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Kennt ihr den schönen goldnen Rhein
      
 Mit seinem Duft und Sonnenschein,
      
 Mit prächt'ger Strömung seiner Wogen,
      
 Von Berg und Felsen kühn umzogen?
      
 Mit seinen Burgen, hoch und luftig,
      
 Und sagenreich und rebenduftig?
      
 Dort weht ein Odem, lebensprühend,
      
 Dort tönen Lieder jugendglühend,
      
 Und Weinesdüfte wonnig quellen
      
 Weit aus des schönsten Stromes Wellen.
      
 Wie Stern an Stern, so reiht sich dort
      
 In Hügelketten Ort an Ort,
      
 An jedem Ort ein neuer Wein,
      
 Hier goldig, dort im Purpurschein,
      
 Man wandert aus, man wandert ein,
      
 Man glaubt im Himmel gar zu sein!
      
 Dort klang so manchem Musensohn,
      
 Des Lebens schönster, tiefster Ton,
      
 Er ist auch mir, nur fern gebannt,
      
 Des Weins, des Lieds gelobtes Land,
      
 Und denk ich voll Entzücken sein,
      
 Ist mir's als schlürft' ich goldnen Wein.
      
 Ihr sollt's in diesem Liede spüren,
      
 So kommt, zum Rhein will ich euch führen.
Im letzten Abendpurpur baden
      
 Ihr Haupt die Berge rebengrün,
      
 Da wandeln an des Ufers Pfaden
      
 Zwei menschliche Gestalten hin.
      
 Nun denkt ihr gleich: Im Abendschein?
      
 Das wird ein Liebespar wohl sein!
      
 Ihr irrt (ich thu's euch nun zu Leide)
      
 Gesetzte Männer sind sie beide.
      
 Der Eine rund und kurz, bedächtig,
      
 In schwarzem Kleide, ein Kaplan,
      
 Der Andre, lang und dürr und schmächtig,
      
 Ist ein Professor lobesan.
      
 In würdigem Gespräche schreitet
      
 Den Weg entlang das edle Par,
      
 Und dort und hierher prüfend gleitet
      
 Der Blick des Langen, denn er war
      
 Ein Pflanzenkund'ger, tief gelehrter,
      
 Und eine Kapsel grün beschwert er
      
 Mit manchem wicht'gen Blüthenfunde
      
 Von Bergeshöh und Wiesengrunde.
      
 Mit halbem Ohr, in Selenruh
      
 Hört er dem Wort des Runden zu,
      
 Deß Rede salbungsvoll erquoll,
      
 Und sich erging in tiefem Groll,
      
 Wie tief die Welt im Argen liege,
      
 Und nur das Böse heut noch siege. –
      
 Und horch, ein rauschender Gesang
      
 Dem würd'gen Par zu Ohren drang:
Ihr Wandervögel in der Luft,
      
 Im Aetherglanz, im Sonnenduft,
      
 In blauen Himmelswellen,
      
 Euch grüß ich als Gesellen!
      
 Ein Wandervogel bin ich auch,
      
 Mich trägt ein freier Lebenshauch,
      
 Und meines Sanges Gabe
      
 Ist meine liebste Habe.
Im Beutel rostet mir kein Geld,
      
 Das rennt wie ich in alle Welt,
      
 Die ganze Welt durchfliegen
      
 Ist besser als verliegen.
      
 Dem blanken und dem frischen gar,
      
 Dem gönn' ich gern die Wanderjahr',
      
 Das muß mit all dem andern,
      
 Gleich wieder weiter wandern.
Wo mir ein voller Becher blinkt –
      
 Den möcht' ich sehen, der mich zwingt,
      
 Daß ich das Gottgeschenke
      
 Nicht voller Freuden tränke!
      
 Beim Schopfe nimm den Augenblick!
      
 Das ist mein Spruch, das ist mein Schick
      
 Ich hasse was da staubig,
      
 Nur an das Frische glaub' ich!
Da hörst du's, ruft der Schwarze aus,
      
 Es ist ein Weh und ist ein Graus!
      
 Da zieht sie nun, leichtfertige Jugend,
      
 Nach Lust und eitlem Tand nur lugend,
      
 So mit Gesang und müß'gem Schweifen,
      
 Wie soll da edle Frucht wohl reifen?
      
 Und morgen, als eingestampfte
      
 Sind sie wohl demutsvolle Gäste,
      
 Des Priesters im geweihten Haus?
      
 Da ziehn sie in die Welt hinaus,
      
 Erstehn zu sehn die eitle Sonne,
      
 Und überschrein in sünd'ger Wonne,
      
 Bei Wein und weltlich wüstem Sang,
      
 Des heil'gen Festes Glockenklang!
Spricht drauf der Lange: Guter Freund,
      
 So lang der Jugend Sonne scheint,
      
 So lange laßt die Jugend toben.
      
 Auch dir hat – jetzt ist sie zerstoben –
      
 Die schöne Jugend einst gelacht,
      
 Hast du es anders wohl gemacht?
      
 Warum ergreift dich heil'ge Wut?
      
 Hast du nicht auch mit Weinesglut
      
 Die runde Wange einst gefärbt?
      
 Jetzt nennst du's böse und verderbt!
Spricht drauf der Runde: Stets aufs Neue
      
 Ergreifet mich die tiefste Reue.
      
 Dem Himmel dank ich alle Tage,
      
 Daß jene Zeit vorbei, und klage
      
 Ob meiner Jugend, meinem Wahn;
      
 Fern sind mir längst der Thorheit Klippen,
      
 Nie setz' ich an die ernsten Lippen
      
 Den Becher jemals wieder an,
      
 Es sei denn der Gesundheit wegen,
      
 Mein Arzt er nennt ihn Arzenei,
      
 Es sei denn, daß auf seinen Wegen
      
 Ein Bruder spräche mir vorbei –
Der Lange spricht: Man sprach mir oft,
      
 Daß du vor allen Selenhirten,
      
 Den Gast gar trefflich thätst bewirten.
      
 Ich hatt' im Stillen auch gehofft
      
 Ein Pröbchen deiner Kellerschätze
      
 Zu prüfen, doch es ist Geschwätze,
      
 Ich glaub's, es letzt in deinem Haus
      
 Sich keine durst'ge Kirchenmaus.
Der Runde drauf: So mein' ich's nicht,
      
 Ich selber lebe einfach schlicht,
      
 Doch gastfrei bin ich Jedem gern,
      
 So kennt man mich auch nah und fern,
      
 Ich bringe heut, trotz dem Geschwätze,
      
 Dir eine Probe meiner Schätze.
Der Lange lächelt mit Behagen
      
 Spricht drauf: Doch das mußt du mir sagen,
      
 Wie geht es deiner guten Muhme,
      
 Der wackern Jungfrau Ursula?
      
 Ich hörte viel zu ihrem Ruhme,
      
 Wie lang ist's, daß ich sie nicht sah!
      
 Weit ist's bekannt, daß werte Gäste
      
 Sie stets bewirte auf das Beste.
      
 Sie war einst schön, und so auch schwebt sie
      
 Mir immer vor. Nun sprich, wie lebt sie?
      
 Du hast gar viel für sie gethan,
      
 Du nahmst des guten Kinds dich an,
      
 Es sind wohl zwanzig Jahre her,
      
 Was gilt's? sie kennet mich nicht mehr.
      
 Sie schafft seitdem in deinem Hause,
      
 Ich – fern in meiner engen Klause –
      
 Doch sprich! Warum verfinstert plötzlich
      
 Dein Auge sich? Weil der Gesang
      
 Auf's neu erklingt vom Bergeshang?
      
 Ich mein', es klinget gar ergötzlich,
      
 Wenn's hier und dort von Liedern schallt;
      
 Man merkt doch, wird man selbst auch alt,
      
 Daß immer frisch das Leben treibt,
      
 Und wenn man halb nur munter bleibt,
      
 Kann man's nur voller Freude spüren,
      
 Wie neue Lieder cirkuliren.
      
 Bringt jedes Jahr doch neue Reben,
      
 Wer lebt, der halte was vom Leben!
      
 Du eiferst, predigst, schiltst und bellst,
      
 Doch daß du, Würd'ger, dich verstellst,
      
 Das hab' ich gestern schon erfahren.
      
 Ich traf mit jenen lust'gen Scharen
      
 Aus meiner Wanderschaft zusammen,
      
 Sie glühten noch in Jubelflammen,
      
 Und kamen just vom frohen Schmaus,
      
 Woher? – Aus deinem stillen Haus!
      
 – Das sprach ein Schalk aus unserm Langen,
      
 Schon malt sich auf des Andern Wangen
      
 Des Zornes und des Ingrimms Glut,
      
 Schon eifert er in wilder Wut.
Doch fragt ihr, was ist denn geschehn?
      
 Gleich sollt ihr seinen Groll verstehn.
      
 Der Schwarze mit den runden Wangen
      
 War gestern über Land gegangen.
      
 Indessen ziehn vom Berge nieder
      
 Studenten bei dem Klang der Lieder.
      
 Frau Ursula öffnet's Fenster gleich,
      
 Gesang der stimmt sie stets so weich!
      
 Doch kaum geschehn, fliegt aus dem Zimmer
      
 Ihr hold Kanarienvöglein aus,
      
 Schon wiegt es sich im Sonnenschimmer
      
 In eines Nußbaums grünem Haus.
      
 Frau Ursula schreit auf entsetzt,
      
 Fast wär' sie selbst ihm nachgesetzt,
      
 Sie lockt, das Vöglein lacht sie aus,
      
 Fliegt weiter nur in's Grün hinaus.
      
 Da ruft sie aus: Wer wird mein Ritter,
      
 Und bringt ihn mir zurück in's Gitter?
      
 Ja, wer den Vogel mir erjagt,
      
 Dem sei der schönste Dank gesagt! –
      
 Und wie die Lust'gen das vernommen,
      
 Schickt Alles plötzlich sich zur Jagd,
      
 Die Zweige sind gar bald erklommen,
      
 Hier wird gejauchzet, dort gelacht,
      
 Hier wird gehascht, dort wird geklettert,
      
 Das Vöglein aber lustig schmettert
      
 Von Zweig zu Zweig, von Ort zu Ort.
      
 Der Jubel dauert lange fort,
      
 Bis endlich mit erhitzten Wangen
      
 Ein Kühner es hat eingefangen.
      
 Der kniet vor Ursula drauf nieder
      
 Und bringet ihr den Flüchtling wieder,
      
 Und legt die Hand auf's laute Herz,
      
 Und blicket schwitzend himmelwärts,
      
 Und aus den Kehlen tönt im Kreise
      
 Des zartsten Liebesliedes Weise.
      
 Frau Ursula ist so gerührt,
      
 Daß sie's im tiefsten Herzen spürt.
      
 O welche höchst scharmante Jungen!
      
 Wie sind sie so beherzt gesprungen!
      
 Wie zart sie doch zu huld'gen wissen!
      
 In Thränen will sie gar zerfließen,
      
 So war ihr lange nicht zu Mute.
      
 Doch fasset sich gar bald die Gute,
      
 Und in des Herzens freud'gem Regen
      
 Mag sie nicht lange überlegen.
      
 Der Kaplan ist ja nicht so bald,
      
 Vor keiner Stunde, zu erwarten,
      
 So läd't sie denn mit holden Blicken,
      
 Mit gar so freundlicher Gewalt,
      
 Die Lust'gen in den blüh'nden Garten,
      
 Mit einem Mahl sie zu erquicken.
      
 Mit Freuden wird es angenommen,
      
 Jetzt ist der Jubel erst erglommen.
      
 Schnell reiht sich um die Gartentische,
      
 Von Rebgeländen überdacht,
      
 Die frohe Schar, rings blühn die Büsche
      
 In würz'gem Duft und Farbenpracht.
      
 Schon sprudelt in krystallner Glut
      
 Des roten Aßmannshäusers Blut,
      
 Die Lust'gen singen das und dies
      
 Und wähnen sich im Paradies.
      
 Indeß ist Ursula geschäftig
      
 – Sie fühlet sich so leicht geflügelt –
      
 Und eine Mahlzeit, köstlich kräftig,
      
 Hat sie in Kürze ausgeklügelt.
      
 Gedeckt mit blendend weißen Linnen
      
 Ist schon die Tafel, reich besetzt,
      
 Daran sich mit vergnügten Sinnen
      
 Die jugendliche Schar ergötzt.
      
 Wie eine Fee voll Lieb' und Güte
      
 Strahlt Ursula in Wonneschein,
      
 Und mit rechtschaffnem Appetite
      
 Strebt Jeder dankbar ihr zu sein.
      
 Jedwedem soll sie nun kredenzen
      
 Den purpurroten Wonnetrank,
      
 Es schwillt zu vollen Blüthenkränzen
      
 Der blumenreichen Worte Dank.
      
 Sie knixt, sie klingt mit Jedem an,
      
 Sie dankt errötend Mann für Mann,
      
 Seit zwanzig Jahren hat sie kaum
      
 Geträumt so jugendlichen Traum,
      
 Umschwirrt von Schmetterlingsgekose,
      
 So thront sie wie die Herbstesrose.
Indessen schreitet der Kaplan
      
 Mit langsam würd'gem Schritt nach Hause,
      
 Er tritt hinein in seine Klause,
      
 Da hört er – nein es ist ein Wahn!
      
 Da sieht er – und sein Blick erstarrt,
      
 Hat denn ein Trugbild ihn genarrt?
Noch einen Schritt – ist's wirklich Traum,
      
 Er schreitet an den nächsten Baum,
      
 Die Brust durchzuckt ihm mächt'ger Groll,
      
 Er weiß nicht, was er denken soll,
      
 Denn, lauschend heitrer Sangesweise,
      
 Sitzt Ursula im Burschenkreise!
Da tritt aus der Gebüsche Thor
      
 Der Zionswächter schnell hervor,
      
 Ein Blick, ein einzig Wort genügt,
      
 Ursula sieht, und hört – und liegt
      
 Mit einem Wehschrei zum Erbarmen
      
 Den blonden Nachbarn in den Armen!
Wie mitten in die blüh'nden Rosen
      
 Des Mai's ein wild Gewittertosen,
      
 Bricht mit dämonischer Gewalt
      
 Des Kaplans drohende Gestalt
      
 Herein in's frohe Lustgelage.
      
 Frau Ursula entflieht dem Tage,
      
 Und stürzt mit Thränen und Gewimmer
      
 Fort in ihr einsam dunkles Zimmer.
      
 Dahin ist dieser schöne Traum!
      
 Die Lustigen, sie stehn verlegen,
      
 Man stutzt, man wagt zu reden kaum,
      
 Bis endlich für des Mahles Segen
      
 Dem finstern Wirt sie freundlich danken.
      
 Wie gerne möcht' er wüten, zanken!
      
 Doch sie, sie drücken ihm die Hände,
      
 Ob er sich finster weg auch wende,
      
 Und ziehn mit Ränzel und mit Stab
      
 Die Straße wiederum hinab.
      
 Doch kaum hinaus zu Thür und Thore,
      
 Tönt helles Lachen schon im Chore. –
Das war's, was der Botanikus
      
 Von unsern Lust'gen jüngst gehört,
      
 Das die Erinn'rung, die den Fluß
      
 Des Grolls dem Freund heraufbeschwört.
      
 So bricht er denn in jene Klage
      
 Vom Fall der Jugend wieder aus,
      
 Und von dem Jammer unsrer Tage.
      
 So scheltend schreiten sie nach Haus. –
      
 Der Lange schweigt, und pflückt im Wandern
      
 Ein duftig grünes Kräutlein ab:
      
 Asperula odorata, richtig,
      
 Solch Exemplar war längst mir wichtig!
      
 Den ganzen Busch drauf pflückt er ab,
      
 Und legt's bedächtig zu dem Andern,
      
 Was er gesammelt schon in Fülle
      
 In seiner Kapsel grüner Hülle:
      
 – Doch halt, war das ein Nesselstich?
      
 Sind's Mücken? Das ist wunderlich,
      
 Nun wieder sticht's! Ist's ein Insekt,
      
 Das sich im Aermel mir versteckt?
      
 Ich finde nichts, was ficht mich an?
      
 Ob ich mich nicht besinnen kann,
      
 Daß ich ein gift'ges Kraut gebrochen? –
      
 Er grübelt, stets auf's Neu gestochen.
      
 Sehr wunderbar! Er kann's nicht finden,
      
 Er kann das Rätsel nicht ergründen.
So laßt es denn noch kurze Weile
      
 Ein Rätsel bleiben ihm und euch.
      
 Daß das Geheimniß sich zertheile,
      
 Führ' ich euch weiter dann sogleich. –
      
 So schreitet er an seinem Stab
      
 Nachsinnend in das Thal hinab
      
 Mit seinem zürnenden Genossen,
      
 Nach Rüdesheim, von Duft umflossen.
      
 Dort wollt' er dießmal übernachten
      
 Bei seinem Gastfreund dem Kaplan.
      
 Und in der Frühe sich mitsachten
      
 Zu neuer Reise schicken an.
      
 Indeß die Beiden weiter schreiten,
      
 Und fernher noch im Wiederhall
      
 Ertönt der Jugend Liederschall,
      
 Will ich in jenes Thals Gebreiten
      
 Zu einem andern Ort euch leiten.