Julius Rodenberg
Ein Herbst in Wales
Julius Rodenberg

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Zur walisischen Geschichte.

Die Waliser sind Kelten und nebst den Bewohnern der Bretagne (little Britany) die einzigen Ueberreste der alten Urbewohner und ersten Ansiedler Englands. Da sich ihre Geschichte durchaus in eine vorhistorische Zeit verläuft, ja durch Anknüpfung an den trojanischen Krieg sogar einen Schimmer jener Mythendichtung empfängt, aus welcher sich die Geschichte des classischen Alterthums entwickelte, so darf man an dieser Stelle keine kritischen Experimente erwarten, da es vielmehr Absicht des Verfaßers ist, jenem Chronisten zu folgen, der, unter dem Namen Gottfried von Monmouth bekannt, um die Mitte des 12. Jahrhunderts (1128) in gutes Latein übersetzte, was – wie er behauptet – die Waliser selbst und in ihrer Sprache über ihre Vergangenheit aufbewahrt hatten.Vergl. über die Frage, ob Gottfried sein Werk übersetzte oder selbst compilierte, die ausführliche Abhandlung bei Stephens, the Literature of the Kymry etc. Llandovery, Rees. 1849. pag. 307 ff. Es weht ein frischer Hauch, wie Meerwind, 41 durch diese Chronik des Weihbischofs von Monmouth, und es gewährt dem Leser ein eigenthümliches Vergnügen, diejenigen Personen, welche wie Hengist und Horsa, auch in der Geschichte erscheinen, mit allem Zauber einer wilden, urwüchsigen Poesie umkleidet zu sehn, sowie diejenigen Gestalten, welche uns Deutschen nur aus den glänzenden Dichtungen Wolfram's von Eschenbach und Hartmann's von der Aue – wie König Arthur und den Zauberer Merlin, – ja sogar den König Lear und die Cymbeline Shakespeare's hier ganz wie geschichtliche Helden, rein menschlich auftreten und handeln zu sehn.

Gottfried von Monmouth führt den Anfang seiner Nachrichten auf die Zerstörung Troja's zurück. Er erzählt, wie Aeneas nach Italien geflüchtet sei und wie dort sein Enkel Brutus den eignen Vater, Silvius, erschlagen habe. Nach diesem Morde zur Flucht gezwungen, begab er sich zu seinen Landsleuten, welche als Gefangne zu Sclaven gemacht, im Lande der Griechen saßen. Mit ihnen beredete er einen Auswanderungsplan, und da sie vernahmen, daß in Gallien ihrem Stamme Verwandte wohnen sollten, so beschloßen sie, dorthin zu wandern und erreichten, nach vielfachen Kämpfen, Verlusten und Siegen das Land jenseits der Pyrenäen. Allein auch hier fanden sie nicht Raum und Gelegenheit. Da sagte man ihnen, über dem Meere liege eine Insel, wüst und nur von einigen Riesen bewohnt, Albion sei sie genannt. Brutus mit seinen Trojanern brach noch einmal aus, er landete, erschlug die Riesen, und siedelte sich mit den 42 Seinigen an.Eine Erinnerung an diese Sagen der Vorzeit findet sich noch heute – wer sollte es glauben? – in der Guildhall zu London! Die beiden Riesen nemlich, welche am großen östlichen Fenster auf achteckigen Steinsäulen stehn, der Popanz aller Kinderstuben und die Bewunderung aller Lehrjungen von London, beziehen sich auf die Kämpfe zwischen den britischen Einwanderern und den Urbewohnern Albions, indem der jugendliche Guildhallriese, mit Kolben, Adlerschild und Lorbeerkranz den Begleiter des Brutus, Corinaeus, vorstellen soll, welcher den letzten Riesen Gogmagog erschlug, der nun mit langem Bart, Morgenstern, Köcher, Bogen und Eichenkranz sein friedlicher Gefährte im Londoner Stadthaus geworden ist. Im Volksmund heißen sie Gog und Magog. Vergl. William Hone, ancient Mysteries etc. (London, 1823) p. 272 ff. Knight's Cyclopaedia of London (London, 1851) p. 65. Das Volk gab sich nach seinem Führer Brutus den Namen der »Briten.« Auf diesen sowol als auch auf die trojanische Abkunft des Volkes deuten noch mannigfache nationale Erinnerungen. Es gibt eine ganze Reihe britischer Chroniken, welche sich eben nach jenem fabelhaften Stifter der englischen Monarchie »Bruts« nennen; so Robert Wace's berühmter, in altfranzösischer Sprache und achtsilbigen Reimversen abgefaßter »Brut d'Angleterre« (1155), wesentlich nur eine Übersetzung von Gottfried's vielfach nachgebildeter britischer Geschichte, aber als Quelle der romantischen Dichtung des Mittelalters von höchster Bedeutung; so auch Layamon's »Brut« (Ende des 12. oder Anfang des 13. Jahrhunderts), welcher sich zwar durchweg wieder auf Wace's Werk stützt, aber als 43 Sprachdenkmal, da es im gemischten Sächsisch der damaligen Zeit geschrieben ist, nicht minder wichtig erscheint, denn als Monument jenes Processes in der Poetik, in welchem die germanische Alliteration mit dem romanischen Reime kämpft. Wenn diese und eine große Zahl verwandter Chroniken schon durch ihren Titel geeignet sind, den Namen und das Andenken des sagenberühmten Brutus auch der Geschichte zu verweben, so lebt nicht minder die Erinnerung an Troja und Griechenland bis auf den heutigen Tag bei den Walisern fort. Noch Cäsar bemerkt, daß sich die Druiden – der geistliche Stand, der nicht nur die Religion, sondern auch die Cultur seines Volkes beherrschte – im öffentlichen sowol als Privatverkehr griechischer Schriftzeichen bedient hätten. Wenn nun auch die gelehrten Erklärer des Cäsar darauf halten, daß aus dieser Bemerkung eine Kenntnis der griechischen Sprache nicht gefolgert werden dürfe, so wird doch Niemand bestreiten, daß sie auf irgend einen, sei es auch noch so entfernten, Zusammenhang zwischen den walisischen Kelten und den Griechen hindeute. Aber weiter. Giraldus Cambrensis, welcher als Begleiter (vielleicht als Dollmetscher, denn er war ein geborner Waliser) des Erzbischofs Balduin ihre im Jahre 1187 durch Wales, in der Absicht das Kreuz zu predigen, unternommene Reise in zwei Werken schilderte, und demnach der Ahnherr aller Touristen ist, die jemals über Wales geschrieben haben oder darüber noch zu schreiben gedenken, ja als solcher das höchste Lob erreichte, was einem Reiseschriftsteller je gespendet worden 44 ist, indem Warton, der große Kenner englischer Literatur, von ihm sagt: er sei ein Historiker, ein Antiquar, ein Topograph, ein Psycholog, ein Philosoph und – ein Poet gewesen; – dieser Giraldus erzählt ein Feenmärchen (welches ich späterhin noch mittheilen werde), in welchem berichtet wird, daß diese lieblichen Wesen eine Sprache redeten, welche in vielen Worten Anklänge an die griechische habe. – In heutiger Zeit lebt das Andenken an Troja in dem sogen. caer Droea (Stadt Troja) fort, d. h. der Zeichnung eines Labyrinthes von sieben Linien, welches Schäferknaben, während sie ihre Heerden auf den Bergen von Wales treiben laßen, in Torf schneiden oder Schulknaben sich als ein Räthsel auf der Schiefertafel aufgeben. Die sieben Linien dieses Labyrinthes sollen die sieben Wälle vorstellen, durch welche Priam's Stadt einst geschützt gewesen. Aber auch die Helena fehlt in diesen welschen Erinnerungen nicht; noch heute, wenn ein Mann eine schöne und junge Frau hat, sagen sie von ihr: »ei Elen!« – o seine Elen! – und kaum gibt es ein Liebeslied, in welchem der schwärmende Dichter seinen Gegenstand nicht mit Helena vergliche.

Um nun auf Brutus zurückzukommen, so vertheilte er bei seinem Tode sein Reich an seine drei Söhne: Locrin erhielt England (wovon es noch heut in der walisischen Sprache Lloegr heißt), Albanart Schottland (heut noch Alban genannt) und Kamber Wales. Davon hieß denn dieses Land seit den ältesten Zeiten und heißt noch heut in der 45 Landessprache ymru (Kambria) und die Einwohner nannten und nennen sich Kymry (Kambrier)An die Ähnlichkeit des Namens anknüpfend behaupten nicht wenige Forscher, die Kymren seien die letzten Reste, mindestens aber Stammverwandte der Homerischen Kymmerier und der germanischen Kimbren. So auch Th. Stephens, the Literature of the Kymry. Llandovery, Rees. 1849. - Preface, V. – Aber wie dem auch sei – meines Amtes ist es nicht, in einem Buche harmloser Reiseerinnerungen, zu den vielen Hypothesen über den Ursprung der Kelten und ihre Stellung im Völkersystem neue hinzuzufügen. Ich wollte nur, – auch in diesem Punkte unbefangen – referieren, was meine Aufmerksamkeit anregte..

Erst die einbrechenden Sachsen gaben ihnen den Namen »Welsche«, welchen sie für alle, ihrem innersten Wesen fremde, Nationen in der Art bereit hatten, wie die Römer und Griechen ihre Bezeichnung »Barbaren«. Diesen sächsischen Ausdruck hat die englische Sprache angenommen, wofür sich denn die Kymryn in ihrer Weise gerächt haben, da sie mit dem Worte »Allman«, welches ursprünglich in ihrer Sprache »der Deutsche« heißt, nun auch den »Fremden« bezeichnen, so daß bei ihnen fremd und deutsch gleichbedeutend geworden sind; während sie die Engländer noch immer »Sachsen« nennenAuch die Bergschotten nennen die Engländer Sassanach..

Wir dürfen, wenn wir diesen nationalen Ueberlieferungen folgen, in denen die Wahrheit sich trotz mythenhafter Umhüllung stets sicher darzustellen pflegt, wol annehmen, daß die ersten Ansiedler von 46 Großbritannien der großen keltischen Race angehörten. Ob nun die Einwanderung weiter von Schottland nach Irland, oder von Irland nach Schottland gieng: das ist noch immer eine offene Frage; aber soviel ist gewis, daß die Schotten und Iren einen keltischen Dialect, den sog. ersischen (erschen) oder gaelischen, reden, welcher von dem sog. kymrischen der Waliser unterschieden ist. Im Großen und Ganzen ist das Schicksal der keltischen Ureinwohner in den genannten drei Ländern dasselbe gewesen; in jedem derselben waren sie die primitive Bevölkerung, in deren Besitz wahrscheinlich aller Grund und Boden gewesen, und obwol sie wieder gleichmäßig in den drei Ländern von einer fremden Race zurückgedrängt wurden, so hielten sie sich doch bei ihrer alten, nationalen Sprache und Sitte und zwar in allen drei Fällen an der westlichen Felsenküste der ihnen ursprünglich zugehörigen Länder. Am Stärksten wirkte dieser fremde Andrang in England, wo er auch zuerst und in all' seiner Heftigkeit auftrat; hier bilden die Waliser heutzutage etwa nur noch ein Sechzehntheil der allgemeinen Bevölkerung. In Schottland geschah der Zusammenstoß später und weniger heftig, so daß das Verhältnis der keltischen Hochländer zu den englischen Niederländern immer noch wie eins zu fünf oder sechs ist; in Irland endlich, wo der englische Einfluß am Spätesten sich geltend machte, werden die neuen Ansiedler noch heute als Fremde und Eindringlinge betrachtet, und die alten keltischen Einwohner, welche noch immer den größten Theil der Bodenfläche einnehmen, obwol sie ihn nicht besitzen, 47 sind hier acht bis zehnmal so zahlreich, als die Engländer.Craik, Literature and Learning in England. London, Knight. II. 106.

Bemerkenswerth ist es auch, daß in allen drei Fällen das germanische Element es war, welches das keltische zurückstieß, nemlich nach oder neben einander: Angeln, Sachsen, Jüten, scandinavische Dänen und französische Normannen; und wie die Waliser, so haben auch die Hochschotten und Irländer für den Deutschen und den Fremden nur einen Ausdruck in ihrer Sprache.

Aber lange vor dem Andrang der Germanen fand die erste Landung der Römer unter Julius Cäsar (35 n. Chr.) Statt. Romanen und Kelten haben sich überall, wo sie zusammentrafen, leidlich ineinander gefunden; es liegt im Wesen Beider viel Gleichartiges, was eine Assimilation begünstigt. Und wenn es auch erst nach harten Kämpfen geschah, nach Kämpfen, in welchen sogar eine andre Semiramis, eine neue Cleopatra, eine walisische Zenobia, die königliche Boadicea auftrat: so geschah es doch unter Agricola, dem großen Feldherrn Vespasians, daß Britannien sich die Oberhoheit Roms gefallen ließ, und Beide sich wol dabei befanden. Und spurlos wie ihr Kommen gieng auch ihr Scheiden an der Nationalität der Waliser vorüber. Eine Legion nach der andern ward heimgerufen, um auf den Schlachtfeldern des untergehenden Roms den Barbaren geopfert zu werden, in der Mitte des fünften Jahrhunderts war alles römische Wesen verschwunden, 48 und in die Provinzen theilten sich Häuptlinge (meist britischer, zum kleinern Theil jedoch auch römischer Abstammung), die sich Könige nannten.

Da, genau um dieselbe Zeit, begann die germanische Einwanderung, und diese gieng nicht spurlos vorüber. Der Germane muß Amboß oder Hammer sein, er muß siegen oder unterliegen; in Frankreich unterlag er dem keltischen Element, in England hat er es besiegt. Als geistige Träger des nun beginnenden achthundertjährigen Kampfes sind die Druiden – als geistlicher Stand der erste der Nation – zu betrachten, und nachdem diese dem Christenthum erlagen, die Barden, welche anfänglich eine der drei Classen des Druidenthums bildeten, und endlich zu dem poetischen auch das politische Vermächtnis desselben übernahmen. In diesem Sinne ist denn auch die Äußerung Cäsar's, daß die Druiden vom Kriegsdienst frei sein, zu erklären. Sie fochten allerdings nicht mit, aber sie standen mit zum Himmel erhobenen Händen und furchtbare Flüche ausstoßend unter den Fechtenden, während Weiber mit flammenden Pechfackeln, das lange Haar über der Schulter gelöst, das Gesicht glühend von Wuth und Verzückung, durch die Schlachtreihen liefen. Obwol die Druiden in vielen Dingen sehr helle Ansichten hatten, so namentlich, wie Cäsar berichtet, der Überzeugung waren, »daß die Seelen nicht sterben, sondern nach dem Tode des Körpers in einen andren übergehen, woraus sie Todesverachtung und Liebe zur Tugend folgerten«, obwohl sie »Vieles von den Sternen und ihrer Bewegung, von der Größe des Weltalls 49 und dem Umfang der Länder, von der Natur, der Macht und Gewalt der unsterblichen Götter wußten und lehrten«, so hatte doch ihr Cultus viel Ungeheuerliches, Dunkles und Wildes, wie ihnen ja auch die Menschenopfer nicht fremd waren. Ihr Hauptsitz war die Insel Mona (jetzt Anglesea), die, wie sie der gelehrte Selden beschreibt, dazumal ganz mit dicken Wäldern und heiligen Hainen bedeckt war, und noch heut der Schauplatz vielfältiger Volkssagen und Feenmärchen ist. – Die heilige Insel blieb das Asyl des Druidenthums, bis dasselbe und zwar als das erste Opfer in dem furchtbaren Kampfe zwischen Sachsen und Briten fiel. Die Kymren wurden Schritt vor Schritt aus den Positionen ihres Landes wie ihres Nationalglaubens gedrängt, und da sie sich endlich hinter den natürlichen Wällen des walisischen Hochlandes, von den ungeheuren Bergen hier, und dort vom Meere geschützt sahen: da war ihnen nur noch von der einstigen Herrlichkeit die Sage und der Glauben von König Arthur, der mit den Helden seiner Tafelrunde im Thale von Avalon den Tagen neuen Glanzes entgegenschlummern soll, und vom Druidenthum war ihnen nur noch die Graalsage geblieben, in der sich der Sieg des Christenthums über den keltischen Heidenglauben bildlich darstellt. Cadwalladar aber, der letzte Britenkönig, war nach ArmoricaNoch heute bildet die Bretagne eine Art Oase in Frankreich; der gemeine Mann daselbst versteht kein Wort Französisch, während ihm das Kymrische als eine dialectische Abart seiner Sprache ganz geläufig ist. – Vgl. Vollgraff, Ethnognosie. Marburg, Elwert. 1854. II, 808. oder Kleinbritannien (der heutigen Bretagne) geflüchtet, über ganz England 50 herrschte das weiße Ross der Sachsenfahne und die Drachenfahne der Kymren hatte sich in die finstren Thalschluchten von Wales zurückgezogen und flatterte nur noch von den einsamen Höhen des Snowdon und Penmaenmawr.

Dieß ist der erste Hauptabschnitt in dem angedeuteten Kampfe; die Sachsen folgten den Walisern nicht in ihre Berge, sie ließen ihnen für mehrere hundert Jahre Ruhe, eine Ruhe freilich, welche die Waliser durch innere Zwistigkeiten, stete Theilungen und sonstigen Hader ausfüllten und die sie nur gelegentlich zu Anstrengungen gegen den immer noch drohenden sächsischen Feind kommen ließen. – Da langte ein neues germanisches Element, die ritterlichen Normannen an, und kaum daß sie sich im neu eroberten Lande festgesetzt hatten, so begannen sie auch schon ihre Streifzüge nach Wales hinein – denn Germanen und Kelten können einmal nicht ruhig neben einander sitzen. Schon der zweite Nachfolger des Eroberers, Heinrich I. unterwarf das in seinen Bergen verzweifelt kämpfende, durch seine Barden zu immer neuen Anstrengungen angefeuerte Volk. Die Barden hatten jetzt das Erbe der Druiden angetreten. Alles Düstre, Schauerliche, Wilde, was vordem den Druidismus charakterisiert hatte, war jetzt in die Gesänge der Barden übergegangen, die voll jenes poetischen Wahnsinns, jener 51 Raserei sind, die nicht Rand und Band mehr kennt, und gegen welche die Pindarischen Schlachthymnen wahrhaft zahm erscheinen. Empörung folgte auf Empörung, innerer Streit um den Thron und äußerer Andrang wechselten, keine Grausamkeit auf beiden Seiten ward verschmäht, Auswanderungen fanden Statt (darunter eine, welche unter Führung des Prinzen Madoc Florida in Amerika entdeckt hat, wie die Waliser behaupten)Die lange gehegte Annahme, daß die Urbewohner Amerika's Kelten seien, hat Alexander von Humboldt widerlegt. Dennoch haben eifrige Waliser in den Namen von Armorica und America eine gewisse Ähnlichkeit gefunden, indem sie jenes auf: ar - mor - isa, »an der niedren See«, dieses auf: a - myr - ycha, »an den hohen, den entfernten Seen«, zurückführten. Vgl. Cambrian Quarterly Review. IV. 468. Wir wißen freilich, daß Amerigo Vespucci, als Vorstand des Seefahrtsrathes den Ruhm hatte, den größten welchen Laune und Zufall je einem Menschen verlieh, der neuen Erdhalbkugel seinen Namen zu geben. Prescott, Gesch. Ferdinands und Isabellens. II. 616. Übrigens bezieht sich auf diese sagenhafte Expedition das Southey'sche Epos »Madoc« (public. 1805) vgl. Chamber's Cyclopaedia of Eng. Lit. II. 348. In diesem Punkte irrt sich also Julian Schmidt, wenn er in seiner glänzenden »Übersicht der englischen Literatur des 19. Jahrhunderts« (Romberg's Wißenschaften, II., 432) den Sagenkreiß des Prinzen Madoc einen von Southey »selbsterfundenen« nennt. – bis endlich die Stunde der Entscheidung schlug und Wales für immer aufhörte frei und selbstständig zu sein. Unter Eduard I. fiel der letzte Fürst von Wales Llewellyn, den die Geschichte den unglücklichen und die Poesie den sanften und 52 milden nennt, obwol er in der That eher das Gegentheil gewesen zu sein scheint. Aber das Unglück hat eine sühnende Kraft, und wenn Arthur der Lieblingsheld der walisischen Sage ist, so ist Llewellyn der der walisischen Geschichte; und die Bardengesänge, im Allgemeinen so rauh und überschwänglich, werden wahrhaft rührend, wenn sie die Kämpfe und das Ende dieses Fürsten schildern, der für die Freiheit seines Volkes litt, starb und mit dessen Haupt sein grausamer Gegner den Hauptthurm des Tower von London schmückte. Nun wurden die Wälder in Wales gelichtet, unter den Bergen wurden feste Schlößer erbaut und normannische Große siedelten sich in den lieblichen Thälern an. Viele kleine Aufstände der murrenden und über die Grausamkeit und Gewaltthätigkeit der neuen Herren empörten Waliser brachen aus und wurden unterdrückt; bis all' das zurückgehaltne Feuer noch einmal in der großen und nationalen Revolution, an deren Spitze der durch Lied und Roman gefeierte Owen Glyndwr stand, aufflammte, um auf dem Schlachtfeld von Huske für ewig erstickt und erdrückt zu werden. Das geschah unter dem vierten Heinrich. Das grausame Verfolgungssystem, mit welchem man gegen die armen Welschen wüthete, die Strafgesetze, welche sie verhinderten Geschäfte zu treiben, Land zu verkaufen und sich mit den Engländern durch Heirathen zu verbinden, alles das war wenig geeignet, eine Versöhnung herbeizuführen. Und in der That dauerte es fast ein Jahrhundert, bis eine Annäherung zu Stande kam. Denn erst unter Heinrich VII., der als Tudor aus 53 nordwalisischer Abkunft war, änderte sich das geschilderte System und erst unter seinem Nachfolger kam die völlige Vereinigung durch politische Gleichstellung mit England zu Stande. Seit der Zeit leben die Waliser unter dem milden englischen Regiment glücklich und zufrieden. Ihre Freiheit, ihre nationale Selbstständigkeit haben sie verloren, aber treu bewahrt bis auf den heutigen Tag haben sie ihre alten Sitten und ihre alte Sprache. Von ihren eigenthümlichen Sitten werde ich im Fortgange dieser Aufzeichnungen noch mehrfach zu reden Gelegenheit haben; von ihrer Sprache will ich gleich hier bemerken, daß sie nicht nur noch Landessprache, sondern vorherrschend auch Schrift- und Büchersprache ist.Tausende und zehntausende von Büchern in der Landessprache verlaßen jährlich die Pressen von Wales. Von der »Hanes Cymrû« (Geschichte von Wales) von Thomas Price, wurden durch herumziehende Bücherverkäufer unter dem Landvolk über 1000 Exemplare abgesetzt, obgleich das Werk 5 Taler 10 Sgr. kostete. Es giebt eine Vierteljahrsschrift »y Traethodydd« (der Essayist), einige monatlich erscheinende Magazine (darunter »yr Annibynur« – der Freimüthige, mit einer Auflage von 25000), die fast sämmtlich von baptistischen und methodistischen Geistlichen herausgegeben werden, wie denn ihr Inhalt durchschnittlich religiöser Tendenz ist, und endlich sehr viele Wochenblätter, von denen »Amserau«, die walisische Times eine Auflage von 100,000 hat. Leute aller Sorten und Berufsarten arbeiten an diesen Zeitschriften mit, namentlich die Handwerker, Bauern, Bergleute u. s. w.; der »Herald Cymraeg« (Auflage 9000) erhält allein 50 bis 60 Beiträge von solchen Leuten wöchentlich. Auch für die Jugend erscheinen besondere Monatsschriften; darunter »yr Oenig« (das Lämmchen), an welchem nur junge Leute mitarbeiten. Von welschen Bibeln, Alten und Neuen Testamenten wurden 1854 zusammen 54,307 Exemplare abgesetzt, eine Zahl – welche, da sie den Bedarf jedes andern Landes von gleicher Größe in der ganzen Welt übertrifft – wol der beste Beweis für den religiösen Sinn und die Anhänglichkeit der Waliser an ihre Landessprache ist. – (Vgl. The Athenaeum, № 1515. Nov. 8. 1856). – Auch in englischer Sprache sind mehrfache Vierteljahrs- und Monatsschriften über walisische Alterthümer, Geschichte, Poesie u. s. w. versucht worden. So »the Cambrian Register for 1795 and 1796«, namentlich antiquarischen Inhalts, – das reichhaltige »Cmabrian Quarterly Magazine« (1829–33). Die letzte derartige periodische Publication ist, soweit mir bekannt, die »Archaeolegia Cambriensis« (1846–1849). In den walisischen Städten 54 wird allerdings reichlich so viel Englisch als Kymrisch gesprochen, auf dem Lande aber ist die alte nationale Sprache die einzig geredete und fast einzig verstandene, und das trotz der auf Vernichtung des nationalen Elementes in Wales gerichtet gewesenen Politik Robert Walpoles, trotz der Thatsache, daß der Boneddigiaeth oder eingeborene Adel fast ganz gesunken ist, daß die Edelsitze in den Händen englischer Großen sind, deren Vorväter sie durch die Verheirathung mit walisischen Erbinnen gewannen, oder die sie gekauft haben und durchaus als englische Colonieen in Wales behandeln – trotzdem, daß es englische Prälaten sind, die von Generation zu Generation die walisischen Pfarrsitze eingenommen haben. Dieß Letztere insbesondere hat nur dazu geführt, daß das Volk die Kirchen seiner Ureltern verlaßen und Secten gebildet hat, die sich an welschen 55 Predigten erbauen und welsche Lieder singen. Zur Hochkirche gehören in Wales verhältnißmäßig nur sehr wenig; die eigentliche Maße des Volkes sind Dissenters. – Was nun die Sprache als solche anbelangt, so erschien sie mir voll und weich, harmonisch und immer ausdrucksvoll. Ja, sie ist in ihren Bildungen so kurz und prägnant, daß ein welsches Wort oft so viel ausdrückt, als ein deutscher Satz. Neben der geschilderten Fülle und Melodie hat sie in ihrem Ausdruck doch auch etwas Majestätisches; denn sie ist die Sprache eines Heldenvolkes und angefeuert durch die Klänge derselben hat es tausendmal sein Leben geopfert, um das theure Vaterland gegen Römer, Sachsen und Normannen zu schützen. Und wie in der Sprache neben aller Weichheit der Empfindung und des Gefühls sich doch ein Zug von Stärke offenbart, so auch im Leben der Waliser. Einfachheit, Ehrbarkeit, Gefälligkeit sind die Grundlinien ihres Charakters – das warme Colorit derselben aber ist der Geist der Freiheit, der aus ihren Augen funkelt, und jenes starke Heimathsgefühl, welches zwar allen Bergvölkern eigen zu sein pflegt, aber bei keinem so heilig erscheint, als bei diesem. Denn jeder Berg, auf welchem ihre Schaafe weiden und ihre Ziegen klettern, trägt noch die Trümmer jener Vesten, in welchen ihre Väter gekämpft haben; jeder Schritt Landes hat vom Blut jener Edlen getrunken, die durch Lied und Sage unsterblich geworden sind. Und wenn der Waliser sich umschaut nach den Gebirgen, die seine Thäler begrenzen, wenn er den Acker düngt, wenn er das Gras der Marschen 56 mäht, so kann er mit Stolz und mit Wehmuth sagen, daß kein Volk der Erde um das Vaterland mehr gelitten habe, als das seine! Und wir wißen ja:

Freuden verbinden sehr –
Doch die Leiden noch viel mehr!

Aber es wäre nicht billig, an dieser Stelle mit den Worten Goethe's, des fremden Dichters zu schließen! Und so mögen denn einige Verse von Goldsmith, in denen jene heilig-starke Heimathliebe der Waliser ihren schönen Ausdruck findet, diesem Abschnitte zum Beschluß dienen.

Er liebt die Hütte, die sein Liebstes hegt,
Er liebt den Hügel, drüber Sturmwind fegt.
Und wie ein Kind, wenn Lärm es wild umfliegt,
Sich fester an der Mutter Busen schmiegt:
So feßelt Sturm und Strom der wilden Flur
Ihn fester an die Heimathberge nur! 57

 


 


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