Johann Kaspar Riesbeck
Briefe über das Mönchswesen
Johann Kaspar Riesbeck

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Achter Brief.

Den 4ten. May. 1770.

Ich fahre nun fort, dir meine Lehrstunden bey Herrn Gutmann ordentlich abzuschreiben. Denn so bald ich von ihm nach Hause komme, ist es meine erste Sorge, unsere ganze Unterredung, oder vielmehr seine freundschaftlichen Collegien, zu Papier zu bringen. Hier empfängst du wieder ein Stück; ich weiß nicht ob es lang oder kurz ausfallen wird.

Herr Gutmann ermahnet mich immer die Pflichten meines Pfarramtes auf das strengste auszuüben, und dieselben nebst der Menschenliebe allen andern Beschäftigungen vorzuziehen. Er sagt immer: Herr Pfarrer, sie sind ein Soldat des geistlichen Regiments; keine Gesetze sind schärfer als die militärische. Werde ich ungefehr mitten in der Unterredung von dem Schulmeister zu einem Kranken, oder sonstigen Kirchengeschäfte gerufen, und bezeige Lust nur bis zu dem Beschluß einer Periode zu bleiben, so redet er um alles in der Welt kein Wort mehr. Auf den Posten Herr Pfarrer! Wenn sie fertig sind und abgelöset werden, dann gehören sie sich selbst wieder; jezo sind sie nicht ihr eigener Herr, sie gehören dem gemeinen Wesen, der Menschlichkeit, dem Dienst ihres Nächstens. Und da muß ich eilend fort. Komme ich wieder, so empfängt er mich freudig, und es ist als ob ich niemals abwesend gewesen wäre.

Was sagst du denn lieber Herr Bruder zu der Abschilderung, die er mir letzthin von Rom gemacht hat? Sollte man es wohl glauben können? Doch hat er mir aus dem Suarez, dem Laymann, Tolet, Diane, Roßignol gleich die Stellen aufgeschlagen, welche beweisen, daß mittelst einer einzigen Distinction keine Simonie mehr möglich sey. Und es ist auch wahr. Ich kaufe ja den H. Geist nicht; den habe ich schon, weil ich sine tonsura nicht fähig wäre ein Beneficium zu besitzen. Es ist nur eine Retribution für zeitliche Einkünfte. Wohl eine schöne Sache um den Probabilismus! Inocentius XI hat es zwar, wie mir Herr Gutmann bewiesen, schon Ao. 1679. inter propositiones damnatas Num. 45. und 46. gesetzet. Aber man ist nicht schuldig alles zu wissen, und der Unwissende sündiget nicht; der Wissende aber hat abprobirte Theologen, die das Gegentheil behaupten. Mich bekümmert es überhaupt am wenigsten – Keine bessere Pfarre bekomme ich nicht; wenn ich nur den Schloßzehenten wieder hätte!

Nun das ist wahr, das war ein ausschweifender Introitus. Jezt zum Haupttext. Als ich des andern Tags zu Herrn Gutmann kam, sagte er: Wir sind gestern dabey stehen geblieben, daß ich ihnen meine wenige Gedanken erklärete, warum ich behaupte, daß 96. von 100. Christen ohne alle Untersuchung gerade das glauben, was ihr Geburtsort, Aeltern, Schulmeister und der Geistliche glauben. Bey uns ist alles darauf eingerichtet, daß es nicht anderst gehen kann. Man lernet mit Mühe in der zarten Jugend gewisse Säze, und diese kommen bey einer jeden dargebotenen Gelegenheit wieder in unser Gedächtnis. Man wird gelehret, daß Selbstdenken nachtheilig, ja höchst schädlich, und eben deßwegen verdammt sey. Um diesem sonst befremdenden Gesez ein Ansehen zu geben sagt man: Der leidige Satan ist es, der solche Gedanken eingiebt: Die Kirche stehet nun bald 1890. Jahre: Wer sie nicht höret, ist ein Heyd und Zöllner: Unsere Vernunft ist schwach und durch die klägliche Erbsünde mehr zum Bösen als zum Guten geneigt: Weil nicht jedermann die Fähigkeit, die Mittel, die Zeit und den Beruf hat nachzudenken, so haben jene für uns gedacht, die der heil. Geist darzu ausersehen hat; haben sie schon keine geschriebene Vollmacht und Beglaubigungsbriefe ihrer Unfehlbarkeit aufzuweisen, so muß doch alles wahr seyn, weil es die cathol. Kirche, deren Glaube nicht abnehmen kann, für wahr annimmt. Der Politicus betrachtet die Sache auf einer andern Seite. Religion, sagt er, müssen wir wenigstens im äusserlichen wegen guter Ordnung, und das Volk im Zaum zu halten, haben. Will der ehrlich Mann ruhig leben, seinen guten Namen behalten, Brodt, Dienst und Nahrung erwerben, seinen Kindern einen Stand und Bürgerrecht, nebst Haab und Gut beybehalten, auch nicht in das Elend verjagt werden, ja in gewissen Ländern nicht Leib und Leben verlieren, so muß, so darf er nichts anders glauben und thun, als was auf den Wildstamm seines Gehirns durch Aeltern und Lehrer gebelzet worden, und was durch Gesetze und angenommene Gleichheit in dem Kreis der Gesellschaft, darinnen er lebet, üblich ist.

Sie fragen mich, ob denn die andern Religionsverwandte von allem Zwang und Vorurtheilen ganz frey seyen? Ich glaube, nein! Sie hangen so fest, als wir, ihren in Fleisch und Blut verwebten Vorurtheilen an. Aber wir wollen es ihnen um so weniger übel nehmen, da wir einen guten Theil mehr, und sie neben dem ganz unläugbar noch zu dem ihrigen Verstand haben; so daß wir alt- und gutcatholische die in unsere Kirche durch die Länge der Zeit in Nebensachen eingeschlichene und durch die geistliche Uebermacht fortgepflanzte Mängel nicht läugnen können. Denn daß dergleichen vorhanden gewesen, haben die constanzische, baselische und tridentische Kirchenversammlungen deutlich genug bewiesen. Ob sie, wie man sagt, um den Rok auszubürsten gar das Tuch zerrissen haben, lasse ich Gott und ihrem Gewissen über. Sie bleiben aber immer meine Brüder, meine Nebenmenschen, die zu meiner Liebe oder Hülfe berechtigt sind. Wer das menschliche Herz, unsere Temperamente, und die Macht der Eigenliebe kennet, der wundert sich nicht, wann ein anfänglich einfacher Satz durch die Widersprüche des Gegentheils zu übertriebener Hitze verleitet, und durch den Stolz des Rechthabens in unzähliche Nebenzweige vertheilet wird. Soll ich aber darum meinen Nebenmenschen hassen, verfolgen und verdammen, weil er in einer Sache nicht mit mir gleich denket? In einer Sache, die weder er noch ich untersucht haben, die zum theil unbegreifliche Geheimnisse enthält, und die wir beyde andern gutherzig nachglauben und nachsprechen.

Bey allen drey in unserm Vaterland durch den westphälischen Frieden verbürgten Religionen, haben sich die meisten Theologen schon von Anbeginn der so sehr zu bedauernden Spaltung die leidige Freyheit genommen, aus Schimpfen und Schmähen gegen die Reformation oder den Pabst mit den gröbsten persönlichen Anzüglichkeiten einen bündigen Beweis für die Lehre zu machen. Sehen sie da, Herr Pfarrer, sagte er, (indem er mir die Columnam & Firmamentum des P. Katzenbergers, eines Theologen aus dem Franciscaner=Orden, auf der 160. Seite aufgeschlagen), daß ich die Wahrheit rede. Wie ist nicht da Lutherus und Calvinus auf das gröbste und ehrenrührigste mitgenommen; und zwar, was den letztern betrifft, sich auf daß Zeugnis eines lutherischen Theologen, des D. Schlüsselbergs, in seiner Theologia Calvinistarum berufend. Wie sehr bemühen sich aber auch in dem Gegentheil die Protestanten, aus unserm sichtbaren Oberhaupt der Kirche nichts geringeres als den Antichrist zu machen. Vernünftige, in der Kirchengeschichte bewanderte Catholiken werden freylich nicht läugnen wollen, daß wir unter mehr als drithalbhundert Päbsten auch einen Sabinianum, Stephanum VII., Christophorum, Sergium III., Johannem X. XII. &. XXIII. Bonifac. VII. & VIII. Benedict. IX. Innocentium VIII. besonders aber Alerand. VI. zählen, die, selbst nach dem Geständtnis der Geistlichkeit, nicht den besten Namen nach sich gelassen haben. Ich könnte als ein Laie, der das Brevier nicht betet, aber die Geschichte mit einem unparteyischem Auge lieset, dieses Register vielleicht noch mit einem Duzend vermehren, und der Heiligsprechung unbeschadet Gregor. VI. den Reihen [Reigen ?] führen lassen; allein, ich sehe nicht, was dieses alles der Grundfeste christlicher Lehrsätze für einen Nutzen oder Schaden bringen könne. Es kömmt meines Erachtens nicht auf Personen, sondern auf Sachen an. Wir werden den Streit aus der blossen Vernunft schwerlich entscheiden, da eine so grosse Menge der gelehrtesten Männer sich ganze Jahrhunderte hindurch mündlich und schriftlich bemühet haben einander zu überzeugen, wobey sich mit heischern Hälsen und stumpfen Federn am Ende ein jeder den Sieg beygemessen, und von seinen Anhängern hat zujauchzen lassen. Ich habe noch nie ohne Thränen die Beschreibung jener Verheerungszeiten lesen können, in denen man das christliche Gesetz der Liebe mit dem Degen in der Faust geprediget, wo ganze Nationen in Waffen, in Wuth, in Strömen von Bürgerblut den Beweis des wahren Glaubens gesucht, wo die heiligste Naturpflichten dem übertriebenen Fanatismus haben weichen müssen. Gott sey gedanket, daß diese Zeiten vorbey sind; wir wollen aber immerhin bitten, daß er sie nicht mehr wolle kommen lassen. Und darzu mein l. Herr Pfarrer gehöret, darf ich es sagen, ohne daß sie davon laufen? »Eine Umschaffung des größten Theils der Geistlichkeit in allen drey Religionshaufen.«

Ich kann mir nicht helfen; aber ich finde in unsern Geistlichen fast nichts mehr von jenem wahren Unterscheidungszeichen unter welchem sie uns die Kirche in den ersten Jahrhunderten mahlet. Wir haben in den Sendschreiben des smyrnischen Bischofs St. Polycarps an die Philipper vom Anfang des zweyten Jahrhunderts die Vorschriften: »Daß die Priester und Diacons, neben andern Tugenden, zärtlich und mitleidig gegen jedermann ohne Ausnahme seyn sollen. Man verlangt von ihnen, daß sie die Irrende mit Liebe zurückführen, die Kranke besuchen, die Wittwen, Waisen und Arme nicht vernachläßigen, sich von allem Zorn entfernt halten, durch niemand sich zu ungerechtem Urtheil einnehmen lassen, und den Geitz fliehen sollen. Er will, daß sie nicht leicht von ihrem Nebenmenschen etwas böses glauben, nicht zu streng seyn, sondern bedenken sollen, daß wir alle Sünder sind. Betet, spricht er, für die Könige, Fürsten und Gewaltige; für die welche euch verfolgen und hassen. Auch für die Feinde des Creuzes, damit die Früchte euers Glaubens der ganzen Welt offenbar seyen etc.« Der H. Polycarpus, als ein Schüler des Evang. Johannes, konnte doch wissen, wie die Geistlichen und Seelsorger nach der Lehre Christi und seiner Apostel beschaffen seyn müßten? Ohne jemandem zu nahe zu treten, (denn es giebt allerdings Männer, die dem apostolischen Amt Ehre machen,) darf man doch wohl sagen, daß sie dünne gesäet sind, und hier und da ein Paar Schwalben keinen Sommer machen.

Die Ursache davon ist nicht schwer anzugeben. In der ersten Kirche wurde der geistliche Stand noch nicht handwerksmäßig zu einer abgesonderten, den Laien entgegengesetzten und so weit vorgezogenen Zunft gerechnet. Die Bischöffe suchten zu Bestellung des Presbiteri: erfahrne und bereits in dem Glauben bestärkte Männer (Seniores) aus. Der Beruf wurde in ihrer Weisheit gesucht, und nicht, wie jezo, durch einen Vater oder Mutter bereits ein Sohn in der Wiege bestimmt. »Du unreifer Thiermensch sollst ein Kirchenlicht werden! Ich lasse dich geistlich studieren, und dann will ich schon etwas in gut bekannten Wegen dran wenden, daß du Seelen=Beherrscher eines ganzen Dorfs werden sollst.« Es ist zwar wahr, mit abgelebten und greisenmässigen Pfarrern wäre uns auch nicht gedienet. Der H. Augustin sagt schon: Sane etiam grandioris aetatis , &, sicut scriptura loquitur, plenum dierum posse dici seniorem b. e. Presbyterum, non omnis presbyter etiam senex &.Sane ... – Es muß für dieses Geschäft kein Alter oder ein Bischof sein, auch ein junger verständiger Mensch, der die Schrift auslegen kann, ist zulässig. Aber noch heutiger Mode hat man es damals gewiß nicht verstanden; daß ein Purschgen von kaum 24. Jahren, das mit Noth einige lateinische Schulen durchgelaufen, seine Schulbücher noch nicht recht verstehet, und von der unbändigen Hitze seiner jugendlichen Leidenschaften noch beherrschet wird, einem Haufen vernünftiger und bärtiger Christen unsere unaussprechliche Geheimnisse verdollmetschen, und Lehren, die über alle menschliche Vernunft sind, mit einer stolzen Kühnheit, als ob er sie verstünde, und der man überdes nicht widersprechen darf, vortragen soll.

Glauben sie mir, Herr Pfarrer, ich bin meinem ererbten catholischen Glauben aus Schuldigkeit und Ueberlegung gewiß getreu. Ich weiß z. Ex. daß ich dem Priester meine Todsünde reumüthig bekennen und offenbaren muß. Ueber die Ursachen, welche unsere liebreiche Mutter, die Kirche, gehabt, dieses Gesetz in strenger Ausübung zu erhalten, verfallen unsere Glaubensgegner auf mancherley übertriebene Anschuldigungen. Es ist schon so hergebracht, daß man das Kind mit dem Bade ausschüttet. Aber da mich mein vernünftiger und gründlich untersuchender Fleury

Ich weiß wol, daß Fleury, welcher in diesen Briefen oft angeführt wird, von einem Augustiner Balduinus de Rousta und einem ungenannten Carmeliten mit den größten Kezern verglichen worden; allein, er bedarf meiner Vertheidigung nicht, nachdem ein gelehrter Franzos den Ungrund diesere Verläumdung deutlich genug dargethan in seiner Justification des Discours & de l'Hist. Ecclesiast de M. L'Abbé Fleury.

in der vor dem VIII. B. s. Kirchengeschichte stehenden Disseration belehret, daß in den ersten Jahrhunderten niemand zur Beicht und Busse gezwungen worden, sondern man dieselbe nur denen heilsamlich angedeyen lassen, die sie verlanget haben; daß die Kirche dabey mit aller Sanftmuth und Liebe zu Werk gegangen, welche sie sogar den Heiden liebenswürdig gemacht habe; daß man die Busse als ein Heilungsmittel gegen den ewigen Tod angesehen, und erst in spätern Zeiten, als die Kirchenzucht durch die Unbiegsamkeit des Volks, und Unwissenheit und Schwäche der Seelsorger abgenommen, auf strengere Mittel verfallen, mithin endlich in der IV. Lateranensischen Kirchenversammlung Ao. 1215. das allgemeine Gesetz der österlichen Beicht und Communion zur Glaubenslehre eingeführet; so bin ich in meinem Gewissen überzeugt, daß man in denen damaligen Zeiten der Unwissenheit, in welchen alle Wissenschaft, Lesen und Schreiben mitgerechnet, lediglich auf den Geistlichen beruhete, sich der Beicht als eines Mittels bedienen wollen, wenigstens einmal im Jahr dem unbesorgten Sünder Gelegenheit zu verschaffen, sich bey seinem gewöhnlichen Beichtvater Raths zu pflegen, von diesem aber, der in Glaubenssachen besser als der unbelehrte Laie bewandert war, einen heilsamen Unterricht zu holen. In der nämlichen Kirchenversammlung findet sich deßwegen auch die bessere Einrichtung der Schulen für Geistliche und Arme ernstlich befohlen. Es heißt anbey weiter, daß man von niemand als seinem gewöhnlichen Seelsorger, oder nicht ohne dessen ausdrückliche Erlaubniß von einem andern absolviret werden könne. So sehr ich also diese heilsame Verordnung verehre, weil sie auf die Belehrung des unwissenden, auf die Stärkung des wankenden, und sanftmüthige Bekehrung des irrenden Sünders gerichtet gewesen, und sich auf die männliche wohl belehrte Erfahrung des seine Schafe kennenden Hirten gründete: Eben so wundersam muß es nun bey ungleich mehr aufgeklärten Zeiten einem gestandenen, in Jahren, Studien und Weltkenntniß zur Reife gediehnen Mann vorkommen, daß er das Innerste seines Herzens, seine Schwachheiten und die Blösse der menschlichen Neigungen, die sonst die Schamhaftigkeit in Worten auszudrücken verbietet, einem unerfahrnen, mit eben solchen, oder vielleicht noch ärgern Sünden beladenen, noch von der ungestümen Hitze seines gährenden Temperaments beherrschten Jüngling und verkleideten Bauernbuben, hersagen, auf seine indiscrete Fragen antworten, und mit geduldiger Demuth sich von diesem unreifen Gelbschnabel erbärmliche unsäftige Lehrstücke herplaudern lassen muß. Es ist wahr, die Kirche will, wir sollen in dem Beichtvater nicht die Person, sondern sein Amt und übertragene Gewalt verehren; allein, sie hat eben darum auch geboten, daß dieses Amt nur senioribus in sapienta anvertraut werden soll. Prüfen sie sich selbst Herr Pfarrer; finden sie, daß ich zu strenge urtheile? Wie mag ihnen oft zu Muth seyn, wenn sie von ungefehr jemand mit einer Frage, mit einer Sünde, mit einem Zweifel überraschet, wovon sie gar keine Idee haben? Mann nimmt ja zu einem Gerichtsverwalter und Bauern=Schulzen so viel möglich ausgesuchte Mannschaften und erfahrene Leute, bey denen es doch nur auf zeitliche Güter ankommt; und wo dieses Gericht noch mehrern Oberrichtern unterworfen ist. In dem Tribunal des Gewissens aber, wo es um die unschätzbare Seligkeit zu thun ist, soll ein einziger Jüngling, der oft weniger als ein mittelmäßiger Bauer verstehet, allein Rath und Urtheil sprechen? Verstehen sie mich wohl Herr Pfarrer? Ich bestreite deswegen nicht, daß die Kirche in ihren Sätzen nicht recht habe. Ich unterwerfe mich ja dem Gebot selbst; sondern ich sage nur nach, was und wie ein Fleury spricht. Es ist nur ein Wunsch zur Verbesserung dessen, was unsere Religion mehr heiligen könnte. Dem ungeachtet bin ich doch noch mit unsern Weltgeistlichen mehr als mit den Mönchen zufrieden.

Was dermalen der Pfarrer verrichtet, das war in alten Zeiten das Amt des Bischofs. Weit über die Hälfte der ersten tausend Jahre unsers Kirchenalters waren die Diöcesen klein, damit ein einziger Mann ihr wohl vorstehen und seine ganze Gemeine durch sich selbst kennen möchte. Der Bischof allein predigte und lehrete. Er hatte zwar auch Priester; allein nur zur Aushülfe, zu etwelcher seiner Erleichterung, wann er abwesend seyn mußte oder krank war. Nur im Nothfall übertrug er ihnen die Zwischenbesorgung seines väterlichen Amts. Diese Priester waren zugleich seine Räthe, und machten das Kirchengericht aus, weil ihre Weisheit, ihre Gelehrsamkeit in geistlichen Dingen, und ihre Erfahrung sie zu dieser Würde durch mehrere Stuffen erhoben hatte. Denn damals wurden noch nicht von einem Quartal zum andern die Ordinationen so eilfertig beschleuniget, nur damit der zu einer Pfarrey oder zu einer geistlichen Pfrund beförderte geschwind in deren Genuß komme; sondern viele Jahre giengen oft vorbey bis ein Mann alle Grade durchgedienet, und dann mittelst seiner Verdiensten und Erfahrung zu der Priesterwürde, als ein Gehülfe des Oberhirten tauglich befunden wurde, ja oft darzu genöthiget werden mußte. Und doch war noch in jenen Zeiten das Pfarramt leichter als jezo. Der gläubige Eifer hat sich mehr durch fromme Beyspiele und Vorgang jener leiten lassen, welche sie schon um ihres Alters und Fähigkeiten willen verehreten. Die viele Sophistereyen waren noch nicht erdacht. Die einfache, die wenige Grundsätze des christlichen Glaubens hatten noch nicht nöthig, um der vielen Beysätzen willen, mit einer Menge von Commentarien erlernet und gelehret zu werden. Mit einem Wort: Die Grossen foderten nicht viel, und die Kleinen nahmen es nicht genau.

Ich würde unbillig seyn, wenn ich in dem allgemeinen Haufen der Geistlichkeit nicht eine Ausnahme machen wollte. Ja, Herr Pfarrer, ich kenne selbst ein Duzend Männer, die ich als würdige Seelsorger, als rechtschaffene, belesene, und menschenfreundliche gläubige Priester verehre. Sie gönnen mir ihre Freundschaft, und ich habe in ihrem vertrauten Umgang schon manche angenehme Stunde zugebracht. Allein sie müssen sich mit dem grossen Strom hinreissen lassen, und dörfen nur im Verborgenen denken: Wie ich denn auch selbst um meiner Ruhe, um meines guten Namens willen, nicht wie viel nähme, wenn man wüßte, daß ich Euer Hochw. so dreiste Wahrheiten aus dem Innersten meines Herzens eröfne. Noch eins kann ich Ihnen doch nicht verschweigen.

Ich denke mir eine Ursache, warum eigentlich unsere Pfarreyen mir allemal mittelmäßigen Genien besetzt werden, und so zu sagen besetzt seyn müssen. Ich finde darzu drey Gründe. Erstlich, dünket sich jeder Vater oder Mutter, so bald sie durch ein Bißgen erworbenes Geld oder Ehre den Kopf über den gemeinen Bürgerstand erheben, und dem Hut unter dem Arm, oder einen Fächer in der Hand tragen können, viel zu vornehm, als daß ihr Herr Sohn nur ein Land- oder auch Stadtpfarrer werden soll. Die l. Mamma will ohne Widerrede, daß ein Abkömmling aus ihren Lenden, ein herziges Kind daß sie mit Schmerzen geboren, mit Affenliebe erzogen, und mit Kösten durch alle Schulen laufen lassen, dem sie Praemia erkauft, und das nach ihrem Ebenbild geschaffen ist, wenigstens ein Canonicat, einen einträglichen Altar oder eine Hofcaplaney haben soll. Für Bauern, und sonst gemeines Volk, ist er zu gut; seine Brust zum Predigen zu schwach; beym Besuch der Kranken ist Gefahr des Ansteckens; er könnte nicht Beicht sitzen; oder auf Predigten studieren, weil er den Familienfehler hat, daß er den Blähungen stark unterworfen ist. Auf Dörfern hat man keine Ansprache; er müßte melancholisch werden. Und was die Mamma will, das muß dem Papa gefallen. Man läßt sichs also Geld kosten, damit das scharmante Söhngen nach seiner Gemächlichkeit versorgt wird. Zweytens, ist es leider nur allzuwahr, und es sey zur Schande unserer Tage gesagt, daß man einen Pfarrer, der wirklich das bischöfliche und apostolische Amt vertritt, viel schlechter achtet als den geringsten und dümmsten Bettelmönch. Ich habe es selbst oft gesehen, und sie werden es auch schon erfahren haben, Herr Pfarrer, daß, wenn ungefehr in einem adelichen oder Beamtenhaus und Tafel ein Mendicant und ein Pfarrer zusammentreffen, gemeiniglich der gute Seelsorger den untersten Platz bekömmt, und dem Mönch weichen muß. Und dann drittens, weil sich kein vermöglicher Mensch, wie eben gesagt, bey geringem Einkommen dem beschwerlichen Amt widmen mag, so bleibet diese Last für Arme nothwendig übrig. Der Unbemittelte aber hat weder den nöthigen Vorschub sich länger im Studieren zu verweilen, noch sich mit guten und theuern Büchern zu versehen. Er geniesset den kurzen und seichten Unterricht der übel besetzten Schulen; er lernet im Seminario ein Bisgen von den geistlichen Handgriffen; er kommt mit einem ungerüsteten Kopf als Pfarrer wieder zu einem Haufen Leute, die ihrem Stande gemäß nicht viel wissen. Haussorgen, Nahrungsbeschäftigungen, Noth und Geringschätzung sind alsdann wahrlich keine Ermunterungen, für einen solchen Mann, seinen Verstand und Kenntnisse ohne Anweisung mit leerer Hand zu bessern, Hat er darneben vielleicht noch einige Temperamentsfehler, Leidenschaften oder jugendliche Triebe, die ihm die Menschlichkeit abnöthiget, so ist und bleibt er ein – elender Tropf, der das ehrwürdigste aller Aemter, die Seelsorge, verunzieret.

Wenn sie mir meinen Eifer verübeln, oder auf sich mißdeuten, Herr Pfarrer, so thun sie mir Unrecht. Denn wenn ich sie nicht liebete, und zu einem rechtschaffenen Mann zu bilden nicht vorhätte, so würde ich schwerlich meine Meynung so offenherzig gesagt haben. Er gab mir darauf guten Abend; und versprach in unserer nächsten Unterredung mir über die klösterliche Orden seine Gedanken zu sagen.

Nun habe Geduld, l. Bruder; bis zum nächsten Botengang sollst du auch diese wissen.


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