Erwin Rosen
Allen Gewalten zum Trotz
Erwin Rosen

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Wär' ich bloß wieder in Amerika!

Die erfolglose Jagd nach der Sensationsidee. – Auf der Arbeitssuche. – Sprachlehrer. – Stadtreisender in Fachwerken. – Der unmögliche Empfangsherr. – Yes-Oui-Si. – Die Sehnsucht nach dem Zaubertuch. – Auch die Wiener Zeitungen brauchen mich nicht. – Das glückhafte Betrunkensein.

Ich stand da und starrte der deutschen Zeitung nach, wie der Lohgerber, dem die Felle davongeschwommen sind. Nein; nicht wie der Lohgerber. Denn der Lohgerber, der Pechvogel, soll nur ein mittelmäßig dummes und milde betrübtes Gesicht gemacht haben; ich aber schimpfte mörderisch.

Doch mußte es nicht irgend einen Weg geben, auf dem man dieser dummen Zeitung Vernunft beibringen konnte? Dazu gehörte die Idee. Ich wollte Ideen fabrizieren. Nächtelang hockte ich da, die Ellbogen auf dem Tisch, die Fäuste am brennenden Schädel, und stierte in eine Ecke. Dann sauste mir in wüstem Durcheinander im Kopf herum, was ich so alles wußte, aus Erleben, Hören, Lesen, von amerikanischen Reporterkunststückchen. Die waren alle sehr einfach. Man machte eine Sensation. Man mußte einen Raubmord aufklären, der für die Polizei noch in geheimnisvolles Dunkel gehüllt war, und womöglich den Raubmörder selber fangen. Man konnte ungeheure Unterschlagungen im städtischen Haushalt aufdecken. Ausgezeichnet würde es auch sein, einen Plan zur Vereinfachung der Müllabfuhr auszuarbeiten. Immer gezogen hatte fernerhin die entrüstete Schilderung der Stätten des Lasters. Ausgezeichnet waren hochstehende Diebinnen, die Warenhäuser bestahlen ... Aber es gab ja gerade keinen Raubmord, und der brave erste Bürgermeister von München war bestimmt kein Schuft, und zur Müllabfuhr gehörten Spezialkenntnisse. Aber die Warenhausdiebinnen?

Voll froher Hoffnung begab ich mich zu Tietz. Es war nicht ganz einfach, durch eine Sperre von Verwunderten Angestellten zu einem halbwegs maßgebenden Tietzmann durchzudringen. Ich ärgerte mich. Mein Gott, in Amerika hätten die Leute die Reklame doch sofort kapiert. Der maßgebende Tietzmann kapierte auch nicht. Er machte ein überaus verwundertes Gesicht. Er erklärte, die Diebstahlsfälle seien verhältnismäßig selten, denn es würde gut aufgepaßt. Sensationelle Vorkommnisse? – Kleptomanie? – Damen aus erster Gesellschaft mit gestohlenen Spitzen im Muff? Aber nein! Nein, nein! Schließlich fing der phantasielose Mensch auch noch zu lachen an – und brachte es wahrhaftig fertig, aus mir herauszupumpen, was ich in Amerika alles erlebt und getrieben hatte; aus mir, der ich gekommen war, aus ihm etwas herauszupumpen.

Man mußte die Sache anders anfangen.

Das Beste war, das uralte Rezept zu benützen: mit peinlicher Genauigkeit die Zeitungen zu lesen und festzustellen, was eigentlich das »Ereignis des Tages« bedeutete. Dieses Ereignis mußte man packen. Neue Tatsachen mußten herbeigeschafft, grelle Lichter beleuchtend aufgesetzt, die »große Sache« aus der Kleinigkeit herausgearbeitet werden. Ich las die Münchener Zeitungen jeden Tag dreimal hintereinander durch, vom Leitartikel bis zur letzten Anzeige. Es war kein Ereignis da! Es passierte überhaupt nichts! Wenn ich mich vor dem Todesurteil hätte retten können durch das Finden einer wirklichen Tagessensation in diesen Zeitungen – dann wäre ich dem Scharfrichter ausgeliefert gewesen – –

Und Tag um Tag und Nacht um Nacht suchte ich nach der Idee...

Mir ist, als könnte ich es noch heute hören mit meinen Ohren, mit welchen mißtönenden, knarrenden, ächzenden Geräuschen meine arme Menschenmaschine damals in gestörtem Gang lief! Es war etwas in Unordnung. Ich erinnere mich genau daran, daß ich in diesen Nächten des Stierens in eine Ecke einmal den verrückten Gedanken hatte, in einer wirklich großen Zeitungssache den Einfluß des Münchener Biers auf die Entwicklung der Vereinigten Staaten endgültig festzustellen. Es ist jammerschade, daß das menschliche Gehirn im Laufe der Zeiten doch so allerlei vergißt; ich würde etwas darum geben, wenn ich diese wahnsinnige Ideenjagd so Gedanke um Gedanke und Qual um Qual in meinem Schädel wiederauferstehen lassen könnte. Ich weiß nur noch, daß ich wirklich verzweifelt war und daß ich kämpfte mit aller Kraft wie einer, dem das Wasser schon in den Mund hinein läuft.

Ich gab's auf. So sehr ich mir auch das Gehirn zermarterte, so sah ich doch keinen Weg. Denn es gibt Zeiten, da dem Menschen, und das gilt gewiß nicht nur für den ganz jungen Menschen, die Welt mit Brettern vernagelt ist. Es handelt sich dann immer um irgend eine, fast stets leicht zu erklärende, Störung der menschlichen Maschine. So nach und nach wurde ich ganz verbiestert. Die Zeitung war weg. Die Luftschlösser stürzten zusammen –

Ich verbummelte.

Ich hatte keine rechte Freude an irgend etwas. Ich schwindelte den guten Menschen um mich vor, daß ich trotz allem ein Mordskerl sei und nur die Ungunst der Verhältnisse mich hindere.

Vor mir selber wurde ich kleiner und kleiner.

So kam es mir vor:

Du bist ein Bluff in diesem Land. Du bist nichts – du kannst nichts – du hast nichts!

Ich wurde ganz klein.

Aber das durfte um Gotteswillen niemand merken. Niemand durfte wissen, daß ich – nur sieben Zentimeter lang und drei Zentimeter breit war.


Elend war mir zumute.

Ich sah keinen Ausweg. Es gab überhaupt keinen Weg für mich in Deutschland. Mochte der Kuckuck alles holen; den verdammten streng geregelten Werdegang, die verfluchte Ordnung, den scheußlichen vorgeschriebenen Ochsentrott. Nichts für mich! Verdorben war ich dafür. Ach wär' ich nur wieder in Amerika! Da ginge die Sache wie geschmiert – da weiß ich Bescheid – da pfeife ich darauf, wenn in irgend einer Stadt die Zeitungen nichts von mir wissen wollen. Dann wandere ich einfach irgendwo anders hin und ernähre mich auf dem Wege durch Steineklopfen oder sonst etwas Schönes. Das kann man hier ja nicht; das geht nicht; in diesem ordentlichen Lande hat man hübsch deutlich abgestempelt zu sein und muß sich vorsichtig in den Grenzen halten, die die Umrisse des Stempels vorschreiben.

Praktisch hatte ich nichts auszustehen; die Suppe stand immer auf dem Tisch, das liebe Wort wurde immer gesprochen, das Taschengeld floß immer reichlich, als das amerikanische Geld weg war.

Aber das war auf die Dauer nicht zum Aushalten. Kein äußerer Zwang trieb mich; aber ich mußte irgend etwas tun, und wenn das Tun mir auch noch so widerwärtig vorkam.


Englische Stunden gab ich, das Geheimnis streng hütend. Ich ging zu den Schülern hin. die ich durch eine Anzeige in der Zeitung bekam und murkste herum ohne besondere Freude. Der erste war ein Handlungsbeflissener, der sich amerikanisch aufpolieren wollte, weil er von seiner Firma die amerikanische Vertretung zu bekommen hoffte. Der Mensch war widerwärtig. Wenn ich in die Begeisterung hineinkam und ihm erzählte von dem rohen Kampf da drüben, dann wurde ihm beinahe schlecht, und er fragte bänglich, ob mein Amerikanisch auch das richtige sei, denn er gedenke in ganz anderen Kreisen zu verkehren. Auch hatte ich als Schüler einige Jungens. Nette Burschen. Denen erzählte ich auch die Räubergeschichten aus Amerika, weil ich gar nicht anders konnte, und natürlich erzählten sie das Zeug den Eltern wieder, worauf die Eltern die Hände über dem Kopf zusammenschlugen und mich zu einem Gespräch unter vier Augen baten, das mit dem Aufhören meiner Lehrtätigkeit endete. Dazwischen schrieb ich Briefe voll des entsetzlichsten Kaufmannsdeutsch, das ich so irgendwie aus irgend welchen Vorlagen erlernte. In den Briefen schilderte ich meine hervorragende Eignung als Stenograph und Maschinenschreiber und bat in vorzüglicher Ergebenheit um persönliche Vorstellung. Die persönliche Vorstellung kam auch. In mir steckte noch der amerikanische Glaubenssatz, daß man mit warmem Herzen zu dem sprechen muß und voller Aufrichtigkeit, von dem man etwas haben will. Ach, ich sprach so warm und so aufrichtig, und die beabsichtigten Prinzipale machten große Augen. Unbegreiflicherweise schienen sie mein Erleben in Amerika nicht als so glänzende Empfehlung zu empfinden, wie ich mir das vorgestellt hatte. Sie schnappten prompt ab, wenn die Rede auf die Zeugnisse kam. Ich hatte gut erklären, daß es im Lande Amerika Zeugnisse eigentlich nicht gab. Ich hatte gut sagen, sie sollten es nur probieren und sie würden sich wundern über meine Fabelhaftigkeit; die Proposition schien ihnen offenbar nicht lockend genug. Aber irgend etwas mußte sich doch finden! Ich verblödete. Ich hatte einfach das Gefühl, daß ich mich aufhängen mußte, wenn es mir nicht gelang, etwas Nützliches anzufangen.


Ich wurde wandernder Kunstbuchhändler.

Ich betrieb das Geschäft klammheimlich. Es stand immer eine Anzeige in der Zeitung von Herren mit gewandtem Auftreten, vornehmer Beschäftigungsart, festem Gehalt und höchster Provision. Ich ging hin. Da erfuhr ich, daß es sich darum handelte, allerlei Fachwerke an Münchener Künstler zu vertreiben; Reproduktionen der großen Gemälde der Weltgalerien, und derartiges. Es wurde mir auseinandergesetzt, daß ich doch ohne Zweifel die Begabung in mir trüge, den Münchener Künstler davon zu überzeugen, er sei ohne dieses Studienmaterial fürchterlichen Hemmungen in seinem Werden ausgesetzt. Auch wäre Gewicht darauf zu legen, ausschlaggebendes Gewicht, daß die Bezahlung in Raten erfolgen könne. In ganz billigen Raten, die eine Tilgung des Kaufpreises, das unentbehrliche Material war nämlich sehr teuer, auf die bequemste Weise ermöglichte. Ich segelte los. Meine Begeisterung für die Arbeit mußte ich mir mit einiger Mühe zusammenklauben, aber ich redete, glaube ich, im großen und ganzen doch in genügender Menge und Güte; ich bekam auch Aufträge. Nicht um alles in der Welt hätte ich freilich zuhause erzählt, was ich da so machte, wenn ich früh morgens aus dem Hause ging, zum Mittagessen zurückkam, gleich nach dem Mittagessen wieder los zog: Ich wußte ganz genau, daß sogar in Amerika die Leute, die anderen Leuten Prachtwerke auf Ratenzahlung andrehen, nicht zu den höchstgeschätzten Erscheinungen des kaufmännischen Lebens gehören. Die Künstler machten mir auch wenig Spaß. Sie hatten so etwas komisch Abweisendes in ihrer Art, wenn man mit seinem Geschäftsvorschlag herausrückte, daß einem ganz sonderbar zumute wurde, so ein wenig schmierig. Es war saure Arbeit. Ich bin noch heute leichte Beute für jeden Versicherungsmenschen, der mich plagt, für jeden hausierenden Mann mit Subskriptionswerken, für jeden viel sprechenden Agenten mit der Angst um seine kümmerliche Provision in den Augen; nur weil ich mich an meine kurze Bücherhausiererei erinnere.

Witzig war das Nebengeschäft. Die Hauptsache blieb der Vertrieb der großen und teuren Werke an Künstler. Daneben hatte ich aber auch ein Heft mit allerlei Ornamenten im Jugendstil, der damals das Erfordernis des Tages war. Kostenpunkt zwanzig Mark. Dieses Heft sollte verkauft werden an ehrsame Handwerksmeister: Graveure, Tischler, denen vorher die Notwendigkeit des Mitgehens mit der Zeit beizubringen war. Und da hatte mein Brotgeber eine wahrhaft geniale Idee gehabt. Das Heft enthielt schablonenmäßige Ornamente. Zu dem Heft aber lieferte mein Brotherr zwei Spiegel. Diese Spiegel waren mit Leinwand zusammengeleimt. Stellte man die Spiegel auf die Ornamentsvorlage hin, so wurden die Ornamente je nach der Winkelstellung der beiden Spiegel natürlich verzerrt und verändert – und der ehrsame Handwerksmeister durfte die Überzeugung haben, daß sein Ornament, nach diesem Spiegel abgezeichnet, ganz anders aussehen würde als dasjenige des Konkurrenten. Denn es wäre doch ein blödsinniger Zufall gewesen, wenn der Konkurrent das schöpferische Spieglein nun zufällig auf genau den gleichen Winkel eingestellt hätte: Davon war der Herr Graveur und Tischler zu überzeugen. Ich muß gestehen, daß dieser Trick mir Freude machte und daß ich die Idee heute noch für merkwürdig gut halte. Doch ich beschäftigte mich nicht lange mit diesen dringenden Bedürfnissen der Künstler und der Handwerksmeister, denn eines schönen Tages wurde mir ein Münchener Künstler furchtbar grob. Ich weiß wahrhaftig nicht mehr, ob es Thomas Theodor Heine war oder Olaf Gulbransson; aber einer von den beiden war es bestimmt. Der Mann erklärte mir, ich sollte schleunigst machen, daß ich hinauskäme, sonst würde er mir dabei behilflich sein. Da schmiß ich den ganzen Krempel hin, von gewaltiger Wut gepackt.

Das sollte ich mir bieten lassen?


Dann kamen wieder englische Stunden. Es kam erneute Briefschreiberei an alle möglichen Münchener Firmen. Einmal schien mir wahrlich das Glück zu lächeln. Da hatte ich eine Anzeige des Konfektionshauses Rosipal beantwortet. Diese Anzeige suchte einen Herrn aus bester Familie mit englischen Sprachkenntnissen. Ich ging mit bedrückten Gefühlen hin; aber immerhin, Herr Rosipal war spanischer Konsul und märchenumwoben in München als Lebenskünstler großen Stils; davon erzählten einem die Leutnants und Referendare, mit denen man das Glas Bier trank. Ich kam hin. Es wurde mir auseinander gesetzt, daß es sich hauptsächlich um den Verkehr mit der amerikanischen Kundschaft handle. Wir sprachen Englisch. Der Konsul Rosipal aber erstarrte, nachdem ich so einiges erzählt hatte von meinem amerikanischen Leben. Ich kann mir lebhaft vorstellen, wie der kluge Weltmann sich ein Bild von dem Empfang anspruchsvoller amerikanischer Käuferinnen durch diesen amerikanisch sprechenden Empfangsherrn machte! Cowboys hätte er empfangen können, der Empfangsherr, oder einem Reporter Zigarren anbieten, oder einem amerikanischen Geschäftsmann einen guten Witz erzählen – aber – Damen – seidene Kleider – kostbare Pelze ... Da war der Anwärter glatt komisch!

Der Konsul Rosipal muß sehr gelacht haben, als ich draußen war ...

Und dann gab ich wieder englischen Unterricht. Bei Gott, ich leistete sogar halbwegs vernünftige Arbeit. Es kam da ein Italiener nach München, der das deutsche Bildungsbedürfnis in seinem Geschäftswert richtig eingeschätzt hatte. Seine Idee war, auf dem Briefwege, billig, Massenauflage, mit simpelster Methode das Geheimnis der fremden Sprachen zu enthüllen. Er gab Lehrbriefe in Form einer Wochenschrift heraus. Die Wochenschrift hieß, das war die gescheite Propagandaidee, Yes-Oui-Si. Das Italienische machte er selber, für das Französische hatte er sich einen hungernden französischen Künstler aufgegabelt, der in München studierte, und der englische Professor wurde ich. Die Bezahlung war außerordentlich mäßig, aber die Zukunftshoffnungen wurden in bestrickenden Farben gemalt. Also, ich dokterte die englischen Lektionen zusammen, auf dem sogenannten natürlichen Wege, mit Worten beginnend, die in der deutschen Sprache fast gleichlautend waren, und wurstelte weiter. Da aber der Italiener bald anfing, mir in meine Aussprachebezeichnungen dreinzureden, von denen er wirklich nichts verstand, so wurde ich nach einigen Monaten ärgerlich – und schmiß auch diesen Krempel weg. Das Unternehmen war übrigens erfolgreich. Yes-Oui-Si ist in vielen Hunderttausenden von Exemplaren im sprachhungrigen Deutschland verbreitet worden.

Wieder englischen Professor spielen – Briefe schreiben an Firmen – es wurde unerträglich. Ich glaubte schon lange nicht mehr an mich selber. Ich lebte in ständiger Angst vor den Fragezeichen in den Augen der Menschen um mich.


Wäre ich doch nur in Amerika!

Hätte ich mich nur auf ein Zaubertuch setzen dürfen und entführt werden können durch die Lüfte nach dem Lande, in dem sich herumzuschlagen mit richtiger Männerfaust und dickem Schädel ich nun einmal gelernt hatte. Ich war ein Fremder im eigenen Vaterland. Da schlug ich auf den Tisch, mitten in der Nacht. Das war ja alles nicht zum Aushalten,- das war einfach nicht zum Ertragen. Verdummt kam ich mir vor, verrückt, und obendrein gemein. Ich war im Begriff, zum Teufel zu gehen. Ich war wie ein Haufen von altem Eisen ...

In diesen Tagen geschah es von ungefähr, daß ich mir viele österreichische Zeitungen kaufte. Der größere Umfang, die ausführlichere Schilderung, die grellere Farbe erweckten in mir neue Hoffnung. Die Wiener Zeitungen – in denen schien etwas von der amerikanischen Zeitung drin zu stecken...

Ich fuhr nach Wien.

Ich lief Sturm auf die Wiener Redaktionen.

Sie waren liebenswürdig, die Herren. Sie boten Zigaretten an. Sie interessierten sich ungeheuer. Sie bedauerten unendlich.

»Ja, aber – daß sich das so schlecht trifft! – Ja, wissen S', der leitende Geschäftsdirektor ist abwesend, in Böhmen, auf drei Monate! Ja, sonst ging' das ja kinderleicht! Sie, Herr Kollege, in drei Monaten bestimmt – – Gehen S' mit zur Jause ins Caféhaus?«

Auf der Neuen Freien Presse notierte man sich meine Münchener Adresse, damit ich sofort telegraphisch benachrichtigt werden könnte, wenn ...

Ich lief von Redaktion zu Redaktion.

Das dauerte zwei Tage lang. Ich heimste einen ganzen Sack voll Liebenswürdigkeiten ein. Aber so dumm war ich denn doch nicht, zu glauben, daß dieses Reden auch nur einen Blechwert hatte. Sie brauchten mich hier gerade so wenig wie in München. Es war alles Unsinn! Da schlich ich heim in das Gasthaus in der Mariahilferstraße. Es ging gegen Abend. Die Gaststube war ziemlich leer. Ich setzte mich in eine Ecke, und betrank mich mit österreichischem Landwein.

Es gibt Betrunkensein, das glückhaft ist.

Ich saß auf einmal auf dem Zaubertuch, und heidi war ich weggeflogen. Da stand ich im sonnenglitzernden Baumwollfeld und pflückte mehr Baumwolle, als zwei andere miteinander. Hoh! Ich wurde emporgeschleudert in einem Blitzlift zur Redaktion des San Franzisko Examiner. Ich hatte die Sensation! Ich war es, der die famose Geschichte vom Propellerbruch des Japandampfers in der Tasche hatte. So ein Kerl war ich! Prost! Ich sprang vorne auf die Lokomotive eines abfahrenden Zuges ...

Ich trank.

Der Wein rauschte mir in den Ohren und die Erinnerungsbilder stürzten auf mich ein.

»Du bist aber nicht in Amerika!« schrie ich mir zu.

»Das ist wurst!« schrie ich zurück.

Und da faßte ich den Entschluß, für alle Zeiten ein so starker Kerl zu sein, wie ich es in Amerika gewesen war. Stumpfsinnig, wie die Menschen da herumhockten in der Gaststube! Widerwärtig, dieses liebenswürdige Wien –

»Ja, bitte sehr, bittschön – aber in drei Monaten ganz gewiß ...«

Bäh!

Ihr könnt mir gewogen bleiben. Da draußen liegt die weite Welt. Auch hier gibt es Straßen, um darauf zu wandern. In der Ecke hing eine vergilbte Karte von Österreich. In stumpfem Blau hob sich die Donau ab. Ich überlegte rasch. So, der Koffer wird auf die Post gegeben, dann marschierst du los und wanderst der Donau entlang nach Passau. Von Passau aus kannst du meinetwegen nach München fahren – Und es wurde mir wohl zumute und glücklich trank ich meinen Wein. Luft! Allein sein einmal! Die Straße wieder erleben! Wieder müde Beine haben und an gar nichts denken – an – gar – nichts ... Ich spürte, wie es in mir rumorte und gärend trieb zu irgend etwas hin, zu irgend einem unbekannten Ziel. Denn es war Frühling.

Am nächsten Morgen fragte ich mich zurecht nach der Donau. Als ich an der Donau war, wandte ich mich nach Westen und schritt fürbaß.

Das Schreiten führte ins Glück. Die Landstraße war der Weg zur deutschen Zeitung. Sei gesegnet, Frühling; sei bedankt, du roter Wein.


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