Peter Rosegger
Sonnenschein
Peter Rosegger

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Die Sonnseitige und der Schattseitige

Diese vorstehende Geschichte muß man aus verschiedenen Gründen wissen. Sie ist sehr einfach und sehr ärgerlich und sehr lustig und sehr merkwürdig.

Von zwei Großbauern handelt sie, die nebeneinander ihren Besitz hatten, der eine an der sonnseitigen Berglehne, der andere an der schattseitigen. Der Sonnseitige baute Weizen, der Schattseitige mußte sich mit Hafer abgeben. Der Sonnseitige trieb Viehzucht, der Schattseitige Waldwirtschaft. Der Sonnseitige hatte Obst, der Schattseitige verlegte sich auf Kartoffeln. Der Sonnseitige hörte auf seinem Dache manchmal eine Nachtigall singen, der Schattseitige immer nur Spatzen. Fast widernatürlich erschien nur das eine, daß der Sonnseitige ein schwarzbärtiger, sehr ernster nachdenklicher Mann war, und daß der Schattseitige fast Goldlocken und ein stets freundlich lächelndes Rundgesicht hatte. Und noch unglaublicher ist es, daß diese beiden ganz verschiedenen Männer mit den ganz verschiedenen Höfen in treuer Freundschaft zusammenstanden. Sie halfen sich gegenseitig in der Arbeit, die bei der Ungleichheit der Lage selten in die gleiche Zeit zusammenfiel. Sie standen sich in allem bei, wie das bei den aufeinander angewiesenen Hinterbauern wohl so herkömmlich ist. Sie tauschten je nach Bedarf ihre Naturprodukte aus, so daß sie größtenteils den Handel ersparten mit der weiten Welt.

Ihre Freundschaft stammte aus jungen Zeiten. Damals waren beide in ein und dasselbe Dirndl verliebt gewesen, was sonst nicht gerade das Gefühl der Brüderlichkeit erzeugen soll. Aber während sie sich zögernd anschickten, einander in aller Nachbarlichkeit den Standpunkt klarzumachen, kam ein Dritter über das Mädel und verdarb es. Diesen Dritten bläuten die beiden schneckenweich durch, und seit solch gemeinsamer Tat waren sie zusammen wie Brüder. Während ihres Soldatenlebens standen sie sich auch bei, der genügsame Schwarze gab dem genußfrohen Blonden manchmal ein Stück Kommißbrot, der fleißige Blonde putzte dem bequemeren Schwarzen Gewehr und Bajonett. Auf ihre Höfe heimgekehrt, haben sie sich Weiber genommen, der Schwarze eine vom Tal herauf, der Blonde eine von der Alm herab, und sie waren stillschweigend dahin übereingekommen, daß sie in allem Gemeinschaft halten wollten, nur nicht in den letzteren Stücken.

Beim Blonden, dem Schattseitigen, schrie es zuerst, das war ein Bub. Ein paar Jahre nachher schrie es auch beim Sonnseitigen, und das war ein Mädel. Und jetzt kam dem Schattseitigen der übermütige Gedanke, sein Johansel und des anderen Margretel müßten ein Paar werden. Und die beiden jungen Leutchen waren zurzeit noch gar nicht verliebt. Falls sie aber je einmal verliebt werden sollten, hatte der Sonnseitige nichts dagegen. »Gut ist's, Nachbar, und brav bist!«

Also haben die Väter sich versprochen, daß die Kinder einander lieben würden, damit Sonn- und Schattseiten endlich auch Form rechtens zusammenkämen.

Die Kinder wuchsen heran und waren frisch und sauber. Der Johansel war heiter wie sein Vater, die Margretel war ernsthaft und klug wie der ihre. Daß die junge Sonnseitige das weiche Blondgelocke des Schattseitigen, und der junge Schattseitige das dunkle Haar des alten Sonnseitigen hatte, war auch wieder so ein Spiel der Natur, die auf diesem Berge ihre Schalkereien trieb.

Und die jungen Leute betrugen sich zur vollsten Zufriedenheit der Alten. Schon als Kinder kamen sie zusammen auf die Matte, um Blindekuh zu spielen, in der Schule saßen sie auf einer Bank und traten einander oft trutzig auf die Zehen. Später gingen sie, von den Eltern geführt, auf die Kirchweih und tanzten miteinander und keiner versuchte es, dem strammen Schattseitigen das Dirndl abwendig zu machen. Die beiden Bauern trugen sich schon mit Plänen, ihre Höfe zusammenzutun zu einem Großgrundbesitz und die jungen Leute daraufzusetzen, daß sie ein Ahnenpaar würden des Geschlechtes der Sonn- und Schattseitigen für Jahrhunderte.

Und die Kinder waren sehr sittsam. Der Johansel war neunzehn Jahre alt geworden, tat aber noch nichts desgleichen. Die Margretel ging auch allemal so ruhig und werktägig an ihm vorüber und fragte ihn höchstens, ob das Wetter anhalten werde. Dem Johansel war das Wetter gleichgültig, wenn es nur in den Samstagnächten nicht regnete, denn da ging er mit anderen Burschen im »Gaffeln« und Fensterln um unten im Tal und drüben auf den Bergen. Am Fenster des sonnseitigen Nachbarhofes meldete er sich nie, er dachte nicht daran.

Weil er das einzige Kind war auf dem Hofe, so brauchte kein Soldatenleben besorgt zu werden, und weil der Alte sich schon gerne in die Behaglichkeit zu setzen gedachte, so stand dem Burschen nichts im Wege, von der Erde Besitz zu ergreifen und die Braut heimzuführen.

»Mach' halt Ernst, Sohn!« sagte der Vater eines Tages. Der Johansel machte ein ernstes Gesicht, anders verstand er's nicht.

»Rechtschaffen sauber hat sie sich ausgewachsen,« sagte der Alte.

»Ein Vogelnest ist auch schon drin,« antwortete der Bursche, denn er meinte, der Vater spiele auf die junge Linde an, die vor dem Hause stand.

Der Sonnseitige hinwiederum, wenn er bei Weib und Tochter saß, redete gern von Nachbars Johansel. Ein bildhübscher Mensch! Ein braver Bursch'! Ein lieber Kerl! Und was die Margretel dazu sage?

Was soll sie denn dazu sagen, er sei halt auch so wie die andern jungen Leut'.

Die Alten machten Gelegenheit, die Jungen ergriffen die nicht. Die Alten trachteten, daß Sonntags auf dem Kirchweg die Kinder zusammenkamen; diese kamen zusammen, gingen gleichgültig nebeneinander her und wendeten sich bei nächster Gelegenheit wieder voneinander ab. Zu Ostern schickte die Alte vom Sonnseitigen dem Johansel fünf rote Eier mit der Bemerkung, er könne sich's wohl denken, von wem.

»Eier tu' ich gern essen,« sagte der Bursche, schälte sie ab und steckte eins nach dem andern in den Mund.

Zu Pfingsten kam der alte Schattseitige in den sonnseitigen Hof, ging dem Dirndl zu, das im Garten Blumen jätete und rief über den Zaun hinein: »Schon wieder fleißig bist, Margretel. Du wirst schon einmal eine brave Bäurin. Einen schönen Gruß hab' ich auszurichten, willst raten von wem?«

»Einen schönen Gruß, nimmt man allemal, und von wem der will!« Das war ihre Antwort.

– Und sie taten nichts desgleichen. Man konnte auch nicht dahinter kommen, als hätten die Kinder andere im Kopf. Der Johansel scherzte mit vielen Nachbarsdirndeln so herum, die Margretel neckte manchen Burschen, besonders bevorzugt wurde keine und keiner.

»Daß die zwei gar so g'schamig sind zueinander,« sagte eines Tages der Sonnseitige.

»G'schamig meinst?« entgegnete der Nachbar. »Ich weiß es nicht.«

»Müssen ihnen halt einmal die Nasen zusammenstoßen, daß sie's merken.«

»Du, ich weiß es nicht!« antwortete der Schattseitige mit bedenklicher Miene.

»Wenn wir nicht dazuschauen, so mischt sich der eine oder die andre drein – was machst nachher?«

Er wisse es nicht. Wenn ich ein so gemütliches Rundgesicht hätte wie der Schattseitige, so wollte ich doch einmal etwas anderes sagen als: »Ich weiß es nicht.«

Der schiefwinkelige Viehhändler Zusel kam wieder einmal in die Gegend und trat beim Sonnseitigen ein, als die beiden Freunde just so beisammensaßen. Ein paar schicksame Redensarten zuerst, dann vom lieben Gesund, vom Vieh und auf einmal die Frage: »Na, Bauern, macht's schon bald Hochzeit miteinand?«

»Weiß nichts,« sagte der Schattseitige.

»Du weißt nichts? Und überall reden die Leut' davon. Und habt's ja mir selber schon einmal gesagt, sie sollten ein Paar werden allzwei!«

»Wie's Gott will,« gab der Sonnseitige bei.

»Ich denk', er wird's nicht wollen,« meinte der Schattseitige.

»Oho, mögen sie sich nicht?« fragte der Viehhändler überlaut.

»Mich deucht, 's ist schlimmer,« sprach der Sonnseitige. »Wenn sie sich spinnefeind wären, so ließe sich noch darüber reden, da kunnten sie ja Freundschaft machen miteinand. Aber 's ist schlimmer. Sie sehen einander nicht; wie zwei Holzstücke, so sind sie sich gleichgültig.«

»Mit Holzstücken ist auch noch nicht zu verzagen,« sprach der Viehhändler. »Holz kann Feuer fangen.«

Sprach es, schob ein wenig die Zungenspitze zwischen den Lippen hervor und zog seine linke Achsel in die Höhe. Er war in manchen Händeln schon der Bauern Vertrauter gewesen von Jugend auf, nun da durfte er wohl mitreden, und er tat's jetzt redlich.

»Männer!« sagte der Zusel, »ernsterweis', ihr sähet es gern, daß die zwei zusammenkämen. Und die Leut' wissen's auch und möcht euch niemand hinderlich sein. Ich weiß was, Männer, denn ich bin ein vertrackter Strick. Wenn ihr's durchsetzen wollt, so müßt ihr's ein bissel anders angehen. Der Johansel hat sich hören lassen, von anderen ließe er sich keine aussuchen und nicht einmal von den Vaterleuten. Er sei schon selber so klug zu sehen, welche ihm gefällt. – Und der ledige Trotz ist's, und so ist's und nicht anders!«

»Nachher hätten wir's ja selber verdorben?« sagte der Sonnseitige.

»Ja, und nachher müßte man's selber wieder gutmachen,« gab der alte Viehhändler mit bedeutsamer Miene drein.

»'s ist eigentlich ein heller Spaß!« lachte der Schattseitige auf.

»Spaß!« entgegnete der Nachbar, »das kunnt ich just nicht sagen. Mir geht's nahe. Wenn man sich einmal seit vielen Jahren in was hineingedacht hat! Mir steht's nicht an, daß ich einen weltfremden Schlingel in mein Haus setze.«

»Und ich will auch keine andere zur Schwiegerin haben,« so der Schattseitige.

»Nun also!« sagte der Viehhändler und netzte sich mit der Zunge die Lippen, »alsdann mögt's vielleicht einen guten Rat brauchen. Ich hätt' einen im Sack, ist mehr wert als ein paar Ochsen. 's wär' nicht der erste Kuppelpelz, den ich verdiene. Zwei junge Leut' nicht zusammenbringen! Das wär' schon auch was Neues. – Macht's die Tür zu, daß nicht jeder hereinlofen kann.«

Und weil sie die Tür zugemacht haben, so weiß ich nicht, was weiter gesprochen worden ist.


War eines Morgens der Johansel damit beschäftigt, den stahlgrauen Stier schön zu machen. Das Tier sollte nämlich an diesem Tage auf die Kirchweih, auf welcher es Tanzmusik, Jahrmarkt und Viehmarkt gab. Dazu wurde der Stahlgraue fast hochzeitlich hergerichtet. Der Johansel striegelte ihm von der Haut alle Mistkrümchen herab, beraspelte mit einer Hornfeile die Klauen und die Hörner und stutzte den Schweif. Das Tier hielt ruhig still, als wisse es um die Vorteile einer sorgfältigen Toilette.

An der Stalltür stand der Schattseitige und schaute seinem Sohne mit Wohlgefallen zu. »Laß gehen, wird ja gut sein,« sagte er endlich, »und jetzt geh' und tu' dich auch selber zusammen.«

Blickte der Junge auf den Alten und antwortete: »Ich bin ja beisammen.«

»Das Haar wirst dir doch auskampeln, wenn du auf die Kirchweih gehst!«

»Das kann ich eh' tun,« sagte der Johansel und fuhr sich mit den ausgespreizten Fingern ein paarmal durch die Haare.

»Johansel,« sprach der Alte ganz gelassen, aber ernsthaft, »du mußt mehr halten auf dich. Wer selber nichts auf sich hält, auf den halten andere auch nichts. Den Grauen kannst verkaufen auf dem Markt, das ist recht. Aber was anderes kannst dafür heimbringen. Na, was glaubst, was ich meine? Mir ist's schon eingefallen in deinem Alter, nur daß mir dazumal mein Vater die Wirtschaft noch nicht übergeben hat. Du bist besser dran. Ich und deine Mutter, wir haben uns viel geplagt unser Lebtag und möchten es ein paar Jahrlen gut haben, ehevor wir einrucken müssen. Da hat eine schön hereinzusitzen, eine junge Bäuerin. Hast dir denn noch keine ausgesucht? – Schau du, das rechte Hörndl muß mehr aufg'spitzt sein, wart, gib her!« Er nahm dem Burschen die Raspel aus der Hand und feilte dem Stahlgrauen die Hornspitze mehr aufwärts. Dabei fuhr er fort: »Oder willst mir ihn gunnen, den Kuppelpelz? Ist auch recht, hab' eh gern warm. – In der Hebenreuth drüben steht eine. Aha, du spitzest schon das Ohrwaschel. Die Höfelgruberische! Gelt, die ist's? Na, ist sie's? Ein braves Mädel. Holz bei der Hütten, und die Kittelsäcke voller Dukaten. Wirst nicht leicht eine Gescheitere finden. Na, wenn sie heut' auf dem Markt ist, schau sie an darauf hin. Mich brauchst weiter nicht mehr zu fragen. So, das Hörndl ist recht. Das Hirnblatt mußt ihm noch glatt striegeln.«

Die »Ohrwaschel« hatte er freilich gespitzt, der Johansel, weil er anfangs meinte, die Margretel von der Sonnseite käme aufspaziert, und jetzt war's die kropfige Höfelgruber-Dirn. Just, daß er nicht laut auflachte. Er sagte nichts, kein Wort. Es war überhaupt zu dumm. Die Höfelgruberische! Daß die Alten schon einmal gar kein Auge für die Figur haben! Daß sie alleweil nur ans Geld denken! Himmel-Hollerbuschen, was wäre dagegen die Margretel für eine!

Unter solchen Gedanken führte er den Stahlgrauen zu Markte. Ob er ihn verkauft hat, das weiß ich nicht, daß er die Höfelgruberische nicht angeschaut hat drauf hin – das weiß ich.

Das war just nicht dumm, aber noch klüger war die Margretel auf der Sonnseite. Die hatte schon Wind bekommen; ach, du lieber Sankt Isidor! Ein einziges Mädel ist gescheiter als drei Mannsleute, und selbst wenn ein Viehhändler darunter ist.

Stand sie da unter dem Apfelbaum und hielt eine große blaue Schürze auf, in welche der Vater Äpfel vom Baume schüttelte. Auf einmal schüttelte er nicht mehr, sondern hub an zu sprechen: »Tochter, hast gehört? Ich will dir was sagen, was die jungen Weibsbilder alleweil gern hören. Nu, was wird's wohl sein? Heut' oder morgen wird wer kommen. Sollt' er sich bei dir anmelden, so wirst ihn nicht hart abweisen, denk ich. Wie der dir's gut meint, Kränkung tät' er keine verdienen. Wenn du den nimmst, da brauchst dein Lebtag keine Schuh mehr, der tragt dich auf den Händen. Zwei Häuser hat er im Stadtel, und wenn dir keins davon gefällt, so baut er dir ein drittes, Dirndl, hörst, um den ist viel Augenwasser geronnen – und mögen, sagt er, tut er nur dich und sonst keine, keine einzige mehr. – Hessa, das ist ein Saftiger. Verkost' ihn.«

Mit dem Saftigen meinte er einen gelben Butterapfel; sie legte ihn zu den übrigen und dachte einen Augenblick: Der Johansel kann's doch nicht sein, der hat keine zwei Häuser im Stadtel.

Am nächsten Tage kam er und wurde vom Vater an mutiglich vorgestellt. Schiefachselig war er und glatzköpfig und mit der Zunge leckte er immer über die Lippen heraus, als ob er das, was von den süßen Worten dran kleben blieb, wieder wollte hineinlecken. Der Viehhändler Zusel war's und kein anderer, und der hielt manierlich um ihre Hand an.

»In Züchten und Ehren,« sagte er nach altem Spruche, »will ich mich nahen, werte Jungfrau Margarete. Daß ich kein Jüngling mehr bin, sehet Ihr gleichwohl, das ist nur ein Grund für mich, ernstlich ans Freien zu denken, und ein Grund für Euch, Euere Hand mit Vertrauen in die eines erfahrenen Mannes zu legen, und sein herztausiger Schatz zu sein.«

Weil sie ihn jetzt mit ihren großen Augen fast andächtig betrachtete, so fuhr der alte Zusel fort: »Seit einem halben Jahre oder länger habe ich heimlich um Euch gekundschaftet und erfahren, daß Ihr gar sittiglich seid und klug und keinem jungen Lecker Gehör gebt. Und mein kleiner Finger tut mir's sagen, daß Ihr ganz heimlich den Zusel im Herzen traget, und daß Ihr wohl nimmer nein sagen werdet, wenn ich Euch jetzt in Gegenwart Eures Vaters frage, ob Ihr in Lieb und Treuen Haus, Tisch und so weiter mit mir teilen wollet. Liebstes Jungfräulein, ich frage Euch!«

Auf solchen Spruch war es still. Das Dirndel schlug den Blick zu Boden, zerzauste eine Schürzenecke und sagte nicht nein. Dem Vater war das nicht ganz geheuer, rasch setzte er ein: »Stark über die Fünfzig ist er freilich schon . . .«

»Das macht nichts!« rief die Margretel aus. »Die Alten sind gut behalten, heißt's, und ein Mannsbild wird ja gar nicht alt, sagt das Sprichwort. Und besser alter Mann und junges Weib, als umgekehrt.«

»Freilich,« setzte der Vater bei, »heißt's auch: Alter schützt vor Torheit nicht, und wer altet, der kaltet.«

»Geht's, geht's,« sagte der Viehhändler mit fast kreischender Stimme: »Was wollt's denn mit so dummen Sprücheln? Der Zusel nimmt's noch mit einem Dreißigjährigen auf, wenn's was gilt! Gilt's was? He!«

»In Gottesnamen,« flüsterte das Dirndel, »will ich's halt wagen.«

Der Zusel tat schon die Arme auseinander und wetzte die Lippen mit der Zunge für den Verlobungskuß. Der Vater fuhr dazwischen. »Das hat auf morgen noch Zeit,« sagte er schneidig, »wer neunundfünfzig Jahr gewartet hat, wird auch noch einen Tag warten können. Hörst, Dirn, in die Küche geh' hinaus, die Mutter hat gerufen.«

Na, da ist das Mädel hinausgegangen, und der Sonnseitige hat seinem schiefwinkligen Viehhändler höllisch einfältig ins Gesicht gestarrt, »Du Zusel,« sagte er, »das Band foppt uns!«

»Geh', Patsch, foppen!« war des andern Ausruf. »Merkst es denn nicht, Schwieger, was es geschlagen hat? Verliebt ist sie in mich!«

»Oho!«

»Was?«

»Oho ter odoh, singen die Halter!« drauf der Bauer. »Freilich verliebt in dich! Gewiß auch noch. Kann mir's denken, he, he!«

»Dein Frotzeln kannst just sein lassen, Vater. Deinen Willen hast hergegeben, sie hat ja gesagt, der Spaß ist ernst geworden, und ich bin nicht der Narr und steh' zurück.«

»He he – he he,« meckerte der Sonnseitige und schob sich sachte zur Tür hinaus.

Kurze Zeit nach diesen Begebenheiten kam der Allerseelentag. Unter den Kirchhofbesuchern war auch die Margretel, sie hatte eine große Flasche mit Weihwasser bei sich und goß dieses auf das begraste Grab einer alten Muhme. Da trat der Johansel zu ihr; ganz hastig trat er hin und sagte halblaut: »Heut ist just der rechte Tag dazu, daß man dir gratuliert.«

»So, gratulieren! Zu was denn?«

»Na, halt zu deinem schönen Bräutigam!«

»Gott geb' ihr die ewige Ruh!« hauchte sie, den Rest aus dem Glas auf den Rasen schüttend, dann wendete sie sich schneidig zum Burschen: »Hörst, Johansel, von dir nehm' ich nichts an. Kein gutes Wort und kein schlechtes und gar nichts und du laß mich in Fried'!«

Sie wollte davon, er faßte sie am Arm und sagte: »Zornig bist! Jetzt laß ich dich erst recht nicht in Fried. Warum bist denn früher nie so zornig auf mich gewesen? Und ich mag dich auch nicht, und du bist mir viel zu – zu – gar nichts bist mir, und ich will dir nur noch meine Meinung sagen.«

»Ich bitt' dich gar schön, gehen wir hinaus, die Leut' schauen schon auf uns. Da auf dem Friedhof solche Sachen!«

Denn es war ihr zumut', als wäre das der Streit eines Liebespaares.

Draußen am Rain unter dem Ahorn auf der Schichte der niedergefallenen gelben Blätter, dort standen die zwei jungen Leute und machten sich Vorwürfe. Er ihr, weil sie sich diesem lächerlichen Menschen verlobt hatte; sie ihm, weil er sich um sie die ganze Zeit her nie gekümmert. Und als sie so weit waren, daß die Margretel zu weinen anhub, legte er seinen Arm um ihren Hals und sagte mit einer recht unsicheren Stimme: »Wenn ich weiß', daß du heiraten willst und nicht gleich den erstbesten nehmen mußt, so kann ich auch aufwarten. Dem Viehhändler gunn ich dich nicht, daß du's weißt!«

Lachte sie mitten aus dem Schluchzen hervor: »Lapperl, dummes! Glaubst denn, es ist mein Ernst? Will mit dem Alten ja nur den Vater in die Angsten jagen – und auch noch einen andern –«

»Leicht gar mich?«

»'s wär' bald verpaßt, Bübel! Allzulang' wartet man nicht auf einen, der alle Fenster probiert in der Nachbarschaft. Und wenn du glaubst, der jung' Bursch' hat nur zu winken, daß eine dem Bräutigam durchgeht und ihm nachlauft, so kannst auch noch was lernen. Für nichts kriegt mich keiner. Derweil seh' ich nur deinen Trutz, aber der ist mir zu wenig. Auch der Possen, den du dem Zusel spielen willst, ist mir noch nicht genug, ich will mehr, mein Lieber!«

»So viel Geld wie der Viehschacherer weiß ich nicht, ob ich aufbringe.«

»Nach Geld frag' ich nicht, daß du's weißt.«

»Was lauter sonst?«

»Wenn's dir nicht einfällt, was zum Heiraten gehört, nachher, nachher – behüt' dich Gott.«

»Was wird denn dazugehören zum Heiraten? Kunnt mir's nicht denken. Ein bissel Gernhaben wird halt dazu gehören.«

»Na endlich! das hat was gebraucht, bis er draufkommt.«

Vom kahlen Ahornbaum flatterte das vorletzte Blatt herab und gerade zwischen den Köpfen der beiden. Es war so schön dreilappig, aber es hat wenig genützt. Und als das letzte fiel, das allerletzte Blatt – nun, ihr könnt euch's denken.

Also haben die Alten von der Sonn- und von der Schattenseite die Erfüllung ihrer Absicht doch erlebt. Der Zusel hätte Hochzeitsbitter sein sollen, aber er hat sich dafür bedankt. Daß er das Mädel foppen wollte, daran fand er nichts; aber daß er selber gefoppt wurde, das nahm er übel. Nun, er kann schon heimgehen, wir brauchen ihn nicht mehr.



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