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7.
Der wilde Jäger.

Auf eines Hügels sanfter Hebung
Da steht des Winzers kleines Haus,
Das schaut aus blühender Umgebung
In's weite schöne Land hinaus.
Hinaus, hinab, um die Gelände
Zieht sprossend sich der Reben Grün,
Umspinnend selbst des Hauses Wände,
Die ringsum ranken, ringsum blühn.
Und aus des Hauses niedrer Pforte
Maria tritt, des Winzers Kind,
Und wie vor seinem Liebeshorte
Neigt sich das Laub im Morgenwind,
Sie ist so schön, die goldnen Zöpfe
Umgeben sie wie Heil'genschein,
Und reinster Jugendglanz umflicht
Das wunderliebliche Gesicht.
Sie kommt, benetzt die Blumentöpfe,
Die blühend stehn um's Fensterlein:
Da blühen Goldlack und Resede
Und jungfräuliches Myrthenreis,
Eo ist als dankte ihr jedwede
Mit schönstem Duft in ihrer Weis'.
Und dann – ein langer feuchter Blick
Schweift suchend dort zum Wald hinüber,
Er schweift umsonst, er kehrt zurück,
Das schöne Aug' umhüllt sich trüber.

Doch oben in der Sonne Glanz,
Die lustig durch die Ranken sprühte,
In freud'ges Schaun versunken ganz
Waldmeister saß und Rebenblüthe.
Es spricht der Prinz: Dieß schöne Kind
Den wilden Jäger soll's nicht rühren?
Ei komm, Geliebte, komm geschwind,
Den rauhen Waidmann aufzuspüren!
– Da knallt von fern ein Schuß im Walde,
Das Echo trug ihn durch die Halde.
Maria schaut schnell noch hinaus,
Und flieht errötend in das Haus.
Spricht die Prinzessin: Wo die Buchen
Des Waldes schattig dämmern her,
Dort müssen wir den Wilden suchen,
Da trüben knallte sein Gewehr.
Gesagt, gethan. Mit ihrem Schatze
Eilt Rebenblüthe hin zum Platze.

O tief geheimnißvolles Träumen
Der duftdurchwehten Waldesnacht!
Tritt ein, und rings aus Busch und Bäumen
Erblüht dir goldne Märchenpracht.
Lebendig wirrt in grünem Golde
Der Sonnenstrahlen buntes Licht,
Es streift des Grases Blüthendolde
Den Blumen neckend um's Gesicht,
Die Riesentanne hebt sich rauschend
Aus nachbarlichem Buchengrün,
Der Vorwelt dunkle Worte tauschend,
Ein Greis, und doch noch lebenskühn.
Und um der Wurzeln schwarze Knorren
Springt hell aus frischer Felsenbrust
Der Bach; mag mancher Ast auch dorren,
Er bringt ihm neue Frühlingslust.
So tränkt mit jugendlichen Bronnen
Die ewig klare Lebensflut
Den reinen Trieb verglühter Sonnen,
Den nicht gewelket Sturm noch Glut.
– Doch sieh, da fällt ein gelbes Blatt,
Das fragt im Fallen todesmatt:
»Wie lange glänzt aus Thal und Halde
Der Frühlingshimmel rein und blau?
Wie lang, ihr Blumen in dem Walde,
Umspielt euch noch der Flimmerthau?
Wie lange springt aus Felsenspalten
Der lust'ge Quell noch kühn und hoch?
Wie lange trotzt des Sturms Gewalten
Der Riesentanne Wipfel noch?
Kurz ist die Lust! die grüne Halle,
Und Alles fällt, wie ich nun falle!«
– Und ringsum fragend rauscht's und düsternd,
Vom Wurzelschaft zur Kron hinauf,
Die Blumen zittern, die noch flüsternd
Sich duft'ge Rätsel gaben auf;
Es kommt das Reh vom Berg geschritten.
Des Baches Kühlung ist sein Ziel,
Es lauscht und schaut empor inmitten
Dem dämmernd dunklen Fragenspiel.
Es kann der Fels nicht Antwort sagen,
Die Tanne dunkelt schweigend fort –
Da bringt der Lüfte Wellenschlagen
Von fern ein Nachtigallenwort.
Und klingend geht es in die Runde,
Zum grün umschirmten Dämmerdach,
Und niederrauscht holdsel'ge Kunde,
Der ganze Sängerchor ist wach.
Der singt von sprossend jungem Leben,
Von erster Liebe goldnem Glück,
Das klingt umher mit Wonnebeben,
Das bringet Lied um Lied zurück.
Das fragt nicht bang und trüb: Wie lange?
Das ruft: Leb' wem das Leben lacht!
Genießt den Mai mit ros'ger Wange,
Und träumt von goldner Märchenpracht! –

         Dort wo der Gießbach vom Gebirg
Heruntertanzt mit hellem Ton,
Durch grüner Dämmerung Bezirk
Schweift wandelnd just des Waldes Sohn.
Frisch blickt er drein, als wär' der Wald
Sein Königreich, sein Thron die Felsen,
Hoch, jugendkräftig von Gestalt,
Schlank wie die üppig grünen Elfen.
Ein Jägerhut, die Feder drauf,
Beschattet die gebräunte Wange,
So steigt er kühn den Fels hinauf,
Der schräg sich hebt am Bergeshange.
Dort überblickt man weit das Thal
Im morgenhellen Sonnenstrahl.
Hoch in der Bäume grünen Wipfeln
Mit leisem Rauschen spielt die Luft,
Und fernher zu den Bergesgipfeln
Dringt Glockenton und Frühlingsduft,
Und unter eines Eichbaums Schatten
Streckt er sich nieder in das Gras.
In seinem dunklen Auge gatten
Sich Stolz und Mut, – doch noch etwas
Zieht oftmals durch der Sele Spiegel
Mit weicherm Glanz, als läge tief
Im Busen ein geheimes Siegel,
Noch ungelöst, noch unverstanden,
Und doch zur Lösung immer mahnend,
Und sanftere Gedanken fanden
Den Weg ein tief Geheimniß ahnend,
Und sieh, was zieht des Jägers Hand
Verstohlen, zögernd jetzt hervor?
Es ist – ein einfach blaues Band.
Wie? Ob das Jemand hier verlor?
Ob er es nahm? Ob's ihm gegeben?
Wie ist dem Jäger nur geschehen!
Er blickt es an, als könnt im Leben
Ihm nichts so süßen Anblick geben.
Und ist doch dran nicht viel zu sehn!
Nun schaut er auf. Sein treuer Hund
Zu seinen Füßen blickt verständig
Ihn wedelnd an, als sei ihm kund,
Was ihn bewege so lebendig.
Da springt der Jäger auf erschreckt,
Als ob Verräterblick hier lauschte,
Er horcht, und hat doch nicht entdeckt,
Als daß es in den Zweigen rauschte.
Er späht umher, rings in die Rund,
Und Stolz und Trotz strafft ihm die Glieder,
Und – war's doch nur sein treuer Hund,
Der ihn belauscht, der sagt's nicht wieder!
Doch gleich als sei sein Stolz verletzt
Von einem spöttisch innern Wort,
So drängt es nun, und treibt und hetzt
Ihn aus dem Waldreviere fort.
Sein Antlitz decket dunkle Röte,
Als sei das Rätsel von dem Band
Dem ganzen Walde schon bekannt!
O daß sich jetzt nur etwas böte,
Mit Einem Ruck die wilde Regung,
Das widerstrebend trotz'ge Blut,
Zu dämmen aus geschweifter Flut
In die gemessene Bewegung!
Ha, dort die Büchse! Schnell ein Schuß,
Und wär's nur in die blauen Lüfte!
Und wie es donnert durch die Trifte,
Wogt schon in ruhigerem Fluß
Die heiße Lebensströmung wieder,
Als wären so mit Donnerton
Verscheucht die Lauscher und die Späher.
Die aber waren nicht entflohn,
Die saßen fest und saßen näher
Als er's geahnt, als er's gewußt,
Die saßen in der eignen Brust.
Doch glaubt er's nicht, und pfeift im Gehn
Ein Stückchen seiner Jägerlieder
Mit hellem gellendem Getön.
So steigt er von den Felsen nieder.

Waldmeister schaut ihm lächelnd zu
Und spricht zur Freundin an der Seite:
Mein hold Gemal, und wähnest du,
Daß dem das Wild nur Lust bereite?
In dessen Herzen ward's schon reger,
Waldmeister kennet ja die Jäger!
Spricht Rebenblüthe: Jenes Band,
Maria hat es einst getragen.
Waldmeister drauf: In seiner Hand
Ist's nun, was kann man mehr noch fragen?
Warf er es weg? O nein, behende
Verbargen schnell es seine Hände.
Und, hör' mich an, ich will dir künden
Warum sein Wesen stolz und starr:
Glaub mir, Natur schafft wunderbar
Tief in des Menschenherzens Gründen.
Sieh diesen an. Die junge Brust,
Noch ungelöster Rätsel voll,
Ward nur der Kraft sich erst bewußt,
Die frisch, ursprünglich sie durchquoll.
Das Waldrevier war seine Welt,
Hier unterm grünen Laubgezelt
Fand er Entzücken, fand Genügen,
Und schlürfte es in vollen Zügen.
Und horch, da schmettert eines Tages
Ein fremdes Vöglein durch den Hain,
Das schönste ist's des ganzen Hages,
Wie trillert's hell im Sonnenschein!
Er horcht, er hat's noch nie vernommen,
Wo ist das Vöglein hergekommen?
Und voller stets tönt seine Weise,
Und all die andern horchen leise.
Doch, wie gekommen, ist's entflogen,
Der Jäger sucht's, er spürt's nicht auf,
Der ganze Wald ist schon durchzogen,
Er wiederholet seinen Lauf.
Er findet's nicht, es kam nicht wieder,
Es sucht sich einen andern Wald,
Allein die Töne seiner Lieder
Sind nimmermehr dem Ohr verhallt.
Sie summen immer süßre Weisen,
Die andern Lieder sind entflohn,
Sie säuseln stets in innig leisen
Akkorden, wohlbekannten Ton.
Wie? Sind sie wirklich denn verloren,
Die andern Klänge? Knall und Schuß,
Und Sturmgebraus aus Wolkenthoren?
Des muntren Jagdhorns helles Dröhnen,
Der Meute Toben durch den Wald,
Des Wiederhalles Antworttönen,
Daß das Gebirge donnernd hallt?
Will sich denn stets zum Ohre drängen,
Und weiter noch, in's Herz sogar,
Mit immer weicheren Gesängen
Das fremde Liedlein? Wunderbar!
Bald ist es Last, bald ist's Genuß,
Er sträubt sich, daß er's dulden muß,
Der kräft'ge Jäger, nicht gewöhnt,
Daß ihn ein fremd Gefühl verhöhnt.
Er muß es dulden ohne Wahl,
Der Baum der Kraft, er treibet Blüthe,
Nun weht es duftend durch's Gemüte.
Und sieh, er liebt zum erstenmal!
Doch noch ist nicht das Wort gesprochen.
Das schwer gefundne Zauberwort,
Daß all die Knospen ausgebrochen.
Nun hält's zurück, nun treibt es fort,
Nun möchten alle Töne klingen,
Nun heben, senken sich die Schwingen,
Und was Geheimniß ist gewesen,
Das treibt, das drängt, das muß sich lösen.
Komm, komm, in jenen dunklen Gründen
Den Jäger wieder aufzufinden.
Da ist er! Tritt an ihn heran –
Er spürt's – er lauscht – er ist im Bann!

Und sieh, der Jäger fühlt ein Fächeln,
Als ob ihn Rebenduft umwehe,
Er träumt von einer holden Nähe,
Von zweier Veilchenaugen Lächeln.
Er träumt – der Wald wird ihm zu enge,
Und der Gedanken bunt Gedränge
Macht ihn vergessen, daß schon neben
Ihm statt des Waldes blühn die Reben.
Er athmet auf aus seinen Träumen,
Er sieht sich fern des Waldes Bäumen,
Er schwankt, ob weiter? ob zurück?
Mit zögerndem, verstohlnem Blick
Schaut er des Winzers Haus, den Hügel –
Und wie dem Knaben, der, dem Zügel
Der Streng' entsprungen, nach der Frucht,
Des Nachbargartens goldner Spende,
Klopfenden Herzens, halb in Flucht
Und halb im Angriff streckt die Hände,
So klopft das Herz des Jägers heftig!
Doch lustig tanzet und geschäftig
Prinz und Prinzessin vor ihm her,
Und locken, bis von Ungefähr
Er steht dicht vor des Winzers Haus.
Sie kichern, wie er sich geberdet,
Als sei die halbe Welt gefährdet,
Und lachen den Verlegnen aus.

Jetzt blickt er an der Gartenthür
Zum kleinen stillen Haus empor.
Wie sind die Blumen all in Flor,
In bunter Reih, in schönster Zier!
Sein Hund fliegt freudig mit Gebelle
Empor die übertäubten Stufen:
Fingal, zurück! Da hilft kein Rufen,
Er bebt, kaum kann er von der Stelle.

Maria hört's, erschrickt und zittert,
Soll sie dem Aug, den Ohren traun?
Von Lust halb und von Angst erschüttert
Wagt sie es kaum hinauszuschaun.
Da springt schnell durch die offne Pforte
Fingal mit lust'gem Sprung herein,
Als wär er längst bekannt am Orte,
Umtänzelt er die Herrin sein.

Errötend sieht Maria nun,
Des treuen Thiers gelehrig Schmeicheln,
Und sie erwiedert schnell sein Thun
Liebkosend ihm mit sanftem Streicheln.
Sie tritt heraus, der Jäger steht
Dort grüßend unterm Laubengange,
Und durch zwei junge Selen geht
Ein Himmelsodem selig bange.
Noch wechseln sie kein Wort, doch bellend
Springt Fingal hin und springet her,
Sich ihm bald und bald ihr gesellend,
Den strengen Herrn nicht fürchtend mehr.
Sie nähern sich, sie sehn sich an –
Nicht hält sich mehr der Jägersmann.
Er faßt des Mädchens beide Hände,
Ein langer Blick – wer Worte fände!
Und dann – die Knospe ist gesprungen,
Sie halten innig sich umschlungen.

         Doch oben in der Sonne Glanz,
Die warm schon durch die Ranken sprühte,
In freud'ges Schaun versunken ganz,
Waldmeister spricht zu Rebenblüthe:
Glücksel'ge Stunde, wo die Liebe
Die jungfräulichen Schwingen löst,
Der Jugendkraft vollglüh'ndem Triebe
In's Herz des Himmels Odem stößt!

Nein, unverfälscht müßt ihr euch finden,
Dem Schnee der Silberlilie gleich,
Wollt ihr das Zauberwort ergründen
Aus jenem tief verschloßnen Reich.

Sie nennen's eine holde Sage,
Die Meisten ahnen kaum das Glück,
Und schaun, wie auf verträumte Tage,
Mit wehmutsvollem Blick zurück.
Ihr könntet ew'ge Schätze heben,
Wenn ihr das Leben nicht versäumt,
Nicht träumen sollt ihr euer Leben,
Erleben sollt ihr, was ihr träumt!

Die Liebe ist ein Blüthensegen,
Der heilig in der Sele ruht,
Ein Röslein nicht, das von den Wegen
Man pflügt für seinen Wanderhut.
Wenn ihr der Sele Mai gehütet,
Beklagt ihr nicht der Träume Flucht,
Die Knospe, der ihr einst erglühtet,
Prangt als lebend'ge Lebensfrucht.

Aus reinster Tiefe muß es stammen,
Und wie des Himmels Blau so treu,
Was eure Selen fügt zusammen,
Dann bleibt's euch ewig frisch und neu.
Aus erster Lieb' und erster Wonne
Sproßt jede Blüth' am Lebensbaum.
Wie ging die Zeit, wie ging die Sonne
Dahin? Ihr wißt es selber kaum.

Komm, fährt er fort, es glüht der Tag,
Und bis wir bei der Nacht Erscheinen
Mit unsrem Hofstat uns vereinen,
Wo Jeder sich ergötzen mag,
Laß uns entfernt in kühlem Schatten
Noch ruhn auf blüh'nden Ufermatten.
Spricht die Prinzessin: Ja, ich weiß
In der Ruine dort, die greis
Hintrauert, ein gar herzig Plätzchen.
Dort führte Mancher schon sein Schätzchen
Zum selig süßen Liebesthun
Komm, komm, dort laß uns glücklich ruhn. –
Und wie die Sterblichen im Kusse
Vergessen Tag und Stund und Ort,
Umschlingen sie im Liebesgruße
Sich auch, und springen grüßend fort.


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