Julius Rodenberg
Ein Herbst in Wales
Julius Rodenberg

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Sarah's Hochzeit.

Nun war ich auf die Abreise bedacht. Der Herbst war weit vorgerückt, meine Reisen waren zu Ende; ich selbst war wandermüde. Da trat am Morgen nach meiner Heimkehr von Llangollen, Mrs. Williams in meine Stube; Sarah folgte ihr, sie blieb aber in der Thüre stehen.

»Mein Herr,« sagte Mrs. Williams, »wir wollten Euch bitten, noch acht Tage länger bei uns zu bleiben. Sarah macht Hochzeit.«

Sarah stand verschämt an der Thüre; sie blickte nieder und war ganz roth.

»Nun, liebe Sarah,« sagte ich, »hatte ich damals nicht Recht, als ich Dir von Owen sprach?«

»Damals war es noch kein Ernst,« erwiderte das Mädchen, – »damals dachte ich noch nicht daran. Sonst würd' ich Euch nicht widersprochen haben.«

»Nun gut!« entschloß ich mich denn. »Ich will bleiben. Ich muß meine liebe Sarah als Frau gesehn haben, bevor ich von Wales scheide!«

»Ach, wenn Ihr doch nur immer da bleiben könntet,« 303 sagte die kleine Margret, die auch hereingekommen war und sich an meinen Arm hängte.

»Ich komme wieder, wenns Frühling geworden ist. Ich komme wieder!«

Auf der Farm waren alle Hände in Bewegung; und nebenan, vor der Farm Gorddunoc auf dem Rasen ward ein Bretterzelt mit Linnendach erbaut. Ich benutzte die Zeit, um meine Freunde in Llanfairfechan noch oft zu besuchen. Der Schulmeister sagte: »Hab' ich nicht recht gehabt, als ich Euch damals wegen des Freiwerbens auf dem Bett beruhigt habe? Ihr seht, wir halten hier zu Land keine langen Brautschaften. Wir sagen: Liebe ohne Heirath ist eine Krankheit ohne Hoffnung.« – Am Meisten freute sich Gwenni mit mir. Da sie wußte, daß ich nun bald auf Immer scheiden würde, so mußte ich ihr versprechen, an jedem Tage noch einmal zu kommen.

Einmal, gegen Abend, da ich bei Mutter Moll und Gwenni saß, pochte es an die Thüre und herein trat der Hufschmied von Aber, mit einem großen Stabe, und im Sonntagszeug. Hut und Stab waren mit bunten Bändern und Blumen geziert. »Das ist der Bitter!« jubelte Gwenni. »Das ist Sarah's Hochzeitsbitter!« Der Hufschmied aber, höchst pathetisch und ohne sich aus seiner würdevollen Haltung bringen zu lassen, setzte seinen Stab gravitätisch vor sich nieder, nahm seinen Hut ab, machte seinen Diener, und las folgendes Schreiben vor:

Da ich am Sonnabend den 27. September mich in den heiligen Stand der Ehe zu begeben 304 gedenke, so habe ich auf die Zusprache meiner Freunde es gewagt, Euch in mein Wohnhaus zu Gorddunoc zu bitten. Die Gunst Eures Besuches wird höflichst erbeten, und was Ihr mir dann als Geschenk mitbringen werdet, soll dankbar angenommen und bestens vergolten werden, wenn Ihr es einmal bei ähnlicher Gelegenheit (»z. B. wenn Gwenni und Griffith erst Mann und Frau werden« extemporirte der Hufschmied) verlangt von Eurem Diener

Owen Owen.

»Was fällt Euch ein, Meister?« fuhr Gwenni auf. »Was hab' ich mit Griffith zu schaffen?«

»Still, Gwenni!« rief Mutter Moll. »Es ist dem Bitter doch wol erlaubt einen Spaß zu machen?«

Der Bitter las dann weiter:

Nota bene: Des jungen Mannes Mutter, Bruder und Schwester (Hannah, Richard und Elen Owen) bitten, daß alle pflichtschuldigen Gaben dem jungen Mann am erwähnten Tage übergeben werden mögen und werden für Alles, was mehr gegeben wird, dankbar sein.«Bei den Walisern so gut, als bei allen andren Völkern oder vielmehr den Theilen der andren Völker, die noch auf dem Boden der Natur stehn, wird die Hochzeit von Seite des jungen Paares als ein lucratives Geschäft angesehn. Ein armes, neuvermähltes Paar in Wales geht in dieser Hinsicht gar so weit, daß es das ganze Land durchzieht, um Etwas zu sammeln, womit sie, wie sie's nennen, »den Hausstand begründen können.« Bei dieser Gelegenheit wird ihnen insgemein Korn und Wolle gereicht. Diese Gabe heißt Kymortha, ganz so wie das Almosen, das man in frühern Jahrhunderten den Barden gewährte.

305 Der Bitter lehnte seinen Stab an einen Stuhl und setzte seinen Hut wieder auf. Er war mit seiner Rede zu Ende.

»Gieb dem Mann zu eßen und zu trinken!« sagte Mutter Moll.

»Eßen mag ich Nichts,« entgegnete der Bitter. »Aber wenn Ihr ein Glas Ale habt, so will ich trinken.«

Der Hufschmied von Aber ist der beste Bitter im ganzen Kirchspiel. Er ist ein pfiffiger Mann und kann den ganzen Tag sprechen, ohne müde zu werden. Er kennt die Geschichten von allen Bauern auf drei Meilen in der Runde und weiß gar treffliche Complimente zu machen. Wenn er herumgeht, so kann das junge Paar gewis sein, daß keine Einladung umsonst geschieht und daß die Geschenke reichlich ausfallen. Darum ist er bei Hochzeiten auch immer voran.

»Warum habt Ihr denn die Einladung da vom Blatte gelesen?« fragte ich den Bitter. »Ich meine doch gehört zu haben, Ihr hieltet bei solcher Gelegenheit eine Rede in Versen.«

»Mein Vater hat's noch gethan« erwiderte der Hufschmied. »Seit funfzig, sechzig Jahren aber ist's ganz abgekommen. Die alten Sitten unsres Volkes verschwinden von Jahr zu Jahr mehr – es geht auf den Abbruch, lieber Herr!«

306 »Ja, ja – ja, ja«, sprach Vater Morgan in zitternder Stimme, »ich komme mir oft vor, als wäre ich fremd in meinem Lande. Ich kenn' es gar nicht mehr. Da Dein Vater noch Bitter war und ich auf der Hochzeit noch harfte – da waren's noch Hochzeiten. Jetzt schämen sie sich's zu machen, wie's ihre Voreltern gemacht haben. Jetzt machen sie Alles den Engländern nach!«

»Na, Vater Morgan«, beruhigte der Hufschmied den Greis, »hier oben bei uns steht's noch leidlich. Wir machens noch so gut wir können; und bei Owens Hochzeit soll's einmal wieder lustig nach der alten Mode hergehn.«

So kam der Hochzeitstag heran. Es war schon recht kalt im Gebirge geworden; ich hatte den ganzen Tag Feuer im Kamin. Aber es war klares, sonniges Wetter und um die Mittagszeit höchst angenehm. – Vor Tagesanbruch schon gieng der Lärm in Haus und Hof an. Ich konnte nicht mehr einschlafen. Als ich herunter kam, saß Sarah schon in vollem Staat in der Küche. Auch einen neuen schwarzen Hut mit langem weißen Schleier dran hatte sie schon auf. Der Vater, die Mutter, die Großmutter und alle Kinder, gleichfalls im höchsten Putz, saßen um den Heerd herum. Sie tranken Thee und aßen Kuchen dazu. Auf dem Kieswege, vom Gitterthor herauf, trieb sich ein Dutzend junger Bursche herum, mit Bändern und Sträußen an den Hüten. –»Was sind denn das für Leute?« fragte ich. »Das ist Sarah's Schutzwache,« erwiderte Vater Williams.

307 Sarah's Schutzwache arbeitete draußen, als gält' es Redouten aufzuwerfen oder ein Lager zu befestigen. Ich konnte keinen Schritt thun, ohne auf ein Hindernis zu stoßen. Hier war ein Strohseil quer über den Weg gezogen, dort eine Steinbarrikade errichtet.

»Wozu macht Ihr denn das?« fragte ich den Commandeur der Schutzwache.

»Damit der Bräutigam und seine Mannschaft nicht herein kann!« war die Antwort.

Unten die Gitterthüren waren weit nach beiden Seiten hin aufgesperrt. Aber in die Mitte des Eingangs war ein Pfahl von Mannshöhe eingerammt. Auf der Spitze desselben war ein großer Nagel eingeschlagen, um den sich ein Balken frei bewegte. Das eine Ende dieses Balkens war breit und platt, an dem andren hieng ein Sandbeutel.

»Was ist denn nun das?« fragte ich weiter.

»Das ist ein Gwyntyn,« versetzte der Höchstcommandirende.

»Und was soll der Gwyntyn?«

»Den Bräutigam und seine Mannschaft nicht hereinlaßen,« war die lakonische Antwort. Es war, als ob wir uns im Kriegszustand befänden. Die Schutzwache arbeitete mit einer Ernsthaftigkeit und einem Eifer, als ob's das Heil des Vaterlandes beträfe.

Auf einmal ward aus der Ferne ein schriller Pfiff gehört.

»Das ist das Signal!« rief der Commandeur. »Sie rücken an. Nun auf Eure Posten, Jungens!«

Sechs Bursche stellten sich am Gwyntyn auf, 308 drei auf jeder Seite, die übrigen zogen sich nach dem Farmhaus zurück. Ich trat seitab aufs Feld.

Der Feind rückte wirklich heran. Der ganze Boden dröhnte, denn sie waren alle beritten. Es war eine Schaar von etwa funfzig Burschen. Die meisten saßen auf den kleinen walisischen Gebirgspferden oder Ponies, die hier Merlyns heißen. Vorne ritt der Pfeifer. Sein Pferd war vor lauter Decken und Federbüschen und Bändern gar nicht zu sehn. Es sah aus wie das Holzpferd eines Caroussels, und da die Satteldecken so breit waren, so standen seine Beine nach beiden Seiten hin horizontal in die Luft. Gleich darauf folgte Griffith, in der Eigenschaft des Anführers. Da sein Merlyn äußerst klein und seine Beine äußerst lang waren, so schleiften sie auf dem Boden neben ihm her. Dann kam die Schwadron, zu Fünf und Fünf aufgeritten. In der Mitte der ersten Reihe ritt Owen.

Vor dem Gwyntyn ward Halt gemacht. »Wollt Ihr uns einlaßen«, fragte der Pfeifer, »oder nicht?« »Nein, wir wollen Euch nicht einlaßen,« sagten die Sechs von der Schutzwache Sarah's. »Dann, vorwerts, Marsch!« commandirte Griffith. Und vorwerts giengs, voran der Pfeifer. Indem er aber bei der platten Seite des Gwyntynbalkens durchreiten wollte, schlug dieser um, und da er nicht flink genug war, ihm so heftig ins Gesicht, daß die Pfeife über die Hecke und der Pfeifer unter sein Paradepferd flog. Freund und Feind stimmten ein homerisches Gelächter an; der Pfeifer aber führte seinen Gaul durch, suchte seine 309 Pfeife wieder und stimmte nun – auf feindlichem Boden – seine Schlachtmusik mit solchem Eifer wieder an, daß mir die Ohren gellten. Griffith kam gut durch, wie sichs für einen Anführer paßt; aber Owen schlug auf den Boden, wie sichs für einen Mann im Hochzeitszeuge nicht paßt. Die Blätter der Blumen stoben nach allen Seiten auseinander; er trug den ganzen Tag nur noch Blumenstengel am Hute. Aber gut oder nicht gut, war hier nicht die Frage; es galt nur, durchzukommen, und nach einer kleinen Stunde waren sie, unter Begleitung eines funfzigstimmigen Gelächters, das nur durch die Pfeife noch übertönt wurde, durchgedrungen. Der Pfeifer hatte sich, nach meiner Berechnung, die halbe Lunge ausgeblasen. Die sechs Schutzwächter hatten sich indessen aus dem Staube gemacht, die Schwadron formierte sich wieder und vorwerts gieng's. Die Strohseile machten nur kurzen Aufenthalt; man schnitt sie durch und ritt weiter. Aber die Steinbarrikaden sahen bedenklicher aus. Die Pferdchen wollten nicht hinüber. Der Pfeifer war klug geworden; er hatte auf seinen Decken offenbar einen unvortheilhaften Sitz. Er stieg darum ab und riß sein Pferd am Zaum hinter sich her. Aber Griffith setzte hinüber. Dabei kam jedoch sein rechter Fuß zwischen zwei Steinen fest zu sitzen und das kleine Thier gieng ihm unter den Beinen weg. Der Reiter ohne Pferd rettete sich bald, aber sein Gaul lief durch ein Loch in der Hecke querfeldein. »Hussah, hussah!« riefen die Berittnen und setzten nun auch durch die Hecken. »Hussah, hussah!« das Pferdchen ward 310 eingefangen und dem General zurückgebracht, der nun zum Avancieren pfeifen ließ, was denn auch ohne Hindernis vor sich ging. Als sie aber vor's Haus kamen, war dieses von Innen verschloßen und verrammelt; an allen Fenstern aber sah man Köpfe – Sarah mit Hut und Schleier stand vor ihrem Kammerfenster. Nun ist es Sitte in Wales, daß dieser letzte Angriff nicht mit Stemmeisen und Brechstangen, sondern – mit Versen geschieht! Sie müßen so lange in Reimen fechten, bis die Partei im Hause nicht mehr antworten kann – dann muß sich die Festung übergeben. Griffith aber war der beste Versmacher auf weit und breit; er konnte alle Pennillion der Welt auswendig und es war ihm auch einerlei, neue zu erdenken. Gegen den hielt Keiner Stand. Deshalb wurde er auch immer zum Anführer der Bräutigams-Mannschaft erwählt. Also ließ er den Pfeifer wieder aufspielen und begann:

Ihr Leute macht mir auf das Haus,
Und gebt mir gleich die Braut heraus!

Der Anführer der Brautwache rief herunter:

Wer uns besiegt mit Redegaben
Der kriegt die Braut! der soll sie haben!

»Gut«, sagte Griffith, »so will ich Euch ein Räthsel aufgeben:«

Was ist's, das ein Mann nicht zu leiden braucht?

Der von Oben erwiderte:

Wenns in der Stube qualmt und raucht,
Wenns durch die Decke regnet, und
Sein böses Weib aufthut den Mund!

311 »Das war gut geantwortet«, sagte Griffith. »Nun könnt Ihr eine Frage stellen.«

Der Wortführer von Oben fragte:

Weißt Du drei Dinge, die nicht stille stehn?

Griffith erwiderte:

Die Schweine, die zur Weide gehn,
Die Schnecken in der Mittagsstund,
Und Tom dem Müller sein böser Mund!

Als die Gesellschaft ihren Beifall ausgedrückt hatte, begann Griffith wieder.

Frage: Was ist besser als Gold?
Antwort: Juwelen!
Frage. Was ist besser noch?
Antwort: Reinheit der Seelen:
Frage: Was noch besser?
Antwort: Ein Weib, bieder und schlicht!
Frage: Und was ist noch beßer?
Antwort: Beßres weiß ich nicht!

»Ihr seid gefangen!« schrie Griffith. »Ihr könnt meine Frage nicht beantworten – hollah, macht das Haus auf!«

»Nein«, ward von Oben herunter gerufen, »das ist Hinterlist! Der Spruch ist zu Ende, wir haben ihn richtig hergesagt. Wir mußten ihn sagen wie er nun einmal ist!«

»Na, wartet«, sagte Griffith leise zum Pfeifer, »jetzt will ich Euch fangen. Jetzt will ich Euch einen Spruch aufgeben, den Ihr nicht rathen sollt. Ich hab' ihn frisch erdacht! Pfeifer, spiel auf!«

Der Pfeifer blies wieder; aber es kam Alles quer heraus. Es waren die vollendetsten Mistöne, die 312 jemals geblasen worden sind. Griffith aber warf sich in die Brust, sah sich seine Leute an und sprach:

Sag' mir drei Dinge, die mir zuwider sind!

Der Wortführer der andren Partei ward offenbar sehr verdutzt. »Hätt'st du mich nach drei Dingen gefragt, die dir nicht zuwider sind, so hätt' ich dir schon dienen wollen!«

»Was ich gefragt hab', das hab' ich gefragt!« versetzte Griffith und stemmte beide Fäuste gar trotzig in die Seite.

Es ward noch eine Weile hin und her capituliert; endlich aber mußte die feindliche Partei sich gefangen geben. »Na, Griffith, –« hieß es, »wir wißen's nicht; sag du's uns!« Und Griffith sagte:

Des Sonntags hinterm Pfluge gehn,
Barfüßig auf dem Eise stehn,
Weise Reden hören von einem Kind –
Das sind drei Dinge, die mir zuwider sind!

»Bravo!« riefen seine Gesellen – »bravo! halloh! macht uns die Thür auf!« Dabei schlugen Einige, die von ihren Pferdchen herabgestiegen waren, so heftig an die Thüre, daß sie wahrscheinlich hätte nachgeben müßen, auch wenn von Innen die Riegel nicht zurückgeschoben worden wären. Sogleich drang Griffith ein; in der nächsten Minute kam er schon wieder heraus – er hatte Sarah mit seiner Rechten um die Taille gefaßt und trug sie so im Triumph mit sich fort. In der Linken schwenkte er seinen Hut. Sarah schrie und wehrte sich mit Händen und Füßen – aber nun kam auch Owen herzu, nahm sie in die Arme, setzte sie 313 vor sich auf den Sattel und mit »Hurrah und Halloh« sprengte die Schaar bergab, wie ein Kosackentrupp, dem der Feind auf den Fersen ist. Nun band aber auch die Brautwache in aller Eile ihre Pferde los, die hinter der Farm unter den Bäumen gestanden hatten, und in vollem Galopp giengs durch Hecken und Zäune den Räubern nach, die sich auf der Chaussee in der Richtung nach Conway hin bewegten. »Da, nun hat er sie!« rief die Großmutter, die inzwischen, da es sicher geworden, vor die Thür getreten war. Margret fieng an zu weinen, und kaum daß Jane, die sie an der Hand führte, dieß sah, so brach sie auch in ein Zetergeschrei aus, das die Mutter mit dem größten Stück Kuchen nur mühsam stillen konnte. Unter dem Abhang des Penmaenmawr wurde der Räubertrupp von Sarah's Schutzwache wieder eingeholt. Es gab ein Feldgeschrei, daß man sich hätte einbilden können, da unten finde ein wirkliches Treffen statt. Die Pferdchen rannten und sprangen durcheinander wie im wüthendsten Handgemenge. Dabei wurden – in aller Freundschaft – mit Reitgerten und den Fäusten Hiebe gewechselt, die ich selbst im Spaß nicht haben möchte. Am Meisten war die arme Sarah zu bedauern. Sie war der Mittelpunkt des Gefechts. Ihre Wache suchte sie am Bein und an den Armen von Owens Pferd herabzuziehn und mir schien, daß sie dabei mit mehr Freiheit zu Werke giengen, als eine Dame ertragen würde, die weniger starke Sehnen und mehr Prüderie hat, als ein walisisch Naturkind. Endlich gelang es Griffith und seinen fünfzig Gesellen 314 die viel kleinere Schutzwache Sarah's zu entwaffnen und gänzlich zu besiegen. Von einer großen Anzahl Hochzeitsgäste, die sich inzwischen auf der Landstraße gesammelt hatten, um das Schauspiel anzusehn, zu Fuß gefolgt, langten die Reiter vor dem Zelt auf der Farm Gorddunoc an. Hier sah es aus, als sollte Auction gehalten werden. Der ganze Hof war mit Hochzeitsgeschenken, als Möbeln, Wirthschaftsgeräth, Keßeln, Körben, Töpfen und Schaalen bedeckt. Ab und an traf auch noch ein verspäteter Reiter ein, der vor sich auf dem Sattel einen Stuhl oder eine Wanduhr gebunden hatte. Nach rasch erfolgter Sammlung setzte sich der Zug – der unglückselige Pfeifer immer voran – nach der Kirche von Llanfairfechan in Bewegung, woselbst er noch vor Mittag anlangte. Die Trauung ward vom Vicar von Llandégai vollzogen – Owen und Sarah waren Mann und Frau und nun begannen die Lustbarkeiten des Tages. Am Eingange des Zeltes saß der Hufschmied von Aber. Auf dem Tisch neben ihm stand eine Büchse. Jeder Eintretende warf seinen Beitrag hinein – »Einen Schilling für das Essen, einen Schilling für's Getränk Sir; was mehr ist, wird auch angenommen. Und wenn's Kindtaufe giebt, wollen wir wieder lustig sein!« – Am untern Ende des Zeltes saßen auf einer kleinen Erhöhung der Harfner und der Pfeifer. Es mochten wol an dreihundert Gäste beisammen sein – Alte und Junge, Mädchen und Bursche.

Gwenni kam gleich zu mir. Sie wich den ganzen Tag nicht mehr von meiner Seite. Bei Tisch saß 315 ich zwischen ihr und meinem alten Freund aus dem Schulhaus von Llanfairfechan. Griffith benutzte die Gelegenheit, um mir die Blicke der Verachtung, die er mir sonst nur aus der Ferne gegönnt hatte, heut aus allernächster Nähe zuzuwerfen. Gleich nach dem Eßen wurden die Tische zur Seite gerückt und der Tanz begann. Der Hufschmied von Aber gieng immer zwischen den Paaren hin und her; bald war er unten, bald war er oben. Bei solchen Gelegenheiten trieb er nemlich in aller Stille den Cigarrenhandel als einträgliches Nebengeschäft. »Capitale Hochzeit!« redete er mich an. »Warum tanzt Ihr nicht Sir? – Wollt Ihr eine Cigarre rauchen? Hier sind Cigarren – Cigarren für einen Gentleman – drei Groschen das Stück – nehmt Euch nur eine, Ihr werdet es nicht bereuen!« Um den Biedermann nicht zu beleidigen, mußte ich die Cigarre nicht nur kaufen, sondern auch anzünden. Aber ich würde nicht drei Groschen nehmen, und sie noch einmal rauchen! –

Leidenschaftliche Tänzer sind die Waliser nicht. Sie haben nur eine Leidenschaft – die Leidenschaft zu singen! Kein Tanz, keine Lustbarkeit, wo sie nicht zuletzt um die Harfe zusammenrückten, und ihre Pennillion zu den Variationen des Harfners anstimmten. Sie singen ohne Unterbrechung fort, Einer nach dem Andren, und Jeder eine andre Strophe als der Vorgänger. In der Regel wird in diesem Wechselgesang ein heitrer Streit geführt; jeder Sänger sucht seinem Vormann durch sein Pennill zu widersprechen, wobei die Gewandtern oft auf die sinnreichste Weise 316 extemporieren. Die Meisten aber haben hunderte von Pennillion im Kopfe, so daß sie für jede Gelegenheit und auf alle Fälle gerüstet sind. Den Ton, nach welchem gesungen werden soll, bestimmt die Zuhörerschaft; aber wenn »die rechten Leute« da sind, so ist es ihnen einerlei, da sie zu jeder Melodie Verse wißen. Wie Nachtigallen singen sie oft ganze Nächte lang gegen einander; oft Dorf gegen Dorf, ja Kirchspiel gegen Kirchspiel sind in diesem anmuthigen Liederstreit begriffen. Bei diesem Preissingen pflegt dann der Ton »Ar byd y Nôs« derjenige zu sein, mit welchem der Schluß des Ganzen gemacht und in welchem gewöhnlich auch extemporiert wird.

Der Pfeifer, der den ganzen Tag nicht zum Athmen gekommen war, legte sein Pfeifchen jetzt weg, der Harfner rückte ins Zelt hinunter und Griffith setzte sich neben ihn. Denn Griffith war Einer von den »rechten Leuten;« er gab den Ton an und war schlechterdings nicht aus der Fassung zu bringen.

»Harfner«, sagte er; »schlag den Ton Hob y Deri Danno an.« Der Harfner preludierte und gieng dann in eine liebliche Weise über, bei der man immer an sonnige Wiesen und Eichengründe mit Schatten und Quellen denken mußte.

»Owen fängt an«, rief Griffith; »Owen hat heut den Vorrang!« Und Owen sang:

So lang um Mona braust das Meer,
So lang der Conway fließt daher,
So lang des Snowdon Gipfel ragen:
Soll dieses Herz für Sarah schlagen!

317 Dabei drückte er sein frisches Weibchen herzhaft fest an die Brust und küßte sie drei-, viermal.

Sobald Sarah wieder zu Athem gekommen war, antwortete sie:

Der Geizhals hütet seinen Schatz,
Die Jugend schweift von Platz zu Platz:
Doch ich, wie's auch die Andren treiben,
Will treu bei meinem Owen bleiben.

Jetzt war die Reihe an Griffith. Er drückte seinen Hut tiefer in die Stirn – das that er immer, wenn's was Rechtes geben sollte. Alle Leute spitzten die Ohren und sahen ihn mit gespanntem Lächeln an. Darauf begann er:

In Sommerszeit, eh' es zu spät,
Der Schnitter sein Getreide mäht;
Nimm einen Mann, eh' Herbst sich naht:
Das, schöne Gwenni, ist mein Rath!

Er hatte die letzten Verse mit einem aus Liebe und Spott gemischten Blicke auf Gwenni und einem aus purer, ungemischter Verachtung auf mich begleitet.

Aber Gwenni war nicht das Mädchen, das sich durch ein Pennill einschüchtern ließ. Frischweg, ohne sich zu besinnen, gab sie's ihm zurück.

Bursche, die sich gar wichtig spreizen
Kommen mir vor wie grüner Waizen.
Schneidet man ihn und drischt ihn so,
Kriegt man Nichts, als – trocken Stroh!

318 Schallendes Gelächter folgte den Versen Gwenni's. Griffith kam außer sich vor Zorn, aber er faßte sich bald und sang ein ander Pennill.

O Gwenni, du bist zwar recht schön gewachsen,
Hast braune Augen und Haare licht und flachsen:
Doch auch den Wolfswurz schöne Blüthen färben,
Und an der bittren Wurzel muß man – sterben!

»Das war gut! das war sehr gut!« rief die Versammlung einstimmig. »Ja, der Griffith ist ein Teufelskerl!« setzte der Hufschmied hinzu; »der singt Euch den Teufel aus der Hölle heraus!«

Ob das nun figürlich gemeint sei oder nicht, kann ich nicht sagen. Jedenfalls zeigte sich Gwenni in diesem Punkte als ein kleiner Teufel von ganz besonders guter Qualität; sie ließ sich nicht aus dem Concept singen und entgegnete:

Du lieber, holder Griffith – du aller Bursche Preis,
Bist auch recht schön gewachsen, hast Zähne blank und weiß,
Dazu zwei braune Bärte, die dich vortrefflich kleiden,
Wie wollt' ich dich lieben . . . könnt' ich dich nur leiden!

So giengs zwischen den Beiden noch eine Weile hin und her, und ich glaube, sie hätten die ganze Nacht sich auf diese Weise Schmeicheleien sagen und erwidern gekonnt. Allein Griffith erwies sich dießmal als der Klügere. Er gab nach. »Die Andren wollen doch auch singen, sagte er, »und wer sich mit einem Weib zankt, der hat gewonnen, wenn er schweigt! Was kommen soll, kommt doch!« – An jenem Abend 319 fühlte ich auch, daß es wol kommen könne. Die Beiden neckten sich mit gar zu großer Ernsthaftigkeit.

Ich aber, mächtig aufgeregt, verließ das Zelt – ich gieng hinunter – weit hinunter an die Brücke am Meere unter den Felsen – und da stand ich, stand lange, an die Steine gelehnt – die Schuhe feucht von Meereswaßer, die Augen feucht von Thränen.

Leb wol im Schein der Nacht, du weites Meer!
Gleich meinem Herzen bist du wüst und leer.
Kein Mondenlicht klärt deine finstren Wogen,
Kein Stern glüht über dir am Himmelsbogen.
Du athmest schwer, als gält' es zu verwinden,
Was stets du suchst, um nimmer es zu finden.
Umsonst an dieser Ufer Felsenherzen
Tobst du und klagst den Steinen deine Schmerzen.
Der Sturmwind, wie ein mächt'ger Seufzer, weht
Durch deine Tiefen, wie ein Nachtgebet.

Lebt wol, ihr Berge auch; von nächt'gem Schau'r
Du ganz verhüllt, gewalt'ger Pen-maen-mawr.
Great-Ormes-Head, an dessen Haideflächen
Einsame Wogen ihre Häupter brechen.
Und du vom Sturm umrauschte Snowdonkette,
Der Ströme Nährerin, der Helden Bette.
Um deine Firnen weht's wie Todtenklage
Um Freiheit und um Größe ferner Tage;
Wo jetzt statt Adlerflug und Schlachtgeschrei
Das Herdenglöcklein klingt und die Schalmei.

Leb wol, du Volk auf deiner Hügel Kamm, –
Du, noch bei Pflug und Sens', ein Heldenstamm.
Und jedes Schloß in Trümmern, jede Veste,
Wo mich umragt der Vorzeit große Reste, – 320
Lebt wol ihr Wiesen mit den Feenringen,
Ihr Seen, deren Rand von Harfen klingen;
Du stille Farm, um die Herbstwetter tosen,
Margret und Gwenni, duft'ge Hochlandsrosen!
Nun, Sturm der Mitternacht, rausch dumpf und hohl –
Du trägst mit dir mein letztes Lebewol! 321

 


 


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