Julius Rodenberg
Ein Herbst in Wales
Julius Rodenberg

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Abschied und Heimkehr.

Am andern Mittag stand das kleine Wägelchen vor der Thür. Der schwarze Koffer und die gelbe Hutschachtel, die treuen Genoßen all' meiner Fahrten zu Waßer und zu Lande, lagen schon lange darin und Hugh klatschte ein über's andre Mal mit seiner Peitsche, ehe ich mich da oben losreißen konnte. Sie waren Alle noch einmal um mich versammelt, die ich hier lieb gewonnen hatte, selbst Sarah – nach ganz verschlafen – kam im letzten Augenblick von Gorddunoc herübergesprungen. Wir hatten uns Alle so aneinander gewöhnt, daß uns der Abschied schwer ward.

»Ich werde Euch nicht vergeßen, Ihr guten Leute,« sagte ich, »und wenn es der Himmel zuläßt, so sehn wir uns noch einmal wieder.«

Sie wollten Alle wißen, ob das bald geschähe und wann? – Aber wer kann sagen – wann? – in diesem Strudel der Zeit, die uns Alle dahinreißt!

In Chester kam ich des Abends an, da schon alle Gaslichter in den Straßen brannten. Nach der ländlichen Stille und Einsamkeit war mir auf einmal, als erwache ich aus einem Traum; und nach mannigfachen 322 Entbehrungen wandelte ich durch diese menschenerfüllten, hellen Straßen in jener Stimmung, mit der man sich wol nach einem gesunden Schlafe die Welt betrachtet. Alles war mir neu. Alles machte mir Freude und ich fühlte mich stark genug, Alles wieder genießend in mich aufzunehmen. Nach so langer Beschaulichkeit gieng ich nun wieder ins Leben ein mit einer Fülle von Sehnsucht und Verlangen, als ständ' ich an diesem Abend zum erstenmal auf der Schwelle der weiten, weiten Welt.

Auch alle Schüchternheit, die sich durch Abgeschiedenheit erneut, empfand ich, wie in den frühsten Tagen. Endlich jedoch beschloß ich, meinen Reisegefährten von Chester und seine beiden Töchter aufzusuchen. Ich fand sie gemüthlich beim Thee. Sie nahmen mich mit jener Herzlichkeit auf, die sich nur da erzeugen kann, wo der Verkehr mit den Fremden zugleich durch so feste Schranken begrenzt ist. Die Mädchen, der Vater, die Mutter gaben mir Einer nach dem Andern die Hand und waren Alle »erfreut« – »sehr erfreut« –»in der That sehr erfreut« mich wiederzusehn. Von Irland waren sie schon sehr lange wieder zurück; sie hatten die Reise beinahe schon vergeßen. Es freute sie aber, daß ich es in Wales so gut getroffen hatte und sie wunderten sich nicht wenig, wie ich es daselbst nur hätte so lange aushalten können. – Noch an demselben Abend fuhr ich weiter – es drängte mich vorwerts mit einer Hast, als gelt' es einem Zauberkreiß zu entgehn. Der Zug brauste durch nachterfüllte Gründe dahin, und als er endlich –»an den Ufern 323 des Mersey« – hielt, da flammten riesige Pechfackeln in die Nacht hinaus, um den Reisenden den Weg auf das Schiff zu zeigen. Das Waßer wogte dumpf herauf und hernieder, und in das Keuchen der Maschine fuhr der hohle Nordwest. Es gieng recht langsam stromüber – keine Musik, wie dazumal, keine fröhliche Gesellschaft – Alles schlaftrunkne Gesichter, verdrießliche Reden – Jeder stand in seinen Plaid oder seinen Mantel gewickelt. Endlich blitzten die unzähligen Lichter der Hafenstadt herauf und am Stacket der Eisenbrücke ward ich von den Verwandten erwartet und bestens empfangen. Nach wenigen Tagen verließ ich Liverpool und begab mich nach London. Anfangs fühlte ich mich in diesem Meer von Häusern, Menschen und Nebel recht verlaßen und ich hatte immerdar Heimweh nach meinem freien, grünen Wales. Allein mehr und mehr blaßten die Bilder und Gestalten in meiner Erinnerung ab; ich fand auch in London befreundete Seelen, die mich in das Verständnis dieser neuen Welt einführten, und bald ließ ich mich von der Großartigkeit all' dieser ungeheuren Eindrücke so behaglich tragen, als hätt' ich in meinem Leben nichts andres geathmet, als die gelbe Novemberluft von London, und nie etwas andres gesehn, als die Kuppel von St. Paul, die Thürme von Westminster und die schwarzen Mauern von Temple Bar.

Auch diese Zeit vergieng und mit einem der letzten Dampfer verließ ich an einem nebligen Sonntagmorgen den St. Katharine's Steam Wharf und betrat, nachdem ich vierundzwanzig Stunden lang von den 324 Aequinoctialstürmen tüchtig hin- und hergeschleudert worden war, bei Antwerpen das Festland. In dem trüben Winter einer kleinen deutschen Landstadt öffnete ich nun endlich meine Tagebücher aus Wales, meine Mappen und Hefte. Welch süßer Duft quoll mir aus ihnen entgegen! Sträuße dort gepflückter Gebirgsblumen lagen um mich her, indem ich schrieb, und vor mir an den Wänden hiengen die Bilder aller Höhen, die ich erstiegen, aller Seen, an denen ich geträumt hatte. Und so, während es draußen tobte und stürmte, während der deutsche Winterschnee gegen meine Fenster schlug, wanderte mein Geist in fernen sonnigen Gegenden, über duftige Wiesen, durch goldengrüne Wälder und sanfte Thäler. Und da ich eines Tags von meinem Schreibtisch aufstand und mit feuchtem Blick das letzte Blatt zu den übrigen fügte . . . siehe! da lachte mir ein blauer Aprilhimmel in das einsame Poetenstübchen und statt der trocknen Blumen des walisischen Hochlands hatte mir eine liebe Hand den ersten deutschen Veilchenstraus auf den Tisch gelegt! Und wie nun der Geist, von der süßen, schönen Bürde des Erlebten befreit, seine Flügel spannt, um frei in den lieben deutschen Mai hinauszuflattern: da trifft, als letztes in memoriam, ein Brief ein, den ich dem Leser mittheilen will, da er von einer auch ihm bekannten Hand geschrieben ist. Es ist ein Brief vom Schulmeister von Llanfairfechan.

»Hier schick' ich Euch,« schreibt er, »die von Euch verlangten Abbildungen der walisischen Trachten. Ich habe sie von Mr. Humphreys bekommen. Ihr kennt 325 ihn ja, den Mr. Humphreys, den Buchhändler am Ende der Hochstraße in Bangor. Ich wollte sie ihm bezahlen, allein er wollte kein Geld dafür annehmen; er schickt sie Euch mit seinen Grüßen zum Andenken. Auch Alle von der Farm Wern laßen Euch grüßen; besonders die kleine Margret, die noch oft die deutschen Worte widerholt, die Ihr sie gelehrt habt. Sarah und Owen leben glücklich. Mit Gwenni und Griffith ist es nun auch richtig geworden, Mutter Moll hat ihre Einwilligung gegeben, und der Hufschmied von Aber hat mir gesagt, daß er schon im Mai für sie »bitten« müßte. – Der Winter ist glücklich überstanden, und wir haben hier schon vollen Frühling. Ich wollte, Ihr kämet bald wieder. Alle Andren wollen es auch und bitten Euch darum. Mrs. Williams hat mir aufgetragen, Euch zu schreiben, daß Euer Zimmer noch grad so dastehe, wie Ihr es verlaßen habt. Ihr solltet es ihr doch früh genug anzeigen, wenn Ihr kommen wollt. Also macht Euch bald auf die Reise, damit Ihr den Sommer recht bei uns seid.«

Ob dieß nun wirklich geschieht, weiß ich nicht. Die Welt ist noch groß und weit und wem ist es vergönnt, der Neigung seines Herzens zu folgen? Sind wir doch von Allen am Eh'sten dazu verdammt, rastlos zu schweifen, von Land zu Land, von Volk zu Volk – unter ewigem Heimweh zu kommen und zu gehn, uns nach Frieden zu sehnen, wenn wir mit Sturm und Hochwaßer dahin treiben und im täglichen Einerlei den heftigen Drang nach Neuem zu spüren: und ob wir nun endlich die Ruhe finden und wann 326 – jene Ruhe, die von keiner Sehnsucht gestört und von keiner Aufregung getrübt wird – das ist eine Frage, die sich dem Einen früher, dem Andren später – Manchem aber niemals beantwortet, so lang er noch diesseits irrt und strebt!

 


 


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