Erwin Rosen
Allen Gewalten zum Trotz
Erwin Rosen

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Von Kämpfen mit der Arbeit und mit mir selber

Im Hamburger Hafen. – Der Sang der Arbeit. – Ich habe nicht die Arbeit, sondern die Arbeit hat mich. – Ein Rekord im Maschinenschreiben. – Die lebendigen Buchstaben. – Zur Hamburger Zeitung.

Während der dreieinhalb Tage, die der kleine Hulldampfer zur Fahrt nach Hamburg brauchte, war ich schlechter Laune. Es regnete andauernd. Unten in der Kajüte hockten melancholische Gestalten mit grünen Gesichtern. Mein Kojennachbar lag den halben Tag über im Bett, rauchte qualmigen navy cut, und süffelte Whisky aus einer Privatpulle –

» Yes, sir – Whisky muß man selber mit sich führen – zu unverschämt teuer, diese Stewards – yes, ich liebe die Deutschen ...«

Und er erzählte zum dritten Male, daß er Maschinist sei, jawohl, Schiffsingenieur, ye understand, und zweimal jedes Jahr nach Hamburg fahre, denn da habe man auch 'was für's Geld vom holiday. Das gute Bier, und das »Vergnugen« und die vielen girls in der » suigerstraße«, und dabei pflegte er mit der Zunge zu schnalzen. Immer wieder mußte ich nach einem Winkel suchen, wo ich meine Ruhe hatte. Für mich roch der englische Speck übel, das Salzfleisch war hart, der Tee eine schwarze Brühe. Mürrisch drückte ich mich herum, zählte manchmal das knappe Geld, und spürte mit Unbehagen, daß etwas Unsicheres, Ängstliches über mich gekommen war. Es wurmte mich, daß das Geld zur Reise nach Ulm nicht reichte. Ich mußte in Hamburg bleiben. Und es würde natürlich eine gewisse Zeit dauern, bis die Honorare hereinkamen, und schreiben konnte man über – über – –

Ich war unsicher.

Aber ich war doch froh, als der Engländer an einem hamburgischen Kai anlegte.

An dem eisernen Geländer, das den Straßendamm der Hafenstraße gegen das Wasser abgrenzte, lehnten Männer, vornübergebeugt, als suchten sie etwas im Wasser.

»Wo kann man hier in der Nähe einen Koffer unterstellen?« fragte ich einen.

Der Mann im blauen Kittel rührte sich ein ganz klein wenig. Er nahm die Pfeife aus den Zähnen, langsam, spuckte gedankenvoll ins Wasser, und wandte den Kopf um eine Achteldrehung.

»Wohün?« sagte er. »Wohün soll eck 'n bringen?«

»Nein, ich will ihn nur unterstellen – aufheben – später abholen –«

»Sooh? Bei 'n Wirt! Nich'?«

Er wandte, offenbar gelangweilt, den Kopf um die Achteldrehung zurück und spuckte kräftig ins Wasser. Die Sache war für ihn erledigt. Ich aber ging verdutzt weg und mußte lachen über die imponierende Ruhe des wortkargen Gesellen, die gar nicht übel war, gar nicht dumm. Ich lernte sogar sofort von ihm. Denn ich blieb selber stehen am Geländer, in guter Laune auf einmal, geruhig mich umsehend.


Ein Riesenschiff, gelbweiß leuchtend oben, dumpf schwarz, bauchig, ungeheuer unten, wanderte langsam elbaufwärts, groß noch in dem großen Strom. Eine Schar kleiner Schiffchen umringte es. Die spuckten unter lautem Gekeuche dicken schwarzen Rauch, als wollten sie wie Gernegroße alle Augen auf sich lenken. Schnaufend zog ein kleiner Kerl aus Leibeskräften. Die Stahltrosse, fadendünn aussehend, unheimlich schwach, schimmerte als graue Linie im Licht. Ein anderer kleiner Kerl puffte zäh gegen die schwarze Schiffskoloßmauer und schob und drängte. Ein dritter hatte sich an das Rundende des Schiffes herangemacht und tat schiebend arg wichtig: ein vierter klemmte sich an die andere Seite. Von dem sah man nur den Rauchstreifen. Die deutschen Flaggen wehten, straff dastehend, groß und stolz vom großen Schiff und klein aber wichtig von den dünnen Heckstangen der kleinen Kerle. Flaggen grüßten herüber von Eisengerippen gewaltiger Werftanlagen und schwebten über massigen Häusergevierten; sie leuchteten lustig aus Dampfergewirre und von Segelschiffen und von dahinschießenden Barkassen. In den Himmel hinein ragten Schiffsmasten wie schräge schwarze Striche. Striche, Querstriche, immer mehr Striche, ein Gestänge von dicken und dünnen Strichen: ein Wald, ein großer Wald von Stangen und Hölzern. Hinter den Strichen traten, sonderbar verschwommen, gitterige Gebilde hervor, Türme, häuserartige Bauten aus schweren Massen gekreuzter Stahlstangen, und ragende Mauern aus Beton. Stahl und Stein waren rauchumflossen. Rauchsäulen, bald mächtig, bald dünn, strebten überall empor. Wie huschendes Flimmern bewegten sich ständig Lichter, Schatten, Formen zwischen den Strichen, dem Stahlgegitter, den Häuserhaufen. Dampfpfeifen schrillten. Die Straße lärmte. Wagen rumpelten. Mitten in diesem groben Gelärme aber schwang als stetiger Ton ein summendes Dröhnen. Es klang, als fielen in weiter Ferne viele Hämmer auf unzählige Ambosse: als raspelten Feilen, knirschten Sägen, rollten Räder, schnauften Lokomotivschornsteine; als würden Befehle gerufen, als kommandierten Stimmen: Jetzt! Alle zusammen! Ruck – und abermals – Ruck! Ich hörte den gewaltigen Ton in schwerem Vibrieren klingen, anschwellen, sinken, wieder anschwellen. Tausende von Stimmen murmelten. Tausende von Füßen stampften.

Ich hörte zum erstenmal den Arbeitssang von Hamburg.

»Arbeiten!« sagte der Ton. »Ich bin die Arbeit. Ich bin der Klang des Lebens. Ich bin die Not und der Hunger. Aber auch das Wollen bin ich, die Leistung, das Glück.«

Ich horchte.

Der Sang umsummte mich, während ich durch Straßen ging. Ich träumte im Wachen. Es war ein Traum vom Glück. Ich sah einen Raum mit vielen Büchern und einem Schreibtisch, bedeckt mit beschriebenen Bogen, und an dem Schreibtisch saß ich selbst und durch ein großes Fenster drang weißes klares Licht. Ich sah eine Frau, die sich zu mir neigte. Da waren Zeitungsgebäude, Wagen, Pferde, sonnige Täler mit frohplätschernden Bächen, Freunde, die liebten, Arbeit, die meinen Namen trug. Im Zeitungsgebäude arbeitete ich. Ich saß im Wagen, ritt das Pferd, stand im Sonnental –


Ich mietete mir irgendwo ein Zimmer. Es kümmerte mich nicht, wie das Dach über meinem Kopfe aussah. Es war eine Dachstube. Draußen vor dem Fenster ragten schwarze Mauern und Dächer; Dächer über Dächer.

Die härteste Arbeitszeit meines Lebens begann. Ich hatte nicht die Arbeit, sondern die Arbeit hatte mich; sie hatte mich mit Haut und Haaren. Denn die Arbeit hat zwei Gesichter wie ein Januskopf. Das eine ist froh und glücklich: das andere ist verdrossen und freudlos. In mein Arbeitswollen kroch wie eine fixe Idee der immerwährende Gedanke an das Müssen. Du mußt! Sonst gehst du zum Teufel! Zäh war ich: fleißig war ich. Aber das Müssen hat keine Seele: sondern die Seele muß hineingezaubert werden, und ich konnte nicht mehr zaubern. Immer saß ich da am Schreiben, erschrocken auffahrend, wenn die Uhr mir zeigte, daß wieder Stunden vergangen waren. Ich schrieb kleine Geschichten, wie ich sie in Ulm geschrieben hatte. Aber ich plagte mich abscheulich dabei, mühevoll an Sätzen und Bildern bauend und mörtelnd. Die Quälerei drückte sich in kleinen Äußerlichkeiten aus. Meine Schrift wurde winzig, schnörkelig. Ich gewöhnte mir an, auf jede Seite fast genau sechshundert Worte zu schreiben, und ich zählte alle diese Worte. Manchmal ging ich tagelang nicht aus der Wohnung. Die Frau kochte mir Kaffee, machte irgend ein Mittagessen zurecht.

Ich fühlte dumpf, daß ich dahintrottete wie ein Droschkengaul. Aber ich wußte nicht, warum das so war. Ich quälte mich noch mehr. Ich ahnte nicht, daß die Sklavenpeitsche mir um den Kopf sauste. Die Arbeit war Herr über mich geworden, brutaler Gebieter, roher Aufseher. Der Mensch jedoch soll Herr sein über sie; er muß wissen, daß er nicht ihr dient, sondern sie ihm.

Dann leistet er. Der Gott der Arbeit war zum Götzen geworden. Ich opferte ihm gebückt, mich tief beugend. Das war unsinnig. Ein Narr ist der, der sich kummervoll, angsterfüllt, zitternd im düsteren Tempel beugt. Der Weise aber richtet sich frei und stolz auf vor der Gottheit und drückt ihr den fröhlichen Blumenkranz aufs Haupt.

Trübselige Wochen vergingen.

Alles war trübselig. Ich wohnte in einer häßlichen, dunklen Straße mitten im Stadtlärm. Die Straße lag im lautesten Hamburg: sie roch nach Armut und Trostlosigkeit. Vor hundert Jahren schon mußten manche ihrer Häuser alt und arm gewesen sein. Winzige Fensterchen mit unsauberen Vorhängen sahen aus rissigem Fachwerkgemäuer hervor. In die Treppensteine hatte die Zeit breite Löcher gefressen. In verstaubten Schaufenstern lagen Seile und verrostetes Eisenzeug und altmodische Ferngläser. Aus Kellergewölben drangen Gerüche. Mit Schaudern und Kopfschütteln denke ich an die Straße. Ich hätte wohnen müssen wie in Ulm im Zimmerle. Die kleinen Bleiklötzchen der täglichen Häßlichkeit ziehen oft mehr nieder als wirkliche Schicksalsschwere –


Ich lief wieder einmal auf den Gang hinaus, als es klingelte.

»Geldbriefträger?« fragte ich.

»Nee!« sagte der Sohn der Hausleute. »Is er nich'! Is man nur die Tante gewesen –«

»So – oh ...« meinte ich enttäuscht.

»Nix für ungut!« fuhr er fort. »Aber eck würd' doch nich' up Postanweisungen warten! 'n Mann wie Sie! Hm! Eck bün ja nu' all wedder acht Tage bein Adressenschreiben. Wat sall man moken! Mm – un' der Alte hat gestern geschimpft – Junge, hett he geschumpfen – weil he keinen guten Maschinenschreiber nich' kriegen kann. För Akkordarbeit. Dat wär' wat för Sie. Könnt Se doch! Kommen Sie mit morgen früh! Dat Maschinengeschriewe wird bannig gut betohlt!«

Ich lachte.

»Mm –« sagte er beleidigt. »Eck mein' dat man nur so.«

»Recht haben Sie!« erklärte ich. »Das ist einmal etwas anderes. Ich komme morgen mit!«

Ich wollte aber nicht deshalb mitkommen, weil der Geldbriefträger auf sich warten ließ. Was mich lockte, war der Gedanke, wieder einmal mit meinen Händen zu arbeiten. So wie ich gearbeitet hatte in Amerika; im Baumwollfeld, mit Hacke und Schaufel, an Maschinen – immer ankämpfend gegen die Zeit, immer im Ehrgeiz, mehr zu leisten als ein anderer. Das war Freude gewesen –

Ich war des Geschichtenschreibens müde ...

An einem der Schreibtische stand ein junger Mann. Mein Begleiter flüsterte. Der junge Mann trat auf mich zu.

»Sie wollen Maschine schreiben?«

»Ja«

»Hm, das sagen sie alle.«

»So?«

»Ja, allerdings. Alle sagen, sie wollten und sie könnten, und dann stellt sich heraus, daß sie weder können noch wollen. Können Sie wirklich Maschine schreiben? Wollen Sie Maschine schreiben? Können Sie flott schreiben? Können Sie gut schreiben?

»Um welche Art von Arbeit handelt es sich?«

»Auf vervielfältigte Briefe soll die Adresse geschrieben werden, sorgfältig, damit der Empfänger den Eindruck eines persönlich für ihn geschriebenen Briefes hat. Wir bezahlen für tausend Stück sechs Mark. Aber die Frage ist –«

»Fragen hat keinen Zweck!« sagte ich. »Antworten auch nicht. Aber ich will Ihnen einen Vorschlag machen: Ich versuche es! Wenn mir die Arbeit nicht gefällt, so werde ich Ihnen das heute abend sagen, und wenn Ihnen meine Arbeit nicht gefällt, so werden Sie mir das heute abend sagen!«

Der junge Mann sah mich erstaunt an.

»Was sind Sie eigentlich? Kontorist?«

»Maschinenschreiber.«

»Ihr Vorschlag ist vernünftig!« sagte er, mit einem scharfen Blick.

»Na,« dachte ich mir, »dir will ich's aber zeigen, mein Sohn – du bist noch lange nicht der einzige energische Gockel auf dem Hühnerhof!«

In einem großen Nebenraum standen lange Tische, an denen Leute schrieben, und kleine Tischchen mit Schreibmaschinen. Eine von diesen Maschinen wurde mir angewiesen. Es war eine Oliver. Links hatte ich einen Stoß von vervielfältigten Briefen, rechts Schachteln mit ausgeschriebenen Briefumschlägen. Auf die Briefe mußte etwa geschrieben werden: 17. Juni 1902. Herrn Johannes Meyer, Fabrikant, Dortmund. Zuerst ging es langsam. Ich mußte mich nicht nur an die Maschine gewöhnen, sondern auch den Trick herausbekommen, die Briefe und die Umschläge so zu legen, daß der rasche Wechsel zwischen Geschriebenem und neu zu Schreibendem mit möglichst wenigen Handgriffen vor sich ging. In die langweilige Arbeit mußte der Ehrgeiz hineingelegt werden, mit größter Schnelligkeit gegen die Zeit anzuarbeiten. In jeder Viertelstunde mußten dreißig Briefe überschrieben werden, wenn tausend Stück am Tage geschafft werden sollten? Gut! Schreiben wir fünfzig! Ich beugte mich über die Maschine. Ich sah weder nach rechts noch nach links, hörte nichts, empfand nichts, wollte nichts, als Schritt halten mit der eilenden Uhr. Es ging. Die Fingerspitzen fühlten genau, welchen Ruck und Druck sie der Rolle geben mußten, um den Bogen mit einem einzigen Griff genau an die richtige Stelle zu spannen. Das Auge las die Aufschrift auf dem Briefumschlag, ohne daß der Kopf sich regte. Die eine Hand riß den beschriebenen Bogen aus der Maschine: die andere Hand ergriff gleichzeitig den neuen Bogen. Ich arbeitete absolut ununterbrochen. Als um ein Uhr Mittagspause gemacht wurde, stand ich mit gekrümmtem Rücken da. Es wurde mir schwer, mich gerade zu strecken. Als ich auf die Straße trat, schmerzte das Sonnenlicht die Augen, vor denen noch Buchstaben flimmerten. Am Abend, gegen acht Uhr, blickte ich überrascht auf, als eine Stimme vom Nebenzimmer rief:

»Wir wollen Schluß machen!«

Ich sah, halb benommen, Männer fortgehen, ein Schreibmaschinenfräulein sich ordnend an das Haar greifen –

»Wieviel haben Sie geschrieben?« fragte der junge Mann.

»Zweitausenddreihundertundfünfzig,« sagte ich.

»Unmöglich!«

»Zählen Sie nach!«

Und der energische junge Mann zählte nach und sah sich Stichproben genau an. Endlich sagte er:

»Das ist sehr schön. Ja, und hier ist das Geld, bitte. Sie kommen morgen wieder?«

»Ja! Danke!«

Dem anderen hatte das Warten zu lange gedauert, aber ich war froh, daß ich den Weg nachhause allein gehen konnte. Steif war ich, die Knochen taten mir weh, mein Schädel kam mir wie ausgepumpt vor, aber ich war vergnügt. Ich war so protzig selbstbewußt, als hätte ich gottweißwas geleistet. Die erbärmliche Kulischufterei an einer dummen Schreibmaschine, der blöde Tag mit seinem rasenden Geschreibsel an Lehmanns, und Schutzes, und Meiers, die belanglosen fünfzehn oder sechzehn Mark, sie machten mich alle zusammen stolz. Und das war ganz vernünftiger Stolz ...

In der Nacht träumte ich von einer Schreibmaschine.

Die Buchstaben hatten winzige Menschengestalten und ausdrucksvolle kleine Gesichter. Das e war ein vornehmes Fräulein in golddurchwirktem Gewand mit einem Krönchen im Haar. Das o stellte ein lachendes Mädchen dar. Das A war ein frischer Bursch, das Y ein altes Männchen. Das u hatte sich in eine stolze Frau verwandelt mit herben, ernsten Zügen. Die Gesichter verschwanden wieder und wurden zu Buchstaben. Aber wenn ich meine Hände auf die goldenen Tasten legte, wurden die kleinen Menschlein gleich lebendig und machten alle eine tiefe Verbeugung vor meinen Fingern, und wenn ich auf die Tasten drückte, tanzten sie voller Lust; wild, ausgelassen, wirbelnd, im köstlichen Reigen: mit glockenhellen Stimmchen jubelnd Lieder singend.


Am nächsten Morgen war ich ernüchtert. Aber ich mußte ja wohl hingehen, denn ich hatte es versprochen, aber es schien mir, als ob es doch närrisch sei, mich wegzuwerfen an Schreibmaschine und Tagesgeld. Hatte ich wirklich nichts Besseres zu tun? Aber es kam ein sonderbares Glücksgefühl über mich, als ich wieder an dem Tischchen an der grauen Wand saß, und den Rücken krümmte, und die Tasten tanzen ließ.

Wochenlang arbeitete ich noch an der Schreibmaschine! Ich brauchte den Papierhaufen, der immer weggearbeitet wurde und immer neu sich türmte; ich brauchte den hastigen Blick auf die eilig tickende Uhr, den müden Rücken, das Aufatmen abends. Ich brauchte die Befriedigung der Stunde. Die Seele richtete sich auf am lächerlichen Überschreiben von belanglosen Papierbogen. Es hätte auch ein Misthaufen sein können zum Wegschaufeln oder ein Steinegeklopfe, oder ein Spatengegrabe, denn gar einfache Nahrung kann Sehnsucht speisen. Aber messen mußte ich mich dürfen und plagen und die Tretmühle sausen lassen – und sofort den Erfolg sehen!

Plötzlich jedoch, mitten in der Maschinenschreiberei, kam ein starker Antrieb, der die Kraft zu neuem Schreiten gab. Ein Mensch wollte sein Leben mit dem meinen vereinen. Es wurde für beide ein Schicksal daraus.

Es gibt Menschen ohne Schicksale. Uns war das nicht beschieden. Der tiefe Sinn des Lebens trennt Wege und sondert Ziele ...

Zum Stürmen war mir jetzt zumute. Die Geschichten, in späten Nachtstunden nach langen Arbeitstagen geschrieben, wurden gut. Und nun kam der starke, dickschädelige Entschluß: »Jetzt will ich wieder zur Zeitung!« Es steckt Kraft in solchem Entschluß, und auch etwas Geheimnisvolles: Man vermag, in ausschlaggebenden Sekunden, auf einmal hellzusehen; man sieht einen Augenblick lang, grell beleuchtet, den klaren und einfachen Weg vor sich liegen. Dann muß man schreiten. Ich schritt.

Wenige Tage später saß ich im Arbeitszimmer des Verlegers einer Hamburger Zeitung. Das Zimmer war ein wüstes Schlachtfeld der Arbeit. Die Wände waren kahl und nackt, ein verstaubtes Fenster zeigte düsteren Hof, über mächtigem Schreibtisch brannte eine elektrische Birne mit grünem Schirm darüber. Papiere lagen umher, Zeitungen, Bücher, Briefordner. Auf dem Drehstuhl saß ein Mann mit Stiernacken, eckigem Gesicht, durchdringenden Augen, der auf einer schwarzen Zigarre kaute –

»Am nächsten Ersten also. Ich glaube, wir können zusammenarbeiten. Nun wollen wir zu den Herren in die Redaktion hinübergehen –«


 << zurück weiter >>