Peter Rosegger
Sonnenschein
Peter Rosegger

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Der Lachenmacher

Nach Stockwiesen müssen wir. Dort geht's heute lustig zu. Über den Giebeln des Dorfes surrt die Luft, denn es wogt, es treibt und schwärmt in den Gassen und auf dem Kirchplatz. Alle Sträßlein, die zum Dorfe führen, sind bestreut mit dunkeln und bunten Tierchen, die sich dem stattlichen Orte Stockwiesen zu bewegen. Es sind aber keine Tierchen, es sind Leutchen, manche nahezu Menschen. Der Kirchturm winkt auch so freundlich. Der hat zu seinen obersten Fenstern, über der Uhr, ein weißrotes Fähnlein ausgesteckt. Es flattert an der Stange, wie ein Fetzen Freude, der in alle Welt fliegen möchte und nicht los kann. Die Glocken singen auch schon Willkommen den Herbeieilenden, die sich aber unterwegs bei Krämerständen, Schaubuden und Schenken verweilen, auf dem großen Platz sich herumdrängen, plaudern, feilschen, kaufen oder verkaufen, oder plump und starr dastehen im schiebenden Gedränge und ihre Pfeifen rauchen. Bis zum weit offenen Kirchtor dringen die wenigsten vor, obschon aus dem Innern Lichter herausfunkeln und die Orgel summt. Aber die Leute meinen, Kirchweih heiße doch nicht beten, vielmehr feilschen, trinken, tanzen, Weiberleut' foppen und Männer prügeln. Die evangelische Kirche, die in einer Häusergruppe jenseits der Ach steht, ist zugeknöpfter. Auf ihrem Turm flattert keine Kirchweihfahne, aber ein Kirchentörchen hält heute auch sie offen, wer etwa von den Katholiken kommen und sehen wolle, wie es in dieser Kirche gehalten wird, und ob es ihnen nicht etwa besser gefiele als drüben. Der katholische Kirchendiener, ein kleiner grämlicher Mann, stand nach dem spärlichen Gottesdienst ebenfalls auf dem Kirchplatz herum, aber nicht um sich zu belustigen, sondern um sich zu ärgern. Das Ärgern schien ihm lieber zu sein, denn er hatte doch die Wahl zwischen beiden. Er schnitt ein Gesicht, als ob er Kalmuswurzeln kaute. Er sah in der Menge allzu viele solche, die heute nicht hergehörten. »Was geht den Lutherischen unsere Kirchweih an!« schnurrte er. »Bei der heiligen Meß ducken sie sich weit ab, aber beim Handeln und Schandeln und Lumpen sind sie dabei. Da wollen sie zu uns gehören. Heimgeht! ihr habt keine Kirchweih, heimgeht!« Das sagt er ganz freimütig gegen die Evangelischen hin, die überall unter den »Christen« herumstehen, so daß man immer fürchten muß, die »Unseren« werden angesteckt. Aber der Mann sagte die abweisenden Worte ganz leise, daß es nur ein paar der nächsten Katholiken hören konnten. Auf diese Weise kann der Mensch freimütig sein, ohne daß es ihm schadet. Denn der Mensch ist nicht bloß Kirchendiener, sondern auch Schneider, und wenn die lutherischen Bauern nicht mehr bei ihm schneidern lassen, dann – wird die Kalmuswurzel, an der er kaut, noch bitterer. Das Schlimmste war nur, daß man es den Leuten gar nicht anmerkte, ob sie »christlich« oder »lutherisch« waren. Sie plauderten, handelten und scherzten miteinander, als ob sie lauter gut Freund wären, und wenn die herlebigen Burschen sich nach munteren Dirnen umsahen, so dachten sie gewiß an alles andere eher, denn an die Kirchenzugehörigkeit. Schau! Steht dort beim Büchelkrämer nicht der Pastor? Der neue, den wir erst frisch vom Sachsenland hereinkriegt haben. Hat einen Schnurrbart wie ein Husar und will Geistlicher sein. Na, zugeht's auf der Welt! Er schaut wohl nach, ob der Büchelkrämer auch lutherische Bibeln hat.

»O Pardon!« sagt der Pastor, denn er ist im Gedränge jemand auf die Zehen getreten. Und steht neben ihm der katholische Pfarrer. Der macht ein sehr freundliches Gesicht und versichert, es sei nichts geschehen. Dann verlieren sie sich unter der Menge.

Aus dem Gesumme hört man von allen Buden her die Marktschreiereien. Metallgießer schwingen ihre Glöcklein, Pfeifenschneider versuchen ihre Pfeifen, Spielwarenhändler lassen ihre Trommeln und Kindertrompeten hören; mit singendem Gekreische künden diese Krämer – die noch keine Zeitungsreklame haben – ihre allerbesten und allerschönsten und allerbilligsten Waren aus. Zwischendurch hört man den dünnen, grellen Ton einer Geige. Vor dem Bäckenwirtshaus auf einem leeren Bierfaß steht er und fiedelt so lebhaft, daß alle Glieder des alten Spielmanns zucken und schnellen wie galvanisierte Froschbeine.

»Je, der Brosel!« ruft hell ein Bursche aus, »der Lachenmacher ist auch da! Lustig wird's heut, zum Lachen gibt's. Und tanzend werden wir alle miteinand. Gelt, Schatzerl!« Ein rundes, rotwangiges Dirndl hatte der Bursch am Arm gepackt und mit dem andern Ellbogen sich durch die Menge eine Gasse bohrend strebt er dem Bäckenwirtshause zu.

Der Brosel, wer ist denn das? Seht ihr nicht, daß alle lachen, die ihn bemerkt haben? Die Milzreichsten dürfen gar nicht hinschauen auf den geigenden Spielmann und seine Gebärden, sonst müßten sie sich in Lachkrämpfen zusammenkauern und winden, und dazu fehlt im Jahrmarktsgedränge schlechterdings der Raum. Der Lachenmacher war von den Wirten abonniert für Sonn- und Feiertage, einmal bei diesem, einmal bei jenem. Wenn aus einem Wirtshaus das brüllende Lachen der Gäste gehört wurde, das man fürchtete, es platze das Haus – da wußte es jeder auf Platz und Gasse, der Brosel war drinnen, sang seine Schelmenliedeln, sagte seine Sprüche und erzählte seine Schnurren, womöglich alles in zierliche Reime gebracht, denn nicht bloß das liebe Leutgesindel, der Gescheite wie der Narr, auch die Wörter müßten tanzen zu Paar und Paar. Im Texte lag's übrigens gar nicht, die Liedeln, die Sprücheln, die Schwänke waren keinem neu. Aber der Gesichtsausdruck, mit denen sie vorgebracht wurden, war über alle Beschreibung lächerlich. Darum beschreibe ich sie auch nicht. Denke man sich ein rührsames Männlein mit einem runzeligen verkniffenen Gesicht, das in alle Formen gezogen wird – in die Länge wie eine Gurke, in die Breite wie ein Kürbis. Jetzt sind die Augen glotzig, wie zwei Pflugräder, jetzt zwinkernd und dünn wie zwei Kohlraupen. Die Nase jetzt dick wie eine Kaiserbirne, jetzt schmal wie ein »Bockshörndl«. Der Mund jetzt ein Schnitt von einem Ohr zum andern, jetzt wieder ein kleinwinziges Nullerl zwischen aufgepfauchten Wangen. Dabei wackelt das Kinn, über den Stirnknochen gleitet behendig die Haut auf und nieder, die grauen Haarbüscheln sträuben sich oder zucken munter hin und her und die Ohren trieben dabei ihre besonderen Spiele. Auch mit den Gliedmaßen bringt er allerlei zuwege, es ist, als seien keine Knochen in ihnen, als sei der ganze Kerl aus Kautschuk. – Man behauptete, der Brosel brauche bei seiner Kammer keinen Schlüssel, er schlüpfe durch das Schlüsselloch wie ein langer Regenwurm und bedürfe dazu fünf Minuten. Die Geige, setzten solche Witzbolde bei, müsse er freilich zum Fenster hineinwerfen, denn die ließe sich nicht spinnen. Übrigens könne er sie auch draußen hängen lassen, er brauche nur die Beine zum Fenster herauszustrecken, er geige mit den Zehen geradeso gut als mit den Fingern. Auch solche, die sonst sich über kein »Ausgeschau« lustig machen wollen, über dem Brosel seine Grimassen konnten sie lustig lachen, denn er tat sie deswegen. Das hatte er sich ja zur Lebensaufgabe gesetzt, auf dieser traurigen Welt die Leute lachen zu machen. Es gibt Schuhmacher und Kammacher und Knöpfelmacher, warum soll's keine Lachenmacher geben? Das Gewerbe ernährt seinen Mann. Es war eigentlich ein Nebengewerbe für den Brosel. Seines Zeichens war er Spielmann und schon als solcher geboren worden, denn sein Vater – behauptete er – habe nur gespielt. Allerdings mit Tarockkarten, wobei er sein Gütchen verlor, so daß der Sohn sich einen anderen Beruf wählte. Er entschied sich für die Chirurgie bei den Haustieren. Das tat er jahrelang. Endlich aber ward ihm der Beruf, der so vielen Geschlechtern der Zukunft vorwegs das Leben abschnitt, zuwider, er wurde Spielmann. Schon in der Volksschule hatte er gelernt, die Geige zu beunruhigen; jetzt trat er mit mehr Liebe an sie heran und sie kreischte nicht mehr, wenn er den Fiedelbogen strich, sie erhörte sein Werben um ihr Lied und gab bisweilen einen lieblichen Ton; Hauptsache war der Takt, den er extra noch mit dem Fuße stampfte. Wer gern tanzt, dem ist leicht gestampft. In Zeiten, da man nicht tanzen wollte oder durfte, unterhielt er die Leute mit seinen »Faxen« und lachen tat mancher noch lieber als tanzen, was mir durchaus einleuchtet. Es gibt zwar Holzapfelseelen, die das Lachen einfach lächerlich finden, ich weiß mir auf der weiten Welt keinen größeren Spaß, als ein herzliches Gelächter.

Nun aber war dem lustigen Brosel nicht zu trauen. Er sprach und sang Zwetschken. Hinter dem süßen Fleisch barg sich manchmal ein bitterer Kern. Wer ihn aufbiß, der glaubte dran. Auf solchen Schleichwegen brachte der Alte manche heilsame Wahrheit an den Mann und nahm noch Kleingeld dafür ein und allerhand Wohlwollen. Fühlte sich vom Kerne einmal einer getroffen, so tat er nichts desgleichen und lachte mit den andern, was immer weitaus das Klügste ist.

Man hätte es frei nicht glauben mögen, daß der pudelnärrische Spielmann insgeheim ein so kluger Beobachter war und wohl wußte, in welches Holz die Nägel einzuschlagen waren.

Jetzt also stand der Spielmann auf dem Bierfaß und geigte die Kirchtagsleute in das Bäckenwirtshaus hinein. Er geigte den ganzen Nachmittag und schaukelte sein geschmeidiges Körperlein dabei und schnitt seine Gesichter dazu. Damit diese um so deutlicher und ausdrucksvoller wurden, hatte ihn der Bäckenwirt glatt rasieren lassen; sein braunes Hochzeitsgeigengewandel hatte er auch an und so hätte er können bei jedem König an den Stufen des Thrones als Hofnarr sitzen.

Aber er stand an den Stufen des Tanzbodens, auf dem Ihre Majestät die Freude herrscht. Noch stieg er aber nicht hinauf, denn vor dem Abendgebetläuten durfte nicht getanzt werden. Der Herr Pfarrer saß beim Bäckenwirt im Extrastübel, da hieß es strenge nach der Verordnung vorgehen und sittsam sein. Übrigens war es im Wirtshause schon sehr laut geworden. Als auch der neue Pastor kam, um bei der schönen Gelegenheit Ortsbekanntschaften anzuknüpfen, fand er in der großen Stube keinen Platz und der Wirt, sein grünes Käppchen lüftend, erinnerte höflich, daß der Hochwürden Herr Pastor ohnehin ins Extrastübel gehöre. Mir nix dir nix saßen sie plötzlich nebeneinander, der Herr Pastor und der Herr Pfarrer. Anfangs waren heute auch sie zwei Spielleute, machten zum bösen Spiel gute Miene, bedachten, daß manches auf dem Spiel stünde und besprachen in überlauter Gemütlichkeit das schöne Wetter, den belebten Jahrmarkt und das gute Geschäft. Man muß sich in der Nachbarschaft denn einmal miteinander abfinden, dachte jeder bei sich, und sie nahmen, um hübsch wohlgemut zu bleiben, ihre Zuflucht zum weltberühmten Friedens- und bisweilen wohl auch Kriegsstifter, dem Wein. Der Wirt hatte einen guten Tropfen, und wie er im Vertrauen versicherte, nicht bloß einen. Der Pastor entschuldigte sich beim katholischen Pfarrei, daß er noch nicht Gelegenheit gefunden, im Pfarrhause seinen Antrittsbesuch zu machen.

»O, nix entschuldigen,« lachte der Pfarrer überlaut, »werd's leicht erwarten. Hab' keine große Sehnsucht nach Ihnen.«

»Das glaube ich,« sagte der Pastor und lachte auch. Es war ein ungutes Lachen beiderseits. Es war keins, das der Brosel gemacht hatte.

Endlich war es dunkel geworden auf der Gasse und licht in den Wirtsstuben. Das Gebetläuten war vorüber, die Hüte flogen wieder auf die Köpfe und die jungen Leute auf den Tanzboden.

Der Brosel setzte sich an den erhöhten Spielleutetisch im Winkel, strich seine Saiten mit Geigenharz und drehte an den Stimmschrauben. Er drehte das Spiel um einen Ton höher, Tanzmusik darf nicht brummen, die muß jauchzen. Ganz erfüllt von der Würde seines Berufes machte der Alte ein ernstes Gesicht. Die Stirn runzelte sich immer mehr, die Augensterne traten immer tiefer hinter die Lider zurück, die Nase wurde immer länger und die Mundwinkel dehnten sich immer tiefer übers Kinn hinab, so finster ernsthaft, daß die Leute – in helles Lachen ausbrachen. Da zog er plötzlich andere Muskeln an und sieben Taler hätte einer wetten mögen, daß es ganz entschieden nicht dasselbe Gesicht war als früher, daß zwei Köpfe in dem Manne stecken mußten, wovon er je nach Belieben einen oder den andern wie die Schildkröte aus dem Rumpf hervorschob. Übrigens, jetzt ist's zum Tanzen. Ein gemütlich langsamer Steirischer klang los, die Paare hielten sich um die Mitte und die Gesichter der Tanzenden, die männlich trutzigen, die weiblich hingebenden, die verliebten und die zärtlichen – alle spielten auch im kleinen Rundgesichte des Spielmanns, so daß sich in ihm gleichsam das ganze Seelenleben des Tanzbodens Stelldichein gab.

Von den Gaststuben kamen immer mehr Leute herauf, auch ältere, die sonst auf dem Tanzboden nicht mehr viel zu suchen haben. Unten sei es heute nicht gemütlich, im Extrastübel täten sie streiten, von wegen des Glaubens ginge es her. Der Herr Pfarrer, meinten sie, solle gescheiter sein. Er täte ja sonst bei solchem Diskurs nicht mit und solle auch nicht mittun, aber der Pastor habe immer Wasser auf die Mühle geleitet.

Der Spielmann verzog sein Gesicht sehr in die Länge.

»Sollen Fried geben,« murrte ein hagerer, grauköpfiger Bauer, »wir von hüber und drüber der Ach vertragen uns ja auch.«

Der Spielmann zog sein Gesicht in die Breite und fiedelte. Ein flotter Walzer. Jedes Paar eine Erdkugel, die sich um sich immer selber drehend einen großen Kreis macht um den lodernden Sonnenball der Liebe. Und Brösel der Spielmann war's, der dieses kreisende Sonnensystem leitete mit seinem Fiedelbogen. In Wirbeln flog der Staub über den Köpfen, Wein- und Schweißdunst erfüllte das Haus mit Kirchtagsstimmung; halberschöpfte Tanzpaare taumelten in die Winkel hin und frische stürmten in die Reihen hinein. Manches Paar stieß im Gewirbel unsanft an ein anderes, das gab weiter keinen Weltuntergang; war der Bursche schneidig, so schmetterte er einen Fluch hin, war er sanft, so tat er einen Lacher, und wenn der Schweiß vom Gesichte troff, so fuhr ihm das Dirndel mit rotem Handtüchel über Stirn und Wangen und flüsterte ihm ins Ohr: »Tschapperl, mußt du dich denn gar a so plagen? A bissel stader!«

Da hebt einer das Weinglas: »Vivat! Sollt leben all miteinander!«

So ging es toll und toller – aber es war eine kreuzlustige Tollheit – durch den Abend hin. Da kam plötzlich der Wirtsjunge die Treppe heraufgesprungen: »Leut', geht helfen. Der Herr Pfarrer und der neue Pastor sind raufend worden!«

Der Spielmann zuckte ab mit dem Fiedeln und hatte ein sehr langes Gesicht. Als sei die Feder gesprungen, so stockte das tanzende Rad, stand still und fiel auseinander.

»Raufend? Wer? Die Herren?« Was Platz hatte in der Treppe, das drängte hinab; und hinten drein, aber ganz weichmütig gelassen, Brosel, der Spielmann. Seine Gucker zwinkerten, seine Stirnhaut zuckte auf und nieder und der gekniffene Mund bog sich im Halbkreis weit in die roten Wänglein hinein. Lacht so der boshafte Vollmond auf die Erde herab, wenn in lockenden Nächten leidenschaftliche Menschen in allerlei Unglück rennen? Unter dem Arm trug der Spielmann seine Geige, in der Hand schwang er den Fiedelbogen, als hätte er damit nebst dem Tanzboden auch das übrige Haus und die Welt zu regieren.

Im Extrazimmer war der Sturm zwar vorüber; nun stand es so, daß die beiden Geistlichen kein Wort und keinen Blick mehr füreinander hatten; jeder stellte sich gleichmütig und rief seine Gemeindeangehörigen. Die Schafe sollten sich von den Böcken trennen und dem Hirten folgen. Aber die Scheidung mißlang. Protestanten wie Katholiken blieben untereinander sitzen, wo sie saßen und schauten betroffen auf die beiden Herren hin, die da plötzlich einen solchen Unfried erhoben hatten. Der stattliche Bäckenwirt stand am Gläserkasten, immer noch um die Seinen besorgt, die über den hölzernen Ständern stürzten.

Und von den Gästen tat mancher heimlich schmunzeln über den Auftritt, den sie erlebt hatten.

Jetzt drängten die Tanzbodenleute in die Gaststube herein und zwischendurch der Spielmann. Der blieb in der Tür des Extrazimmers stehen und fiedelte zum Gruß die Weise: »Da streiten sich die Leut' herum.« Dann ließ er seine Gesichter spielen, und die beiden Herren in ihrem Ärger wußten nicht recht, was jetzt zu machen sei. Hinaus konnte weder der eine noch der andere, so gaben sie sich den Anschein des Lässigen: der Pastor steckte seine Hände in die Tasche und blickte mit überlegenem Humor auf die possierliche Gestalt; der Pfarrer machte mit der Hand eine abwehrende Bewegung, gleichsam, solche Narreteien kenne er zur Genüge, und kehrte sich an sein Weinglas.

Da zuckte der Brosel sein Spiel ab, tat ein äußerst gemütliches Gesicht hervor und begann halb sagend, halb singend eine Rede, dieselbe manchmal mit einer drolligen Grimasse oder mit einem Fiedelstrich künstlerisch mildernd.

»Verzeiht, ihr Herren, es währt nit lang, ich will euch singen ein altes Gesang, von zweien Hochgeweihten, die taten gar bitterlich streiten. Oho! – Der eine tat sagen: Dein Luther ist ein Fresser; der andere: Dein Papst ist auch nichts besser. Der eine: Dein Luther ist Trug und Spott, der andere: Dein Papst ist auch kein Gott. Aha! – Du bist falsch und ich bin wahr! Ich bin gescheit, und du ein Narr. Hehe! – Da kommt ein alter Spielmann herein: Ihr Herren, ihr kunnt schon g'scheiter sein, wollt streiten, so steigt auf die Kanzel hinauf. Da gibt's keinen Gegner und keinen Tort, da habt ihr selber das letzte Wort. Im Wirtshaus gibt's ein andern Brauch, das ist eine Kirchen allgemein, kann jeder leben und lustig sein. Hehe! – Die Leut'auseinanderzanken dahier, was ist denn das für eine Manier? Könnt ihr nit schweigen, so kauft euch Geigen. Mehr Leut, als ihr mit Disputieren, hab' ich mit Fiedeln und Musizieren zusammengebracht und glücklich gemacht. Jaha! – Ich kenn euch einen, der's auch tut meinen, dem Fried und Freud das liebste ist, sein Name heißt Herr Jesu Christ.«

Als der Brosel das gesagt, streicht er eine leise, liebliche Melodie und sein Gesicht nimmt einen natürlichen, rührend innigen Ausdruck an und schaut so treuherzig, fast flehend auf die beiden Seelenhirten hin.

Der Pfarrer hat seine gewohnte gemütliche Art wiedererlangt. Bei den närrischen Sprüchen des Spielmanns muß man ja lachen – und er lacht. Dem Pastor ist nicht so wohl zumut. Sein Gesicht ist gerötet, er möchte am liebsten draußen sein. Denn als der Brosel sein lieblich Spiel – wie ein Wiegenlied war's, so zart – geendet hat, da lachen die Leute nicht. – Niemand hat diesmal zum Spruche des Lachenmachers gelacht! Ein andächtiges »Vergelt's Gott« sagten sie im Chore, wie es nach jeder guten Predigt üblich ist. Über die zwei Streitenden hat ein dritter den Sieg davongetragen.

Die Stille in den Wirtsstuben war fast feierlich geworden. Aber das geht doch nicht an einem solchen Tage. Der alte Spielmann tat plötzlich einen flinken Hopser, jauchzte dazu und führte dann seine Gemeinde wieder auf den Tanzboden.

Die beiden Geistlichen waren, jeder für sich, unauffällig nach Hause gegangen. Aber am nächsten Tag, als sie sich zufällig auf der Achbrücke begegneten, blieb der Pastor stehen und sagte: »Ich glaube, Herr Amtsbruder, wir sind gestern ein wenig zu weit gegangen. Die Sache wäre beinahe lächerlich geworden. Mein Wunsch wäre, daß wir uns miteinander vertragen.«

Der Pfarrer sah auf dem Boden ein Steinchen liegen, das wollte er mit der Spitze des Spazierstockes beiseite schnellen, trafs aber nicht. Dann gab er's auf.

»Herr Pastor,« sagte er, »Sie haben es leicht. Sie können sein, wie Sie wollen. Aber ich!«



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