Peter Rosegger
Sonnenschein
Peter Rosegger

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Der Fremde im Vaterhause

Die Tür geht auf, in den Saal tritt der Institutsvorsteher.

»Anderlacher Franz!« ruft er.

»Hier!« antwortet ein zwölfjähriger Junge aus dem Pustertale. Ja, das war der Anderlacher Franz, der Sohn des Hegers, »unter der Alm«, den sein Vater nach Innsbruck geschickt hatte, um »geistlich« zu werden.

»Ein Brief!« sagte der Vorsteher.

»O je!« riefen die andern Jungen, »ein blinder – der hat keine roten Augen!«

Der Anderlacher Franz war fast der einzige im Institut, der niemals einen jener Briefe bekam, welche durch die fünf roten Augen des Petschafts den Empfänger so freundlich anlachen. Franzens Vater wußte nicht, daß ein Mensch, wenn er zu essen und zu trinken, ein Gewand und ein Dach hat, auch noch Geld brauchen könne. Sein Bauernhaus lag im Gebirge – für ein Bauernhaus zu hoch, für eine Almwirtschaft zu tief, für ein »Kleingütel« gerade recht. Macht nichts. Wenn aus diesem Hause ein geistlicher Herr hervorgeht, dann hat es mehr, als seine Schuldigkeit getan.

Nun, der kleine Franz drängte sich freudig zwischen seinen Kollegen durch, um den Brief in Empfang zu nehmen. Damit begab er sich eilig hinaus auf den langen Gang zu einer Stelle, wo durch das Hoffenster Licht hereinfiel; er wollte nicht, daß ihm beim Lesen ein neugieriges Auge über die Achsel gucke. Das Schreiben war zwar von seinem Vater, aber es war doch wieder nicht von seinem Vater – und die Genossen brauchen es nicht zu wissen, daß sein Vater nicht schreiben kann.

Und richtig, der Franz kennt die Schrift sogleich – der Herr Pfarrer von St. Agnes ist es wieder. Der gute alte Herr hat den Jungen selbst nach Innsbruck gebracht und seitdem schreibt er ihm alles nach, was daheim vorgeht und was Vater, Mutter, Ahne, Schwester und Bruder ihm sagen lassen.

In dem heutigen Briefe steht solches zu lesen:

»Lieber Franzel!

Ich hoffe, daß Dich diese Worte in guter Gesundheit finden werden, wie Du ja vernünftig bist, dieses größte Geschenk Gottes dankbar zu behüten.

Durch das Semesterzeugnis, welches Du Deinem letzten Briefe beigelegt, hast Du den Deinen und mir eine rechte Freude gemacht.

Besonders freut es mich, daß es mit dem Latein so gut geht; das Rechnen wird sich schon machen. Nur fort so, lieber Franz! Bei Deinen Eltern ist alles wohlauf, Dein Vater sagte mir, daß die Großmutter schon die Wochen zählt, bis Du auf die Vakanzen kommst. Es sind deren nur mehr neun. Wir wollen dann recht heiter sein und darfst mir nicht jeden Tag auf den Berg hinauf, bleibst im Pfarrhof, und bis dahin wird auch die neue Kugelbahn fertig sein.

Bei Deinen Eltern daheim wirst ohnehin keinen Platz haben. Dein Vater, scheint es, will Dir die Sache nicht schreiben, aber ich muß Dir's doch verraten, was daheim vorgeht.

Vor einiger Zeit – ich glaube, es ist schon drei Monate – haben sie bei Dir daheim Einquartierung erhalten. Sie ist unbequem und ganz absonderlich. Ein junger Mensch ist gekommen und der hat sich festgesetzt und läßt sich gar nicht mehr fortbringen. Und das nicht genug, er nimmt das ganze Haus in Anspruch und will bedient sein; ist dazu noch unglaublich wählerisch an Nahrung und allem, was man ihm aus Güte tut – kurzum, er spielt den Herrn im Hause. Die Leute müssen noch freundlich mit ihm umgehen und allerlei Rücksichten beobachten – ich weiß nicht, ob sich der junge Student mit diesem wird vertragen können.

Nun, es wird sich alles tun, Franzel, bleibe nur hübsch brav und vergiß nicht auf Deine Eltern und auf Deinen väterlichen Freund

Bernhard Paumgartner,
Kurat zu St. Agnes.«    

Dem Briefe beigelegt, in ein feines Papier gewickelt, war ein Guldenschein, über den sich der Knabe den Kopf zerbrach, was der Pfarrer von St. Agnes aus der Stadt dafür geschickt haben wollte. Im Schreiben fand sich darüber keine Bemerkung.

Aber noch mehr Kopfzerbrechens verursachte dem Burschen der Bericht über den seltsamen, fremden Menschen, der in sein Elternhaus gekommen sein soll. Warum ihn nur der Vater nicht fortschickte, wenn er so herrisch und zuhabig ist? Im Hause ist ohnehin nicht überflüssig viel Sach', was soll noch ein Fremder mitschmarotzen! Ob denn der Vater etwa einen Gläubiger hat, der sich so unsauber eindrängt? Ob er nicht gar etwa das Haus an jenen verkauft hat? – Nein, nein, heimlich, das tut der Vater nicht. Der hat kein Geheimnis vor der Mutter und die Mutter hätte mir's sicherlich schreiben lassen.

Oder? –

Jetzt hatte er's und das war's – albern, daß es ihm früher nicht eingefallen. Ein Exekutionssoldat. Hatte der Vater nicht so oft erzählt von Exekutionssoldaten, die vom Amte dem Bauer ins Haus geschickt werden, wenn der nicht zur rechten Zeit die Steuer erschwingen kann? Werden ins Haus geschickt und bleiben sitzen und lassen sich gut geschehen und spielen den Herrn, bis das Geld erlegt wird. Und da bläht sich hernach so einer auf, und je mehr er – sagt der Vater – in der Kasern' hat kuschen müssen, je närrischer stranzt er sich und muß alles zuweg sein, was er verlangt. – Der Franzel selber hatte einen solchen Schüsselreiter gekannt. Ein Kroat war's, konnte auf deutsch nur Braten, Butter und Kuchen sagen und wenn die Mutter nicht jeden Tag damit aufzuwarten vermochte, etliches auf deutsch gotteslästerlich fluchen. Der Vater fand sich beim Steueramt um einige Gulden im Rückstand, weil das für dasselbe Jahr zu verkaufende Stück Vieh in einen Abgrund gestürzt war. Nun blieb der Soldat so lange im Haus, bis der Anderlacher bei guten Nachbarsleuten das Geld zusammengebracht hatte. Das währte wochenlang, der Kroat aß dreimal so viel auf, als was das Steuergeld ausmachte, lag größtenteils auf der Ofenbank und vernebelte des Vaters Tabak oder er ging im Kuhstalle um und stellte der Magd nach, die vor ihm kreischend davonlief, wie die Henne vor dem Geier. Bis endlich das Steuerbüchel gedeckt war, hatte der Kerl auf gut deutsch schelten gelernt und ohne »Vergeltsgott« und ohne »Dankdirgott« ist er davongegangen.

Kein Zweifel, so einer hält auch jetzt das Elternhaus belagert, so einer liegt ihnen auch jetzt in der Schüssel, auf der Ofenbank und weiß Gott wo sonst überall herum.

In einem nächsten Brief nach Hause stellte der Anderlacher Franz unter anderen die zwei Fragen: »Ist der lästige Mensch noch im Haus und was soll ich dem Herrn Pfarrer für den geschickten Gulden einkaufen?«

Antwortete wieder der Pfarrer: »Der Mensch ist immer noch im Hause und der Gulden, lieber Franzel, gehört Dein. Wenn ich Dir's nicht geschrieben habe, so hättest Du Dir's selber denken können. Heute liegt das Geld zur Heimreise bei; sei vorsichtig. Im Posthause zu Brixen frage dem Hans Halbscheid nach, mit dem fahre bis Bruneck. Wir erwarten Dich mit Freuden.«

Ein herzensguter Mann, der Herr Pfarrer – aber diese verdächtige Einquartierung daheim!

Die Vakanzen sind da.

Als der Franzel sein Zeugnis bekommt, muß er an sich halten, daß er nicht laut aufjauchzt; das täte sich im Lehrsaal doch nicht schicken. Der Franzel ist in seiner Klasse der Erste.

»Das gibt noch einen Bischof,« scherzte der Professor. »Vor Zeiten zwar hat man den Frömmsten dazu gemacht, aber heute steckt man den Gescheitesten unter die Schnabelhaube. Mußt dir aber nichts einbilden, Anderlacher.«

Bischof hin und Bischof her – der Franzel geht jetzt heim auf die Alm. Da gibt's Vogelfangen zu stellen, Forellen zu fischen, zu reiten auf des Kronenwirts Braunen und die Kugelbahn ist auch fertig! Vielleicht läßt sich sogar mit dem Exekutionssoldaten was anfangen: leiht er nur sein Gewehr – im Schachen gibt's Spatzen.

Flink packt er seine sieben Sachen in eine Handtasche, hängt sein graues Jäcklein mit dem Samtkragen um, dann das Seitentäschchen, legt noch die Reisedecke in den Wagen und den großen Regenschirm. O, dieser Regenschirm ist seine Pein; was hat er dieses Schirmes wegen schon für Verfolgung ausstehen müssen! Aber die Mutter hat's nicht anders getan, hat gesagt, als er fort nach Innsbruck ging, sie hätte keine ruhige Stund', wenn er den Regenschirm nicht mitnehme, man wisse niemals, was für ein Wetter einfalle. So nahm damals der Junge das Unding, das größer war, als er selber, unter den Arm und trug es in die Stadt Innsbruck. Dort bei den Kollegen ging das Gehetze los, sie nannten ihn den Paraplui-Jackel und wenn er den Schirm einmal aufspannte, so drängte sich die ganze johlende Rotte unter denselben herbei und sie stießen ihn hin und her wie fürwitzige Böcklein. Es war keine Ruhe, bis der arme Franzel den Schuldiener bat, das rote Ungeheuer zu verbergen. Aber wie die Mutter gesagt hatte, daß er den großen Regenschirm mit nach Innsbruck nehmen solle, so hatte der Vater ihm eingeschärft, daß er ihn wieder nach Hause bringen müsse. Darum wählte nun der Student zur Abreise eine dunkle Abendstunde und noch einmal schwang er sein Tuchkäppchen mit dem glänzenden Schildchen zum Scheidegruß der schönen Hauptstadt von Tirol – und fröhlich ging's der Heimat zu.

Was waren ihm die Berghöhen so sonnig und die Morgenschatten so taufrisch! Was wuchsen ihm an den Füßen die Flügel, gleich dem steinernen Knaben auf dem Hause der Handelsschule zu Innsbruck, was ging ihm das Herz auf!

An der Sill schnitt er sich einen Haselstock, den braucht er unterwegs, und kommt er heim, so mag's etwan auch nicht schaden, wenn der fremde Mensch sieht, er bringe so was mit.

* * *

Am Samstagabend ist's, vor Jakobi.

Im Hause unter der Alm ist's schon um drei Uhr Feierabend. Der Samstagabend gehört unserer lieben Frau. Der Hausvater läßt die Arbeit im Walde ruhen, kommt hemdärmelig, wie er an Sommertagen stets umgeht, ins Haus. Auf dem Filz hat er auch immer die Hahnenfeder, die holt er sich gelegentlich selber von der Luft herab. Mit heiler Haut kommt er selten vom Hage heim, hat's an den Kleidern keinen Riß, so gibt's am Finger eine Schramme. Es ist wohl wahr, er ringt mit der Arbeit trotz, wenn er dabei ist. Ihr seht auch kein Fleckel an seiner Hand, an seinem stets luftigen Brusthemd, an seinem Gesicht, auf welchem nicht einmal eine Wunde war. Vernarbt und verwegen sieht er aus, der knorbelige Mann mit dem buschigen Schnurrbart; da er jetzt in die Stube tritt, sagt er zu seinem Weibe: »Du, Mutter, klenk' (nadle) mir das Leible z'samm!«

Wahrhaftig, das Leible (die Weste) ist arg auseinander, aber die Hausfrau setzt sich auf den Schemel: »Na, duck' dich her, Vater!« und bald ist alles geschlichtet.

Jetzt schickt er sich an, seine Pfeife zu laden – geschnitzt hat sie der Rinleger-Sepp. Und das barfüßige Tonele muß mit dem funkelnden Stahlzänglein in die Küche um eine glühende Kohle. Dieweilen kommt schon das Büble gesprungen, klettert auf des Vaters Knie, will »reiten nach Wien, in die Kaiserstadt hin«, und das Maidle kettet dienstfertig des Vaters Lendengurt loser und das Kleinste – das erst seit kurzem seine eigenen Händchen entdeckt hat, und wie sie brauchbar sind zum Anpacken – langt nach der Pfeifenquaste oder gar kecklich nach dem »Schnauzbart«, unter dem von Zeit zu Zeit – der Anderlacher ist haushälterisch im Genuß – ein dünnes Rauchwirbelchen hervorquillt. So sitzt er mitten unter den Seinen und schaut ernsthaft drein – aber inwendig, da schmunzelt sein Herz. Er spricht nicht von Glück, aber er hat es.

Warum nur die Weibsleute keinen Feierabend haben?

Der Rinleger Sepp ist ein alter Spintisierer, der erklärt alles, der weiß auch, warum an Samstagen die Weibsleute keinen Feierabend haben, sondern bis spät in die Nacht in Haus und Scheuer beschäftigt sind, während die Mannsleute schon ihren Vergnügungen nachgehen, oder ihrer Ruhe obliegen. »Denen mit dem langen Haar und mit dem kurzen Verstand hat Gott desweg die Samstagsrast versagt, weil sie doch nicht täten rasten, sondern vor dem Spiegel stehen und Haar flechten und Hoffart betreiben. Da ist's gescheiter, Kübel waschen, Töpfe scheuern und Fußboden reiben. Wollen sie schon was putzen, so ist's von wegen der himmlischen Freud' besser, sie putzen was anderes, als sich selber.«

Das Maidle soll noch mit dem Garnsträhn fertig werden, der über den Haspel gespannt ist; denn wenn über den Sonntag im Hause ein unabgezogener Faden bleibt, sei's am Rocken, sei's am Haspel, sei's am Spulen, sei's beim Nähkorb – so kommt gleich die Maus der Gertrudis und beißt den Faden ab oder webt allerlei Verdruß hinein.

Die Anderlacherin hat eben auch keine Ruh', sie ist ein recht »g'schmackiges« (anmutiges) Weib, sie schafft an der Wiege, 's ist ein süß' Geschäft, süßer als Feierabend. –

Das sagt auch die alte Ahndl (Großmutter), die sich ebenfalls um die Wiege zu tun macht und nicht eher Frieden findet, als bis sie den Platz erobert hat. Der »süße Namen« JI ± IS, der zu Häupten der Wiege gemalt ist, macht's nicht aus; aber das Büberle, das Lieberle, was drinnen liegt! Geschaukelt will der kleine Martin sein, wenn er ihnen den Gefallen tun soll, jetzt, da noch die sonnengoldigen Bäume zum Fenster hereinschauen, schon zu schlafen.

»Kindlein haben gut schlafen,« meint die Ahndl, »Kindlein träumen immer vom Himmelreich.«

Sie schaukelt und singt:

»Nutz Heidl, mei Schatz,
Auf'm Ofen steht die Katz,
Die schwarze und die weiße,
Die will das Büble beiße.

Nutz hei ab, nutz hei ab,
Das Katzl lauf den Steig ab,
Lauft ein schwarzes Hündl nach,
Beißt dem Katzl 's Füßel ab.

Nutz Heidl
Grüne Stäudl
Rote Beerl dran,
's Büble schlaft schon.«

Das alte Mütterlein lullt sich dabei schier selber in den Schlaf, das Martinele hingegen tut die Äuglein hell auf und zappelt mit den Beinchen unter der Decke und just heut' will es nicht zur Ruh' kommen, abgesehen von der Ahndl tragischem Gesang, der ja gar nicht ernst ist, weil sie allemal ein lustiges Gesicht dazu macht. Heute ist auch sonst kein Fried' im Haus – ein Poltern vor der Tür und schnurgerade will der Hund von der Kette ab und – sonst doch ein so gescheites Tier – bellt er und jauchzt wie närrisch.

»Geh', Maidle, schau, was draußen hergeht.«

Das Maidle macht kaum die Tür auf: »Herr Jesseles, der Franzel!«

Ein Geschrei durchs kleine Haus: »Der Franzel ist da!«

Ein Herbeistürzen aus der Küche, aus der Kammer, vom Hofe herein. Nur der Vater – so sehr ihm auch die Freude aus den Augen zuckt – trottet langsam, er weiß, der Junge läuft ihm nicht davon. Die Mutter, schier schämig vor dem Herrn Sohn, wischt mit der Schürze den Arm, daß er tauglich wird zum Willkomm; sie denkt: ein bissel wird sie wohl schon geweiht sein, seine Hand. Das geschäftige Maidle hat ihm die Reisetasche abgenommen und den Regenschirm – gottlob, diesen Regenschirm! Vom Kronenwirt die Burga bringt den Handsack herein. So kommen sie zusammen . . .

»Gott Ehr' und Dank, daß du da bist!« schreit die Mutter.

»Grüß Gott, Franzel!« sagt der Vater schmunzelnd.

Der Franz sagt gar nichts, er lächelt nur ein wenig und da hat er richtig noch seine beiden Grübchen hinter den Mundwinkeln! – Man weiß nicht, ob sie sich alle die Hände gedrückt haben; Kuß hat's keinen gesetzt. So ein Küssen ist nicht der Brauch dort im Gebirge, wo die Tannen wachsen. Sie täten sich schämen.

Die Ahndl ist im ersten Freudenschreck in den hintersten Ofenwinkel gerannt und an ihre Rockfalte hat sich das größere Knäbel geschmiegt, dem ist diese Rockfalte zu aller Zeit der sicherste Hort. Nun schleicht das Mütterlein mählich hervor und luget unter der Achsel dessen durch, der dort Vater, hier Sohn ist, ihr Kind, das ihr die anderen Kleinen in den Arm gelegt. Sie luget auf den Franzel hin.

»Gewachsen!« murmelt sie, »gottunmöglich gewachsen!« Und endlich fällt sie drein mit ihren Herzensworten und hält dem schönen heimkehrenden Enkel zitternd die alten Hände entgegen.

»Und bist heut' schon von Bruneck her?« fragt der Anderlacher. Drauf ist die Sprache vom Wege und daß ihn das letzt' Wetter rechtschaffen zerrissen hat, und ob der Brunecker Postmeister den Schimmel vom Kronenwirt noch habe? – Was schiert er sich jetzt um solche Sachen, der Anderlacher, aber er will reden und es fällt ihm gar nichts anderes ein. Das alte Mütterlein kann sich länger nicht mehr halten. »Du, Franzel,« lispelt sie dem Jungen zu, »jetzt haben wir aber einen im Haus, den du noch gar nicht kennst!«

»Ja richtig!« sagt der muntere Student, »der Pfarrer hat mir's geschrieben, hat sich der Kerl noch nicht getrollt?«

Sie schauen sich gegenseitig an.

»Sicherlich wieder so ein Soldat?«

Jetzt wendet sich die Mutter, daß der Blick frei wird auf die Wiege, jetzt hebt sie das kleinwinzige Martinele auf: »Ja, Franz, der ist gekommen, dieweilen du z'Innsbruck bist gewesen.«

Da macht der Bursche große Augen: Der!

»Er will dein Bruder sein,« sagt die Mutter.

Der Franz ist still und macht ein merkwürdig herziges Gesicht. – Noch in der Reiserüstung streckt er die Arme aus nach dem Brüderl. Aber der Kleine sträubt sich baß, stemmt das nackte Händchen trotzig gegen des Angreifers Brust, dann halb in Furcht und halb im Vertrauen blickt er ihm wie sinnend ins braune Auge und jetzt will's ihm schier bedünken, dem kleinen Martinele, der junge Mann hätte gute Ähnlichkeit mit dem Tonele, mit dem Maidle und mit den andern.

Der Maler – Franz Defregger ist sein Name – hat diese herzige Gruppe geschaut und in einem Bilde, »Die Brüder« genannt, zu unserer Lust dargestellt.

Und das kleine Martinele, ein wenig zurückhaltend noch, aber im ganzen nicht ungern, trachtet es hinüber zu dem, der es so liebherzig anblickt.

Glücklich ist die Mutter und der Vater luget gar stolz und vergnügt auf die zwei Buben, als wollt' er zu jedem der beiden sagen: Schau, da hab' ich noch so einen! – Ja, gottlob, die Tiroler kommen nicht ab; unter der Alm stehen sie nach der Orgelpfeife, und der Rosenkranz, noch ist er nicht zu Ende! Drauf schielt er schalkhaft hin, was sich der zwölfjährige Bursch nur dabei denken mag. Und dem Großmütterl wird jetzt warm bis in die Zehenspitzen hinab und sein altes Auge leuchtet noch einmal auf und sein Fühlen ist Segen und nichts als Segen für die Brüder, die sich so gefunden. Wie ihre Arme, so sind nun ihre Leben ineinander verschlungen, sie werden zusammenstehen in unlöslicher Brüderlichkeit auf dieser harten Welt. Großmutter sieht den Tag, da steht das Martinele vor dem Altare in der Kirche zu St. Agnes, aber nicht mehr so klein als heute; zu seiner Seite die Braut, rechtschaffen und schön – und aus der Sakristei kommt der Bruder, der geistliche Herr, und gibt, treuen, feuchten Auges wie heute, dem Martinele das, was er selbst nicht hat – ein liebes Weib.



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