Julius Rodenberg
Ein Herbst in Wales
Julius Rodenberg

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Pennillion der Klage und des Spottes.

                                        1.
Steht ein Stern im Himmelsbogen,
O wie schaut man auf so gern!
Eine Wolke kommt gezogen,
Und wo blieb der schöne Stern?

                                        2.
Von Elwy fern der Kuckuck singt,
Die Sonne strahlt im See –
Doch hier der Rabe nur sich schwingt,
Und ewig liegt der Schnee!

                                        3.
Wie traut liegt das Thal dort! Wie glänzen die Matten,
Wie funkelt die Sonne, wie ziehen die Schatten!
Da drunten ist Alles, was lieb mir und theuer –
Und hier im Gebirg Nichts als Torf und Torffeuer!

                                        4.
Dumpf heult das Meer, wild schäumt die Bucht,
Die Sonn' versinkt in Wolkenwucht.
Auf nackter Haid' der graue Thurm
Steht öd' in Regenschau'r und Sturm.
Die Nebel ziehn, die Möven schrein,
Und trübe bricht die Dämmrung ein –
Wer nun noch kämpft mit Meeresflut,
O Gott, den nimm in deine Hut! 236

                                        5.
Der Winter hat die Vöglein vertrieben.
Nur eine Droßel ist dageblieben.
Sie konnte nicht fliegen. Sie war krank,
Und da vor meiner Thüre niedersank.
Sie singt so traurig und schlägt die Flügelein:
»Es ist kalt! – Es ist kalt! – Es wird bald schnei'n!«

                                        6.
Wilder Sturm über See – Wolken düster und grau –
Auf waldlosen Flächen Felsen braun und rauh –
Einöde rings – nur Möven flattern und schrein –
Himmel, wie kann ich da fröhlich sein? –

                                        7.
So brich mein Herz, wenn Du mußt brechen, –
Nicht stückweis – wie am Sonnenstrahl
Das Eis zerbricht auf Bergesflächen . . .
Wenn's sein muß, brich mit einem Mal!

                                        8.
Einen Sarg, Erd' und einen Weidenstrauch
Sah zwischen uns im Traum ich diese Nacht –
Am Tag liegt zwischen uns wol Manches auch,
Doch Nichts – ach, Nichts! was mich so traurig macht.

                                        9.
Ach, die schönen Worte, die schönen Worte!
Hätt' ich nie gehört die schönen Worte!
Mich hat Einer durch schöne Worte bewogen,
Mich hat Einer an sein falsches Herz gezogen –
Ach, ich armes, armes Mädchen! Ich bin betrogen
Durch die schönen Worte, die schönen Worte! 237

                                        10.
Die alten Mädchen, die jungen, die frechen und die sich schämen –
Alle bekommen Männer, doch mich will Niemand nehmen.
Ach, warum sagt kein Bursche, daß ich ihm gefalle?
Bin ich denn nicht gerade so gut als die andren alle?

                                        11.
Des Weibes Reize verlieren sich bald,
Die Zähne fallen aus, das Aug wird kalt –
Nur Eins bleibt bis zum Tod im Schwunge:
Die ewig junge
Die unermüdliche, kleine Zunge!

                                        12.
Die welsche Sprache hat acht Redetheile –
Doch wer sie all gebrauchen will, der eile!
Denn eh' noch einer an den Mann gekommen,
Hat sieben schon das Weib vorab genommen.

                                        13.
Wie beneid' ich die Vöglein, die wilden!
Kehren sie heim aus den Lüften, den milden,
Fürchten sie nicht, daß ihr Abendbrod sei
Weibergezänk und Kindergeschrei. 238

 


 


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