Peter Rosegger
Sonnenschein
Peter Rosegger

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Reich

Jetzt bist du noch in Sorgen; in einer Stunde wirst du fröhlich sein. Jetzt bist du noch demütig und mußt dienen; in einer Stunde wirst du herrschen. Jetzt bist du noch arm – in einer Stunde wirst du reich sein. Gutes Weib, liebe Maria Steinwenderin, wie ist dir ums Herz? Dein Leben lang hast du keinen lastenfreien Tag gehabt; schwer arbeiten vom Morgen bis in den Abend und dann die müden Hände erst aufheben zur Bitte ums tägliche Brot. Und vor dem Einschlafen die Angst, deinen Kindern könne es einst noch schlechter gehen als dir, und im Schlafe träumen von deinen verstorbenen Eltern, die wie du in Drangsal haben gelebt. Das ist bisher dein Lebenslauf gewesen. Aber heute – Maria Steinwenderin – heute ist dein Mann nach Landeck gegangen, um bessere Zeiten heimzutragen in dein Haus. Geld wird er bringen, viel Geld, so lasterhaft viel Geld, daß du jetzt schon anfängst, dich vor der Hölle zu fürchten, die nach der Bibel reichen Leuten so gewiß ist.

Zwölf Wochen mögen nun aus sein, oder gar ein Vierteljahr – wie doch die Zeit vergeht! – seit du das gestrickte Geldsäcklein gefunden hast. Unten auf der Innbrücke war's, und just zwischen zwei Balken ist's gelegen, und wenn die Balken um ein nadelspitzbreit weiter auseinander gewesen wären, so wäre das Säcklein ins Wasser hinabgefallen. Es war nicht gar dick, ein zusammengerunzeltes Heiligenbildchen war drin – der heilige Jakobus – und vier Zehnkreuzerstücke. Als wie wenn es glühende Kohlen gewesen wären in deiner Hand, so bist du mit dem Fund in den Pfarrhof gelaufen und dreimal ist's verkündet worden auf der Kanzel: es wär' auf der Stubener Innbrücke ein Geldsäckel gefunden worden und der Verlustträger möge es im Pfarrhofe abholen. Verwunderlich! 's ist niemand gekommen um das Geld und dasselbe ist der Maria Steinwenderin als Eigentum anheimgestellt worden.

Darauf hat sie eine ganze Nacht nicht schlafen mögen, hat simuliert, was sie denn anfangen sollt' mit dem Fund, daß er ihr am besten gedeihe und auch der armen Seele des Verlustträgers noch zugute kommen möge. Und da – wie schon der Hahn das erstemal kräht draußen in der Lauben, fällt ihr jählings ein, daß der heilige Jakobus, der beim Geld gelegen wäre, ein Patron für die Lotterie ist. Ordentlich einen heißen Stich gibt's ihr im Herzen; ja, in die Lotterie setzen will sie die vier Münzen, und das wird zum Glücke sein. Sie betet noch ein Vaterunser und dann will sie einschlafen, da ist schon die Zeit zum Aufstehen und sie muß die Steine abtragen von des Nachbars Kornfeld. Und am Sonntag, wenn ihr Mann heimkommt von der Holzarbeit und die zwei Kinder hütet, geht die Maria nach Landeck und setzt drei Nummern – wie sie ihr zufällig in den Kopf kommen – in die Lotterie. Sie hat so große Hoffnung auf den Gewinn, daß sie den Kindern zwei Lebkuchen kauft und ihrem Manne neue Schuhriemen und, weil sie immer noch Geld in der Tasche hat, auch einen großen Wecken. Und jetzt ist Geld angebaut auf einem großen fruchtbaren Acker. – Je näher aber die Zeit der Ziehung kam, je kleiner wurde die Hoffnung, und am letzten Tage war sie so mutlos, daß sie es gar nicht wagte, in das Städtchen zu gehen, um sich von ihrer Enttäuschung zu überzeugen. Da schleppte sich ein Dörchergespann des Weges, das die Bauernhäuser und Kleinhäusler abbettelte und ablauerte, ob nicht irgendwo etwas heimlich zu erhaschen wäre und das den Leuten die Nummern angab, die bei der nächsten Ziehung herauskommen müßten.

Die Maria Steinwenderin schenkte dem Gesindel ein paar Stücke Brot und sagte, um neue Nummern wär' ihr nichts, aber die zuletzt herausgekommenen möchte sie wissen.

»Kann ja gern sein, Bäuerin,« gab ein altes Fräulein zur Antwort und holte mit den erdfalben Fingern ein Papierstück aus ihrem Wanderbuche, »derlei heißt eins fort mit, wenn man aus der Stadt geht. Sind brühwarm, sind erst gestern herausgekommen.«

Die Maria griff nach dem Papier, sah, las die Ziffern und erschrak so heftig, daß sie sich auf die Bank setzen und das Fraulein bitten mußte, es möge ihr die Gutheit tun und ein Schöpfel frisch Wasser holen vom Brunnentrog.

Die Ziffern, mit widerspenstigem Bleistift von der starren Hand einer Bettlerin auf das zerknitterte Löschpapier gekritzelt, sagten der Maria, daß sie reich war, daß sie wohl – – jetzt mußte das Weib auf die Bank sinken – wohl an die tausend Gulden bar in der Stadt liegen habe, die ihr und ihrem Manne und ihren Kindern aller Not ein Ende machen sollten. – Weiter konnte sie nicht mehr denken, bis das Wasser kam. Und während sie, die Ellbogen zitternd auf die Knie gestemmt, trank und absetzte, um Atem zu holen, und wieder trank – trottete das Dörchergespann träge davon.

Und noch an demselben Tage hat sie ins Holz zu ihrem Manne geschickt, er solle alles liegen und stehen lassen und eilends heimkommen.

»Na, in Gottesnam'!« sagte der Gatte, als er die Botschaft hörte, »jetzt kann ich mich zusammenhalten, jetzt ist daheim was geschehen. – Das Haus steht noch?« fragte er den Boten.

»Warum soll's denn nimmer stehen?«

»Hat mein Weib selber mit dir geredet?«

»Sie hat mich selber geschickt.«

»Und hättest auch noch einen kleinen Buben gesehen?«

»Zwei Bübeln – recht flinke, saubere Bübeln – sind vor der Tür herumgelaufen.«

»Hui!« jauchzte der Hölzer auf, »sonst kann's sein, was es will!« und eilte nach Hause. Daß anstatt dem großen Unglücke ein großes Glück da war – wie hätte der arme Mann daran denken können!

Als er vernahm, sie hätten einen Terno gemacht, faßte er sein Weib mit beiden Armen um die Mitten und rief: »O du sakrische Mirzel!«

Dann verglichen sie die Nummern mit denen auf dem Setzschein und es waren dieselben – das Glück war verbucht.

Und am Tage darauf ging also der Holzer Simon hinaus nach Landeck. Er nahm einen schweren Weißdornstock mit sich, er schliff sich noch das Tischmesser, das sonst zum Brotschneiden war und steckte es in den inwendigen Rocksack, denn das wußte er, wer Geld hat, der muß auch Wehr haben. Als er fortging, stolperte er noch über den holperigen Fußboden der Vorkammer und brummte lachend: »Du verfluchtlete Keischen, du alte, von dir laß ich mir schon lang' noch kein Bein stellen.«

Und nun verging im Hause der Vormittag und die Maria zählte die Stunden auf der wurmstichigen Wanduhr bis zur Rückkehr des Simon. Die Uhr hatte mit ihrem hölzernen Zeiger fünfzig Jahre oder mehr herabgemessen, aber mit dem heutigen Tage wollte sie nicht fertig werden. Jetzt war's um zwei Uhr nachmittag. Die Maria hatte ein gutes Mittagessen fertig, das sie auf dem Herde sorgfältig mit einer umgestülpten Kochpfanne zudeckte. Sie aß selbst keinen Bissen davon, mit ihm zusammen wollte sie heute Mahlzeit halten, und in einer Stunde konnte der Simon da sein.

Aber das Glück – weil's eh so selten kommt – muß man höflich empfangen. Zuerst warf die Maria ihre rauhen, beflickten Werktagskleider weg und zog was Besseres an. Dann wusch sie den beiden Knäblein Gesicht und Hände und versah sie mit frischen Hemdchen. »Müßt nicht schlimm sein heut',« sagte sie, »es kommt das Geld!«

»Ist das Geld brav?« fragte der kleinste Knabe, der in seinem weißen Hemdchen auf dem Strohpolster saß, mit seiner zarten Hautfarbe schon jetzt anzusehen wie ein Herrenkind, das nur zufällig in die Holzerhütte gekommen sein mochte.

»Ja freilich, Simerl,« antwortete die Mutter von freudigster Hochstimmung getragen, »das Geld ist wohl brav. Wisset, Kinder – geh' her, Sepple, und setz' dich da auf die Bank und lass' mir das Fingersutzeln sein! – jetzt loset einmal zu. Wenn der Vater mit dem Geld kommt, nachher kaufen wir das Hochbrunnerhäusel, wo wir gestern oben gewesen sind.«

»Und den Taubenkobel auch dazu?« fragte der größere Knabe.

»Freilich, Sepple, auch den Taubenkobel dazu. Und nachher kauf' ich euch ein schönes Gewandel, wie die Schlagwirtbuben haben, und nachher gehst mir mit dem Schlagwirtbuben in die Schul', Sepple, und lernst was und kommst nachher gar auf Sprugge und kannst ein Pfarrer werden. Wirst aber sauber sein, wenn du in der weißen Pfaid predigen tust und nachher mußt für deine Mutter schön eine Mess' lesen –«

»Und wenn du stirbst, so werde ich dich einsprengen (einsegnen),« sagte der Kleine.

Sie lachte über den Einfall des Kindes, aber das war doch ein Dämpfer gewesen und sie brach die weiteren Schilderungen von ihrem künftigen Pfarrer ab.

»Herentgegen du, Simerl,« sagte sie aber zu dem kleinsten Knäblein, »du wirst nachher schön daheim bleiben, wirst dein' Vater und Mutter hausen helfen und in zehn Jahren mögen wir 'leicht einen großen Hof kaufen, den Talschlösserhof, weißt, wo der große Kettenhund ist.«

Der Knabe schmiegte sein Köpfchen an den Busen der Mutter, ihm graute vor dem Kettenhund, der ihm in Erinnerung war, weil derselbe vor etlichen Tagen, als er mit dem Vater am Hof vorbeigekommen, so schauderhaft bös gebellt hatte.

»Klein's Närrle du!« rief die Mutter, »wenn du Bauer auf dem Talschlösserhof bist, wirst schon froh sein, wenn du einen scharfen Kettenhund hast. Der Talschlösserhofer hat viel Sachen, da sind die Schelm' (Diebe) nit weit. – Ja, Büble, aber halt still, daß ich dir das Pfaidle kann einknöpfeln! Du magst doch nit ein Vaterunser lang' Ruh' geben den ganzen Tag! Wart, wenn du erst Talschlösserhofbauer bist, wirst schon gewetten (eingespannt) werden. Alle Kammern voll Korn und alle Ställ' voll Küh' und Ochsen wirst haben, Lämmle auch! Freilich Lämmle auch! Und Dienstknechte wirst haben müssen und Mägde, daß es nur so staubt im Hof. Nachher bist angesehen weit und breit, und nachher mußt dir ein Weib heiraten –«

»Und nachher kriegst du kleine Kinder,« ergänzte der Sepple mit ernsthaftem Kopfneigen.

»Ja, und du laß lieber das Fingersutzeln sein!« mahnte die Mutter den Größeren, »weißt, was der Vater sagen wird, wenn er heimkommt und einen Lebzelten (Lebkuchen) mitgebracht hat? Den geb' ich allen dem Simerl, wird er sagen, der Sepple hat eh seinen Finger im Maul.«

Da zog der Junge seinen Zeigefinger aus dem Munde, ballte die Hand und steckte sie rasch in die Hosentasche. Ging aber nicht lang' her, so fand er den Finger wieder zwischen den Lippen; ganz von selber und ohne daß es der Sepple gemerkt hatte, war er hineingekommen, dafür biß der Junge jetzt die Zähne darüber zusammen, um den Ungebärdigen zu strafen und war überrascht, daß der gebissene Finger ihm weh tat.

Die Maria Steinwenderin aber hub nun an, zum Fenster hinauszugucken. Der Simon konnte schon da sein oder sie sollte ihn fürs wenigst dort über die Grabenwiese herangehen sehen. – Im Schlagwirtshaus unten wird er vielleicht ein halb Stündl abrasten. Da hat er schon recht; er gunnt sich so sonst nie ein Tröpfel. Aber lang' bleibt er nicht sitzen, das weiß ich, und so möcht' er schon da sein. – Wenn man's aber recht bedenkt, so kann er noch nicht leicht da sein. Das Geld werden sie ihm nicht gleich bis vor die Tür entgegengetragen haben, selb' kann sich eins raiten (denken, berechnen); da wird gewiß auch bei der Herrschaft (Amt) was zu tun sein und allerlei Geschrift ausgestellt werden müssen, 's ist kein' kleine Sach'. Oder zuletzt hat die Lotterie gar nicht einmal soviel Geld beisammen, daß sie's auf einmal auszahlen kunnt. Wenn sich der Simon nur nicht überdölpeln (übervorteilen) läßt, und daß wir alles kriegen, was uns gebührt! – So simulierte das Weib, und es waren schon neue Sorgen da, bevor noch das Geld kam. – Daß ihm unterwegs nichts Böses begegnet sein wird! dachte sie weiter, es gibt allerhand so Leute auf der Straßen, und daß einer in der Lotterie was gewonnen hat, kommt gleich auf. – Nein, 's ist ja der hellichte Tag. Wenn auch; den Holzmeister haben sie auch beim hellichten Tag ins Wasser geworfen und haben ihm das Geld weggenommen, mit dem er hätt' sollen die Knecht' auszahlen. Vor einem Jahr wird's gewesen sein und die Leut' sind heut' auch nicht besser wie dazumal, und das Gesindel wird alleweil mehr auf der Straßen.

Immer tiefer dachte sie sich in die Angst hinein. Da rief der Sepple, der auf der Bank kniete und zum Fenster hinauslugte: »Der Vater geht über die Grabenwiesen!«

»Du machst wieder ein' Possen!« rief die Mutter, als wollte sie die Kunde erst nicht glauben.

»Ja, und aufrichtig Gott wahr, er geht über die Grabenwiesen!«

Die Maria sah es nun selbst. Mit großen, aber sehr langsamen Schritten stieg der Simon über den weichen Moorgrund, wo hie und da ein Brett, ein Stein lag, um den Fuß darauf zu setzen. Seinen Stock benutzte er als dritten Fuß, auf welchem er sich bisweilen über einen Sumpf oder Wassergraben schwang. – Ist so viel wie gar kein Weg, da von der Straßen bis zum elendigen Steinwenderhäusel. Ein ewiges Glück, daß eins von diesem Grund einmal erlöst wird – und wie er zu Boden schaut, der Simon, und in die Erden hineinlacht! Und nicht einmal die Pfeifen hat er heut' im Mund. Dem sieht man's leicht an, daß er extra was hat. Glaub's gern, der ist seiner Tag' mit Tausendern noch nicht spazieren gegangen. – So war wieder das Denken der Häuslerin.

Als der Simon von der Wiese über die Holzschranke auf den Hausanger hereinstieg, brach er einen Zaunstecken, daß es krachte, und schleuderte ihn dann von sich. – Wie er schon übermütig ist! dachte Maria; nun, wir brauchen auch diesen alten Zaun gar nicht mehr.

»Jetzt, Kinder, seid hübsch ruhig, jetzt kommt das Geld!« flüsterte die Maria; da schrien die Kinder: »Jetzt kommt das Geld!« und polterten der Türe zu. Diese ging schärfer als gewöhnlich auf und nicht ganz ohne Gefahr für die Kleinen. Der Simon trat herein. Wortlos schob er die Kinder von seinen Knien weg, schritt dann schwerfällig über die Stube, zog seinen Janker aus und warf ihn auf die Bank hin. Davor erschrak die Maria etwas. Er hing den Rock sonst immer hübsch an den Nagel, wenn er ihn auszog, und heute, wo in dem Sack die volle Brieftasche steckt, sollte er's schon ganz besonders tun. Der Simon wird doch von denen keiner sein, die leichtsinnig werden, sobald sie Geld haben! Nein, das nicht, ein Seidel getrunken dürft' er haben.

Der Simon, den Hut noch auf dem Kopf, etwas ins Gesicht hereingeschoben, ging in der Stube so hin und her, griff ein- ums anderemal an die Wandstelle hinauf, als ob er was suchte, fuhr sich dann mit den Hemdärmeln über das rauhe gerötete Gesicht, wobei er in seinem Schnurrbarte einige Verwirrung anrichtete. Dabei knurrte er gegen die Wand gekehrt ein paar Silben, die nicht verstanden werden konnten.

Sein Weib war nicht weit von der Ofenbank gestanden und hatte ihn so von der Seite angesehen.

»Na,« sagte sie endlich, »jetzt ruck' nur aus.«

»Ein höllvermaledeites G'lumpert!« stieß der Mann wild hervor.

»– Aber, Sim, was –? wirst doch nit!« stotterte das Weib.

Da wendete er sich gegen sie und schrie ihr ins Gesicht: »Derstunken und derlogen ist's!«

»Wird leicht doch nicht sein,« hauchte sie.

»Keinen Hundskreuzer haben wir!« rief er, »nit eine Nummer ist da, nit eine, die auf unserem höllmentischen Fetzen steht. 's ist eine angespielte Sach' oder 's ist ein helles Teufelsg'spiel, daß die Nummern, die du dir von den Strolchen hast aufschwatzen lassen, just zusammpaßt haben. Ausg'lacht haben sie mich, wie ich, der Narr, heut' hintrott und 's Geld haben will. Und gemeint hab' ich, bei der Gurgel packen müßt' ich ihn auf der Stell', den Lotterieschreiber, bis er mir mein' Sach' weist. Zum G'raten, daß sie mich nit eingesperrt haben. Ich sag' dir, Alte, eine Bestie kannst werden, wenn du dir zuerst einbildest, du hättest die Säckel voll Geld, und ein einzig Wort, ein Rauberwort, greift dir hinein und reißt dir's weg. So ein Rauberwort ist das gewesen, wie der Schreiber den Fetzen anschaut und sagt: Was wollt denn Ihr? Das soll ein Treffer sein? sagt er. Alles falsch. Nicht eine Nummer stimmt. – Lump! sag' ich ihm ins Gesicht, weil Ihr meint's, ein Arbeitsmensch kunnt sich nit veresentieren (verteidigen), so wollt's ihm's ablaugnen. Ja, wie ich sag', ein kleines G'fehlt hat's g'habt, daß sie mich nit in die Keichen (Arrest) stecken.«

Die arme Maria setzte sich jetzt auf die Ofenbank und sagte kein Wort. Die Kinder kamen zu ihr und fragten, wo das Geld wäre. Dem Kleinen reinigte sie mit ihrer Schürze das Näschen. Und mit derselben Schürze fuhr sie sich dann selbst zu Gesichte, um anscheinend ein ähnliches Geschäft zu verrichten, in Wahrheit aber, um in die Leinwand zu schluchzen.

»So was halt' ich für das größte Unglück,« rief der Simon und ging, die Hände in den Hosentaschen, rasch über die Stube.

»Ist es auch,« antwortete das Weib, »und oft genug hat der Schlagwirt gesagt: Die Armut kennst nur, wenn du einmal reich gewesen bist. Jetzt trifft's uns selber. – Ich hab' mir schon den Talschlösserhof gekauft gehabt,« lachte sie mit nassen Augen.

»Der ist dir niedergebrannt und du darfst nit einmal Brandsteuer sammeln gehen.«

»Und sollten wieder fortrackern und fortkümmern in der Elendigkeit.«

Er blieb vor ihr stehen und die Fäuste in den Taschen machten zwei große Knoten an den Hüften: »Weißt, daß ich jetzt ein schlechter Mensch werden kunnt?«

Sie sah ihn an.

»Ich trau' mir nimmer.«

»So mußt halt nicht denken,« sagte sie.

»Wenn's mir einmal so zusetzt, daß, wenn eins schon bettelarm ist, man vom Herrgott noch obendrein zum Narren gehalten wird – nachher bin ich alles imstand.«

»So unchristlich möcht' ich mir auch wieder nicht denken,« sagte das Weib.

»Ich möcht' auch nicht!« rief er, »aber wenn's einen so überfällt und der Mensch etwan in den Inn gestürzt ist, mit dem ich heut' unten bei der Kreuzwand zusammenkommen bin –«

Sie sprang von der Bank auf, daß das Sepple, welches ihr im Schoß gehockt war, ordentlich auf den Boden hinabkollerte.

»Jesu Christi – Simon!« kreischte sie, »wirst doch nichts angestellt haben!«

»Schon vor dem Postwirtshaus z' Landeck hab' ich ihn 'troffen. So ein Stadtherr, der sich vor lauter Gutleben in der Stadt gar nimmer zu helfen weiß, daß er für nichts im Gebirge herumsteigt, weil er sein Lebtag einmal möcht' müd' und hungrig werden. Mit einem Hunderter hat er den Postwirt auszahlt; hab's wohl gesehen, hat noch mehr so Papier gehabt in seiner Brieftaschen. Und nachher, wie ich später hell verzagt auf der Straßen dahergeh', zur linken Hand die Steinwand, zur rechten das Wasser, und kein Mensch ist weit und breit, als wie der Stadtherr, der ein paar Büchsenschuß vor mir hinsteigt, so hab' ich mir denkt: Simon, weil's heut' so schlecht ausgangen ist und daß du noch verlacht worden bist, dieweil deine Elendigkeit wieder neuerdings anhebt, wag' einmal ein ander G'spiel.«

»Simon!« schrie das Weib, und als wenn sie ihn würgen wollte, fuhr sie mit den Fingern gegen seinen Hals: »Red' mir nit weiter!«

»Weiß auch nichts mehr,« sagte er.

»Der lieb' Herrgott wird dich beschützt haben!«

»Auf den hab' ich nit denkt. – Du bist mir eingefallen – die Kinder –« die Stimme verschlug's ihm.

»Geh',« fuhr er dann spöttisch fort, »grimm dich nit um den Stadtherrn, der steigt frisch und gesund dem Engadin zu, und du hast ja so viel einen braven Mann, der läßt Weib und Kind schon noch eine Zeitlang Hunger leiden.«

»Vom Hunger leiden ist gar keine Red',« sagte sie, »und wenn wir und unsere Kinder in Plag' und Kümmernus fortleben müssen, so ist das freilich wohl bös, dieweil's anderen so gut geht, aber daß eins desweg' schlecht werden müßt' –«

»Sei lieber still!« fuhr er sie an, »wir sind einmal für die Mühsal auf der Welt, und da hilft kein Reden. Du bist auch so dumm! Hättest das Geld, das du hast gefunden, lieber im Sack behalten, anstatt dem Kaiser einzuspielen, der eh genug hat, wär' mir der heutige Tag verspart blieben und die Ärgernis. Das hättest dir denken mögen, hättest ein Tüpfel Verstand in deinem dicken Kopf.«

»Freilich!« entgegnete sie gereizt, »zu tot gern hast mir's glaubt, wie ich dir vom Glück hab' erzählt. Und jetzt hätt' ich die Schuld! – Geht' weg, ihr Gezücht!« damit schob sie die beiden Kinder, die sich an sie gedrängt hatten, unwirsch von sich. »Euretwegen hat man nichts Gut's und kein Stündel Ruh' auf der Welt, und letztlich gebt auch ihr einem die Schuld seiner Tag', wenn's euch nit so geht, wie's euch tät taugen. – Wahr ist's: wer heiratet, der begeht siebenmal eine Narrheit und neunmal eine Dummheit, und gar eine Straf' Gottes ist's, wenn Bettelleut' zusammenheiraten.«

So ging's zu, und es war ein rechtes Elend zu dieser Stunde in dem sonst so friedlichen Steinwenderhause. Der Mann grollte, das Weib schmollte, die Kinder röhrten. Der Sepple aber, der sich gar nicht beruhigen wollte, weil er das Böse, so ins Haus eingekehrt war, schon ahnte – er bekam von der Mutter endlich doch eine Birne geschenkt, die ihm den Mund stopfen sollte. Der Simerl hockte in einem Winkel, nichts am Leibe, als das weiße Hemd, das ihm zur Feier des Tages angetan worden war. – Das erwartete Glück aber ließ sich fein entschuldigen, es sei bei Fürsten und Grafen geladen, es könne nicht kommen, schicke aber, da die alte Armut denn einmal abgedankt sei, eine neue ins Haus. –

An der äußeren Seite der Stubentür war ein Tasten nach der Klinke, ein unsicheres Drücken an derselben, bis endlich die Tür ein wenig aufging, dann aber wieder langsam zugezogen wurde. Dem Kleinen kam das so unheimlich vor, daß er trotz allem von seinem Winkel zur Mutter schoß. Aber draußen war keine Ruhe, und an der hölzernen Türklinke knarrte und ächzte es leise, bis es dem Simon zu toll wurde. Er trat zornig zur Tür, riß sie auf – da kollerte ein alter Bettelmann, der sich an der Klinke gestützt haben mochte, über die Schwelle herein zu den Füßen des Holzers.

Diesem wäre der Bettler sehr gelegen gekommen, um an ihm seine Wut auslassen zu können! Aber vor allem mußte der Alte von der Erde aufgehoben werden. Tat wohl selbst das möglichste, der bresthafte Mann, um wieder auf die Beine zu kommen, aber der starke Arm des Simon war doch auch nötig. Und als der Holzer sah, wie ihn der Alte mit seinem abgezehrten stoppelbärtigen Gesichte, mit seinen müden und trüben Augen so traurig und dankbar anblickte, da verging ihm die Wildheit.

»Wie närrisch, daß Ihr da hereingefallen seid!« sagte er.

Der Alte blickte ihn an und antwortete nichts.

Stand auch schon die Maria da und fragte: »Was wollt Ihr denn? Ist Euch letz geworden, gelt?«

Er richtete sein müdes Auge auch auf sie; mit halbgeöffnetem Munde und vorgebeugtem Haupte stand er da, und sagte noch immer kein Wort.

»Mein Gott, Ihr seid ja hell nit bei Euch selber!« rief das Weib.

Da tastete der alte Mann zitternd nach ihrem Arm, um sich zu stützen, und mit der anderen Hand fuhr er gegen den Mund und machte die Geste des Essens.

Jetzt blickte die Maria ihren Mann an und er sie. Nun wußten sie, der Greis hatte Hunger.

Der Simon hieß ihn auf die Ofenbank niedersetzen, aber der Alte hörte die Einladung nicht, er wankte wieder zur Tür hinaus, und vor derselben auf der Wandbank legte er mühevoll sein Bündel ab und setzte sich mit Hilfe seines Stockes daneben hin. Welch ein Mühsal, der selbst das Abrasten so sauer wird!

Das kleine Simerle auf dem Arm, das sich fest an sie schmiegte, eilte die Maria Steinwenderin in die Milchkammer und brachte eine volle Rein Milch heraus, von der sie nicht einmal die Rahmschichte weggeblasen hatte, wie sie sonst stets tat, wenn sie den Ihren die Gottesgabe auftischte. Der Simon nahm aus der Tischlade den Laib Brot, schnitt ein Stück davon ab, und das Messer ging tiefer, als sonst.

Und als die Maria an der Tür stand, an ihrer Seite der neugierige Sepple, der an seiner Birne nagte und dabei, halb in Furcht, halb in Mitleid, den alten Mann beschaute; an ihrem Arm das Knäbl im weißen Linnen, mit apfelroten Wangen und seinem Paar klaren Augensternen, und wie sie, die Maria, in ihrer drallen Gestalt, mit zierlich geflochtenem Blondhaar, dastand und mit einem Angesichte voll Milde und Wohlwollen die Milchschüssel reichte, da blickte der Simon nur so hin. – Und als der alte taubstumme, allverlassene Mann vorgebeugten Leibes mit zitternder Begier nach der Schüssel langte, während die blassen Lippen zuckten und aus den stieren Augen der Hunger glotzte, da blickte der Simon nur so hin.

Und während der Greis draußen Milch und Brot verschlang und Maria in die Stube zurückgekehrt war, setzte sich der Holzer auf einen Dreifuß, hielt die Ellbogen auf seine nackten Knie gestützt und sah zu seinen Schuhspitzen hinab.

»Geh' her ein wenig, Maria,« sagte er nach einer Weile, ohne aufzublicken.

Sie ging ganz leise zu ihm, neigte ihr Haupt nieder zu dem seinen und sagte: »Willst mir was, Simon?« Ihre Stimme war gütig.

»Maria,« sprach er und zog mit beiden Händen, aber lässig die Riemen seiner Bundschuhe fester. »Mußt nit bös sein dessertweg, daß ich so bin gewesen. Mußt mir die Red' verzeihen, so schlecht, wie ich's gesagt, hab' ich's nit vermeint.«

»Geh', sei nit närrisch,« war die Antwort.

»Gar versündigen kunnt man sich mit solch gottlosem Reden,« fuhr er fort. »Wenn man's nimmt, möcht' wissen, was uns fehlt? Sind gesund, mögen unsere Sach' verdienen, haben unser Dach und Fach, halten brav zusamm' und haben keine Feindschaftlichkeiten herum. Nachher – Maria – schau' dir einmal die zwei Buben da an. – Wenn man's nimmt und wenn man den alten Hascher anschaut da draußen, so kann man wohl sagen, wir sind nicht arm, wir sind reiche Leut'!«

Darauf antwortete das Weib: »Gerad' wie du's jetzt gesagt hast, so hab' ich denkt, wie ich dem armen Mann das Reindl Milch hab' gereicht. Der ist alt und krank und hat 'leicht keinen Menschen auf der Welt, zu dem er kunnt' seine Zuflucht nehmen. Und sein Anliegen, das kann er nit sagen und wollt' ihn wer trösten, so kann er's nit hören. Halb blind ist er auch schon. – Der ist arm und doch weiß man's nit, ob er auch unglücklich ist. Zwischen Armut und Unglück liegt ein tiefer Graben, hab' ich oft gehört. Und anderteils, wenn man bedenkt, daß wir reich sind, damit wär' ich noch lang' nit zufrieden. In der Brust muß einem leicht sein – und das ist mir jetzt wieder. Schau' mich an, mein Simon! Gelt, du verzeihst mir das grob' Wort, das ich voreh hab' dahergeschrien, wo ich selber nit dran glaubt hab'. Gelt, Simon, 's tut dir nit mehr weh?«

Er neigte mit dem Kopfe tief hinab, zog die Schuhriemen ganz übermäßig fest zusammen und sah starr zu Boden.

Jetzt ging wieder die Tür auf, ganz leise, aber weit, und herein schaute der alte Bettelmann und der hatte ein ganz anderes Gesicht, als das erstemal, und die Augen waren lebhafter. Er war gestärkt.

Und als er sah, daß die Eheleute auf ihn anschauten, tappte er mit dem Finger seiner rechten Hand auf die linke Seite seiner Brust und zeigte darauf hastig mit demselben Finger nach oben, gegen den Himmel, wo der Vergelter wohnt.

»Gesegne Euch's Gott!« rief ihm die Maria zu, gleichwohl sie wußte, daß er taubstumm war.

Der Simon sprang auf, rascher, als man es sonst tut, wenn man ein gut Werk verrichten will, schnitt noch ein Stück Brot ab und reichte es dem Alten.

Dieser dankte durch allerlei Gebärden, dann trippelte er auf seine Bank zurück, lud das Bündel auf den Rücken, faßte den Stock und wandelte davon. Beinahe frisch und munter sah er aus, der Gesättigte, aber der Schüssel, die auf der Bank stehen geblieben, war es nicht anzusehen, was heute in ihr gewesen sein mochte.

Der Simon hatte dem Alten eine Weile nachgeblickt; dann setzte er sich wieder auf den Dreifuß, aber mit der Miene des Behagens. Dann tat er einen Pfiff und sagte: »Geht her, Buben, wir wollen eins hopsen miteinand'! – Und du, Mutter, wenn du was zum Essen hast, so bring's herein, sonst krieg' ich Schaben im Magen.«

Da war sie die geschäftige Hausfrau und das glückselige Weib. Und der Simon, als er am Tische stand und Brot in die Suppe schnitt, wackelte mit dem Haupte und murmelte: »Du verdangelte Sach'! Jetzund wär' ich heut' bald verrückt worden. Eine Schand für die Welt, daß der Bettelmann muß reich machen!«



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