Peter Rosegger
Sonnenschein
Peter Rosegger

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Die Fahnelträgerin

Am Ende leitet der Verein für Priesterschutz eine Verfolgung gegen mich ein, wenn ich wieder einmal einen schalkhaften Landpfarrer aufzeige. Ich habe an solchen Schalken im Talar halt einmal meine besondere Freude, es ist an ihnen so etwas Deutschderb-Christliches und seit Abraham Santa Clara hat mancher Eulenspiegel in der Kirche manche schläfrige Seele mit einem hellen Lachen aufgeweckt.

Da oben im Gebirge, in dem kleinen weltentlegenen Wildalpen, soll er gelebt haben, mein lustiger Pfarrer, ich habe ihn persönlich nicht gekannt, denke mir ihn aber als einen behäbigen ältlichen Herrn, der die Gaben Gottes, soweit sie in Wildalpen geboten werden, nicht verschmäht, mit derbem Wort und gerader Tat der Wahrheit die Ehre gibt und die Frömmigkeit, wenn sie ihm zu süßlich wird, gerne mit einer dreisten Schalkheit würzt. Von seinen Predigten spricht man noch heute, es sei ihm gerade gut zuzuhören gewesen. Weil er den Nagel stets auf den Kopf getroffen, so hätten ihn auch die vernagelten Köpfe wahrgenommen.

Weitum war es bekannt, daß der Pfarrer von Wildalpen so possierlich predigen täte. Selbst in das neun Stunden entfernte Eisenerz hinüber war sein Ruf gedrungen. Dort kannten ihn etliche Krämer und Wirte sogar persönlich, weil er mehrmals des Jahres über das Gebirge herüberkam mit einem alten Buckelkorbe, um Kochsalz, Schnupftabak, Schreibzeug und andere Notwendigkeiten einzukaufen, die damals in seiner Wildnis zeitweise nicht zu haben waren. Wie ein Hochgebirgler kam er daher in Knielederhose, grünen Wadenstrümpfen und grobgenagelten Bundschuhen. Nur sein Kollare hatte er um den Hals gebunden und auch den Handküssen der Weiber und Kinder wehrte er nicht; das ist ja nicht dem alten Adam in mir vermeint, sagte er, sondern der heiligen Weih, die auch hinter der Lederhose überallhin mitgeht. Manchem halbgewachsenen Dirndl griff er ans Goderl: »Na, wie du aber wachst, Annamirl, das ist frei aus der Weis', da muß ich dir ja bald einen braven Mann suchen! Na, tu' nur schön brav bleiben; Gott behüte dich!«

Da war es einmal, daß mehrere Eisenerzer Herren sich verabredeten, sie wollten doch einmal eine Bergtour machen nach Wildalpen hinüber, um den possierlichen Pfarrer predigen zu hören. Und das taten sie, ihrer fünf oder sechs, auch der Bergverwalter und der Rentner waren dabei, und der Zolleinnehmer, der schon seit Jahren inwendig keine Kirche gesehen und dessen Hosen immer nur beim Sitzteil, nie aber bei den Knien zu flicken gewesen, weil er wohl auf den Wirtsbänken, aber nie in einem Betstuhl daheim war. Am Vorabend gingen sie bis zu einer schlechten Hütte auf der Eisenerzerhöhe, um am nächsten Tage, einem Sonntage, rechtzeitig zur Predigt in Wildalpen einzutreffen, was sie auch nach angestrengten Märschen zuwege brachten. Das Kirchlein war schon gefüllt mit Andächtigen, und die vornehmen Gäste bargen sich möglichst hinter den Pfeilern, um von dem Pfarrer nicht etwa unzeitig bemerkt zu werden. Der mußte sich doch mit seinen Bauern allein wissen, um nach guter Gewohnheit loszulegen.

Daß vor der Predigt in der Sakristei der Pfarrer und der Küster die Köpfe zusammensteckten, ist dem Erzähler wohl bekannt, aber die andern wußten es nicht. Und ist zu sagen, daß die Eisenerzer Herren mit Spannung auf die Predigt warteten, obschon dem dicken Rentmeister das Stehen gleich zum Beginne sauer ankam. »Grobe Wetter dauern ja nicht lang,« damit trösteten sie sich.

Endlich erschien der Pfarrer auf der Kanzel. Ganz gleichmütig las er das Evangelium, betete dann das Vaterunser, was die Herren hinter den Pfeilern für ziemlich überflüssig hielten. Dann stand er auf, zog das blaue Taschentuch hervor, schneuzte sich schmetternd, wendete sich gegen den Kirchenraum und begann:

»Meine lieben Pfarrkinder! Ich hab' mir's heut' überlegt. Was ich euch zu sagen hätt', das wißt ihr eh, befolgt nur das fleißig, was ich euch schon gesagt hab'. Heut' wollen wir statt einer Predigt um Erhaltung der Feldfrüchte drei Rosenkränze beten, den freudenreichen, den schmerzhaften und den glorreichen.« Dann kniete er wieder hin, begann das langwierige Gebet, das von der ebenfalls sich niederknienden Gemeinde eintönig nachgebetet wurde. Die Eisenerzer Herren schauten einander mit langen Gesichtern an, dann duckten sie sich noch weiter nach rückwärts, sachte dem Ausgange zu. Und wie sie abfahren wollten, war jetzt die Kirchentür zugesperrt – sie konnten nicht hinaus. Mit Entsetzen sahen sie sich verurteilt zum Psalter. Um nicht aufzufallen, mußten sie ebenfalls niederknien auf den steinharten Boden; wenn auch einer und der andere sein Sacktuch unters Knie bauschte, wenn sie auch einmal das rechte, einmal das linke Knie vorspannten, so blieben doch die Rosenkränze höchst schmerzhaft – alle drei.

Als endlich, endlich nach geendetem Gottesdienste der Küster kam und mit einem absichtlich höchst einfältig stilisierten Gesicht die Kirchentür aufsperrte, huschten die fremden Gäste hinaus und davon und waren fürder nicht mehr leckerig auf eine Predigt des Pfarrers von Wildalpen. –

Solche Geschichten also werden erzählt von diesem Dorfpfarrer, der eines Abends auf dem Kirchplatz stand hinter der Linde und heimlich einem sauberen Almdirndl zuschaute. Er wird eigentlich wohl nicht so sehr gelugt haben, weil sie so frisch und sauber war, denn solche Dirndeln sind nichts Neues in Wildalpen, als vielmehr, weil sie so andächtig vor dem großen Kruzifix kniete und betete. Einen schwarzen Filzhut hatte sie auf und ein blaues Röckel an, das hoffentlich etwas weiter hinabgehen wird, wenn sie erst nicht mehr kniet. Neben ihr auf der Erde war ein weißes Bündel mit Achselbändern. Als sie nach verrichteter Andacht aufstand, trat der Pfarrer vor und fragte sie ohne weiters: »Nau, Dirn, woher? wohin?«

»Küß die Hand, Hochwürden!« antwortete sie, derweil sie sich zu schaffen machte, das Bündel aufzuladen. »Von der Alm herab und nach Mariazell.« Er setzte sich auf die Kniebank hin vor das Kreuz und lud sie ein, doch auch ein wenig zu rasten. Gar weit würde sie ohnehin nicht mehr kommen an diesem Abend.

»Wenn's halt noch bis Weichselboden tät gehn,« sagte sie.

»Oho! Das wirst nimmer dermachen mögen.«

»Müd bin ich noch gar nit, von der Brennalm komm' ich herab. Das Almvieh haben wir gestern abgetrieben ins Gams hinüber, wo ich daheim bin, und jetzt will ich grad einmal unserer lieben Frau Dank sagen gehen, daß mir meine Küh' und Kälber und Säue gesund sind verblieben über den Sommer und ich meinem Bauern hübsch ein eichtl Butter und Käs hab können heimschicken.«

So plauderte sie treuherzig und schaute aus dem roten Rundgesichtl munter auf den Pfarrer hin.

»Almerin,« sprach hierauf dieser, »du bleibst heut' da und morgen gehst mit uns. Du weißt es doch, daß wir Wildalpner morgen auch nach Mariazell gehen – mit der Prozession. Müssen freilich schon mit dem Haushahn auf, wenn wir beizeiten in Zell sein wollen. Deswegen gehst bald schlafen. Magst nicht im Pfarrhof über Nacht bleiben?«

Dem Dirndl war das recht, aber die Haushälterin nachher wollte Umstände machen. »Wo tät ma's denn hin, das fremd' Weibsbild? Im Kaplanstübel sind jetzt die Hühner und das Bischofzimmer ist voller Krautgebel, wissen's eh, Herr Pfarrer!«

»Ah mei, für mich ist gleich was gut!« versicherte die Almerin bescheidentlich. »Im Stadl auf ein' Schaub Stroh schlaf' ich wie ein Ratz!«

Nachtmahl essen taten sie selbander zu dreien. Es gab Eierschöberl mit Milch, aber als der Pfarrer eine wohlverkorkte Flasche Apfelwein auftun wollte, fand die Haushälterin den Stoppelzieher nicht und erinnerte, daß die Zellerprozession am nächsten Morgen zeitlich abziehen müsse.

»Was glaubst, Dirndl!« rief der Pfarrer plötzlich und hieb seine flache Hand auf den Tisch, daß die Almerin schier erschrocken einzuckte, »bist denn so schreckig, Nandl oder Kathl oder wie du heißt. Oder bist eine schlimme Liesel?«

»Nix verraten, Herr Pfarrer,« antwortete die Almerin. »Heißen tu' ich wie dieselbige, die wir morgen heimsuchen gehen.« Aus Schämigkeit darüber, daß sie sich unbedacht mit der Gottesmutter verglichen hatte, deckte sie eine Wange mit der Hand zu und mit dem anderen Auge forschte sie aus, was der Pfarrer zu einer solchen Hoffart für ein Gesicht machen werde.

Dieser aber knüpfte von vorne wieder an: »Also, Maria! Was glaubst, Maria, wirst uns Wildalpern morgen das Fahnl (Fähnlein) vorantragen? Spaß und Ernst auch, wir haben keinen Fahnltrager; der Kirchenbub, der sonst mit der Fahnenstang' gegangen ist, fahrt mit seinem Rössel hintendrein, mit der alten Fischerin, die zu Fuß nicht mehr mitkommen kann. Andere Mannsbilder wird's wieder nicht viel geben. Will ja keiner mit bei der Prozession. Das heißt, ein paar schon. Und gleich, Dirndl, wie ich dich heut' hab' gesehen, was du für ein nutzes Stuck bist, hab' ich mir gedacht, das wär' die richtige Fahnlträgerin. Ein sauberes rotes Fahndl, ist die heilige Barbara drauf, den Wildalpern ihre. Und recht komod zu tragen. Gar nix schwer, aber eine Ehr', wie die Leut' sagen. Dem Kirchenbuben tut's eh leid, möcht' eh lieber mit der Fahnstang' gehen, wie mit der alten Fischerin.«

Das Dirndl war über die ihr in Aussicht gestellte Würde ganz verblüfft. »Wenn die alte Fischerin mich kunnt brauchen!« sagte sie kleinlaut.

»Bist schon einmal mit einem Roß gefahren?«

»Das freilich wohl nicht. Aber Fahnl hab' ich auch noch keins getragen. Ich möcht' mich nicht schicken können. Die Fahnltrager müssen vorausgehen und ich weiß den Weg nicht recht gut.«

»Hättest ihn für dich allein nicht verfehlt, wirst ihn auch mit der Prozession nicht verfehlen. Dein Bündel muß dir wer anderer tragen, das versteht sich. Und zehrungsfrei gehalten wirst von der Gemeinde. Ist alter Brauch.«

»Um das geht's mir nicht. Etliche Sechserln hab' ich wohl selber bei mir. Aber mein Lebtag hab' ich's nicht gehört, daß bei der Zellerprozession ein Weibsbild fahnltragen tut.«

»Gelt! Die Mariazeller werden einmal schauen, wenn die Wildalper mit einer bildsauberen Fahnlträgerin anrucken!« rief der Pfarrer lustig aus. »Also? Abgemacht und petschiert!«

»Na, Herr Pfarrer, na. Zu tot schämen tät ich mich mit der Fahn'. Ich taug' nicht dazu. Werd's doch noch so viel ein Mannsbild zusammenbringen in Wildalpen, daß er die Fahnstang' tragt!«

»Mannsbilder genug, liebe Dirn, Mannsbilder mehr als zu viel. Aber zu hoffärtig und nixnutzig sind sie mir für die Fahn'. Fuchteln um damit wie mit einem Peitschenstecken. Und nicht aufpassen. In der Veitsch drüben hat gar einmal einer frühmorgens, wie die Wallfahrer vom Wirtshaus fort sind, verschlafenerweis' statt der Fahnenstang' den Ofenbesen derwischt; daß die Leut' heut noch darüber lachen. Na, na, Maria, die Fahn' mußt morgen du zu dir nehmen. Die Zeller Muttergottes wird uns doppelt gnadenreich sein, wenn wir mit so einer braven, demütigen Fahnltragerin anrucken. Also, es bleibt dabei. Um fünf Uhr ist die Meß, nachher hebst dir dein Fahnstangel aus dem Bankhalter und wir marschieren in Gottesnamen ab.«

Überredet hat er sie. Was kann ich denn machen? dachte die Almerin. Gegessen hab' ich jetzt im Pfarrhof und über Nacht bleib' ich im Pfarrhof; wenn er wahrhaftig will, daß ich's Fahnl trag', so wär's eine rechte Undankbarkeit, wollt' ich mich noch länger spreizen. Und sagt: »In Gottesnamen, Herr Pfarrer. Ich hab' den Futterkorb dertragen auf der Alm, ich werd' das Fahnl auch noch dertragen mögen.«

Das war festgemacht. Dann stand schon die Haushälterin mit dem Kerzenleuchter da, daß sie das Dirndl in den Stadl hinausbringe aufs Stroh. Der Pfarrer gab der Almerin noch den Abendsegen: »Schlaf' dich aus, lass' dir was Gutes träumen und denk', wenn's wieder Nacht wird, sind wir in Mariazell.«

Also führte sie die Haushälterin hinaus ins Wirtschaftsgebäude, über eine Leiter hinauf und wies ihr einen Haufen Stroh an. Ein etwas mürrisches »Gute Nacht!«, dann ging sie mit dem Kerzenlicht über den knarrenden Bretterboden hin und dachte: Was sich unser Herr Pfarrer doch immereinmal für Leut' aufgabelt! So ein bunkigs (rundliches) Weibmensch Fahnl tragen! Und morgen früh wird sie ihren Kaffee haben wollen. – Der Herr Pfarrer hatte auch noch einen Gedanken, bevor er am selbigen Abend einschlief. Schade, daß ich's vorigen Sonntag noch nicht hab' verkünden können, was wir dies Jahr für eine Fahnltragerin haben. Da hätten sich gleich alle Burschen von Wildalpen zur Prozession gemeldet.

Die ärgsten Gedanken aber hatte unser Almdirndl auf dem Stroh. Als Kopfkissen hatte sie ihr Bündel gelegt und die Füße hatte sie ins Stroh gebohrt. Sonst war ihr warm. Aber immer mußte sie dran denken. Geradezu die Versuchung war da, ihr Wort nicht zu halten. Jetzt erst bedachte sie recht, was sie da zugesagt hatte. So ein einfältig Almdirndl, das immer nur beim Vieh gewesen, das alleweil am liebsten bei ihren Kühen und Kalben allein ist gewesen und nicht weiß, was sich schickt – das soll jetzt vor dem Leutschock her Fahnltragen! Und was sie für ein Gewand anhat! Hätt' man so was vorher gewußt, wollt' man den roten Sonntagskittel angelegt haben und die weißen Baumwollstrümpf'. Und wenn die Mannerleut' hinten drein gehen und heimlich ihr Gespött treiben! Und schon ums Kaiserg'schloß in der Radmer nicht! Sie tut's nicht. Das Fahndl soll tragen wer will, sie tut's nicht. Aber! was wird der Herr Pfarrer sagen, der ihr drum so gut zugeredet hat und dem sie zugesagt hat? – Da gibt's kein anderes Mittel als durchgehen. – Kein Aug' hat sie zugetan. Die Kirchenuhr schlägt zwölf und nach einer langen Weile eins. Du liebe Welt, wie stad (langsam) die Zeit vergeht, wenn der Mensch so da liegt und keinen Schlaf hat. Endlich schlägt es zwei Uhr. Noch drei Stunden und sie muß an die Fahnenstange. Jetzt geht der Mond auf und scheint wässerig durchs Dachfenster herein. Da hebt sie sich hastig, schüttelt das Stroh von dem Gewand, nimmt ihr Bündel auf, hängt sich's an den Rücken, steigt vorsichtig die Leiter herab. Und wie sie in der freien kühlen Nacht steht und vor ihr die Straße blaß und still dahin liegt, da läßt sie einen frischen Atemzug aufspringen und eilt wegshin – die Richtung gen Mariazell. Finsterer Wald, bisweilen blinkt ein Mondstrahl auf die Straße, dann wieder steht der Mond hinter hohen Felsen und in der Schlucht rauscht die Salza. Endlich wird der Himmel blasser über den Gebirgskämmen, kalter Wind fächelt in den Bäumen, helle Vogelstimmen werden laut – es kommt der Tag. Dort, wo die Straße durch eine stille ebene Au führt, bleibt die einsame Wanderin stehen und horcht. Ob man am Ende nicht schon die Wallfahrerprozession beten oder singen hört hinten drein? Oder ob der Herr Pfarrer nicht etwa gar wen nachschickt, um die Flüchtige einzuholen und mit Ernst zurückzuführen zu ihrer Pflicht. Dann eilt sie weiter, je heller der Tag, je schneller ihre Schritte. Nach Stunden kommt sie ins Dörfchen Weichselboden, das in einem stillen Wiesentale liegt zwischen aufsteigenden Felswänden. Sie hätte Hunger und Durst, wagt es aber nicht, im Wirtshause einzukehren aus Angst, die Prozession von Wildalpen könnte sie einholen. Ein Stück Brot und ein wenig Käse holt sie aus ihrem Bündel hervor, an der Quelle Wasser trinkt sie, und eilt weiter. Die Straße geht bergan und talab. Holzknechte und Steinschläger, Kohlenfuhrwerke, auch Roheisenwagen begegnen ihr in der Bergwildnis, und mancher Hirt treibt seine Herde daher und ruft ihr ein munteres Wort zum Gruße zu. Marand Josef, denkt sie, wenn mich alle diese Leut' gesehen hätten mit der Fahnlstang', zu Tod hätt' ich mich geschämt, in den Erdboden hinein, und ist er auch noch so steinhart.

Hoher Mittag, da kommt sie ins Gußwerk, wo die großen Hochöfen stehen und Eisenhämmer und die weiße Kirche. In diese kehrt sie ein wenig ein, um sich andächtig vorzubereiten auf Mariazell, dem sie schon nahe ist. Dann spricht sie bei einer kleinen armen Hütte um einen Löffel Suppe zu; bei großen Häusern, denkt sie, kriegt man ja ohnehin nichts geschenkt. Rückt dann wieder ihr Bündel zurecht und wandert rasch – sich immer umsehend, ob ihr nicht etwa die Wildalper schon auf der Ferse seien – nach Mariazell hinein, wo sie ganz verschwitzt und erschöpft ankommt.

In der großen Wallfahrtskirche bringt sie ihren Ankunftsgruß der lieben Frau und dann eilt sie wieder ins Freie, um nach der Wildalper Prozession auszuschauen. Diese kommt erst gegen Abend an. Das rote Fähnlein mit dem funkelnden Kreuz flattert über der kleinen Schar von Weibern, Greisen und einigen jungen Burschen, die während des lauten Singens ihre Augen vorwitzig nach allen Seiten ausflattern lassen. So viele und schöne Häuser, eine so prachtvolle Kirche und so allerhand Leute sieht man in Wildalpen freilich nicht. Ein weißköpfiger Alter, der den Hut hinten am Nacken hängen hat, trägt die Fahne, sicher und würdig trägt er sie und neigt sie dreimal vor dem Kirchentor. Hinter ihm geht der Pfarrer im Chorrock, und unserer Almerin, die sich hinter eine Mauer duckt, ist es, als schaue er finster drein und strampfe mit den Füßen wie einer, der auf jemand einen Zorn hat.

Sie schleicht hinaus auf den Markt und kauft sieben kleine Kühe aus rotem Wachs und drei Kälbchen aus weißem. Diese trägt sie in die Kirche und an der Mariensäule, wo über einem Haufen ähnlicher Wachsgebilde viele Lichter brennen, legt sie ihre Opfer hin, und kniet davor nieder, und während die Wildalper weit hinten an dem Gnadenaltar ihren Preisgesang tun, gedenkt die junge Almerin ihrer Herde von der Brennalm und betet in Einfalt für die Kuh und jedes Kalb und jedes Schwein, daß die Himmelmutter, so wie den Sommer über, sie auch im Winter beschützen möge. In der Kirche, in den Winkeln und Seitenkapellen, in den Gewölben und Kuppeln dunkelt der Abend. Maria, die Hirtin, kniet unbeweglich vor dem Lichterherd und ist versunken in liebevolles Gedenken an ihre Tiere. Sonst hat sie bisher ja niemand begegnet, der so sehr ihrer Liebe bedurfte als die guten Rinder mit den treuen großen Augen. Das Gefühl war süß, und doch ist der Maid nicht ganz wohl zumute gewesen bei dieser Andacht. Wenn sie jetzt zum Beichtstuhl gehen soll, so wird sie auch sagen müssen, daß sie eine gar weltlich gesinnte, eitle, unverläßliche Person ist. Der Beichtstühle gibt es in allen Winkeln und in jedem sitzt einer drinnen. Sie sieht, wie ein paar Wildalperburschen in grünverbrämten Lodengewand an den Beichtstühlen hinschleichen und überlegen, in welchem der nachsichtigste Beichtvater sitzen könnte. 's ist ein Unterschied und mancher Knab' hat ein besonderes Bündel, das er daheim beim eigenen Pfarrer nicht gerne auspackt. Jahre alte Sachen sind drinnen, die man nur auf der Wallfahrt anbringen mag. In einer gar dunkeln Nische steht ein Beichtstuhl und den wählt unser Almdirndl. Und bekennt dem würdigen Greis, der drinnen sitzt, ihre Sünden. Besonders die von Wildalpen, wie sie dort vom Herrn Pfarrer so gütig in der Herberge aufgenommen worden sei, recht tüchtig gegessen habe, wie sie das Fahnltragen versprochen hätt', dann aber in der Nacht ganz leichtsinnig durchgegangen wäre.

Und was sagte auf dieses Bekenntnis der Beichtvater? »Liebes Kind! Da du deine Sünde beichtest und bereuest, so will ich dich davon lossprechen und dir eine heilsame Buße aufgeben. Hast du das Wildalper Fahnl schon nicht ausgetragen, so wirst es heimtragen.«

Und jetzt merkte sie's erst zu ihrem Schreck, ihr Beichtvater war kein anderer als der Herr Pfarrer von Wildalpen. – So ungeschickt! Just den zu erwischen! grollte sie zornig sich selber aus. Es muß mir rein aufgesetzt sein, daß ich Fahnltragen muß. Na meinetwegen, Buß' ist Buß', also her mit der Stang'!

Dann am Mittag des nächsten Tages, als alle und jedes ihre frommen Obliegenheiten verrichtet hatten, sammelten die Wildalper sich in der Kirche, um in guter Ordnung auszuziehen, wie sie eingezogen waren. Da winkte der weißköpfige Alte die Maria aus der Bank, nahm ihr das ohnehin zusammengeschrumpfte Bündel ab und hing ihr einen Lederriemen um die Achsel, an dem unten eine Hülse war. Dann hob er aus einem Fahnenhalter vor dem Gnadenaltar das rote Fähnlein mit dem Bildnisse der heiligen Barbara, gab es dem Dirndel in die Hände, das untere Ende der Stange in die Hülse versenkend. So, jetzt war sie angeschirrt. Aber das war ja federleicht zu tragen und nahm sie sich vor, gewissenhaft und tapfer ihren Beruf zu erfüllen. Stramm voraus. Hintendrein die alten Weiber und Dirnen und Greise und Bursche – auch die zwei mit dem grünausgebrämten Lodengewand. Sie hörte flüstern und kichern. Das ist ihr jetzt schon alles eins, wenn sie sich ausgekudert haben, werden sie schon aufhören. Ihr schwarzes Hütl hatte sie sich fest in die Stirn gedrückt. Als Frauenzimmer kann sie es auch beim Beten und Singen aufbehalten und braucht es nicht an den Rücken zu hängen. Der Herr Pfarrer guckte mit stillem Wohlgefallen auf die tapfere Büßerin, und wenn Leute, die sie auf der Straße begegneten, stehenblieben und so dreinschauten, was die Wildalper für eine saubere Fahnenträgerin haben, war der Pfarrer nicht wenig stolz darauf und sagte das Wort: »Paßt auf, der Schock wird bald wachsen. Dieser Fahne folgen auch die Waldlotter!« Denn es hatten sich schon etliche Holzhauer und Pechschaber angeschlossen und sogar ein schmucker Jägerbursch ging eine Strecke mit der Prozession und surrte den Psalter, sein Auge andächtig auf die Fahnenstange gerichtet.

In Weichselboden kehrten sie ein im Wirtshause und Maria lehnte die Fahne neben der Türe an die Wand, um die Schale Kaffee zu trinken, die sie vermöge ihres Amtes vorgesetzt bekam. Ein wenig schämte sie sich zwar darob, doch tauchte sie mutig ihre Semmel ein und genoß die wohlverdiente Sach', immer mit dem Auge wachsam. Plötzlich sprang sie auf, eilte zur Türe hinaus und erfaßte dort einen der grünverbrämten Lodenburschen am Kragen: »Oho Bübel! Derweil gehört das Fahnl noch mein!« Und entriß ihm das schon zusammengerollte Fähnlein, das er von der Stange gelöst hatte, in der Absicht, es ihr scherzeshalber zu entwenden. Er ließ sie nicht willig los und da im Augenblick die Ringenden sonst niemand sah, so suchte der lebfrische Bursch im Kampfe um die Fahne seinen Arm um ihren Nacken zu schlingen und ihr Rundgesicht an seinen Mund zu bekommen. Aber das Almdirndl wehrte sich so heldenhaft, daß er weder Fahne noch Kuß eroberte, vielmehr unter Gelächter Herbeieilender mit Schand und Spott abziehen mußte. Der Pfarrer hatte zum Glück von diesem Angriffe nichts gewahrt, sonst hätte es wohl ein höllisches Wetter setzen mögen.

Es dunkelte, es wurde finster und sie waren noch lange nicht daheim. Das Beten unterwegs hatten sie aufgegeben, stolperten und tappten nur langsam so dahin auf schlechtem Wege. Der weißköpfige Alte hatte der Maria die Fahne abnehmen wollen, um sie einzuwickeln und die Stange bequemer über der Achsel tragen zu können. Aber das Dirndl gab sie nicht her, hoch aufrecht wie am Tage trug sie die Fahne in der Nacht, sie tat's ja nicht der Leute wegen und Gott hat auch in der Nacht helle Augen. Die Schar war merklich kleiner geworden und als endlich das Dörfchen Wildalpen erreicht wurde, löste sie sich schon halb verschlafen auf. Aber ehe das Dirndl noch die Fahne an den Alten abgeben konnte, war ein Augenblick, daß der grünausgebrämte Bursch' neben ihr stand und ihr etwas ins Ohr flüsterte. Da schwang sie die Stange: »Soll ich dir eins geben?!«

Am nächsten Morgen wanderte das Dirndl seiner Heimatgegend zu und es kümmerte sich niemand mehr um sie – ausgenommen der eine. Der junge Großbauer Steinschlachtinger ging eines Tages nach der Messe dem Pfarrer zu auf dem Kirchplatze und er möchte wissen, was es mit der Fahnlträgerin sei?

Schief blinzelte der Pfarrer den Grünverbrämten an und sagte endlich: »Schau du! Gewundert hätt's mich, wenn du nicht gekommen wärst fragen. Hab's wohl wahrgenommen dazumal auf der Wallfahrt. Aber ich bin nicht so dumm, dir ihren Unterschlupf zu verraten.«

»Meiner Seel', Herr Pfarrer, die möcht' ich heiraten!«

»Das glaub' ich dir, Franzl. Aber ich fürcht', einen solchen Lotter nimmt sie nicht.«

»Mich ziemt, wenn ich die hätt', so wollt' ich brav werden.«

»Das ist eine Red',« antwortete der Pfarrer. Aber als dieser nachher bei einem Amtsbruderbesuch in Gams der Maria begegnete, die im schlechten Kitterl mit dem Spaten auf der Achsel ins Erdapfelgraben ging und er bei ihr gleich das Kuppeln versuchte für den jungen Burschen, antwortete sie scharf: »Er hat gesagt, wenn er mich hätt', nachher wollt' er brav werden? Ich laß ihm sagen: Wenn er erst brav wird, nachher kann er mich haben.«

Drauf ein wenig ungleich der Pfarrer: »Aber 's ist ein blutarmer Bursch', muß ich sagen. Steinerschlagen tut er und geht's halt ein bissel kümmerlich her in seiner Hütten.«

»Das macht mir nix, das Kümmerliche bin ich eh gewohnt. Wenn er brav wird, so mag ich ihn.«

»Jesseles, Madl!« rief der Pfarrer aus und faßte sie an beiden Händen, als ob er auf der Straße mit ihr eins tanzen wollte, »du machst ja dein Glück! Ein reicher Bauer ist er. Der größt' in meiner Pfarr'! Und brav ist er so weit auch – wenn man die verliebten Übermütigkeiten ausnimmt. Und die gewöhnen sich im Ehestand bald ab. Also ich darf ihm sagen, daß er kommen mag? Schon am nächsten Sonntag, wenn ihr wollt, schmeiß' ich euch von der Kanzel herab.«

Mit großen Augen, fast erschrocken, schaute sie auf, was ihr da widerfahren soll mit dem Burschen, von dem sie seit der Wallfahrt immer hat träumen müssen.

»Siehst du,« rief der Pfarrer, »siehst du, Dirndl, den Mann schickt dir die Zeller Mutter fürs Fahnltragen!«



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