wie arm diese Menschen neben mir und um mich waren, und wie wenig diese ekelhaften Kniffe und Pfiffe um einen Trunk Wein ihnen selbst zur Last fielen. Sie logen und betrogen, sie schwindelten und verrieten; aber auf entsetzlichem Marsch und im Kampf um Leben und Tod waren sie meinesgleichen und getreue Freunde. Lange Zeit hindurch konnte ich den Wein herbeischaffen, der alles bedeutet im Leben des Legionärs. Denn den Tabak bekommt er geliefert. Als das Bargeld verschwunden war, sorgte eine Taschenuhr für neue Werte. Es kam dann noch eine Kette daran. Und nach Überlegung stellte sich heraus, daß ein Fremdenlegionär doch wahrlich keinen Ring brauchte. Das Bargeld hatte ich in Verachtung ausgegeben; den Wein für die Uhr und die Kette und den Ring gab ich in Liebe. Vier Pfennige im Tag bekamen sie! Und wenn sie sie abgedient hatten, die fünf Jahre, dann standen sie bettelarm da und ihre Hoffnung war: Irgend eine Arbeit irgendwo im schwersten Arbeitsgetriebe der Welt zu finden! Fanden sie diese Arbeit nicht, so ging es wieder in die Fremdenlegion zurück. Unterdessen aber hatten sie die beste Aussicht, an Fiebern zu sterben, im Marsch am Hitzschlag zusammenzubrechen, in Durst und Hunger irgendwo zu verrecken, und in einem Sandloch begraben zu werden. Dies aussichtsvolle Dasein wurde ihnen versüßt durch fürchterliche Strafen. Wenn einer so dumm war und einem Vorgesetzten eine freche Antwort gegeben hatte, dann konnte ihn eine verlorene Halsbinde ins Zuchthaus bringen, und Zuchthaus im französischen Afrika bedeutet Zwangsarbeit unter Verhältnissen, die für den Tod garantieren.

Es schien mir, als seien die alten Geschichten von da drüben in Amerika über Negersklaverei und Peitschenhiebe nur eine bläßliche und unbedeutende Vergangenheitssache. Den wirklichen Handel mit Menschenware verstand nur Frankreich, und die wahrhafte Gemeinheit in der Behandlung von Menschen war nur Frankreich eigen! Damals fing ich an, Frankreich zu hassen, und dieser Haß ist mir geblieben, und dieser Haß soll mir bleiben bis an mein Lebensende.

Ich brauche keine schwarze Schmach: Mir genügt die Fremdenlegion.

Wer so mit Menschenware handeln konnte, durch viele Jahrzehnte hindurch, und wer so billig gekaufte Menschenware auch noch wie räudige Hunde behandelte, der ist gerichtet für alle Zeiten.

Nein, ich brauche keine schwarze Schmach.

Mir genügt die Erinnerung an mein Erleben in der Fremdenlegion, um zu wissen, daß das Volk der Franzosen Todschmach auf sich geladen hat.

Es wird einmal eine Zeit kommen, in der die Völker der Welt erkennen, daß einzig und allein diese Nation der kleinen Rentnergier, der fein gedrechselten Worte, der schön geschminkten Lüge – die wirkliche Weltgefahr bedeutet! Frankreich wird einmal untergehen. Schon durch seine Fremdenlegion hat es für mich den Untergang verdient.

So lebte ich mit den armen Teufeln, die sich der französische Imperialismus für vier Pfennige im Tag gekauft hatte.

An mich selbst dachte ich wenig.

Es schwirrte einem da jeden Tag um die Ohren herum von Fluchtplänen und Fluchtmöglichkeiten, aber ich war doch eine Art Steinzeitmensch geworden, der aus primitivem Instinkt den Boden prüfte, auf den er trat. Ich lief nicht hinaus in die Wüste auf gut Glück! Ich lachte grimmig, wenn ein Verzweifelter wieder einmal vorschlug, man müßte in der Nacht losrennen und sich nach Marokko durchschlagen. Ich wußte ganz genau: Zu einer Flucht aus der Fremdenlegion gehört Geld. Sie mußte mit den einfachsten Mitteln, auf Eisenbahn und Schiff, unternommen werden: denn man traut einem Legionär alles zu, in Algier, aus langer Erfahrung, nur nicht den Besitz von Geld, das eine Eisenbahnfahrkarte bezahlen und ein Schiffsbillett lösen konnte.

Eines Tages traf ein Brief meiner Mutter ein. Später folgten andere Briefe. Die Mutter, denn Mütter wissen, wie es aussieht in den Söhnen, hatte auf gut Glück an das französische Kriegsministerium geschrieben; und so war es endlich herausgekommen, daß ich in der Fremdenlegion war. Denn kein Mensch hatte von mir einen Brief erhalten. Nicht viele Tage später kam dann wiederum ein Brief aus München, mit vielem Geld.

Und da entfloh ich aus der Fremdenlegion.


In späteren Jahren habe ich im Kampf gegen die Fremdenlegion getan, was Hirnkraft nur zu tun vermochte. Es ist mir eine grimmige Freude, wenn ich daran denke, daß mein Buch über die französische Fremdenlegion den Franzosen sehr unbequem gewesen ist. Ich denke an den Pressekampf mit La France Militaire, dem französischen Armeeblatt, nach Erscheinen des Buches, mit dem Matin, mit dem Figaro, mit dem Temps. Ich erinnere mich noch an die Briefe von französischen Offizieren, die mir die Greuel wegzubeweisen versuchten, das ausbeuterische Schmutzgeschäft der täglichen vier Pfennige aber wohl oder übel zugeben mußten. Ich erinnere mich mit Freuden an die starke Bewegung gegen die Fremdenlegion, die in Deutschland einsetzte; an das Mühen von Regierungsstellen und Vereinen, das so manchen Deutschen vor dem afrikanischen Grauen rettete; an die vielen Legionäre, die zu mir kamen und denen ich helfen konnte. Ich denke sogar mit Genugtuung an das schlechte Theaterstück, das ich später einmal schrieb, den »Cafard«, denn das war auch eine Waffe in dem deutschen Kampf gegen die afrikanische Niedertracht Frankreichs. Besonderes Vergnügen aber macht es mir, wenn ich an meinen englischen Verleger denke, der die englische Ausgabe meines Legionsbuches in Tausenden von Bänden über Great Britain und die Dominions hingeworfen hat. Der dicke Band im rostbraunen Einband steht im Bücherständer so manchen englischen Hauses, und seine Lektüre hat damals bei den jetzigen englischen Angehörigen der Allied und Associated Nations starke Entrüstung über die französische Fremdenlegion hervorgerufen. Es gibt auch eine dänische Ausgabe dieses Buches, und eine holländische. Diese Bücher wurden gelesen –

Der Kampf versprach Erfolg.

Er ist letzten Endes nutzlos gewesen.

Ich bekam einmal, als ich im großen Krieg in einem Erdloch lag, von der Ordonnanz, die Befehle, Briefe, und Essen brachte, auch einen Brief von einem Mann von Gewicht. Ich wurde in diesem Brief gebeten, ich möchte doch nicht vergessen, das Meinige mitzutun, damit in die deutschen Friedensbedingungen die Forderung eingefügt würde: Frankreich schafft die Fremdenlegion ab! Das alte Grauen überkam mich in diesem Erdloch, als ich den Brief las, und ich richtete mich auf und schrieb Briefe an einflußreiche Leute. Die zustimmenden Antworten kamen. Dem afrikanischen Schrecken mußte der Garaus gemacht werden, möglichst ganz, sicher aber, soweit Deutsche in Betracht kamen!

Und es ist alles anders gekommen.

Und in der bösen Zeit jetzt denken Deutsche kaum an die Deutschen in der französischen Fremdenlegion.

Die Fremdenlegion aber lebt.

Vor einiger Zeit erfuhr ich, ein befreundeter Fliegeroffizier wolle in die Fremdenlegion, weil er hungerte und keinen Ausweg mehr sah. Mein Brief hat ihm den dummen Gedanken aus dem Kopf getrieben. Er fand den Ausweg. Doch in uns Deutschen steckt tief die abenteuerliche Lust am Landsknechttum. Es hat immer deutsche Landsknechte gegeben, und es wird immer deutsche Landsknechte geben. Es wird auch immer deutsche Toren geben, die frischen frohen Kampf und Möglichkeit des Emporsteigens für den Tapferen in der Fremdenlegion suchen. Wir sollten inmitten der Nöte, die uns drücken, inmitten des Kampfes um Leben und Tod, in dem wir stehen, noch ein wenig Zeit und Kraft übrig haben, solche armen Teufel zu warnen und alles zu tun, was wir nur können, um ihre letzte Torheit zu verhindern. Unter gar keinen Umständen, in keiner Lebenslage, ist die Fremdenlegion jemals ein Ausweg, es sei denn der eines verkappten Selbstmordes.

Die Fremdenlegion ist heute noch wie damals: Nichts und aber nichts als ein schmieriger Handel mit Menschenware! Ihre Löhnung mag etwas höher sein. Die Verhältnisse selbst haben sich nicht geändert. Solch ein Deutscher, der heute in die Fremdenlegion geht, wird in erster Linie arbeiten müssen, und dann erst wird er Soldat sein, und zwar schlecht behandelter Soldat, und letzten Endes wird er sich nach fünf Jahren ausrechnen können, daß er in einem deutschen Kohlenbergwerk mehr verdient hätte in einem Monat, als in der Fremdenlegion in den ganzen fünf Jahren. Niemals wußten die Franzosen besser wie heute, wie gut das deutsche, obendrein kriegsgewohnte Menschenmaterial für ihr verruchtes Legionsgeschäft ist! Niemals hatten sie leichteres Spiel. Sie können sich ja heute rühren in Deutschland, die Franzosen. Ein Fall nach dem anderen wird bekannt aus dem Rheinland, vor allem aus dem besetzten Gebiet, daß unter den trügerischsten Vorspiegelungen Deutsche in die Fremdenlegion gelockt worden sind. Es ist festgestellt, daß eine Werbeorganisation besteht, wohlbezahlt und gut geleitet, zu der sogar deutsche Schufte gehören, die sich an Arbeitslose heranmachen und sie zum Eintritt in die Legion verführen. Das spielt sich nicht nur im Rheinland ab, sondern sogar aus Städten im Herzen Deutschlands sind Menschen zur Legion verschleppt worden. In Oberschlesien treiben die Werber besonders ihr einträgliches Spiel. Das ist erwiesen. Auch die Methode wurde aufgedeckt. Der Unglückliche bekommt eine Fahrkarte, sagen wir von Breslau nach Dresden. In Dresden erwartet ihn ein Mann am Bahnhof, der ihm eine Fahrkarte nach Berlin einhändigt und fünfzig Mark Wegzehrung. In Berlin erwartet ihn ein anderer Mann, der ihm die Fahrkarte nach Düsseldorf einhändigt und wieder fünfzig Mark Wegzehrung. Und von Düsseldorf aus geht es weiter ...

In die Sklaverei! Nach wenigen Wochen schon wird dieser Deutsche die größte Torheit seines Lebens verfluchen. Dabei weiß er noch nicht einmal, daß seine Torheit wahrscheinlich die letzte seines Lebens war.


Ich will hier wahrhaftig nicht verspätete Weisheit predigen. Mögen Tollköpfe ihre Tollheit austoben, wie ich es getan habe! Aber mein Erleben gibt mir wohl das Recht, andere vor der Menschenfalle zu warnen. Wer da hineinfällt, stürzt in das Verderben. Der junge Deutsche mag den Abenteurerdrang austoben, wo er will; nur nicht in der französischen Fremdenlegion. Wer seine Knochen für dieses niederträchtigste Unternehmen wucherischer Ausbeutung, das die Welt je gekannt hat, hergibt, der ist wahrlich ein Narr! Es ist fast unbegreiflich, daß die Fremdenlegion überhaupt noch existieren kann in einer Zeit, die den Achtstundenwert menschlicher Arbeit, gewöhnlicher Körperarbeit besonders, so stark betont wie unsere Gegenwart.

Möchten die Sozialisten in Frankreich doch einmal die Fremdenlegion nachprüfen auf die Ausbeutung hin! Aber da hört der Internationalismus auf. Und warum ist noch kein deutscher Sozialist auf den Gedanken gekommen, diesen gräßlichen französischen Verschleiß von Menschenleben an den Pranger zu stellen? Wann kommt der deutsche Staatsmann, der den Poincarés die Legionsschande entgegenhält? Wo ist denn jenes »Weltgewissen«, das endlich der hundertjährigen Legionsschande ein Ende macht?

Immer noch bekommt die Fremdenlegion ihr deutsches Futter.

Daß sie es nicht mehr bekomme, dafür sollten wir trotz aller Not sorgen!

Und ich hoffe, daß mein Sohn später einmal dazu mithelfen wird, Frankreich neben anderen Rechnungen auch die zu präsentieren, die Sühne für das vergeudete deutsche Blut in der französischen Fremdenlegion fordert.


Spät am Morgen erst erwachte ich. Aus dem winzigen Fenster des Giebelstübchens der Osteria sah ich, glänzend im Sonnenlicht, ein Stück blanken Schienengeleises. Ich nickte hinüber zu dem sonnenflimmernden Stahl. Auf diesen Schienen war gestern in dunkler Nacht der Zug dahergefahren, der mich, den Flüchtling aus der Fremdenlegion, von Marseille nach der italienischen Grenze gebracht hatte. In dem schmutzigen gelben Häuschen da drüben dicht am Schienengeleise hatte ich noch in der Nacht die kurzen Telegramme ausgegeben, die berichteten: Ich bin frei –

Die blauen, roten, gelben Flecke in der Lichtflut da draußen, das waren die Häuserchen von Ventimiglia. Ventimiglia war die Grenzstation. Ventimiglia lag auf italienischem Grund und Boden. Ich war frei! In tiefem Blau leuchtete der Himmel. Von den Rändern einer breiten gelben Straße funkelte blaues Wasser, so blau, daß die strahlende Himmelsfarbe matt erschien. Ich war an der Riviera. Ich war in Italien. Ich war frei –

Halbnackt ging ich auf und ab in dem Giebelzimmerchen und sah hinaus in den Sonnenschein. Ich reckte die Arme und sog die Luft ein. Klar stand das Vergangene vor mir. Ich sah mich auf der Lehmmauer hinschreiten und herschreiten als Schildwache. Da kam der Korporal. Er brachte den Brief. Die Ablösung kam. Ich saß in der engen Wachtstube. Ich schritt aus der Legionskaserne, handelte mit dem spanischen Juden um die Zivilkleider, stand im dunklen Palmenhain, hastig die Uniformstücke abstreifend, während drüben im Offizierskasino die Walzerweisen lachten. Und dann jagte ich wie gehetztes Wild dahin auf den Schienengeleisen, keuchend, die Fußsohlen brennend, das Herz hämmernd, die Lungen stöhnend. Ich erlebte die furchtbare Angst, in Oran, dem Hafenort, als die französische Polizei mich nach meinen Papieren befragte: ich war noch einmal in Marseille, entsetzt horchend in dem kleinen Hotel auf jeden Fußtritt.

Und da draußen lachte die italienische Sonne und ich war frei!

Da warf ich alles weit von mir weg und stand frisch da, bereit zum Kampf, mir der Kraft bewußt. Ich lachte, als ich mich in dem halb blinden Spiegel beguckte: die hageren, mageren Gesichtslinien unter dem kahlgeschorenen Schädel. Ich lachte, daß mir die Zahnbürste fehlte. Ich lachte, wenn es auch ein Lachen aus schiefem Mundwinkel war, als ich in die abgetragene Hose fuhr, die mir der algerische Jude verkauft hatte, und lachte über den schäbigen Rock, den gottweißwer auf dem Leib getragen haben mochte vor mir. Ich lachte über die Stiefel, deren Nagel peinigten und deren hartes Leder drückte –


Im gelben Sand am blauen Meer saß ich da und überlegte hin und her.

Was nun?

Was tun?

Ich wäre gern nach München gegangen zur Mutter. Diese Sehnsucht und dieses Denken wischte ich schleunigst aus. Der Mensch soll die Menschen, die ihn lieben, nicht allzusehr belasten; man tanzt vor seinen Menschen nicht in ausgefranzten Hosen herum und man zeigt ihnen nicht die schmutzige Sorge, die frißt und beißt wie übles Ungeziefer. In München zog ich einmal ein, wenn das Ziel erreicht war, mit flatternden Fahnen; vorher nicht. Das mußte verdient werden. Die Schulden mußten vorher bezahlt werden. Nun, die Herren Wucherer mochten warten: das schadete ihnen gar nichts. Es wäre närrisch gewesen, hätte ich mich in den Machtbereich des Gerichtsvollziehers begeben, der einem die Steine vor die Beine schmiß, die Steine ausgeklagter Forderungen, diese Steine der Pfändung, des Offenbarungseides; diese Steine mit dem schönen Siegel und dem »von rechtswegen«. Sie konnten warten, die Wucherer! Wie lange sie wohl zu warten haben würden? Doch das wird sich ergeben; was geht mich das jetzt an?

Was tun?

Wieder Geschichten schreiben mußte ich. Das war das Richtige.

Aber wo?

Einen Augenblick lang kam mir der Gedanke an ein stilles Dörfchen irgendwo im Italienland; mit einem Zimmer in einsamem Häuschen unter lachender Sonne, unter strotzenden Weinbergen, mit lustiger italienischer Sparsamkeit. Da saß dann der verrückte Deutsche und dichtete. Die Frauengesichter lachten aus blauen und roten Kopftüchern heraus. Die bambinos kreischten, den gutmütigen Fremden um Zuckerle und Kupferstücke anbettelnd. Da war dann vielleicht auch ein flaches Hausdach, auf dem man auf- und abschreiten konnte. Hatte nicht auf solchem Dach Scheffel die Verse geschmiedet und den köstlichen Wein getrunken? Den guten roten Wein, den man sich einschenkte aus bauchigen Strohflaschen! Das lockte! Doch weg damit! Deutsch mußte gesprochen werden, wo ich mir das neue Leben erarbeitete. Da war die Schweiz; die Schweiz war teuer. Da war Tirol; Tirol war das Richtige; Tirol mußte es sein. Denn Tirol war gutes deutsches Land, und es mußte sich gut leben lassen und besser arbeiten inmitten seiner Berge. Und der Ort? Ich verfiel so von ungefähr auf Innsbruck. Als ich noch ein kleiner Bub' war, hatte mich mein Vater einmal mitgenommen in die Tiroler Berge. In Innsbruck hatten wir im Grauen Bären gewohnt, und Innsbruck war so schön gewesen. Die Angelegenheit war erledigt: Auf nach Innsbruck!

So traf ich damals Entscheidungen! – Eine Weile noch saß ich da im gelben Sand. Unwillkürlich begann ich, zu errechnen, wieviele Geschichten wohl notwendig waren, um alle diese Hamburger Geschichten zu bezahlen. Aber zum Teufel mit dem Gerechne! Auf nach Innsbruck! An die Arbeit!


Vielleicht ist noch nie ein deutscher Mann so grenzenlos gleichgültig durch Italien geeilt, als ich es tat. Es war im frühen Frühling und die Sonne brannte schon heiß. Ich saß tagelang auf den harten Bänken der verschmutzten untersten Wagenklasse, zwischen Frauen mit knallroten und tiefblauen Kopftüchern, verschwitzten Landarbeitern, schwärzlichen Pfarrern mit speckigen Soutanen. San Remo – Genua – Stadt auf Stadt, Bahnhof auf Bahnhof – in Verona überschlug ich einen Zug, weil ich mir dorthin postlagernd Telegramme bestellt hatte. Das Telegramm aus München freute sich über Innsbruck. Von Verona sah ich nichts. Auf dem Marktplatz betrachtete ich verwittertes rotes Ziegelsteingemäuer, das im gewaltigen Bogen eine weite Fläche umfaßte. Es schien mir, als müßte das ein Zirkus aus der alten Römerzeit sein. Was kümmerten mich Zirkusse der alten Römer! Ich freute mich vielmehr, als ich in einem Loggiagäßchen eine deutsche Buchhandlung entdeckte. Ich kaufte begeistert ein halbes Dutzend Engelhornbände, denn beim Anblick der deutschen Letternzeichen packte mich eine wahre Gier.

Verona. Ala. Die Berge. Bozen.

Eine Nacht in Bozen; in einem blitzsauberen Tiroler Stübchen mit blütenweißem Bett und sandgescheuertem weißem Boden. Der billige Personenzug ging erst am nächsten Morgen weiter. Dann Innsbruck –


Ich blieb gebannt, entzückt stehen, als sich vor mir die breite Straße öffnete, mit ihren uralten Häusern und den vielförmigen Giebeln, sich groß und frei erweiternd in der Mitte, wo das einfältige Marienbild schlicht und schlank mit goldglitzerndem Heiligenschein hineinragte in die Schneeberge. Von der Straße strahlten winkelig Gäßchen aus. Ein fester Bursch mit bloßen braunen Knien, derb trampelnd in schweren Nagelschuhen, den Rucksack auf dem Rücken, den Bergstock in der Faust, ging pfeifend an mir vorbei. Ein Mädel beguckte verwundert meinen Schlapphut. Hinter großen Glasfenstern saßen lachend und plaudernd lustige Leute vor Kaffeetassen und Kuchentellern. Dort war ein Laden, über dem geschrieben stand: K. K. Tabak-Trafik. Herrgott, da gab es ja Prinzesas, die alten Zigaretten –

Und da war herbes kühles Licht, das wohl tat nach der langen Zeit übergreller Sonne, und da war dort oben der Bergschnee, über den das Auge jubelte nach all dem Sand; dem gelben, bösen, ewigen Sand. Die Häuserchen – die Giebel – das lustige Wirtshausschild – die leckeren Brote im Fenster dort – die gelben Butterballen – der Wurstladen – ich freute mich über alles – die Berge – die Mariensäule – da kam ein Kindererinnern –

Gegrüßt seist du, Maria!
Du bist voll der Gnaden –
Der Herr ist mit dir –
Du bist gebenedeit unter den Weibern –

»Hier wirst du es schaffen!« dachte ich.


Ich fand ein Zimmerchen in der Kiebachgasse Nummer vierzehn; mit einem appetitlichen Bäckerladen unten im Erdgeschoß, und lauter Blumenstöcken vor den kleinen Fenstern, und einer prächtigen rumpeligen Stiege.

»Servus! Hab' die Ehre!« sagte ein Mann, der schön behaglich dick war und aus seelenvergnügten Äuglein über einer prächtigen roten Nase blinzelte. »Ja, schauen S', i' bin halt K. K. pensionierter Lokomotivführer und mei' Frau is' Bedienerin beim Erzherzog, und 's Zimmer is' halt noch übrig. Drei Gulden in der Woch', da brauchen mir net lang' darüber z' reden. San Sie a Reichsdeutscher?«

»Ja!«

»Die Reichsdeutschen mag i'! Was san S' denn?«

»Schriftsteller!« sagte ich.

»Aha! Ein Schriftgelehrter! – No ja, es muß halt auch Schriftgelehrte geben! ...« sagte der K. K. pensionierte Lokomotivführer.


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