Johann Kaspar Riesbeck
Briefe über das Mönchswesen
Johann Kaspar Riesbeck

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Zweyter Brief.

Den 5 ten Aprill.

Der Kranke, welcher mich meinen lezten Brief abzubrechen genöthiget, war meine l. Mutter im Schloß. Sie hatte das Unglück von einer kleinen Leiter, als sie Wäsche in den Schrank legen wollte, zu fallen, und bey einer Ohnmacht, die sie anwandelte, liefen die Mägde nach dem Pfarrer, und schrien unten in meinem Hause: Ich sollte gleich in das Schloß kommen. Ich traf zu meinem grossen Herzenleid sie am Kopf ziemlich verlezt an. Doch scheint es sich zu bessern. Gott erhalte sie mir, und lasse mich das Unglück nicht erleben, sie, meinen einzigen Trost, zu verlieren!

Indessen mein dir gegebenes Versprechen nach und nach in Zwischenstunden zu erfüllen, so wisse, daß mein Vorfahrer auf der Pfarre, voriges Jahr Anfangs Septembers an der Wassersucht gestorben, und ich, nachdem ich auf Allerheiligen meine erste heil. Messe gelesen, an Martini als Pfarrer eingesetzt worden bin. Der gnädige Herr hat alle Kosten und Auslagen samt der Gastung bestritten, und die Bauern haben sich zur Einrichtung meines kleinen Hauswesens recht wohlthätig eingestellt. Eigene Küche mag ich noch nicht haben. Die Schulmeisterin schikt mir mein weniges Essen ins Haus. Meine Mutter aber hat mir versprochen, wenn die grosse Fräulein auf den Sommer heyrathet, und dann der gnädige Herr mit der zweyten in die Stadt ziehet, so wolle sie um ihre Entlassung aus Schloßdiensten bitten, und bey mir ihr Leben in Ruhe schliessen. Gott lasse ihren und meinen Wunsch darunter zur Erfüllung kommen. Noch will zwar der gnädige Herr nichts davon hören, weil nicht jedermann mit ihm zurecht kommen kann, und er nicht gerne fremde Leute annimmt. Aber vielleicht giebt das Jubiläum und meiner Mutter dermalige Krankheit den Anlaß, da er von seinem Fluchen und stürmischen Betragen gegen andere Dienstboten ablässet; und dann kann er sich eher an eine neue Beschliesserin gewöhnen.

Bey meinem Aufzug ließ ich meine erste Sorge seyn, mir die Liebe und das Vertrauen meiner Pfarrkinder zu erwerben. Ich bin aus dem Ort, ich kenne alle, ich weiß ihre Umstände, ihre Noth, und die kleine Feindseligkeiten, die zwischen den zerschiedenen Haushaltungen sind; meinen Vater hatten sie lieb, weilen er dem gnädigen Herrn manchmal Vorstellungen that, wann er allzustreng bey Mißwachs oder Wetterschlägen auf die Ablieferung der Schuldigkeiten dringen wollte. Damit hat er oft den armen Leuten gutwillige Erleichterung ausgebracht. Denn der gnädige Herr ist im Grunde nicht böse; nur den Jäger muß man gewären lassen, keine Hasenschlingen legen, und ihm seinen Respekt bezeigen. Der iezige Verwalter ist ein Studierter, der, nachdem er die Theologie ganz absolvirt hatte, als Präceptor bey den Söhnen von unsers gnädigen Herrns Schwager die Kammerjungfer geheyrathet, und sein Verlangen geistlich zu werden gegen den hiesigen Dienst aufgegeben hat. Dieser nun, um sich desto angenehmer zu machen, ist um so unbarmherziger gegen die armen Unterthanen. Und eben deßwegen hat die Vergleichung mit meines Vaters guter Gemüthsart mir nach seinem schon langen Absterben noch die Liebe der Leute erhalten. Da ich also mich bemühet, zwischen verschiedenen Familien Frieden zu stiften und alte Uneinigkeiten beyzulegen, segnete Gott meine Worte, und ich habe in diesem halben Jahr schon das Glück gehabt, fünf vor Amt gehangene Processe, zwar zu grossem Mißvergnügen des Amtmanns, durch freundliches Zureden beyzulegen; ein paar zerstörte Ehen wieder zu vereinigen, auch (es sey ohne eitlen Ruhm gesagt) armen Nothleidenden Almosen, Hülf oder Nachsicht zu verschaffen, weil der gnädige Herr mich gerne um sich hat; und was ich endlich nicht richten kann, steke ich hinter meine Mutter, die bey dem Herrn, wenn sie den ersten rauhen Eifer vertoben läßt, viel ausbringen kann.

Nur eine Sache hat mir sehr weh gethan. Der Herr Bruder wird sich aus meinem ersten Brief erinnern, daß mir der geistliche Rath nach dem Examen eingebunden, mir von den Pfarr=Nutzungen ja nichts abzwacken zu lassen. Aber noch vor meinem Aufzug sagte mir der gnädige Herr: Weil er auf meine Erziehung und Studieren, wer weiß wie viel, Geld verwendet; über dieses er zwey Mißjahre gehabt hätte; die Bauern wegen Wildschaden von ihm Vergütung verlangten, oder die Gülten nicht ganz abliefern wollten; und er auf den Sommer die älteste Tochter aussteuern, die jüngere aber zu dem Englischen Fräulein zum Studieren thun müsse, so soll ich ihm auf sein Lebenlang den grossen und kleinen Zehenden vom Schloßgut dahinten lassen: Nach seinem Tod soll ich dann wiederum den ganzen Genuß haben: Er habe keinen Sohn; und ob seine Tochtermänner reich oder arm wären, daran liege ihm nichts: ein Edelmann müsse nur die Erhaltung seines Namens, und nicht seiner Kinder, lieb haben. Was wollte ich machen? Ich dachte, er hat mir die Pfarrey gegeben; viel Ausgeben hat er; der Wein ist theuer; der Zuspruch groß; meine Mutter geniesset Kost und Lohn; ich selbst esse dann und wann im Schloß wenn keine Fremde oder Mendicanten da sind. Mein Beichtvater gab mir den Rath ich solle den Hergang nur fein deutlich in das Pfarrbuch eintragen, und in Gottes Namen mich zufrieden geben. Doch fehlen mir dadurch jährlich gegen 100. fl. und ich muß mich in genaue Ausgaben einschränken, wenn ich ehrbar durchkommen will. Was mich vorzüglich dabey schmerzet, ist diese: Daß ich keine Bücher ankaufen, und nur etwa bey Versteigerungen eines oder das anders der Wohlfeile nach erhaschen kann. Bey meines Vorfahren Tod hat der Dechant die besten, anstatt des ihm gebührende Breviers, weggenommen; und die andern, sagt er, Gott stehe uns bey, offenbar von Kezern geschrieben, da sie in Frankfurt oder Leipzig, wo der Luther gewohnet, gedruckt seyen; mithin lauter Gift unter der Gestalt der Vernunft enthielten. Was also von diesen der Dechant nicht verbrannte, hat der Amtmann zu sich genommen, und, wie billig, confisciert. Ich will von dem guten Mann, meinem Vorfahrer, nichts übles unter der Erde sagen; aber das ist doch erschröcklich, daß er sich durch den schönen Druk so verblenden lassen, kezerische Sachen zu lesen. – Unter uns gesagt, es ist doch wahr, daß er in dem Haus geistet. – Ich habe ihm mein Jubiläum geopfert; nun hoffe ich, er werde Ruhe haben. Indessen habe ich das Glück gehabt, verschiedene Werke im Anfang des Jahres von dem P. Abraham von St. Clara wohlfeil zu kaufen. Diese thun mir im Predigen viel gutes. Der gnädige Herr und die Bauern lachen sich fast in Stücken, wenn ich so Spaß vorbringe. Meine Fasten=Exempel habe ich alle daraus gezogen; und wirklich lerne ich ein Ostermährlein auswendig, das mir grosse Reputation geben muß. Es ist noch ein Geistlicher in M**, P. S**r Namens, der soll noch viel spaßiger Zeug in Predigten geschrieben haben, und bald wie Gott Vater, bald wie Engel, dann wie ein Moscoviter, oder ein Jud, alles auf Hanswurstisch, doch hochdeutsch, ausgehen lassen. Wann der Herr Bruder von dieses Mannes Sachen mir gelegenheitlich etwas verschaffen könnte, so würde mir ein grosser Dienst geschehen. Noch einen glüklichen Fund zu meiner Büchersammlung habe ich in der Fastnacht gethan. Ein schwabminchingischer Strumpfhändler hausirte im Dorf. Er bot mir gestrikte Kappen zum Verkauf an. Ich sahe, daß ein jedes halb duzend Strümpfe in ein paar gedrukte Bogen eingewikelt gewesen. Aus Neugierde las ich einige Zeilen; und siehe Controverspredigten des berühmten gottseligen P. N**. Ich kaufte mir eine Kappe, dunge mir das gedrukte Papier in den Kauf, und gab dem Mann ein anderes. Nun habe ich dadurch vier ganze Controverspredigten bekommen; das Schimpfen und Schmähen ist alles ganz; nur an den Proben fehlt ein halber Bogen. Gleich nach Ostern will ich eine auswendig lernen. Wenn schon meine Bauern nichts davon verstehen, so müssen sie doch erkennen, daß ich mir Mühe gebe, und nicht allemal von Unzucht oder Zehenden=Betrug predigen mag.

Ich kann den l. Herrn Bruder versichern, daß nur ein einziger Mann im Dorf ist, der mir nicht in die Predigt kommt; und dieser ist seit drey Wochen die alleinige Ursache meines herznagenden Kummers und Unmuths. Es ist ein kränklicher, ältlicher Herr, der Hofmeister von unseres gnädigen Herrn verstorbenen Sohn war. Er wohnt im obern Stok beym Amtmann, lebt sparsam, hört nur Sonn- und Feiertags Meß, und vertreibt seine Zeit meistens mit lesen und schreiben. Der P. Guardian von B** sagte mir vor vier Wochen zum erstenmal von diesem Herrn viel übels, und nennet ihn einen Freygeist, der sogar über den Portinnculä=Ablaß öffentlich spottet: Er muthmasse sicher, der Mann müsse ein Freymaurer seyn; mit dem Beysatz: Dieses wären gefährliche Leute, die mit dem bösen Feind - Gott stehe uns bey - in heimlicher Gemeinschaft lebten, und die Geistliche nur Pfaffen, die Franciscaner aber Bettelmönche hiessen. Da nun dieser Herr mein Pfarrkind sey, sagte der P. Guardian, und schwerlich das Jubiläum zu gewinnen Lust haben werde, doch Gott von mir dereinst über alle Seelen meiner Pfarrey, ausschließlich unserer vierzehen Juden=Haushaltungen, Rechenschaft fodern würde, so sey es meine Schuldigkeit, ihn als Seelsorger entweder zu bekehren, oder doch, wenn er meinen Ermahnungen kein Gehör geben wolle, ihm die Hölle recht heiß zu machen, und die ewige Verdammnuß keck anzukündigen.

Der Schulmeister klopft mir zu einer Kindstaufe. Schier wäre ich auf die Frau ungeduldig worden, daß sie just heute in die Wochen kommen mußte, wo es mir mehr um Schreiben als um Taufen zu thun ist. Doch Schuldigkeit geht vor Freude. Ueber acht Tage mehreres. Lebe wohl.


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