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Wo leis geschwungen grün die Hügel
      
 Sich wölben hin zum Rheinesspiegel,
      
 Da steht ein Kloster, alt, zerfallen,
      
 Zerstückt die spitzen Pfeilerhallen;
      
 Des Kreuzgangs Zierrat, steingeschnitzt,
      
 In tausend Trümmern liegt zerstreut,
      
 Der Thurm, geborsten und zerschlitzt,
      
 Sein graues Haupt den Winden beut.
      
 Doch üppig sprossend wiegen Ranken
      
 Und jung Gesträuch sich um die schlanken
      
 Vereinsamt grauen Fensterbogen,
      
 Und Vögel kommen hergeflogen
      
 Und baun ihr neues Haus im alten,
      
 Und dürfen froh und frei hier schalten:
      
 Und alte Buchenwipfel lauschen
      
 Dem wohlbekannten Stromesrauschen.
      
 Das ist am Ufer eine Pracht
      
 Von Blüthen in grüner Schattennacht!
      
 Des Farrenkrautes grüne Fächer
      
 Verbreiten schlank sich rings umher,
      
 Und um der Lilie goldnen Becher
      
 Gezückte Schwerter stehn zur Wehr.
      
 Es rankt die Winde sich empor,
      
 Vergißmeinnicht lauscht sanft hervor;
      
 Es blüht das Gras, es blühn die Moose,
      
 Und duftend schwimmt die Wasserrose.
      
 – Und zwei Gestalten, winzig klein,
      
 Die finden's hier gar schön und fein,
      
 Spazieren durch die grüne Nacht,
      
 Von tausend Zweigen überdacht.
      
 Dienstmannen eines Fürsten sind's,
      
 Waldmeister heißt der edle Prinz.
      
 Der kam von fern mit reichem Trosse,
      
 Hier im Gemäuer hielt er Rast,
      
 Entschirret sind die Falterrosse
      
 Und weiden im lust'gen Sonnenglast.
      
 – Wo bleibt der Prinz? er zögert lange,
      
 Hebt an der Kanzler Gundermann:
      
 Die Sonne sinkt, fast wird mir bange,
      
 Und balde kommt die Nacht heran!
      
 – Wachholder drauf, der Haushofmeister,
      
 Die Blume aller schönen Geister:
      
 Wenn ihn nur nicht ein Abenteuer
      
 Mit zarten Banden hat umstrickt,
      
 Denn, glaubt, hier ist es nicht geheuer!
      
 Gar mancher Pfeil ward schon gezückt
      
 Nach meinem Herzen, tück'scher Weise,
      
 Und wären wir nicht auf der Reise –
Wie! unterbricht ihn Gundermann,
      
 Ein Abenteu'r? Was ficht euch an?
      
 Ein Abenteu'r! Der Prinz – ihr wißt,
      
 Daß er aus seiner Brautfahrt ist!
Wachholder drauf, der Haushofmeister
      
 Die Blume aller schönen Geister,
      
 Mit Lächeln wendet nur den Kopf
      
 Und denkt: Pedantisch alter Tropf! –
Doch tiefer steigt von ihrem Thron,
      
 Des müden Tages Strahlenleuchte,
      
 Die Blätter harren dürstend schon,
      
 Daß sie der Abendthau befeuchte.
      
 Und wie der Dämmrung Blumendolde
      
 Schlafbringend, riesig sich verzweigt,
      
 Wird's droben licht, sein Antlitz zeigt
      
 Der Abendstern in sanftem Golde.
      
 Doch höher auch die Sorge steigt:
      
 Weh uns! wo bleibt der Prinz, der Holde?
      
 Doch horch, es rauscht! Nichts – Alles schweigt,
      
 Es war des Windes leises Weben.
      
 Des Nebels weiße Schleier heben
      
 Sich aus der Flut, es steigt im Westen
      
 Des Mondes Ball – 's ist höchste Zeit!
      
 So, mit besorgnißbangen Gesten,
      
 Bestehn die Zwei des Wartens Leid.
Da guckt mit Augen, klug lebendig,
      
 Ein Eidechsfräulein durch das Gras:
      
 Ihr edlen Herrn, euch kümmert was,
      
 Ich sah euch zu, und gerne fänd' ich
      
 Den Grund von eurer bangen Klage.
      
 Aus Neugier thu' ich nicht die Frage,
      
 Jedoch – vielleicht die Sorgen wend' ich,
      
 Die Muhme sagt' ich sei verständig.
Wachholder hört's, sein Kummer schwindet,
      
 Er ist ein Freund der Weiblichkeit,
      
 Ein artig Wort er immer findet,
      
 Der Schönen kündet er sein Leid:
      
 Mein holdes Kind, wir sind von ferne
      
 Gekommen her zum schönen Rhein,
      
 Denn unser Prinz, den Stern der Sterne
      
 Die schönste Fürstin will er frein.
      
 Zu Rüdesheim, du kennst den Ort,
      
 Ist seiner Brautfahrt sel'ger Port.
      
 Dort herrschet König Feuerwein,
      
 Sein Königreich der ganze Rhein.
      
 Sein Kind, Prinzessin Rebenblüthe,
      
 Will unserm Prinzen er vermählen,
      
 Der trägt sie heilig im Gemüte,
      
 Und sie, sie konnte ihn nur wählen.
      
 Da hieß Waldmeister kurz vor'm Ziele
      
 Uns rasten in der Schatten Kühle,
      
 Ging mit Brennnessel, seinem Narren,
      
 Derweil die Gegend zu durchstreifen –
      
 Und dunkel wird's, wir Aermsten harren,
      
 Ach, wenn ihn Unheil thät ergreifen!
      
 Die Stunden fliehn, es harrt schon heute
      
 Geschmückt die lieblichste der Bräute;
      
 Vorabend ist's vor'm Hochzeitfeste,
      
 Und schon versammeln sich die Gäste –
      
 Seht, seht, längst ging die Sonne nieder,
      
 Und unser Prinz kehrt noch nicht wieder!
Spricht Eidechsfräulein, hold von Mienen,
      
 Ihr Herrn, vielleicht kann ich euch dienen.
      
 Ich kam von einem Freundschaftsschmause
      
 Mit meinen Schwestern just nach Hause,
      
 Da hörten wir's im Schilfe rufen.
      
 Ein Jüngling war es von den Euren,
      
 Verirrt in binsigen Ufers Stufen.
      
 Er rief: Zeigt mir den Weg, ihr Theuren!
      
 – Wir fürchteten geheime Tücken,
      
 Errötend wandten wir den Rücken.
      
 Doch jetzt, ihr Herrn, bin ich bereit,
      
 Ich hol' ihn euch, er ist nicht weit.
Ich lohn' es dir! ruft hoch erfreut
      
 Wachholder aus, der Haushofmeister,
      
 Die Blume aller schönen Geister:
      
 O Edelste deines Geschlechts, es beut
      
 Mein dankbar Herz sich ganz dir dar,
      
 Nur mache dein Versprechen wahr!
Drauf neigt sich links und neigt sich rechts
      
 Die flinke Edelste ihres Geschlechts,
      
 Und schlüpft geschmeidig in ein Loch.
      
 Die Beiden stehn und seufzen noch,
      
 Und graunerfüllte Schreckensbilder
      
 Der Ahnung steigen wild und wilder
      
 Vor ihrer bangen Sele auf.
      
 Da raschelt's, und in schnellem Lauf
      
 Kommt Eidechsfräulein hergerannt,
      
 Des Prinzen Hofnarr'n an der Hand.
      
 – Brennnessel! wo hast du den Herrn?
      
 Ruft ihm das Par schon zu von fern.
      
 Hört, hört mich! ruft der bange Narr –
      
 Die Beiden horchen schreckenstarr –
      
 Trüg ich nicht schon die Narrenkappe,
      
 Und all' des Narrenstands Beschwerden,
      
 Daß ich bei all' dem Wust der Erden
      
 Schon fast zur Weisheit überschnappe,
      
 So müßt' ich jetzt zum Narren werden!
      
 O denket – närrisch ist es nicht,
      
 Hört, wie mein Herz mit Krachen bricht,
      
 O höret – doch ihr hört ja nicht!
Wir hören ja, verdammter Wicht!
      
 Wo ist der Prinz?
                     – So hört denn zu:
      
 Wir wandeln beid' in guter Ruh
      
 Die Wiese hin, da kommt ein Par
      
 Des Menschenvolks einhergegangen,
      
 Sie sahn absonderlich und rar.
      
 Der Eine, wohlgenährt von Wangen
      
 Und kurz; der Andre lang und dünn,
      
 Der stapelte mit schrecklich langen
      
 Beinstelzen so die Pfade hin.
      
 Und sieh, da greift er flugs zur Erde,
      
 Und reißt mit freudiger Geberde –
      
 Doch hört ihr auch?
                     – Beim Stern der Frühe!
      
 Ruft Gundermann, sprich, Bube, sprich!
      
 O welche Not und welche Mühe!
      
 Dir droht mein Zorn, drum eile dich!
– Ja, sprich doch, sprich! Jetzt hat es Zeit,
      
 Doch ich ertrug das herbe Leid,
      
 Ich hab' geschafft, ihr habt gefeiert,
      
 Ich hab' gekämpft, ihr habt geleiert,
      
 Wer schilt mich, wenn ich nun zum Spaße
      
 Euch auch ein Weilchen zappeln lasse?
      
 Ja, ringt die Hände, steht und zaget,
      
 Was ich ertrug, nun auch ertraget!
      
 Doch – wie gesagt, der Lange bückt
      
 Sich nieder, und ist halb verzückt,
      
 Und reißt vom Boden ein Gestäude,
      
 Darinnen Durchlaucht eben ruht,
      
 Und steckt es in satan'scher Freude
      
 Sammt unserm Herrn – trotz meiner Wut,
      
 Und steckt es in ein grün Gebäude,
      
 Das ihm um seine Schulter hing,
      
 Ich sah noch nie ein solches Ding;
      
 Asperula odorata! spricht
      
 Er mit höchst wichtigem Gesicht,
      
 Und schreitet fort mit kaltem Blut.
      
 Ich flieg' ihm nach mit Brennen, Stechen,
      
 Ich will den Herrn befreien, rächen,
      
 Doch achtet's nicht das Ungeheuer,
      
 Daß seine Hand schon brennt wie Feuer,
      
 Daß seine Haut schon voller Blasen,
      
 Nichts achtet er, nichts hilft mein Rasen!
      
 Ich riß an meines Herrn Gefängniß,
      
 Doch er steckt schrecklich in Bedrängniß!
      
 Da hilft kein Rütteln und kein Stoßen,
      
 Kein Fluchen, Schelten und Erboßen.
      
 Ich flog in's Haus mit Angst und Grimme,
      
 Da hör' ich meines Prinzen Stimme:
      
 All' mein Gefolge biete auf,
      
 Geschwind, und flügle deinen Lauf,
      
 Ich biet' euch jeden Lohn der Erden,
      
 Mein Kerker muß zertrümmert werden!
In Ohnmacht fällt der Haushofmeister,
      
 Die Blume zartgewöhnter Geister.
      
 Zum Ausbruch blast! ruft Gundermann.
      
 Schnell hat der Schrecken sich verbreitet,
      
 Und tausend Fragen stürmen an,
      
 Jedweden trifft's unvorbereitet.
      
 Doch neuer Schreck! Ringsum im Schatten
      
 Hat das Gefolge sich zerstreut,
      
 Wo aus den moosgeschwellten Matten
      
 Manch lustig Abenteu'r sich beut.
      
 Wo stecken denn die Pagen alle?
      
 He, Thymian, Enzian, Baldrian!
      
 Man ruft, man seufzt. Von Angst und Galle
      
 Will überfließen Gundermann.
      
 In Eile Fackeln ausgesendet!
      
 Blast noch einmal! Eh sich gewendet
      
 Minutenspanne, zieh ich hin,
      
 Nur Eile schafft uns noch Gewinn! –
      
 Nun fliegen tausend helle Funken,
      
 Leuchtkäferchen, mit schnellem Husch,
      
 Nachtschmetterlinge schlummertrunken
      
 Durchtaumeln summend Laub und Busch.
      
 Doch ach! das war zu großem Leide,
      
 Ein Wehruf schallet durch die Heide.
      
 Manch Gänseblümchen ringt die Hände,
      
 Fort muß der kaum erworbne Freund;
      
 Manch zärtlich Blumenauge weint
      
 Der kurzen Freundschaft frühes Ende.
      
 Beisammen endlich ist die Schar.
      
 Von allen noch der letzte war
      
 Wachholder, unser Haushofmeister,
      
 Die Blume der verliebten Geister;
      
 Für's Eidechsfräulein, klug lebendig.
      
 Erglüht sein Busen schnell unbändig,
      
 Nun war der Schmerz der Trennung groß,
      
 Mit Mühe nur riß man ihn los.
      
 Aufsitzen! herrschet Gundermann.
      
 Leuchtkäfer tanzen flugs voran,
      
 Und rauschend schwirrt mit leichtem Flügel
      
 Waldmeisters Zug durch Thal und Hügel.
      
 Doch um des Klosters graue Bogen
      
 Die Schatten kommen hergezogen,
      
 Um Thurm und Mauer steiget sacht
      
 Ein Nebelmeer mit irrem Scheine,
      
 Und schauernd sinkt es hin wie eine
      
 Still dunkle Träumerei der Nacht.