Erwin Rosen
Allen Gewalten zum Trotz
Erwin Rosen

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Zeitungsmann in Berlin

Ich bin ein Experiment. – Die drei Fehler, die ich machte. – Eine kniffliche Aufgabe. – Die drei Reporter Berlins. – Von journalistischer Findigkeit. – Der Diplomat in Hemdsärmeln. – Bei Isadora Duncan. – Die Frau Minister, das Blocksystem und der Kaiser. – So allerhand Reibungen und Menschlichkeiten. – Die Zeitungskneipe am Dönhoffplatz. – Der Haken im Fleisch. – Was sind Schulden? – Weshalb ich Erwin Rosen heiße. – Im Reich des Hintertreppenromans. – Der große Krach. – Meine private Meinung über Berlin. – Weshalb ich nach London fuhr ...

Um zwei Uhr nachmittags kam ich in Berlin an. Um zwei Uhr vierzig saß ich im Arbeitszimmer des Verlagsdirektors der großen Zeitung. Trotz der schwergepolsterten Doppeltüren drang von unten im Gebäude Stampfen und Dröhnen der Zeitungsmaschinen in den Raum; leise, wie fernes Zittern, in schwachen, bebenden Schallwellen. Ich mußte hinhorchen. Das Geräusch war mir Singen, Klingen, Jubeln, Prophezeien, Erfüllung –

»Sie sind ein Experiment!« sagte der Verlagsdirektor. »Das Experiment war meine Idee!«

Ich verbeugte mich. Mir fiel wahrhaftig nichts Gescheites ein zum sagen.

»Ihre amerikanischen Geschichten klingen echt,« fuhr der Verlagsdirektor fort. »Nun sagen Sie einmal: Haben Sie das wirklich alles erlebt? Erzählen Sie doch ein bißchen!«

Ich erzählte.

»Dja,« sagte der Verlagsdirektor nach einer Viertelstunde, »so ungefähr hatte ich mir das auch vorgestellt. – Ich halte meine Idee jetzt erst recht für sehr gut. Sehen Sie, in uns alten Praktikern der Zeitung steckt trotz allen nüchternen Benehmens so etwas wie die Sehnsucht des reinen Toren. Wir verspüren es immer wieder, daß in unserer Arbeit die Begeisterung wichtiger ist als die klügliche Überlegung; das eine muß natürlich das andere ergänzen. Die Begeisterung haben Sie. Arbeiten Sie darauf los! Sie müssen mir den Beweis liefern, daß meine Idee wirklich gut war. Ich kann Sie nicht einreihen in bestimmte Aufgaben; das würde nicht zu meiner Idee passen. Nehmen Sie einfach an, Sie seien dazu da, einer deutschen Zeitung zu zeigen, wie ein Mann aus Amerika das alles ganz anders macht. Bringen Sie etwas vom amerikanischen Schmiß in unsere Zeitung! Vorläufig ist es am besten, wenn Sie Ihr Zelt in der Lokalredaktion aufschlagen; dort müssen Sie anfangen. Sie sind jedoch selbständig. Ihr Chef bin nur ich. Wenn es Schwierigkeiten gibt – das Zeitungsleben besteht ja aus Schwierigkeiten – dann kommen Sie zu mir. – Ihr Gehalt wird sich nach Ihren Leistungen richten; vorläufig, sagen wir, hundertfünfzig. Möchten Sie jetzt etwas Geld haben? Sagen wir, zweihundert? Diese zweihundert werden Ihnen nach und nach abgezogen werden.«

Ich machte eine Verbeugung.

»Ich werde mein Bestes tun!« sagte ich.

Der Mann gefiel mir. In Klingen, Jubeln und Prophezeien lockte die Zeitung.


An diesem ersten Tag schon machte ich drei Fehler:

Der erste Fehler war, daß ich bei Erwähnung der Gehaltsfrage keine Meinung und keinen Wunsch äußerte. Wer in Berlin nicht fordert, dem wird nicht gegeben –

Der zweite Fehler war, daß ich in glühender Begeisterung aus dem Zeitungsgebäude stürzte und mir in Holtergepoltereile das nächste beste Zimmer in der nächsten Querstraße mietete, weil mir die Wohnerei sehr nebensächlich schien. Ganz nahe bei der Zeitung mußte ich hausen. In Berlin aber wohnt ein ordentlicher Zeitungsmann zum mindesten in Charlottenburg. Wer etwas kann und ist oder es wenigstens darstellen möchte, wohnt in Berlin im vornehmen Westen. Wer in Berlin nicht den glitzernden Schein wahrt, der stellt wahrlich sein Licht unter verhüllenden Scheffel –

Der dritte Fehler war, daß ich beim Rundgang durch die Abteilungen mich sozusagen bei den einzelnen Redakteuren entschuldigte. Ich verstünde gar nichts von der deutschen Zeitung! Ich hätte aber amerikanisch reportert! Darauf beguckten mich die Redakteure verwundert. Wer in Berlin das Herz auf der Zunge trägt, über den lachen die Hühner –

Ich war nicht frech genug.

Ich verstand es nicht, zu schweigen.

Später machte ich in diesem Berliner Zeitungsgebäude noch andere Fehler. Aber die drei ersten waren die schönsten ...


Ich stürzte mich in die Arbeit. Werkwürdigerweise ging ich dabei ganz planmäßig vor. Tagelang las ich in der Bibliothek die Nummern der großen Zeitung auf Monate zurück durch, versuchte herauszubekommen, was mir gut erschien, was schlecht, verglichen mit dem Inhalt der anderen Berliner Zeitungen an den gleichen Tagen. Dann wanderte ich herum in den verschiedenen Abteilungen der Zeitung und plagte die Redakteure mit Fragen, bis sie mich in mehr oder weniger höflicher Weise darauf aufmerksam machten, daß sie auch noch einige andere Dinge zu tun hätten. Aber ich bekam dabei doch so allerlei heraus. Auf der Zeitung lastete Druck. Der Verleger war unzufrieden, die Schriftleiter waren unzufrieden: Denn in einer Querstraße wenige hundert Meter weit weg hatte sich eine neue Zeitung aufgetan, die springlebendig war und die Abonnenten wegfing. Sie berichtete schneller und ausführlicher. Die Abonnentenzahl aber unserer Zeitung wollte gar nicht vorwärtskommen. Der Verleger behauptete, das läge an der Schriftleitung; die verschiedenen Schriftleiter aber waren der Meinung, der Verleger sei daran schuld. Ein stark ausgeprägtes Sparsamkeitssystem nämlich machte die Ausführung mancher guten Pläne unmöglich. Vor allem aber fuhr die Zeitung, das setzte mir der sehr gescheite Lokalredakteur auseinander, auf ausgefahrenem Geleise. Sie war in langer Vergangenheit erfolgreich gewesen; was früher gut war, mußte also auch heute noch richtig sein.

Die Zeitung war gegliedert, wie jede deutsche Zeitung, in innere Politik, äußere Politik, Volkswirtschaft, Feuilleton, lokalen Teil. Jede Abteilung leiteten mehrere Redakteure, und jede Abteilung hatte natürlich auch ihre innere Eigenart und ihre besonderen Gepflogenheiten. Um die Eigenart und die Sorgen der politischen Abteilungen kümmerte ich mich wenig; da mußte ich vorher noch sehr viel lernen. Das Feuilleton war ganz ausgezeichnet; das begriff ich sofort. Große Leistung steckte in ihm. Es hielt engste Fühlung mit dem ganzen künstlerischen Geschehen der Zeit. Seine Romane waren ersten Ranges, seine Novellen und Feuilletons kleine literarische Ereignisse.

Am meisten interessierte mich der lokale Teil. Er war das Stiefkind der Zeitung. Ein gar kluger aber schwerfälliger Mann, der eigentlich ein Dichter war, aber kein Schriftleiter, leitete ihn und arbeitete mit lachendem Darüberstehen sein Tagespensum herunter. Ihn unterstützte ein spritziger Berliner Herr, sehr gescheit und sehr lebensklug, der sich mit besonderer Wonne auf die Sprache des Pferdesports warf und eine witzig spitze Feder führte. Der Fehler lag, so schien es mir, im lokalen Außendienst. Das ist nun so an die zwanzig Jahre her und alles ist anders geworden. Damals aber begnügte sich die gesamte Berliner Presse eigentlich mit drei Reportern, die gleichzeitig für sämtliche Zeitungen Berlins arbeiteten; für Zeilenhonorar und zwar recht mäßiges Zeilenhonorar. Der eine machte die Feuersbrünste. Er war ein ziemlich kleiner Mann, vom Zeitungsstandpunkt aus. Der Zweite war wichtig: ein kleines Männchen, immer in Eile; er machte die Polizei. Jeden Morgen und jeden Abend prompt zur richtigen Zeit erschien er mit seinen Zetteln, in denen die verschiedenen Einbrüche, Diebstähle, Mordtaten und sonstige schöne Sachen mit spitzem Bleistift mit Blaupapier durchgeschrieben waren. Man mußte höllisch aufpassen, damit man eine halbwegs leserliche Durchschrift bekam. Passierte etwas wirklich Schönes, ein schwerer Raubmord zum Beispiel, so konnte das kleine Männchen aber auch sehr gute Arbeit leisten. Das besondere Kennzeichen des Männchens war eine sonderbare Geldmaschine, nämlich eine Blechröhre, die im verborgenen Innern eine starke Feder hatte. In der Röhre hatten für fünf Mark Zehnpfennigstücke Platz. Fuhr der Reporter auf der Straßenbahn oder im Omnibus, dann drückte er unten auf die Röhre, und ein Zehnpfennigstück flog heraus, dem Schaffner in die bereite Hand. Die Röhre enthielt sein Betriebskapital; Droschke zu fahren wäre ihm als Sünde erschienen. Seine Berichte waren sachlich und vernünftig; die Sprachschnitzer korrigierte man eben weg. Der Dritte machte die Gerichtsverhandlungen. Er war ein Genius. Er brachte es fertig, ganz allein, nur mit Hilfe eines Mädchens, die seine Hektographenabzüge machte, und eines Boten, über die gesamten Berliner Strafprozesse zu berichten und dabei häufig auch noch über wichtige Zivilprozesse. An seinen Arbeiten wurde nie ein Wort geändert. Es war alles knapp, klar, mit starkem Sinn für Wesentliches und Wirkung geschrieben, oft mit köstlichem Humor gewürzt. Er arbeitete eigentlich Tag und Nacht; tagsüber in den Gerichtssälen, bis in die späte Nacht hinein sich vorbereitend durch Lesen der Prozeßakten, die ihm Richter und Anwälte gern überließen. Wenn die Gerichtsferien kamen, verschwand er aus Berlin. Dann fuhr er nach Ägypten oder reiste nach dem Nordkap. Sein Einkommen war sehr groß. Seine humoristischen Berichte in unverfälschtem Berlinerisch über lustige Gerichtsverhandlungen wurden von der gesamten deutschen Presse gern genommen. Von ihm stammte zum Beispiel die schöne Geschichte vom Fatzke. Ein Berliner hatte einen anderen Berliner verklagt, weil er ihn einen Fatzke geschimpft hatte. Der junge Richter stellte fest, daß der Begriff Fatzke dem Sinne nach nicht gut zu erklären sei und brachte es nicht fertig, in einem Wort eine Beleidigung zu erblicken, dessen Sinn ganz unklar war. Der Beklagte wurde freigesprochen. Der Kläger aber trat an den Richtertisch heran und fragte eindringlich:

»Herr Richter, ist Fatzke wirklich keine Beleidigung?«

»Nein, wie ich schon ausgeführt habe!«

»Na denn adjüs, Sie Fatzke!« sagte der Kläger höflich. –

Alle drei Reporter belieferten, wie gesagt, sämtliche Berliner Zeitungen, deren verschiedene lokale Teile nun natürlich einander glichen wie ein Ei dem anderen. Aber die Einrichtung war bequem und billig. Ich schlug die Hände über dem Kopf zusammen über diese Anspruchslosigkeit. Aber es wurde mir bedeutet, daß weder der Feuermann noch der Polizeimann behelligt werden dürfte; der Gerichtsmann schon gar nicht. So sei es nun einmal gehalten worden und dabei müßte es bleiben. Bei ganz großen Anlässen natürlich wäre gegen besondere eigene Berichterstattung großen Stils nichts einzuwenden, aber nur dann und am besten wohl erst nach vorheriger Besprechung mit dem Chefredakteur.


Das verbaute mir die einfacheren Wege. Auf den alten Reporterpfaden konnte ich hier nicht schreiten. Ich war aber nicht sehr unglücklich darüber, denn das Suchen nach Arbeit und Aufgaben wurde von Tag zu Tag reizvoller. Man lernte auch ungeheuer viel dabei, denn man war gezwungen, sich immer wieder neu zu informieren und sich ständig in wechselnde Aufgaben hineinzuarbeiten. Das Schönste war, daß ich ganz auf eigenen Füßen stand. Aufträge bekam ich fast nie. Ich mußte meine Ideen selber haben. Ich begriff sofort, daß mit schrillen Überschriften und lärmender Darstellung im amerikanischen Stil nichts zu machen war. Die Zeitung wollte und brauchte nicht weniger und nicht mehr als eine Ergänzung ihres Nachrichtendienstes, soweit eine solche Ergänzung durch einen findigen Kopf in Berlin aufzutreiben war. In erster Linie kam es auf die Findigkeit an; man mußte Ideen und Einfälle haben. In zweiter Linie wesentlich war knappe und flotte Beschreibung.

So begann denn meine Suche nach der Idee. Ich suchte noch, wenn ich spät abends zu Bett ging, und ich stand mit dem Gedanken an die Idee auf. Fand ich etwas, und ich wäre geplatzt vor Wut, wenn ich nicht jeden Tag etwas gefunden hätte, dann war das für mich eine rasende Wichtigkeit. –

Es geschah, daß Venezuela deutsche Kaufleute ungebührlich plagte. Darauf erschien ein deutsches Kriegsschiff vor Caracas. Nach vierundzwanzig Stunden aber lag ein amerikanischer Kreuzer neben dem deutschen; die Monroedoktrin der Vereinigten Staaten trat in Tätigkeit: Kein Kriegsschiff einer europäischen Macht dürfte in den Gewässern des amerikanischen Erdteils drohend auftreten, ohne die Geschütze amerikanischer Kriegsschiffe auf sich gerichtet zu sehen. Und wenn es sich zehnmal nur um den Operettenpräsidenten Castro handelte. Die Kabelnachrichten rochen sengerig. Da ging ich zum amerikanischen Botschafter in Berlin, es war Reginald Tower, denn der mußte doch irgend etwas Gescheites sagen können über den venezolanischen Zwischenfall. Die Idee war eine Frechheit. Botschafter pflegten sich damals nicht gerade gewohnheitsmäßig interviewen zu lassen; namentlich von ganz jungen Leuten. Aber ich wurde tatsächlich empfangen. Der Botschafter saß nach echt amerikanischer Art in Hemdsärmeln da. Seine erste Frage war, ob er denn einen Rock anziehen müsse; in Amerika betreibe man auch die Diplomatie in Hemdsärmeln. Über Venezuela hätte er nicht viel zu sagen. Die ganze Geschichte sei ein Blödsinn. Große und befreundete Staaten könnten sich doch unmöglich deshalb in die Haare geraten, weil eine zentralamerikanische Republik ausländische Kaufleute in vielleicht etwas erstaunlicher Weise behandle. Hierauf setzte er mir sehr freimütig und mit netten Kraftausdrücken auseinander, was eigentlich die Monroedoktrin sei und warum die Vereinigten Staaten die Monroedoktrin so nötig brauchen, wie Deutschland sein Heer. Es war eine hübsche Tagessache für die äußere Politik. Der alte Chefredakteur grunzte vor Behagen, als ich mein Interview brachte. Überschrift: Der Diplomat in Hemdsärmeln. Nun kam die Tänzerin Isadora Duncan zum erstenmal nach Berlin. Ich hatte in Münchener Zeitungen gelesen, daß ihre Tänze – damals tanzte man noch nicht in Deutschland – unter den Münchener Künstlern richtige Stürme der Begeisterung entfesselten. Beim Feuilleton bekam ich die Auskunft, man müsse die Duncan erst einmal tanzen sehen. Dann würde man urteilen. Mir paßte das aber nicht, und ich begab mich schleunigst zu der Tänzerin ins Hotel. Überschrift: Die neue Tanzkunst. Ich verarbeitete da natürlich fast nur das, was der guten Duncan mir zu erzählen beliebt hatte, aber ich gab aus eigenem dazu, welche Eindrücke ich empfing, als ich sie beim Essen eines Hühnchens beobachtete. Dabei ging mir nämlich ein Licht auf. Wer so wunderschöne Hände hatte, und die Bewegungen dieser Hände und Arme so zu beherrschen verstand, daß das Zerlegen eines Hühnchens mit Messer und Gabel dem erstaunten Beobachter ein ästhetischer Genuß wurde – der hatte Rhythmus im Leibe und Grazie; es mußte etwas daran sein an der neuen Tanzkunst! Im Feuilleton fand man die Sache sehr nett. Man legte sich durch dieses Interview nicht fest für die spätere Kritik der Tänze. Auch stand unter diesem Feuilleton kein großer Name, aber man hatte bewiesen, daß man als erster auf dem Platz war und es verstand, die Berliner auf wichtige neue Dinge aufmerksam zu machen.

Dann wurde einmal im Reichstag die ganze Nacht hindurch verhandelt; wenn ich mich recht erinnere, handelte es sich um einen neuen Zolltarif. Natürlich saßen droben auf der Journalistentribüne nur unsere Politiker, die zwar Reichstagsglossen schrieben mit allen Schikanen, aber auf rein äußerliche Beschreibungen pfiffen. Ich war auf die Journalistentribüne gegangen, denn ich war damals überall dabei, wo irgend etwas Wichtiges los war. Es erschien mir unsagbar komisch, daß auf den großen roten Sofas an den Wänden des Sitzungssaales Abgeordnete seelenruhig schliefen, während ein Redner in stundenlangen Darlegungen die Geschicke Deutschlands zu beeinflussen sich bemühte. Den Abgeordneten Liebermann von Sonnenberg konnte man schnarchen hören. Überschrift: Der schlafende Reichstag. Das wäre einmal etwas anderes, sagte der Verlagsdirektor am nächsten Morgen vergnügt.

Und da war, in Gegenwart des Kaisers, der Vortrag im Eisenbahnministerium über ein neues elektrisches BIocksystem. Eisenbahnminister war Budde. Ich fuhr ins Ministerium und bat um eine Einladung. Aber diesmal waren Einladungen für die Presse nicht vorgesehen und es war nichts zu machen. Dabei schien das neue System sehr wichtig; der Geheimrat im Eisenbahnministerium erzählte zum Beispiel, einem fahrenden Eisenbahnzug könne durch elektrische Vorrichtungen mittelst Fernwirkung auf offener Strecke das Zeichen zum Halten gegeben werden.

Ich kam nun auf einen Gedanken, der sehr naiv war.

Ich fuhr zur Gattin des Eisenbahnministers. Die junge Exzellenz mit dem goldroten Haar hörte mich geduldig an.

»Möchten Sie denn gar so gern dabei sein?« fragte sie. »Ich sehe eigentlich gar nicht ein, warum nicht. Aber verraten dürfen Sie mich nicht. Der Vortrag fängt um sieben Uhr dreißig an. Kommen Sie um sieben Uhr, man wird Sie in den Wintergarten führen, der neben dem Vortragsraum liegt. Die Türen zum Wintergarten werden später geöffnet, na, und dann kommen Sie einfach herein und nehmen irgend einen Stuhl ...«

Ich saß auf einem Stuhl so ungefähr vier oder fünf Stuhlreihen hinter dem Kaiser. Das neue Blocksystem wurde im Modell vorgeführt. Der Kaiser stellte Fragen, machte Einwürfe. Der Vortrag, überaus verständlich gehalten, dauerte zwei Stunden. Dann stand der Kaiser auf, trat auf den Vortragenden zu. Stühle wurden gerückt; auf der einen Seite des Raumes bildeten die Anwesenden Spalier. Ich stand im Hintergrund, hinter alten Herren, die viele Ordensbänder schmückten. Langsam ging der Kaiser durch die Gasse, da und dort stehen bleibend. Dann reckten sich die Hälse der alten Herren und gierig forschten die Blicke, wer der Glückliche war, dem die Auszeichnung einer Ansprache zuteil wurde. Das sah sehr komisch aus. Die alten Herren drängelten sich, um weiter nach vorne zu kommen. Ich mußte mir das Lachen verbeißen ...

Wir hatten unseren ausführlichen Bericht in großer Aufmachung! Die anderen Berliner Zeitungen mußten sich mit zehn Zeilen Wolffbüro begnügen und schimpften neidisch. –

Ach du lieber Gott, ich erschütterte die Welt wirklich nicht; nicht einmal Berlin.

Jetzt war es eine Versammlung des Bundes der Landwirte, die mich lockte; dann spürte ich hinter einem Mord her; nun erzählte ein amerikanischer Milliardär in einer Berliner Hotelhalle irgend etwas Wichtiges; dann kam ein Geplauder mit einem Operettenstern: jetzt geruhte ein Minister, mir eine Information zu geben. Sicher war das immer jagende Arbeit. Und ganz sicher steckte darin ehrlichste Begeisterung. Ich hatte in Berlin keine Zeit und vor allem keine Lust, irgendwie ein persönliches Leben zu führen; sondern alles, was ich tat und dachte, hing auf irgend welche Weise mit meiner Zeitung zusammen.

Man kann ja lachen über solche jungen Zeitungsmenschen; ich lache gern mit über mich selber. Aber in der vermessenen Anmaßung, alles beurteilen zu können und in alles die junge Nase hineinzustecken, steckt Wollen und Kraft und Leistung, ist ein Lernenmüssen schwerster Art verborgen. Solches Leben bedeutet Möglichkeiten der Entwicklung, wie sie wenige andere Berufe bieten. Natürlich war dieser ganze Tag und dieses gute Stück der Nacht, das der Zeitung gehörte, durchaus nicht immer reine Freude. Ich hatte eigentlich fast immer Schwierigkeiten mit der Unterbringung meiner Arbeiten. Das kam davon, daß ich bald etwas brachte, bei dem die äußere Politik mitzureden hatte, bald etwas anderes, das eigentlich zum Gebiet der inneren Politik gehörte, und nun eine Sache, die eigentlich Feuilleton war, und jetzt wieder eine lokale Arbeit. Ich gehörte überall hin und doch nirgends. Meistens ärgerten sich die Kollegen nur darüber, daß ich sie vorher nicht befragt und über meine Absichten unterrichtet hatte; aber das hatte ich nach einigen Versuchen grundsätzlich aufgegeben, denn dabei kam gewöhnlich nichts heraus. Nein; ich machte meine Sachen selber und kam mit dem fertigen Manuskript. Aber es mag auch der Eine oder der Andere dabei gewesen sein, der sich schon ärgerte, wenn ich in der Türe erschien:

»Was ist das nun wieder für 'ne amerikanische Sache? Was will der junge Mann eigentlich? In welcher Abteilung beabsichtigt er denn, endlich zu landen? Da hat er nun wieder ein Körnchen gefunden, – aber wenn ich das geschrieben hätte – na ja ...«

Gott soll schützen, um in modernem Deutsch zu sprechen, dah ich je etwas sage oder schreibe oder auch nur denke gegen die Männer der Zeitung, die meine erste Arbeitsliebe im Leben war und meine letzte bleiben wird, so hoffe ich. Aber Zeitungsmenschen sind doch manchmal eifersüchtig wie die kleinen Mädchen und können gelegentlich aufdringlicher krähen als der bunteste Gockelhahn! Intrigieren tun sie manchmal wie Diplomaten aus den Zeiten Ludwigs des Vierzehnten, von vorne und von hinten und auf jede nur erdenkliche Art und Weise ... Weshalb nicht? Mensch bleibt Mensch, und wenn er auch Exzellenz im Staate der Zeitung ist.

Im übrigen muß man geistigen Hochmut und eitlen Stolz gerade dem Zeitungsmann verzeihen; denn er darf nicht in die Verfassung kommen, daß er sich dem Mann aus Galizien gegenüber klein und schwach fühlt, dessen Brillanten ihm im Theaterfoyer entgegenfunkeln – diese Brillanten, die im Alteisengeschäft ehrlich oder weniger ehrlich erworben sind. Er muß hart ringen mit dem Geld des Tages, der Zeitungsmann; er weiß, daß seine Leistung kaum Aussicht hat, voll nach ihrem wahren Wert bezahlt zu werden. Er muß sich als Tagesschriftsteller damit begnügen, täglich zu vielen Tausenden zu sprechen, viele Tausende zu beeinflussen mit den Worten seiner Feder. Er darf wohl hochmütig sein, und es ist wahrlich kein Wunder, wenn er manchmal den Hochmut übertreibt. –

Jeden Artikel mußte ich richtig durchdrücken. Mehr als einmal mußte ich den Verlagsdirektor herbeiholen. Das auf den Tisch Schlagen wurde nachgerade zur Gewohnheit:

»Ich verbitte mir Ihre Änderungen! Halten Sie eine Änderung für notwendig, so muß das mit mir besprochen werden! Ich bin Ihnen nicht subordiniert, sondern koordiniert –«

Ach, was waren das für schöne Zeiten! Der erste Stein des Anstoßes war im übrigen das Anstreichexemplar. Der Verleger der Zeitung, ein großer Mann, hatte die kleine Angewohnheit, sich um jeden Dreck zu kümmern. Allmorgendlich und allabendlich mußte ihm ein Anstrichexemplar vorgelegt werden. Jeder einzelne Schriftleiter hatte auf diesem Anstrichexemplar zu vermerken, was er selber geschrieben hatte, woher die von anderen geschriebenen Sachen stammten, was diese Sachen kosteten. Einige Herren hatten nun die Gepflogenheit, wenn an meinen Arbeiten aus irgendwelchen Gründen eine kleine Änderung von ihnen angebracht war, so mitten hinein in meine Artikel ihre werten Namen zu schreiben! Da gab es aber Krach! Das ging dann so nach der Grammatik: ich bin ungemütlich, du bist ungemütlich, er ist ungemütlich, wir sind ungemütlich ... Ja, wer sich einbildet, daß es bei der Zeitung nur Zeitungsarbeit gäbe, der bildet sich falsch ein. Im übrigen kam es mir auf mich selber überhaupt nicht an; für mich schlug ich wahrhaftig keinen Lärm, sondern nur für meine Arbeit – – – Zum klugen Überlegen meiner eigenen Interessen glühte ich zu sehr im Zeitungseifer. Wunderschöne Erinnerung eigentlich, daß man so völlig reiner Tor sein konnte.


Der alte Chefredakteur mit dem weltberühmten Namen, der mit seinen siebzig und etlichen Jahren eigentlich nur noch für junge Menschen lebte und in seinem Haus alles an Jugend um sich versammelte, was ihm Versprechung zu verheißen schien – der grunzte immer so schön beifällig, wenn man etwas halbwegs Vernünftiges zustande gebracht hatte. »M – mmm ... hehehe – m – das geht, das geht – – –« und wenn man zu ihm kam und Vorschußwünsche stichhaltig begründete, so machte er ein jüdisches Gesicht und zuckte die Achseln: »Nee, nee – is unregelmäßig – sieht man nicht gern – kann Unannehmlichkeiten geben – das will ich man lieber persönlich machen!« Dann fischte er in einem uralten Portemonnaie nach Goldstücken und mahnte: »Geben Sie mir's ja erst in drei Monaten wieder! Sonst sind Sie nächsten Monat doch wieder pleite – m – mmm ...« Der alte Chefredakteur ist schon lange tot. – Der Mann der inneren Politik, er ist in jungen Jahren an seinem Lebenstempo gestorben, erzählte einem in einer halben Stunde mehr über die Dinge der Gegenwart als man aus vielen Büchern hätte lernen können. Dazu trank er mit Vorliebe Korn, denn er war ein Ostpreuße. Dieser Mann arbeitete wie ein Wahnsinniger und verdiente Summen; war aber immer in Geldnöten. Wenn er mit seiner Arbeit fertig war, jagte er noch lange Telegramme und Eilbriefe an irgend eine Wiener Zeitung, schrieb einen Leitartikel für irgend ein Schweizer Blatt, raste in eine Weinstube. Ach, da waren noch viele.

Die meisten von uns blieben jeden Abend auf der Zeitung mindestens bis elf Uhr, häufig länger, bis die Morgenausgabe feststand. Dann pflegten wir uns in die Zeitungskneipe zu begeben; ein nettes kleines Restaurant am Dönhoffplatz. Dort strömten die Zeitungsleute von allen möglichen Blättern so um Mitternacht zusammen. Wir hatten immer einen vollbesetzten Stammtisch. An dem wurde nun so alles durchgetratscht, was am Tag geschehen war; mit den blutigsten Witzen. Hier bekam man überhaupt erst das Tagesgeschehen in der richtigen Tunke vorgesetzt. Was da der Parlamentsberichterstatter der Kölnischen Zeitung über die Dinge im Reichstag zu sagen hatte – das stand bestimmt nicht in der Kölnischen Zeitung, aber es war bedeutend wertvoller als sein Parlamentsbericht, und der war ausgezeichnet. Wie sich da unter schlechten Witzen Ansichten klärten und gemeinsame Ziele erfaßt wurden, das war einfach wunderbar; für mich wenigstens. Sie waren alle miteinander dort; die äußere Politik, die innere Politik, die Volkswirtschaft, die lokalen Teile der großen Berliner Zeitungen; nur die Feuilletonisten kamen selten. Die schlabberten Kunst in irgend einem Salon und behaupteten nachher fälschlicherweise, sie hätten das Weib erlebt. Das behauptete wenigstens der bissige äußere Politikmann von – aber der Name der Zeitung tut nichts zur Sache. Wir tranken Bier und aßen billige Butterbrote dazu. Wir waren ausgelassen wie die Kinder. Wir machten Streiche wie die Schulbuben. Ein allgemein beliebter innerer Politikmann hatte die Gepflogenheit, beim Eintreten in die Kneipe nur mit nachdenklichem Inwärtsblick flüchtig guten Abend zu sagen und dann sofort an ein stilles Örtchen zu verschwinden. Fast um dieselbe Minute jede Nacht entledigte er sich an jenem stillen Ort fern vom Getriebe der Zeitung seines negativen Seins, wie Friedrich Freksa so schön zu sagen pflegt, und brauchte dazu ungebührlich lange. Er brauchte fast eine halbe Stunde. Man stelle sich vor, wie dringend die Gelegenheit war, darüber Witze zu machen. Dieser beliebte Mann hatte nun einmal Geburtstag, und das hatten wir herausbekommen. Als er, fast auf die Minute pünktlich, erschien, wurde ihm ein sonderbares Kissen überreicht, aus weichem Samt. Das Kissen war rund. Es sah so ungefähr aus wie ein Rettungsring, damit es auch zu den besonderen Erfordernissen des stillen Ortes paßte. Um den Ring herum aber war mahnend und in leisem Vorwurf eingestickt: »Nur ein Viertelstündchen!« Gleichzeitig wälzten kräftige junge Redakteure eine für diesen Zweck ausgeborgte »endlose« Rolle Rotationspapier in die Kneipe. Die Rolle war fast einen Meter hoch. Darauf rollten wir Kissen, Papier, und inneren Politikmann gemeinsam an den Ort ihrer Bestimmung – und diesmal kam der Bedauernswerte schon nach fünf Minuten wieder ... Gleichzeitig mit ihm erschien der Druckereivorarbeiter meiner Zeitung:

»Aber wo is denn det Papier? Det jeht doch nich', meine Herren ... Ich muß doch det Papier verrechnen –«

Es war überaus schön. Mich nannte man in der Tafelrunde den ollen Amerikaner und prophezeite mir Untergang und Verderbnis, wenn ich mich nicht rechtzeitig in den besseren Häusern des Kurfürstendamms umsähe ...

»Sie landen ja doch früher oder später beim Roman, Sie armes Luder –« pflegte der Parlamentsberichterstatter zu sagen ...

Aber in meinem Fleisch saß ein Haken verfangen, der biß. Ich machte in Berlin meine ersten ernsthaften Schulden. Ich hatte oft genug in Amerika kein Geld gehabt und wußte ganz genau, was das bedeutete und wie man sich dann herumschlagen mußte; aber Schulden, drückende Verpflichtungen, kannte ich nicht. Es kam alles so ganz von selber. Was scherte mich Geld? Eine Arbeit hatte ich zu leisten; eine Aufgabe zu erfüllen. Aber –

»Nanu – nanee – det jeht aber nich'!« sagte kopfschüttelnd der alte Buchhalter, als ich zum ersten Mal mit meinem Auslagenzettel kam. »Det wird bestimmt nich' jenehmigt. Fahren Se doch Elektrische! Nehmen Se 'n Omnibus! Und was is das? 'ne Pulle Wein? Nee, Wein geht üsanksgemäß auf eigene Rechnung. Nehmen Se 's nich' übel, aber zwanzig Jahre bin ich bei der Zeitung und sowas hab' ich noch nich' gesehen – Wetten, dat det nich' jenehmigt wird?«

Ich sauste zum Verlagsdirektor.

Der machte ein verlegenes Gesicht und meinte mit einigem Gedruckse, es handle sich da um bestimmte Überlieferungen und Gepflogenheiten, in die er nicht gut eingreifen könne. Ich sei doch noch jung bei der Zeitung und dürfe nicht mit derartigen Neuerungen kommen. Die Auslagenrechnung würde natürlich diesmal bezahlt, aber er bäte doch um möglichste Sparsamkeit. Außerdem mache es ihm Freude, mir zu sagen, daß man mit meiner Arbeit sehr zufrieden sei, und daß ab nächsten Monat mein Gehalt zweihundert Mark betragen würde. – Ich rechnete nun Posten um Posten vor,– denn ich war wütend, – aus welchem Grunde und unter welchem Zwang der Eile die verschiedenen Geldsummen ausgegeben worden waren. Der Verlagsdirektor zuckte aber nur die Achseln.

»Vollkommen in Ordnung, gewiß – aber wir sind nun einmal nicht daran gewöhnt ...«

Mir blieben die Worte einfach im Halse stecken. Die Hälfte meiner Auslagen hatte ich ohnehin vergessen! Die Frage wurde gelöst durch einen Vorschuß; Vorschuß ging; das war üsanksgemäß ... Nun waren es natürlich gewiß nicht die unmittelbaren Berufsausgaben, die letzten Endes für den Wirrwarr in meinen kleinen Finanzangelegenheiten die Verantwortung trugen; das war ich selber. Es gibt wohl keinen Zeitungsmann irgendwo in Deutschland, der diesen Zustand nicht kennt. Zu seiner Überwindung gehört spartanische Bedürfnislosigkeit und eiserner Wille. Das Geld wirft sich dem Zeitungsmann immer wieder hemmend in den Weg. Wer Geld haben will, muß mit Schweineschmalz handeln, aber er darf nicht Zeitungsmann sein. Die Geldsorge ist für ihn Normalzustand. Tritt dazu noch persönlicher Leichtsinn, dann ist der Teufel los. Bei mir war der Teufel los. Das wußte ich eigentlich gar nicht so; kümmerte mich jedenfalls wenig darum. Auf meine Arbeit kam es mir an. Mit Kleinigkeiten konnte ich mich da nicht aufhalten. Es kostete Geld, Frackhemden plätten zu lassen, und den Frack trug man beinahe jeden Tag. Saß man mit einem Milliardär im Adlon, um ihn auszufragen, dann konnte man sich nicht lange den Kopf darüber zerbrechen, was der Cocktail kostete, den man dabei trank. Auch war es selbstverständlich, daß man das Geld haben mußte für die paar Glas Bier in der Zeitungskneipe am Dönhoffplatz; die waren nicht nur nett, sondern wichtig. Wer wollte da lange rechnen über Wagen und Trinkgelder, die Zeit sparten; wer wollte da viel sich den Kopf zerbrechen über ein Mittagessen bei Töpfer, wenn der richtige Mann einem gegenüber saß, von dem man etwas wissen wollte.

Schulden bleiben nun jedoch immer Schulden, und diese dummen Schulden haben die häßliche Gepflogenheit, ein schwer niederziehender Stein am Bein des Mannes zu sein. Schuldenmachen ist überdies ein übler Begriff. Aber es gibt Schulden und Schulden. Schulden habe ich seitdem oft gemacht; sie sind getreue Begleiter der Lebensreise gewesen. Später habe ich meine Schulden aber oft ganz bewußt gemacht. Es handelte sich einfach um ein Abwägen, ob Geld wichtiger war oder Leistung. Hemmte mich Geld in Leistung, so mußte es beschafft werden. Es war meine Aufgabe dann, meine eigene, für die Bezahlung zu sorgen und die Folgen zu tragen. Vielleicht sprach bei dieser Handlungsweise ein Instinkt mit: Der Mann, der aus seinem Hirn heraus immer und immer wieder schaffen soll, braucht manchmal auch äußeren Zwang. Für diese Rolle ist das Geld gerade gut genug. Wenn Schulden wie Peitschen anfeuern können zu leistendem Schaffen, dann sind Schulden eine gute und vernünftige Einrichtung. Der Schieber wird allerdings sein Bankkonto peinlich in guter Ordnung halten, gerade so wie der ehrbare hamburgische Kaufherr. Deswegen ist der Lump, der Kartoffeln nach Holland verschiebt, noch lange kein ehrbarer Kaufmann – und der kraftvolle Geistesarbeiter, der Schulden macht, weil ihm seine Aufgaben wichtiger sind als Geld, ist noch lange kein liederlicher Verschwender. Es sei immerhin festgestellt, daß Schulden die eigentümliche Eigenschaft haben, fortzeugend Böses zu gebären, nämlich neue Schulden – und wenn ich so richtig lebensklug sein wollte, dann möchte ich jedem raten, sich fein säuberlich mit seinen kummervollen Groschen zu begnügen und keinen Pfennig auszugeben, der nicht wirklich und richtig im Geldtäschchen drin ist. Das erspart nicht nur wirkliche Sorgen, sondern auch wirkliche Demütigung. Aber dann wieder erscheint mir dieser gute Rat abgeschmackt und langweilig: Das Geld gehört zum Leben wie die Arbeit und die Liebe und der Hunger. Mag sich ein jeder herumschlagen mit dem Geld, wie er es gut und richtig findet. Spürt er die Kraft in sich, die Bürde einer Hypothek zu tragen, so ist es gut und recht für ihn, sie auf sich zu nehmen. Dann steckt etwas drin in ihm. Ist die Kraft nicht in ihm, so braucht er keine guten Lehren: Die werden ihm Gerichtsvollzieher, Richter und Gefängnis verabfolgen.

Aber damals in Berlin konnte ich wahrhaftig nichts dafür. Es ist komisch, wie einfach eigentlich ich hätte handeln müssen: Es wäre das einzig Richtige gewesen, hätte ich klipp und klar, mit der überzeugenden Begleiterscheinung von hübsch säuberlich aufgeschriebenen Ausgabenziffern, erklärt: Das geht so nicht weiter. Ist meine Arbeit wertvoll genug, dann bezahlt sie. Ist sie es nicht wert, dann sagt es! Auf diesen simplen Gedanken kam ich nie. Um eine Berufssache und einen geistigen Standpunkt hätte ich mich mit Gott und der Welt herumgeschlagen bis zur letzten Konsequenz, aber beim lumpigen Geld setzte die Genierlichkeit ein und die Angst vor einem Mißerfolg. Ich hatte einfach nicht die Schneid dazu.

Und der Halm biß immer tiefer in mein Fleisch hinein. Ganz dumm benahm ich mich nun nicht dabei. Ich merkte schon, daß auf irgend eine Weise Geld herbeigeschafft werden mußte. Ich fing wieder an, Geschichten zu schreiben. Ich verkniff mir die entzückende Kneipe am Dönhoffplatz – und ich ging eine Stunde früher nach Hause – und ich arbeitete ganze Nächte hindurch ...


Damals entstand der Schriftstellername Erwin Rosen.

Es war bei meiner Zeitung allen Schriftleitern verboten, für andere Zeitungen zu schreiben. Ich nahm dieses Verbot lange wörtlich. Es bedrückte mich auch nicht; zum Geschichtenschreiben hatte ich weder Zeit noch Lust; Zeitungsmann war ich jetzt. Doch eines Abends ging ich zu einem Ball, aus irgend einer Zeitungsnotwendigkeit heraus. Wahrscheinlich war es ein besonderer Ball und vermutlich wollte ich über diesen Ball ein paar besondere Zeilen schreiben. Es war in diesem Jahr Mode in Berlin, in Ecken und Winkeln der Gesellschaftsräume zierliche Lauben aufzubauen, aus Blumen und grünem Gezweig, in denen Männlein und Weiblein einen Tanz verplaudern und verträumen konnten. Und so von ungefähr saß ich in einer Rosenlaube zusammen mit einer schönen Frau, die zu fragen verstand. Ich war jung damals und gar froh, daß ich mein Herz ausschütten konnte. Und ich erzählte so von meinen kleinen Nöten und vom lieben Geld ...

Die schöne Frau lachte.

»Ich habe schon öfters so Ähnliches gehört.« meinte sie lustig. »Ich kenne wohl ein gutes Dutzend junger Zeitungsleute ... Aber Kinder! Ihr seid doch nicht an eure alte Zeitung angebunden mit unlösbaren Stricken – schreibt doch dazwischen einmal etwas für andere Blätter – Ich bitte Sie, wofür gibt es denn Pseudonyme? – Und Ihr alter Vertrag ist doch nur eine alberne Formsache – Was? Sie sind überhaupt nur nach Berlin berufen worden, weil Sie gute Geschichten geschrieben hatten? Wie können Sie sich unterstehen, diese guten Geschichten so ganz zu vernachlässigen? Das ist doch wichtiger als euer ganzer Zeitungskleinkram! Ich befehle: Wenn Sie heute nacht nachhause kommen, setzen Sie sich hin und schreiben eine Geschichte!« ...

Es war schon fünf Uhr morgens, als ich die gescheite schöne Frau in den Wagen hob. Ich ging zu Fuß nachhause und es überkam mich eine Lust, mich wieder einmal hinzusetzen und zu fabulieren. Es schien so leicht. Es hingen zwar nicht Geigen am Himmel; aber Rosen. Ich hatte ein paar von den roten Rosen aus der Laube mitgenommen. Die dufteten in meinem Zimmer. Und ich schrieb und schrieb ... Mitten im Schreiben mußte ich aufhören. Es war neun Uhr. Damals war man so wunderschön jung, daß man sich wohl eine Nacht um die Ohren schlagen konnte und nach einer großen Schüssel voll kalten Waschwassers sich so frisch fühlte wie je zuvor. Doch als ich da auf der Redaktion die Morgenzeitungen las, dachte ich eigentlich an meine Geschichte dabei und an die Rosen der Nacht. Die Geschichte war beinahe fertig. Ich brauchte ein Pseudonym, um sie zu verwerten. Ich dachte an die Rosenlaube und an die Frau. Darauf beschloß ich zwischen einem schlecht berichteten Feuer in der Vossischen Zeitung und einer Plauderei in der Täglichen Rundschau über Berliner Omnibusse, die mich ärgerte, weil ich die Idee nicht selber gehabt hatte – daß ich in Zukunft mit meinem Schriftstellernamen Erwin Rosen heißen wolle! Viele Jahre später wollte ich das ändern. Aber da streikten die Zeitungen. Den Rosen kennten die Leser, meinten sie: von dem Carlé hätten sie keine Ahnung –

Und so verdanke ich meinen Arbeitsnamen einer klugen Frau und einigen roten Rosen. Die Blumigkeit des Namens zwar hat mir später verschiedene Unannehmlichkeiten bereitet. Man schickte mir Postkarten mit Hakenkreuzen. Aber es gibt ja bekanntlich keine Rosen ohne Dornen –


Ich schrieb manche Geschichten. Es war eine Quälerei, denn ich hatte eigentlich keine Zeit dazu. Die Geschichten taugten daher auch nichts. Sie wurden lust- und freudlos hingehauen um des lieben Geldes willen. Schlechte Arbeit!

Aber das war noch gar nichts.

Eines Tages schleppte mich der Ostpreuße nach dem Norden Berlins. Das Ziel war ein richtiges Berlin N.-Haus, ein großer Kasten mit fünf Stockwerken. Wir kletterten vier Treppen hinauf –

Ein Männchen kletterte von seinem hohen Kontorbock herunter.

»Sehr angenehm!« sagte er. »Ich habe es mir doch gedacht, daß Sie die Sache machen würden, Herr M–. Der andere Herr?«

»Herr C–! Mein Kompagnon!«

»Sehr angenehm! Aber das sage ich Ihnen: Geschäft ist Geschäft. Manuskript am Freitag abend um acht. Und keine von Ihren Zimperlichkeiten! Ich brauch' Leichen! Blut wollen die Leute sehen! Und echte Liebe muß dabei sein – nichts Modernes. Gott, aber wem sag' ich denn das? Se wissen doch –«

»Und wie ist das mit –?«

»Wie heißt mit? Streng solide! Jede Woche Manuskript für 'n Doppelheft und dafür sechzig Mark. Abgemacht? Is' schön. Machen wir schriftlich. Zuerst muß die Schinderhannes-Geschichte fertig gemacht werden. Der Verfasser ist krank geworden.«

»Liegt ein Arbeitsplan vor?« fragte M.

»Gott, wie können Sie fragen? Wozu braucht der Künstler einen Arbeitsplan! Der vorige machte das immer mit dem Koppe. Also, nächsten Freitag!«

Hierauf wurde ein Vertrag unterschrieben und dann händigte uns das Männchen vier knallgelbe dünne Hefte ein; den Anfang des Schinderhannes –

»Sie sind verrückt!« sagte ich zu M. »Was soll das?«

»Das soll etwas Geld bringen, mein Lieber. Das Zeug schreiben wir jede Woche in drei Stunden. Außerdem erwerben mir uns ein literarisches Verdienst, denn sonst macht ein anderer den Mist noch viel schlechter!«

So wurde ich Lohnschreiber in der Kolportageroman-Branche.

M. und ich lachten uns halbtot bei der Arbeit. Aber ich wurde auch noch Lohnschreiber bei M. Denn ich mußte schreiben, während er Korn trank und sich dadurch zu wilder Liebe, geheimnisvollen Falltüren und schurkischen Untaten begeisterte. M. entwarf den Plan – das, was der vorige mit dem Koppe gemacht hatte – und ich hatte die Ausführung im Detail. Da der Ostpreuße außer anderem auch den Korn im Kopfe hatte, so gab es gelegentlich Verwirrung. Das Männchen schrie einmal Zeter und Mordio, weil die im vorletzten Heft mit Arsenik gemeuchelte polnische Gräfin im neuen Heft schon wieder ihren Rappen zu satteln befahl. So gewitzigt, schrieben wir die Namen unserer Figuren auf Holzklötzchen und beerdigten die Toten sofort in einer leeren Zigarrenkiste. Der unangenehme Zwischenfall wurde übrigens dann im nächsten Kapitel durch Scheintod leicht und überzeugend erklärt ...

Den Schinderhannes machten wir fertig.

Dann hörten wir auf. Die Spesen in Korn waren zu hoch, denn schließlich hatte ich angefangen, mitzutrinken.


Auch bei den Geschichten kam nicht viel an Geldeswert heraus. Meine Schulden wurden unangenehm. Die häßlichen Begleiterscheinungen kamen, mit denen Leute rechnen müssen, deren Soll und Haben nicht übereinstimmt. Der Kassierer der Zeitung schnitt ein Gesicht, wenn ich den wieder einmal bewilligten Vorschuß abholte, und in mir selber sammelte sich eine Wut zurecht, so eine richtige, platzige, unvernünftige Wut, die menschlich wenig schön war und für meine Arbeit vom Übel. Den Mund hätte ich aufmachen müssen! Reden hätte ich sollen! Denn gewiß und wahrhaftig – ich konnte nichts dafür. Ich lebte eigentlich nur für die Zeitung. Das ist nun sehr lustig, wenn man das so behauptet. Wenn irgend einer von den Menschen von damals das nun liest, so stellt er vielleicht die Gegenbehauptung auf: Wenn Sie schon so begeistert waren, dann hätten Sie ja auch im Interesse der Zeitung und Ihrer selbst etwas billiger leben können ... Ich aber war jedenfalls geladen. Der äußere Anlaß zum Krach war eine Kleinigkeit. Der alte Buchhalter beugte sich wieder einmal über den Zettel, auf dem meine Auslagen verzeichnet waren, und schüttelte wieder einmal den Kopf.

»Nee, det jeht doch nich' – det jetzt aber doch nich'!«

»Quatsch!« sagte ich. »Himmeldonnerwetter – Quatsch!«

»Na, na, na – et jeht aber doch wirklich nich'!«

»Zum Donnerwetter, soll ich euch die Neuigkeiten umsonst herbeiführen? Haben Sie überhaupt eine Ahnung, was das heißt? Wissen Sie, mit welchen Ausgaben meine Arbeit verbunden ist?«

»Ja – da müssen Sie schon beim Verleger –«

Und da stürmte ich schon wütend davon, schnurgerade in das Heiligtum. Dort spitzte sich die Angelegenheit sofort scharf persönlich zu. Mein Vorschußkonto sei doch sehr unerfreulich. Man habe da überhaupt so allerlei gehört. – Gewiß, sehr zufrieden mit der Arbeit – sehr fleißig – ja, sehr zufrieden! Aber es müsse doch darauf gedrungen werden, daß die persönlichen Verhältnisse sich mehr dem Einkommen anpaßten – und so weiter – und überhaupt – »Jetzt aber rede ich!« sagte ich und fing an – Es ist manchmal so im Leben. An wichtigen Kreuzungen: Da rennt man blindlings los. Der Mann im Heiligtum hatte bis zu einem gewissen Grade recht, und ein feines Ohr hätte vielleicht heraushören können, daß das alles nicht so schlimm war. Wäre ich weniger jung gewesen damals und weniger geplagt, so hätte ich wohl den Ton gehört, auf den es ankam. Der Mann war Zeitungsmann mit Leib und Seele und meinte es sicher gut. Ich aber redete mir den aufgesammelten Druck in einem Zug von der Seele. Der andere kam gar nicht mehr zu Wort. Auch das hätte wieder eingerenkt werden können. Denn dieser Verleger hatte nicht nur Kopf sondern auch Herz. Ich aber kam gar nicht auf diesen Gedanken. Ich sah meine Schiffe verbrennen. Ich war fertig mit der Zeitung. Ich wurde jetzt doch entlassen – da ging ich lieber selbst. Ich stürmte aus dem Zimmer. Das Haus betrat ich nie wieder.


Aus! Ich lief durch die Strafen. Ein furchtbarer Haß stieg in mir auf gegen dieses Berlin. Mitten über dem wimmelnden Menschengedränge breitete es sich wie Eiseskälte. Der schnoddrige Witz da, der im Vorbeigehen an das Ohr drang, klang ekelhaft. Diese Stadt war kalt und freudlos. Wenn im Theater ein neues Stück aufgeführt wurde, dann mühten sich noch in der gleichen Nacht zwanzig Köpfe emsig, nicht das Gute zu suchen, sondern zerpflückend und zerfasernd mit ätzendem Spott und zersetzendem Witz das Schlechte herauszuschnüffeln. Die Stadt war hart und erbarmungslos. Ihre Menschen waren wie die Stadt; halb, wie die Portionen in ihren Restaurants, unecht, wie die Goldpracht in ihren Vergnügungslokalen, wie der falsche Schein ihrer Kleidung, für die sie alles opferten, um nur die andere Hälfte vorzutäuschen, die sie nicht besaßen. Berlin war die Stadt der Talmikavaliere, die mit Talmidamen in Talmivornehmheit bei Kempinski speisten. Der geniale Kempinski hatte Berlin begriffen. Bei ihm gab es halbe Delikateßportionen und winzige Fläschchen Burgunders und Sekt in Achtelflaschen. Kempinski lieferte die schäbige Eleganz. Er setzte den Lebemann, der die Portokasse verwaltete, instand, am nächsten Morgen nachahmend zu näseln –

»Gestern wieder mal Sekt getrunken! Kaviar war nicht ganz tadellos.«

Es kam hier auf die Täuschungen an und auf das Blenden. Herrgott, wie war das alles widerwärtig! Gewitzt mußte man sein in dieser Stadt. Hier galt das schnelle Zugreifen; auf den ichsüchtigen Hintergedanken bei jeder Handlung und bei jedem Tun mußte man bedacht sein, an jedem Tag und in jeder Stunde. Ein Gerissener mußte man sein, wenn man hier bestehen wollte. Diese Berliner hatten eine Falltüre, wo bei anderen das Herz saß. Herzensgefühle waren in Berlin Geschäftsobjekte für Theater und Film. Auf der Hut mußte man sein. Man durfte sich nicht in Begeisterung wegwerfen an eine Aufgabe. Nicht für das Morgen durfte man arbeiten; in Berlin galt nur das Heute. Ein Narr, der in dieser widerwärtigen Stadt begeistert zu sein sich unterfing; ein Dummer, der in Berlin sich das Glück vom Himmel herunterholen wollte. Das, was der Berliner das Glück nennt, das Geld, das wurde in Berlin herausgekratzt aus dem großen Schmutzhaufen. Und, bei Gott, diese brutale Gesellschaft war nicht einmal echt in ihrer Brutalität. Man schlug nicht ins Gesicht, sondern man stellte von hinten das Bein. Wer fiel, der bekam noch einen Tritt. War man über eine Leiche gegangen, so war ein schleimiger Börsenwitz die Leichenpredigt. Wollte man einen erschlagen, dann kaufte man seine Wechsel auf. Auch die Berliner Brutalität war ja bloß eine halbe Portion. Es war keine starke, ehrlich rohe Brutalität, die mitten ins Gesicht schlug; nichts Kraftvolles. Diese Brutalität schlich schlau auf Hintertreppen. Sie liebte kleine und gemeine Mittel. Da war die Freundschaft halb – die Feindschaft klug verschleiert – da mochte sich der Teufel auskennen! Der Haß fraß sich in mich hinein damals unauslöschlich; in wenigen Stunden. Er war einseitig und häßlich. Er sah nur die Grellheiten und die Niederträchte. Er konnte weder die gewaltige Arbeitsleistung dieser Stadt, in der immer und emsig gearbeitet wird, richtig einschätzen, noch die wirklichen Werte des einfachen, schlicht bürgerlichen Berliners. Trotz dieser Erkenntnis ist ein guter Teil des Hasses mir geblieben bis auf den heutigen Tag. Er soll mir bleiben. Mehr noch als damals ist heute das Kennzeichen Berlins die Halbheit, die hinterhältig schleichende Brutalität. Es kommt auch heute nichts Gutes aus diesem wüsten Steinhaufen, in dem halbe Menschen halbes Zeug reden, und reden, und reden –

Und ich lief stundenlang durch Straßen. Was sollte ich nun anfangen? Da war noch Vorschuß; zum Teufel mit dem Vorschuß. Da waren noch Schulden; zum Teufel mit den Schulden! Die bezahlte man ein andermal. Jedenfalls: Zur Hölle mit Berlin! Zur Hölle mit der Berliner Zeitung! Fort, nur fort ...


Und am gleichen Abend schlich ich mich mit meinem Köfferchen zum Bahnhof. Es kostete nicht viel Geld damals, nach London hinüberzufahren. Nach London wollte ich. Eigentlich wollte ich nach Amerika zurück. Eine Sehnsucht war in mir aufgestiegen nach der kalten, echten Brutalität Amerikas, die simpel war wie das Einmaleins. Man leistete: dann ging es. Man leistete nicht: dann verreckte man. In Berlin genügte die Leistung nicht zum Erfolg. Man mußte Hinterhalte haben und Hintertüren kennen.

Berlin war nicht fair.

Hier schlichen die Gedanken auf Galoschen. Da konnte ich nicht mit.

Aber das Geld langte nur nach London. Auch in London sprach man wenigstens derbes Englisch; London konnte mir immerhin Ersatz für Amerika sein. Ich mußte weg von diesem Berlin nicht nur, sondern vom deutschen Land überhaupt. Es kam mir vor, als hätte ich wirklich Perlen gegeben und sie vor die Säue geworfen. Man ist nie anmaßender als im Zorn; und sei auch der Zorn gerecht. Das war ja kein Kampf gewesen, so schrie es in mir, sondern eine Nepperei. Ich hatte alles hergegeben und ich hatte alles zu bezahlen. Ich war der Dumme. Herrgott, laß mich gemeines grobes Englisch hören! Da weiß ich doch, woran ich bin.

Über Vlissingen fuhr ich nach London. Die lange Nacht hindurch saß ich in einer Ecke des Abteils. Das Stoßen der Räder tat mir weh. Zerbrochen! So sang das Räderlied, verspielt, genarrt, erledigt. – Dann wieder richtete ich mich auf und biß die Zähne zusammen:

Aber ich bin wenigstens weg von Berlin. Lieber verrecken!


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