Julius Rodenberg
Ein Herbst in Wales
Julius Rodenberg

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2. Feenschlößer.

Der goldne Ball.

Vor vielen hundert Jahren lebte ein Priester, Namens Elidurus, welchem folgende Geschichte begegnet ist. Als er noch ein Knabe und ungefähr 12 Jahre alt war, da ward es ihm einst zu lästig von seinen Lehrern immer zum Lernen angehalten zu werden. Denn wenn auch der weise Salomon sagt, daß die Frucht des Studirens süß sei, so fühlte Elidurus doch jetzt nur die Bitterkeit seiner Wurzel –, und kurz – eines Tages lief er, um der Zucht und den Schlägen seines Lehrers zu entgehn, fort und versteckte sich unter dem hohlen Ufer eines Flußes. Nachdem er daselbst zwei Tage gehungert hatte, erschienen ihm zwei Männer, klein wie die Zwerge, und sagten ihm: »wenn Du mit uns gehen willst, so wollen wir Dich in ein Land voll Lust und Freude bringen!« Er willigte gleich ein, stand auf und folgte seinen Führern auf einem Pfad, der zuerst unterirdisch und finster war, endlich aber in ein gar wunderherrliches Land mit schönen Strömen und Wiesen, Wäldern und Ebnen führte. Aber das Land war dunkel und nicht von dem vollen Licht der Sonne beschienen. Die Tage 104 waren alle trüb, und die Nächte äußerst finster, kein Mond und kein Stern war zu sehn. Der Knabe ward vor den König geführt und ihm in Gegenwart des ganzen Hofes vorgestellt. Darauf, nachdem er längere Zeit mit ihm geredet und ihn hinreichend erforscht hatte, übergab er ihn seinem Sohne, der auch noch ein Knabe war. Diese Leute waren alle von der kleinsten Statur, aber sehr lieblich und ebenmäßig gebaut. Sie hatten schönes und glänzendes Haar, welches ihnen, wie das der Frauen, reich über die Schulter fiel. Sie aßen weder Fleisch noch Fisch, sondern lebten nur von Milchspeisen, welche in den Schüßeln mit Saffran angerichtet wurden. Sie bedienten sich niemals eines Eides; denn Nichts war ihnen so sehr verhaßt als Lügen. So oft sie aus der Oberwelt heimkehrten, tadelten sie die Eitelkeit, Untreue und Unbeständigkeit der Menschen. Sie hatten keinen Gottesdienst; das Einzige, was sie liebten und heilig hielten, war die Wahrheit.

Der Knabe kehrte oft an die Oberwelt zurück; zuweilen auf dem Weg, den er zuerst gegangen war, zuweilen auf einem andren. Das erste Mal führten ihn Einige, um ihn zurecht zu weisen; später gieng er allein. Sein Geheimnis vertraute er nur seiner Mutter an, der er auch von den Sitten, der Natur und Beschaffenheit des Volkes erzählte.

Da diese ihn nun einstens bat, ihr etwas Gold, an welchem das unterirdische Reich Ueberfluß hatte, mitzubringen, so stahl er bei einem Spiele mit dem Sohne des Königs den goldnen Ball, mit welchem 105 derselbe sich zu zerstreuen pflegte, und brachte ihn seiner Mutter in großer Hast. Aber als er die Thüre seines väterlichen Hauses erreicht hatte und in aller Eile eintreten wollte, da stolperte er über die Schwelle und schlug seiner Länge nach in die Stube, in welcher seine Mutter saß. Zugleich nahmen die beiden Zwerge, die ihm heimlich gefolgt waren, den Ball auf, der aus seiner Hand gerollt war, und entfernten sich, indem sie den Knaben anspuckten und verhöhnten. Da er sich von seinem Fall erholt hatte, von Scham verwirrt und den schlimmen Rath seiner Mutter verwünschend, kehrte er auf dem gewohnten Pfad zu dem unterirdischen Reiche zurück, aber er konnte den Eingang nicht wieder finden, ob er gleich ein ganzes Jahr lang suchte. Seine Freunde und seine Mutter brachten ihn endlich wol zurück, und da er sich den gelehrten Studien nun ernstlicher als vorher zuwandte, so ward er auch im Laufe der Jahre zum Priester ordiniert. Aber so oft David der Zweite, Bischof von St. David, mit ihm – selbst noch in seinem Greisenalter – von diesem Ereignis sprach, so konnte Elidurus die einzelnen Umstände niemals ohne viele Thränen erzählen.

Die Fische im Feenbrunnen.

Ein Schäferjunge, der auf dem Brynnam Mawr unter die Feen gerieth und von denselben in ihren Palast geführt wurde, vergriff sich an den Fischen im Feenbrunnen. Sogleich verschwand alle Pracht – er lag wieder auf dem Berge, neben seiner Heerde, 106 und die Jahre, die er bei den Feen verlebt zu haben glaubte, waren nur Minuten gewesen.

Fünf Minuten im Feenschloß.

Auch ein Knabe aus Caermarthenshire kam einstmals unter die Feen; und obgleich er doch nur fünf Minuten fort gewesen zu sein glaubte, so fand er doch Alles um sich her verändert. Auf dem Platze, wo seines Vaters Hütte gestanden hatte, erhob sich jetzt eine neue, stattliche Farm; als er auf den Hof trat, fuhr ihm ein fremder Köter in die Beine und im Hause fragte ihn ein fremder Mann, wer er wäre? Er sagte, daß an diesem Morgen noch sein Vater auf diesem Platze gewohnt habe.

»Armer Junge«, sagte der Farmer, »du hast deinen Verstand verloren. Gebaut ist diese Farm von meinem Urgroßvater, mein Großvater hat sie erweitert, und dorten den neuen Anbau habe ich selbst vor drei Jahren angelegt.«

Da aber der Knabe dennoch auf seiner Angabe bestand, so vermuthete der Farmer, er müße bei den Feen gewesen sein, und beschloß deshalb, mit ihm zu der weisen Frau zu gehen, um von ihr Nachrichten zu erhalten. Auf dem Wege aber, da die Fußtritte hinter ihm schwächer, immer schwächer wurden, sah sich der Farmer um und da war der arme Junge zu einem Fingerhut voll Asche zusammengesunken. Die weise Frau aber erzählte ihm, sie habe eine schwache Erinnerung davon, daß ihr vor langen, langen Jahren 107 einmal ihr Großvater von dem Verschwinden des Knaben erzählt habe.

Der Zauberbalsam.

Ein Mädchen, welches einst ausgieng, um sich zu vermiethen, ward von einem vornehm aussehenden Herrn, der ganz in Schwarz gekleidet war, gefragt: ob sie ein Kindermädchen werden und seine Kinder warten wolle? Da er ihr ungeheuer großen Lohn versprach, so hatte sie Nichts dagegen und willigte ein, worauf er ihr sagte: er wolle sie mit sich nach Hause nehmen, doch müßte sie sich, ehe sie die Reise anträten, die Augen verbinden laßen. Dieß gethan stieg sie hinter ihm auf sein kohlschwarzes Pferd und sie ritten einen langen Weg. Endlich stiegen sie ab, ihr neuer Herr nahm sie bei der Hand und führte sie, noch immer mit verbundenen Augen, eine beträchtliche Strecke weit. Dann ward das Tuch ihr abgenommen und sie sah nun auf einmal mehr Pracht vor sich, als sie in ihrem Leben erblickt hatte, – einen wunderschönen Palast mit mehr Lichtern, als sie zählen konnte, und viele kleine Kinder darin, so schön als wie die Engel. Auch viele schöne Damen und Herren. – Ihr Herr übergab dem Mädchen nun die Kinder, um ihrer zu warten, und zugleich eine Büchse mit Balsam, um die Augen derselben damit zu bestreichen. Dabei befahl er ihr aufs Allerstrengste, sich jedesmal die Hand zu waschen, wenn sie dieß Geschäft verrichtet hätte, sowie an ihre eigenen Augen auch nicht das Geringste davon zu bringen. Sie befolgte diese Befehle aufs 108 Genaueste und befand sich sehr glücklich dabei. Zuweilen aber dachte sie, es sei doch recht eigen, daß sie immer bei Kerzenlicht leben sollten. Auch wunderte sie sich nicht wenig, daß – so groß und prachtvoll das Schloß auch war – keins von den schönen Damen und Herren jemals Sehnsucht bekäme, einmal herauszugehn – denn außer ihrem Herrn verließ es keiner auch nur für eine Stunde.

Eines Morgens, als sie den Balsam auf die Augen der Kinder strich, juckte sie das eigene; und den Befehl ihres Herrn vergeßend, fuhr sie mit dem Finger, der voll Salbe war, nach demselben. Sogleich sah sie mit dem Theil ihres Auges, an welchen der Balsam gekommen war, daß sie von furchtbaren Flammen umgeben sei, die Damen und Herren sahen wie Teufel, und die Kinder wie die gräßlichsten Scheusale aus der Hölle aus. Mit dem andren Theil ihres Auges jedoch sah sie Alles so schön und herrlich, wie zuvor. Natürlich erschrak sie sehr über diesen Zufall; aber da sie Geistesgegenwart genug hatte, so ließ sie sich von ihrer Angst Nichts merken, sondern bat nur den Herrn, ihr zu erlauben, daß sie ihre Verwandten besuchen dürfe. Dieser sagte, er wolle sie mit sich nehmen, doch müßte sie sich wieder die Augen verbinden laßen, und so ward ein Tuch um ihre Augen geschlagen. Sie stieg wieder hinter ihren Herrn aufs Pferd, und kam bald bei ihrem Hause an. Sie blieb ganz ruhig da und nahm sich wol in Acht, zu dem verzauberten Schloße zurückzukehren. – Aber viele Jahre nachher, da sie auf einem Markte war, sah sie einen Mann Etwas aus 109 einer Krämerbude stehlen und mit dem einen Winkel ihres Auges erkannte sie ihren alten Herrn. Unvorsichtig rief sie aus: »Wie geht's Herr? Was machen die Kinder?« Da sagte er: »Wie kannst du mich sehn?« Sie antwortete: »Mit dem Winkel meines linken Auges!«

Von dem Augenblick an war sie blind auf ihrem linken Auge, und blieb es ihr Lebelang. – 110

 


 


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