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1.
Märchengruß.

Auf einer Wandrung war es. Die Genossen
Sie schweiften zögernd noch durch Wald und Thal,
Ich selber fand umgrünt von Rebensprossen,
Vor Nacht schon auf die Herberg' unsrer Wahl,
Schon harrte unter frühlingsgrünem Laub
Duftenden Maiweins voll gewicht'ge Schale,
Die Reben schüttelten den Blüthenstaub,
Und dunklen Fittichs zog die Nacht zu Thale.

Das war 'ne Nacht! Fast sommerliche Schwüle
Ein ferngebanntes Wetterleuchten schuf,
Und rings umher von Zweig und Blüthenpfühle
Antwortete sich Nachtigallenruf.
Welch tief erathmend Wehn durchdrang die Luft,
Es küßten, es umschlangen sich die Ranken,
Ich sah empor, betäubt von Blüthenduft:
Welch Sternentanz belebter Nachtgedanken!

Wo war ich plötzlich! – Aus den blüh'nden Reben
Stieg elfengleich ein zauberhaft Gebild,
Und rings umher, und über mir, und neben,
Von lust'gen Geistern ist das Laub erfüllt,
Und aus dem duft'gen Bad goldhellen Weins,
Die Tropfen schüttelnd, all die Kräutlein sprangen,
Gestaltenreich wie jene, und mit Eins
Waldmeister sich und Rebenblüth' umschlangen.

Ei welch ein duftig, zärtlich, herzig Pärchen!
Welch wonniglicher, süßer Geisterbund!
Doch weiter noch gestaltet sich mein Märchen,
Schon klingt und schwirrt es durch der Laube Rund.
Doch ach! sie hatten's auf mich abgesehn!
Wie bang erseufzte der bestrickte Schläfer!
Um meine Stirn schon tanzt im Wirbelwehn
Die Rebenfürstin und ihr grüner Schäfer.

Und ringsher fliegen blüthenduft'ge Speere,
Und tausend Blumenpfeile sind gezückt,
Und, wehe mir, vom winz'gen wilden Heere
Ist mir der Lebensodem fast entrückt!
Doch sieh, ein König golden zieht herein,
Er kommt mit prächtig buntem Elfentrosse,
Das ist der edle König Feuerwein,
Er rettet mich, er hemmet die Geschosse.

Er spricht: »So wie die Reb' im blüh'nden Reiche,
So ist der Dichter Herr in seiner Welt,
Mit Stürmen kämpfet er, der uns so Gleiche,
Nach jenem Ziel, das ihm Natur gestellt.
Durch dunkle Felsenspalten mühsam fort
Treibt ihrer Wurzeln stille Kraft die Rebe,
Sie netzt im Lenz mit Thränen ihren Ort,
Und ringt und kämpft, daß sie einst sprossend lebe.

Je härter das Gestein, je heller sprühet
Dereinst die goldne Flut im Sonnenstrahl,
Und wonnereicher, jubelnder erblühet
Das ew'ge Lied aus Mühedrang und Qual.
Da sammeln sich die Menschen hold erfreut
Um goldnen Weins und goldner Lieder Gabe,
Sie ahnen nichts von Schmerz, und der sie beut,
Auch er vergaß ihn bei so freud'ger Habe.

Holdseliger Gewinn, im Lied zu künden,
Was heimlich webt in stiller Menschenbrust,
Holdselig auch: mit Wonne zu entzünden
Durch duft'ger Lebensglut lebend'ge Lust!
Drum laßt ihn frei, gefährlich ist eu'r Spiel,
Nach jenem Hügel breitet eure Schwingen,
Nur des Verächters Herz sey euer Ziel,
Doch diesem laßt sein Träumen und sein Singen!«

Und leise wehend neigen sich die Ranken,
Der Abendthau erglänzt im Mondenstrahl,
Sternhelle Funken aus der Höhe sanken –
Und horch! Gesang ertönet hell im Thal,
Die Freunde kamen. Weg war Traum und Bild.
Bin ich erwacht? – Ich weiß nicht was sie wollen,
Sie schalten Träumer mich. Doch mir war mild
Aus Maienwein ein Märchengruß erquollen.


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