Erwin Rosen
Allen Gewalten zum Trotz
Erwin Rosen

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Zeitungsmann in Hamburg

Mit vollen Segeln! – Wie eine Zeitung entsteht. – Die Setzmaschine, der Metteur. – Der Plattenguß, die Rotationsmaschine. – In toten Dingen kann sich die Seele spiegeln. – Der sausende Arbeitstag des Redakteurs. – Die Stellung des deutschen Zeitungsmannes. – Fehler und Vorzüge der deutschen Presse. – Die Notwendigkeit des Nachrichtendienstes. – Die nationale Zeitung meines Traumes. – Vom zu vielen Müssen ...

Ich stand auf dem schmalen düsteren Gang, von dem alle Räume des Zeitungsbetriebes ausstrahlten, die Zeitungsluft in mich einsaugend wie trockener Schwamm Wasser aufsaugt.

Die Arbeit brüllte, schrie. Keine zehn Meter war der schmale Gang lang, aber von rechts rasselte das Geklapper von Setzmaschinen, von links dröhnte das Stimmengewirre der Expedition, durch eine geöffnete Flügeltüre glänzte der blanke Stahlleib der großen Druckmaschine, und in der Mitte drangen durch die niedrigen Türen in der Bretterwand Stimmen aus dem Verlegerzimmer und dem Redaktionsraum. Die Dinge und die Menschen waren eng aneinander gedrängt; die ganze Zeitung, mit allem, was dazu gehörte, war in das Erdgeschoß des schmalen Hauses hineingepackt. In der Redaktion, in einem Zimmer, das höchstens sechs Meter im Geviert umfaßte, stand ein einziger großer Tisch, mit einem bücherbepackten Gestell in der Mitte als Scheidewand. An diesem einen Tisch arbeitete die gesamte Leitung des Blattes; die Chefredaktion – die war zugleich äußere und innere Politik – das Feuilleton, der lokale Teil, die neuesten Nachrichten. Trübe Fenster gingen auf grauen Hof. Stühle waren bepackt mit bedrucktem Papier. Der Tisch trug eine Last von Zeitungen und Büchern, von Tintenfässern und aufgetürmten Manuskripten, von Leimtiegeln. Scheren, umhergeworfenen Papierblättern. Durch die dünnen Bretterwände hörte man jedes Wort, jeden Ton. Aber ich würde mich mit Wonne in eine Kiste gesetzt haben, hätte die Zeitung es verlangt!

Der Chefredakteur saß vor einem Stoß Zeitungen, als ich in das Zimmer trat, und las mit der hetzenden Eile des Zeitungsmenschen. Ritsche, ratsche, schnitt seine Schere, und eine Zeitung flog auf den Boden.

Verbeugungen.

»Seien Sie willkommen in diesem Schweineloch!« sagte der Chefredakteur. »Vielleicht sehen Sie sich zunächst einmal um und übernehmen morgen Ihr Ressort –«

Verbeugungen. Händeschütteln. Ein paar Worte der Höflichkeit.

So! Nun hatte ich die Zeitung wieder! Mein Lebensschiff war wieder flott und steuerte mit vollen Segeln in den Strom; in den großen Strom, der in das Land meiner Sehnsucht floß.


Herrgott, das bedeutete mir das Leben! Wie es da roch in dem Setzersaal – nach dem heißen Blei in den Schmelzkesseln der Setzmaschinen, nach dem nassen Papier und der Druckerschwärze der Bürstenabzüge, nach erhitztem Maschinenöl. Wie sie sausten, da droben an der Decke, die Treibriemen! Wie sie huschten und pickten in den Setzkästen, die flinken Finger der Handsetzer! Welche Eile in allem lag. welche Bewegung, welche Arbeit!

Das roch gut. Von diesem Geruch hatte ich immer wieder geträumt; in Sehnsucht.

Ich stellte mich neben Setzmaschinen hin, sprach mit den Arbeitenden, ging hinüber in die Druckerei, stieg hinunter zum Stereotypeur in den Maschinenraum. Ich mußte wieder mit Augen sehen, wie die Zeitung entstand ...


Die Setzmaschine. Der Setzer, wie auf einer Schreibmaschine schreibend, drückt auf eine Taste. Der Tastendruck löst die Matrize oben im Matrizenkasten aus und blitzschnell saust das Messingstück mit dem Negativ des Buchstabens durch seine Rinne – der Vorderteil der Setzmaschine ist ein Gewirr von solchen Rinnen – herunter, läuft in die Hauptrinne, und fällt in den Zeilenkasten. Auf den nächsten Tastendruck kommt wieder eine Matrize gesaust, gliedert sich an, und dann wieder eine, und noch eine, und mehr. Die Zeile ist jetzt, in Negativen, fertig. Nun drückt der Maschinensetzer auf einen Hebel. Geheimnisvolle Stahlfinger ziehen die gesetzte Zeile nach rückwärts. Dort ergießt sich in die Matrizen flüssiges Blei. So entsteht ein Bleiguß: die maschinengesetzte Zeile in einem einzigen Streifen Blei. Ein anderer Maschinengriff schiebt die Buchstabenstreifen in kühlendes Wasserbad und wirft sie dann in ein Kästchen auf der linken Seite der Maschine. Ohne Unterlaß klappern die Tasten, rasseln die Messingmatrizen in den Rinnen. Immer neue Schriftplättchen eilen in das Kästchen. Setzer und Maschine brauchen zusammen zu einer Zeile etwa vierzig Sekunden.

Ich hätte die rasselnde Maschine streicheln mögen.

Ich trat an den langen Metteurtisch. Auf einer Zinkplatte sammeln sich die fertigen Zeilen. Die Setzer liefern dort auf einzelnen Platten ihre fertige Arbeit ab: Die einzelnen Teile des Zeitungstextes. Platte neben Platte, Artikel neben Artikel, wird auf den Tisch hingeschoben. Nun setzt die Arbeit des sogenannten Metteurs ein. Der Metteur ist ein wichtiger Mann. Er hat alle Abteilungen der Zeitung im Kopf, er kennt jedes Stückchen Manuskript, er hat den Setzern die Arbeit angewiesen, er allein verkehrt mit der Schriftleitung, er muß hexen können und aus jeder Zeitminute drei Arbeitsminuten machen. Ein richtiger Metteur hat ein erstaunliches Gedächtnis, Nerven wie Stahl, und fünfmal soviel Finger wie andere Menschen. Seine Hauptarbeit heißt »das Umbrechen«. Die Schriftleitung hat, wie täglich, den »Spiegel« geliefert: Die Reihenfolge aller Artikel, Nachrichten, und Notizen. An diesem Spiegel erlebt der Metteur täglich, wie hart sich die Dinge im Raum stoßen. Dieser Leiter ist zu lang, jenes Telegramm zu kurz; von seinem Raumstandpunkt aus. Er muß ausgleichen. »Umbrechen« ist die Zusammenfügung der Satzstücke zu der Zeitungsseite. Mangelnder oder überflüssiger Raum muß durch Größe der Überschriften und Abstände der einzelnen Artikel voneinander geregelt werden. Ist das geschehen, so wird die fertige, umbrochene Seite in einen Metallrahmen gespannt und ist nun bereit für die Stereotypie.

Nach jeder fertigen Seite atmet der Metteur erleichtert auf. Wieder hat er im Kampf mit Zeit und Raum gesiegt. Dieser Kampf ist ihm tägliches Brot. Er freut sich schon, wenn einmal ausnahmsweise nicht im letzten Augenblick noch ein wichtiges Telegramm kommt, das unbedingt auf die erste Seite muß und so seine ganze Arbeit umwirft. Aber auch dieser Schwierigkeit wird er Herr, der Metteur; denn er denkt nicht wie andere Menschen –er denkt in Rechtecken, aller Größen. Er löst täglich das Flächen- und Raumproblem der Zeitungsseite. Von seiner Leistung weiß nur der Fachmann. Der Zeitungsleser nimmt es als selbstverständlich hin, daß weder eine Zeitungsseite ein weißes, rechteckiges Loch hat, sondern restlos gefüllt ist, noch Zeilen in die weiße Umrandung der Zeitungsseite unten hineinragen ...

Die fertige Zeitungsseite kommt zum Stereotypeur.

Der haust gewöhnlich im Keller, möglichst in der Nähe der Rotationsmaschinen. Auch er muß sehr schnell arbeiten. Wenn er die Zeitungsseite erhält, prüft er, ob auch die Klammern festsitzen, die den fertigen Seitensatz in seinem Metallrahmen festhalten. Dann legt er auf die gesetzte Seite Schicht auf Schicht dünnes feuchtes Reispapier. Zwischen die einzelnen Papierbogen kommt Kleister. Diese bedeckende Schicht klopft er zuerst mit einer Bürste und dann mit einem Holzhammer in den Satz hinein. Die Papierschicht wird zäh und fest. Wenn er sie abnimmt, ist die Letternschrift in sie eingeprägt, deutlich lesbar wie eine Zeitungsseite. Das ist seine Matrize. Sie wird einige Minuten lang in einen Trockenofen gelegt und sieht jetzt aus wie ein festes, starkes Stück Pappe. Das Stück Pappe kommt in den Ofen. Das ist eine einfache Maschine. Die Matrize kommt in eine aufklappbare Trommel hinein und wird durch das Schließen der Trommel gezwungen, die Form eines Halbkreises anzunehmen. Ein Hebeldruck, und über die Matrize ergießt sich die Legierung aus Blei und Zinn, die den genau berechneten Zwischenraum zwischen Trommelwand und Matrize ausfüllt. Die Trommel wird abgekühlt. Das Stereotyp ist fertig; eine im Halbkreis gebogene, rechteckige Platte, silberig glänzend, die genau auf die zylindrische Walze der Rotationsmaschine paßt.

Die Platte wird nun eilig in den Maschinenraum gebracht.

Dort steht die große Rotationsdruckmaschine. Ein Ungetüm. In Beton eingebaut.

Der Maschinenmeister schiebt die Stereotypplatte auf eine der Walzen ... Die Zeitungsmaschine ist ein Wunderwerk. In Sekunden erfüllt sie so viele verschiedene Aufgaben, daß das Auge nicht zu folgen vermag. Da ruht an ihrem einen Ende auf stählerner Achse die weiße, zentnerschwere Rolle des »endlosen« Papiers. Von dort strebt das breite Papierband hinauf zu Rollen und Walzen. Es läuft, während die Maschine donnert, daß der Boden bebt und das Haus erzittert, sausend schnell über die schwirrenden Stahltrommeln, an denen die Stereotypplatten befestigt sind. Ein System von Gummiwalzen führt den Druckplatten die Druckerschwärze zu. Es dröhnt, schnurrt, klopft, pocht. Jetzt ist der dahinsausende Papierstreifen auf beiden Seiten bedruckt. Er wird im Dahineilen getrocknet. Nun greifen Stahlhände nach ihm. Sie schieben ihn zu Messern und Falzvorrichtungen, die ihn zerschneiden, und die abgeschnittenen Blatter falzen. Und jetzt wird die fertige Zeitung, am anderen Ende der Maschine, hinausgeschleudert, in einen großen Holzkasten, und dabei automatisch gezählt ...

Der Maschinenmeister mag sich gewundert haben über den sonderbaren Kauz, der seine Maschine so verliebt betrachtete und so komisch die Stahlflächen, die Messingstangen, die Rollen und Walzen betastete. Wie feine Fäden umwoben mich Erinnerungen. Leise, lieb, lustig flogen sie vorbei. Die erste große Rotationsmaschine hatte ich in St. Louis gesehen. Ihr dicker Maschinist pflegte uns zu ermahnen, wir sollten uns ja nichts einbilden. Zeug schreiben könne jeder! Aber diese Maschine zu beherrschen, mit allen ihren Nücken und Tücken – das könne nur er! Dann war da die Rotationsmaschine in San Franzisko, und eine in New York, und die in Berlin, in dem glitzerigen Maschinensaal mit den hellen Lichtfluten –

Sie ist mir treu geblieben im bunten Leben, diese Liebe. Ich kann heute noch keine Zeitungsmaschine sehen, ohne gerührt Stahlteile zu streicheln und unsinniges Zeug zusammenzuträumen. Man liebt nicht nur Menschen. In toten Dingen kann sich die Seele spiegeln.


Der auf enge Fläche zusammengedrückte Betrieb, mit den wenigen Menschen, mit der starken Vereinfachung, gab klarsten Überblick. Man sah die Zeitung, wie sie war. Denn die Zeitung ist lebendig wie ein menschliches Wesen. Sie hat Hunger, sie bedarf der Liebe, sie hat Nerven, sie braucht Muskeln; sie atmet und lacht, weint und kämpft. Sie hat ihre Grenzen, sie stöhnt unter ihren Unzulänglichkeiten. Wie ein Mensch ...

Der Tag begann mit Zeitungslesen. Zeitungsmenschen sind aufeinander angewiesen wie kaum sonst Arbeiter in irgend einem anderen Beruf der Welt. Sie regen sich an, zeigen sich gegenseitig die Mängel, nehmen von einander. Hamburger, Berliner, Münchener, Wiener Blätter, die großen Provinzzeitungen der Nachbarschaft mußten gelesen werden, mit der Schnelligkeit, die zum Beruf gehört. So informierte man sich rasch über das, was die anderen meinten, dachten, wollten, oder nicht wollten. Man mußte im Bilde bleiben, mußte wissen, was los war.

Dann kam das eigentliche Handwerk. Der tägliche Rohstoff mußte gesichtet werden. Um manches brauchte man sich nicht zu bekümmern. Der Roman war schon im voraus gesetzt. Der Börsenbericht traf von selber ein, der Polizeibericht war sicher. Das Wolff'sche Telegraphenbüro lieferte drei Spalten, wenn nicht ein Erdbeben sämtliche Telegrafenleitungen über den Haufen warf. Irgend ein Feuilleton war da. Mitteilungen von kommunalen Behörden fehlten nicht. Auf dünnem Schreibmaschinenpapier stand da der Reichstagsbericht. Ein fleißiger Mann in Paris schickte etwas über Delcassé. Eine Telegraphenagentur ergänzte den Wolffbericht. Die Korrespondenzen schrieben geschäftig. Das waren die Geschäftsleute der Feder, die gegen Zeilenhonorar oder auf Abonnement mit Neuigkeiten handelten. »S. & H.« war die Firma, die über sämtliche große Prozesse in Deutschland glänzend berichtete. »F.« war der Konkurrent, der aber als Nebenspezialität noch alle großen Versammlungen ausschlachtete; Bund der Landwirte, Kongreß der Frauenrechtlerinnen, Jahresversammlung der Bierbrauer. »G. K.« war die gesellschaftliche Korrespondenz, die der Zeitung das »Vermischte« lieferte. Andere hatten Beziehungen zum Kriegsministerium, wieder andere zum Marineministerium. Nun schrillte der Fernsprecher. Der Mann in Berlin meldete, der Mann in Lübeck berichtete, der Mann in Hannover hatte eine Sensation. Ein vier Spalten langer Bericht einer enthusiastischen Dame über die Sitzung des Vereins zur Bekämpfung der Männer lief ein. Eine Varietétänzerin versuchte in einem höchst gerissenen Schreiben, sich eine Reklame im redaktionellen Teil zu erschinden. Der übliche Anonymus schimpfte über den gestrigen Leitartikel. Der Gastwirt Meier schrieb empört, er sei mit dem Raubmörder Meier »nicht identisch«: er hieße Gustav August Eugen! –

Die Zeitung wurde geboren.

Vier Männer saßen um den großen Tisch, qualmten wie Schlote, und schufteten wie Nigger.

»Hier, Herr C., das geht Sie an – nee, nehmen Sie das mal. Herr B. –«

Maschinenbeschriebene Blätter flogen von Platz zu Platz, Rotstifte strichen, Federn schrieben eilig Überschriften. Dieser Wirrwarr, der einen Durchschnittsmenschen verrückt gemacht haben würde, dauerte aber nicht lange. In den Wust von bedrucktem und beschriebenem Papier kam Ordnung. Jeder der Redakteure entschied, wie der Teil der Zeitung, den er leitete, heute aussehen sollte.

So wurde das von anderen gelieferte Material verarbeitet, redigiert. Und nun schrieb man selbst.

Der Politiker baute seinen Leitartikel, der Feuilletonist feilte an seiner Theaterbesprechung, der Lokalredakteur bebrütete irgend eine Angelegenheit der Stadt. Es wurde geschrieben, telefoniert, hastig weggelaufen, eine Nachricht zu ergänzen, eine Information einzuholen. In Hast wuchs Zeile um Zeile die Zeitung. Der Tag von gestern griff über. Am Abend hatte Naumann in einer politischen Versammlung über Kaisertum und Weltpolitik gesprochen. Hinein mit dem Bericht! Jetzt auf die Polizei. Das Polizeimaterial wurde bearbeitet, in die deutsche Sprache übersetzt, sozusagen, und durch persönliches Erkundigen rasch ergänzt, wenn die Sache wichtig war. Neue Depeschen laufen ein. In Venezuela ist eine Revolution ausgebrochen. Jetzt aber schnell zum Prozeß der Engelmacherin. Der Metteur wird rasch verständigt, daß er hundertfünfzig Zeilen Platz aufhebe, der Bote instruiert, um zwölf Uhr und um ein Uhr Manuskript aus dem Schwurgerichtssaal abzuholen –

Und nun erzittert plötzlich der Raum. Ein ungeheures Dröhnen verschluckt die hundert anderen Geräusche. Die Rotationsmaschine läuft –

Die Zeitung ist geboren.

Die Maschine lärmt tosend. Doch man hört es gern, das Gelärme. Man lehnt sich bequemer zurück in den Stuhl, man liest in Ruhe das feuchte Zeitungsexemplar, das sofort hereingebracht wird, kramt ordnend und planend in den Papieren auf dem Tisch.

Aber ein neuer Arbeitstag ist schon wieder angebrochen, in dem Augenblick, da die erste Zeitung aus der Maschine sprang. Vor dem geistigen Auge gestaltet sich das neue Zeitungsbild in rohen Umrissen. Das Gehirn überlegt:

»Morgen wieder ins Schwurgericht. Heute nachmittag Stapellauf des neuen Hapagdampfers. Heute abend Abfahrt des Truppentransports nach Südwestafrika ...«

Man raucht, plaudert. Aber während der Chefredakteur über die Rede des Fürsten Bülow spricht, und das ist des Hörens wert, denkt man unwillkürlich an die internationale Hundeausstellung, die am Samstag im Hippodrom eröffnet werden wird. Das mußte doch hübsch sein, das Gehaben der Möpse, Pinscher, und Teckel! Jawohl, das war ein guter lokaler Leiter; das war eine Idee. Man war immer auf der Jagd nach Ideen. »Ich habe am Donnerstag gleichzeitig Schauspielhaus und Thalia!« sagt der Feuilletonist bekümmert.

»Schön, dann übernehme ich die Thaliakritik.« erklärt der Chefredakteur. »Bürgerschaft nicht vergessen!« fügt er hinzu.

»Aber ich muß doch über den Truppentransport schreiben!« werfe ich entsetzt ein.

»Richtig, das ist wichtiger – dann schreibt Herr B. die Bürgerschaft –«

»Na, Mahlzeit, meine Herren!«

»Mahlzeit!«


Klar und lebendig steht das Bild in der Erinnerung.

Der düstere Raum. Der große Tisch. Die eilig kritzelnden Menschen. Die Hast. Ich lächele über die Schere, den Kleistertopf, die zusammengeklebten Depeschen, die Reporterstückchen, die täglichen Federbildchen, das Gerenne zum Gerüsteinsturz, zur Mordstelle, zur Protestversammlung, zum Theater. Aber das Lächeln verschwindet im Entstehen; über alte Liebe lacht man nicht. Die dicken groben Striche des Bildes nehmen andere Bedeutung an. Das Federbildchen, das im Tag zerflatterte, war ein kleines Kunstwerk gewesen; das Reporterstück, das hunderttausend Menschen gierig lasen, so schnell sie es auch vergaßen, hatte eine Energieleistung musterhafter Arbeitslust erfordert: das Gerenne hatte höchste Pflichterfüllung bedeutet. Der Lärm und die Fixigkeit, die Hast und das Handwerksgetue, das war doch nur grober Vordergrund, denn erst in der großen Gesamtwirkung ergaben die grellen Farben das Bild der Zeitungsarbeit; mit ihrem Wissen und ihrer Entwicklung, ihrem künstlerischen Schauen, ihrer Macht und ihrer Verantwortung, ihrer Selbstlosigkeit und ihrer Hingabe! Und er wird hell im Rückschauen, der düstere Raum! Es ist hell, wo Wissen und Wollen. Kraft und Streben wirken.


Entwicklung und Fortschritt wünsche ich der deutschen Zeitung, die das deutsche Volk so nötig braucht, wie Brot, Arbeit, Einigkeit.


Sie hat schwer gekämpft auf ihrem Weg; schwerer als die Zeitung in anderen Ländern kämpfen mußte. Die Gründe sind verschiedener Art. Am schärfsten treten die Schatten im Zeitungsbild beim Zeitungsmann selbst hervor:

Der Journalist wandelte in Deutschland immer auf dornenvollem Pfad. Er stand in dem Klassengerüst der gesellschaftlichen Struktur von jeher auf unsicherem Brett. Er war weder Kaufmann, also kein Vermögen besitzend, noch war er Beamter, also über kein geregeltes Einkommen und gesicherte Lebensstellung verfügend. Den Mund zugemacht also; die Taschen zugehalten! Man muß mit bitterem Lächeln feststellen, daß niemand dem deutschen Zeitungsmanne half, und daß er sich den Weg für seine Leistung von jeher buchstäblich Schritt für Schritt erkämpfen mußte. Vom großen Friedrich an, der zwar in der Theorie die Gazetten nicht genieret haben wollte, in der Praxis jedoch den »Schmierfinken« mit derbem Krückstock tüchtig auf die Finger klopfte, bis zu Bismarck, der das Zeitungsgelichter auf den Tod nicht ausstehen konnte und das gefährliche Wort von den »verfehlten Existenzen« prägte; vom siebziger Krieg, wo englische Kriegsberichterstatter im deutschen Hauptquartier bevorzugt wurden, bis zu den Unerfreulichkeiten der Behandlung der Presse im Großen Krieg war der Weg des Zeitungsmannes ein Leidensweg. Er wurde in Ministerien nur nach Überwindung großer Schwierigkeiten endlich glücklich von einem Regierungsrat empfangen. Verständnis für die Macht und die Würde der Zeitung ist selten gewesen bei uns. Der Vertreter der Times in Berlin, der Mann vom New York American, der Korrespondent vom Popolo Romano, jawohl, das waren wichtige Persönlichkeiten, denen man wichtige Informationen gab, die sich – der deutsche Zeitungsmann dann aus der fremden Zeitung übersetzen konnte! Das ist in den bösen Zeiten von heute eher noch schlimmer geworden. Reichskanzler machen zwar gelegentlich Verbeugungen vor der Presse, am tiefsten vor ihrer Parteipresse, aber wenn sie einmal etwas sagen wollen, das in der Welt widerhallen soll und nicht gerade für Reichstag oder formale Regierungserklärung sich eignet – dann sagen sie es Monsieur Sauerwein vom Pariser Matin! Oder einem – Engländer! Oder einem Amerikaner! Und man braucht doch wahrlich nicht deutscher Minister zu sein, um zu fühlen, wie töricht und unwürdig das ist! Gibt Lloyd George den Münchener Neuesten Nachrichten ein Interview? Würde Briand zum Vertreter der Hamburger Nachrichten sprechen? Würde ein amerikanischer Staatsmann auf den Gedanken kommen, daß die Zeitungen seines eigenen Landes nicht gut genug wären zur Verbreitung seiner Gedanken?

Nur wir machen das; nur wir!

So mußte und muß sich auch der wirkliche und bedeutende deutsche Zeitungsmann, der schwere Verantwortung trägt, der Meinungen beeinflußt, neue Meinungen bildet, der ein Wissenschaftler ist, ein Schöpfer, ein Führer, mühevoll Schritt für Schritt seine Stellung erobern im öffentlichen Leben, in der Gesellschaft, unter den anderen Berufen. Dieser Mann, dessen Fähigkeiten auf kaufmännischem Gebiet ein ungeheures Einkommen wert wären, müht sich um kärglichen Lohn. Wenn er auf seine alten Tage nicht hilflos dastehen will, krank an der frühzeitigen Arterienverkalkung, die eine Sonderkrankheit des aufreibenden Berufs ist, muß er sich versichern. Noch heute sind die großen Gehälter im deutschen Zeitungsland mühelos an den Fingern der beiden Hände abzuzählen –


Die Schatten im Wesen der Zeitung sind schwieriger zu erkennen:

Ein Vergleich mit der Weltpresse ergibt ein eigentümliches Bild. Bei uns überragt stets die rein geistige oder künstlerische Leistung. Die Theaterkritik steht bei uns auf einer Höhe wie nirgendwo in der Welt. Das deutsche Feuilleton ist durchschnittlich von einem künstlerischen Wert und einer Vielseitigkeit, die das Feuilleton einer englischen, französischen oder italienischen Zeitung armselig und minderwertig erscheinen läßt. In der Politik finden wir stark die kritische Linie vorherrschend und starke Neigung zum Regieren. Beides verhüllt häufig die Klarheit des Geschehens und erschwert das Verständnis für den Gang der Ereignisse. Ganz vernachlässigt sind bei uns die Nachrichten auf fast jedem Gebiet, das schnelle telegraphische Berichterstattung verlangt oder plötzliche Schwierigkeiten für die Beschaffung der Nachrichten bietet. Eine Zeitung, die groß und deutsch sein will, darf nicht nur auf die geistvolle Kritik gescheiter Köpfe an dürftigem Nachrichtenmaterial angewiesen sein, sondern muß Männern Geld zur Verfügung stellen können, die die Kunst verstehen, die für Deutschland wichtige Nachricht zu erkennen und herbeizuschaffen.

Wir wissen zu wenig von dem, was vorgeht.

Wer die Wertlosigkeit des deutschen Nachrichtenapparates erkennen will, der braucht nur die Meldungen des amtlichen Telegraphenbüros vom Beginn der Revolution bis zur Gegenwart aufmerksam noch einmal durchzulesen – und Entsetzen wird ihn packen ob dieser Planlosigkeit, ob dieser Unfähigkeit, die Lage zu erkennen, ob dieser herausgeklügelten Unterdrückung glatter Tatsachen. Es sind dann Versuche gemacht worden, den Nachrichtendienst zu verbessern. Ich selbst habe dabei erlebt, wie alles kläglich scheiterte und scheitern mußte in dem Wirrwarr des Deutschlands nach dem Krieg. Es ist noch nicht lange her, daß ich mir nüchtern ausrechnete: Wir konnten eben das Geld nicht aufbringen! Ich habe mir das seitdem anders überlegt: Unter all den wahnsinnig verschleuderten Milliarden wäre wohl auch noch eine Milliarde übrig gewesen für den deutschen Propaganda- und Nachrichtendienst. Es ist zwar in letzter Zeit so manches von regierenden Männern gesagt worden, das von Verständnis für den Wert der Zeitung zeugt. Das hat nicht verhindert, daß das amtliche deutsche Telegraphenbüro auch nicht um einen Deut besser geworden ist. Der Zeitungsmann selbst ist vielleicht um einiges besser daran; sein Gehalt steigt jetzt in automatischem Mitgehen etwa mit der Lohnsteigerung der Metallarbeiter. Auch kann der deutsche Zeitungsmann heutzutage sehr wohl Minister werden; wenn er sehr parteitüchtig ist. Aber die große deutsche Zeitung haben wir noch lange nicht!

Es ist wahrscheinlich, daß in der neuen Zeit der reinen Wirtschaftlichkeit auch die deutsche Zeitung erstarkt; wie alles Tüchtige im Laufe des Geschehens stärker werden muß. Ich, der alte Zeitungsmann, wünsche meinem Vaterland wirklich große und starke Zeitungen! Das Parteigetobe mag sich in dieser Zeitung meines Traumes auflösen auf der dritten oder vierten Seite, unter klar erkennbarer Parteiüberschrift. Auf der ersten Seite aber soll nur geschrieben stehen, was nach bestem Wissen und Erkennen grunddeutsch und grundehrlich ist.

Und vor allem liegt die Zukunft Deutschlands in den Funkentürmen, aus denen deutsche Nachricht hinausgeht in die Welt und Weltnachricht hereingeholt wird nach Deutschland!


Bei der Hamburger Zeitung hätte der Tag für mich sechsunddreißig Stunden haben müssen.

»Wer die Arbeit leicht nimmt, ist ein Narr!« sagte mir später einmal ein gescheiter englischer Verleger im Gespräch. »Wer aber die Arbeit zu schwer nimmt, ist doppelt ein Narr! Die richtige Mischung liegt in der Mitte. Sehen Sie sich erfolgreiche Leute an, und Sie werden finden, daß diese Leute immer noch sehr viel Zeit für sich selbst übrig haben ...«

» All work and no play makes Jack a dull boy,« – lauter Arbeit und kein Spiel stumpfen den Buben ab – sagt auch das amerikanische Sprichwort, und der Amerikaner ist wahrlich ein Schlemmer im Arbeiten.

Ich nahm die Arbeit sehr schwer. Ich hatte keine Zeit zum Spielen.

Immer schwang sausend mein Arbeitsrad.

Ich hätte Zeit zum Denken haben müssen über mich selbst, ruhige Stunden zum Erkennen und Abwägen. Es fehlte am inneren Gleichgewicht. Was mir so wichtig schien, war doch nur huschender Tag; was wirklich wichtig war, ging unter im lärmenden Strudel. Das war eine durchaus folgerichtige Erscheinung. Ich mußte doch die Elbe hinuntersausen mit dem Motorboot zum Finkenwärder Fischerkutter, den ich beschreiben wollte, mußte doch mit dem Automobil nach Cuxhaven, weil die Torpedobootsflotille ankam; mußte zu jedem Pferderennen, mußte in jede Bürgerschaftssitzung, mußte jetzt zum hamburgischen Senator eilen und dann zu einem Direktor der Hamburg-Amerika-Linie, mußte auf die Kaffeebörse hasten und zum Stapellauf des großen Dampfers – ich mußte einfach. Und ich mußte immer. Ich konnte gar nicht anders. Ich war so närrisch, mit Unmut und Eifersucht mich über die »guten Sachen« in der Zeitung zu ärgern, die ich nicht selbst geschrieben hatte. Ich kam mir sehr wichtig vor, und hielt mich wohl im Grunde meines Herzens für einen sehr großen Journalisten, dem bald, ganz bald, alle Türen sich öffnen und alle Hände sich entgegenstrecken würden. Wichtigtuerisch muß ich gewesen sein im geheimen Seelenkämmerchen, wie's Kasperle, wenn es mit dem Teufel kämpfen will. Einen Schlag nur noch, einen tüchtigen Schlag mit dem klappernden Holzschwert, und der Teufel war tot ... Eine ungeheure Gier nach Geltung und Erfolg hatte mich gepackt. Ich sah das Ziel. Alles andere war gleichgültig. Ich schrieb, ich hetzte, ich war der Korrespondent einer großen Berliner Zeitung, ich rannte sechsmal am Tag zum Ferntelefon, ich schrieb über Hamburg für Schweizer Blätter, ich war der Hamburger Mitarbeiter einer amerikanischen Zeitung. Ich war Hans Dampf in allen Zeitungsgassen. Ich arbeitete fast über Menschenkraft hinaus. Ich verdiente viel Geld. Die Erfordernisse dieser Arbeit kosteten aber noch mehr Geld. Das war gleichgültig. Mit diesen kleinen, nebensächlichen Rechnereien konnte und wollte ich mich nicht lange aufhalten, denn sie schienen mir unendlich belanglos. Denn morgen schon war ich der große Journalist; spätestens übermorgen. Und alle Türen öffneten sich dann weit –

Doch es kam anders.


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