Johann Kaspar Riesbeck
Briefe über das Mönchswesen
Johann Kaspar Riesbeck

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Erster Brief.

Den 3 ten Aprill. 1770.

Gott sey Dank, daß einmal das Jubiläum vorbey ist, und ich meinem l. Herrn Bruder, nach einem halbjährigen Verzug, ein vertrautes Wort zu schreiben die Zeit finde. Vergebe, daß ich dir noch nichts von meinem Hierseyn gemeldet habe. Ich bin seit meinem Aufzug mehrentheils in vergnügten Zerstreuungen gewesen, und nun - habe ich in diesen 14 allgemeinen Gnadentagen, Gott vergebe mir meine schwere Sünde! mehr als tausendmal meinen geistlichen Stand – meine Pfarrey - und meine Unwissenheit verwünscht. Wenn nicht der Pfarrer zu M** mein Nachbar und Beichtvater mir Muth zugesprochen hätte, so wäre ich gewiß entweder erkranket, oder davon gelauffen. Du kannst dich unmöglich in die Beschaffenheit meines Gemüths und meine Verlegenheit setzen, wenn ich dir die Sache nicht von Grund aus erzähle. Deine Begierde, von meinen Umständen das eigentliche zu wissen, habe ich bisher weder befriedigen wollen noch können. Izo ist es mir aber ein wahrer Trost, dir als einem geliebten und vertrauten Schulcameraden mein Herz zu eröfnen. Ich verspreche dir alles, was dich schon lange neugierig gemacht hat, zu offenbaren. Aber ich muß von vornen anfangen. Und daher bitte ich um Geduld und Aufmerksamkeit; und dann fahre ich fort:

Du weißt, daß unser gnädiger Herr Baron, in Absicht meines sel. Vaters, seines lang gewesenen Cammerdieners und nachherigen Verwalters, und weil er meine l. Mutter geheyrathet, gleich bey der Hochzeit versprochen, daß er für das erste Kind sorgen wolle. Er mag nun freylich nicht gedacht haben, der gute Herr, daß diese Heyrath Kinder hervorbringen würde, weil mein Vater sehr alt, und meine Mutter ziemlich jung gewesen. Doch hat es der l. Gott so geschikt, daß ich vor meiner Geburt meinen l. Vater verloren, und meine Mutter, die, wie du weist, eine Französin ist, ohne einen Verwandten oder Freund im Land zu haben, mit mir niedergekommen. Wenn da der gnädige Herr nicht gesorgt hätte, so würden wir verhungert und hülflos verschmachtet seyn; besonders weil die gnädige Frau, die doch im ersten Jahr, da meine Mamma zu ihren Töchtern als Mamsel gekommen, sie gerne hatte, nachher aber auf einmal aus einem mir unbekannten oder gewiß unchristlichen Haß unabweichlich darauf andrunge, daß meine Mutter, mit dem Kind gleich nach den Wochen aus dem Dorf fortgewiesen werden sollte. Eine Zeit her habe ich schon mehrmalen gedacht, es wäre mir, und vielleicht auch meinen Pfarrkindern besser gewesen, wenn die gnädige Frau Recht behalten hätte. Aber der gnädige Herr zankte, und lärmte und fluchte damals wie ein Türk dagegen; er sagte: Er müsse als Landesherr ein Beschüzer der Wittwen und Waisen seyn. Er schikte meiner Mutter Geld, ließ ihr durch die Schulmeisterin Hüner und Brühen kochen, und Gott vergelte es ihm, er half uns mit recht gutthätiger Mildigkeit gegen Jedermann durch. Als zwey Jahre nachher die gnädige alte Frau, nach einem Zorn über ihre Köchin, aus gerechtem Verhängnis des Himmels an zurückgetretten Gichtern erstickte, so weißt du, daß der rechtschaffene, der liebe, gnädige Herr meine Mutter und mich wieder in sein Haus genommen hat, und ich daselbst aufgewachsen bin. Meine l. Mamma hat ihn, wenn er freundlich war, immer erinnert, er solle sein Versprechen an mir erfüllen. Da war es nun die Frage - wie? Weilen ich viel um den Kutscher, einen alten ehrlichen Mann gewesen, so gewöhnete ich mich leicht in den Stall, und hätte auch gerne Kutscher werden mögen. Allein der Bediente, welcher ein Schneider war, wollte mich überreden, ich sollte sein Handwerk lernen. Er sagte, weil ich lesen und schreiben könnte, und weil meine l. Mutter mich die französische Sprache in der Kindheit gelernet, so könnte ich nach den Lehrjahren auf der Wanderschaft nach Mez zu meinen mütterlichen Verwandten, und dann gar nach Paris kommen. Und wann ich von dort wieder mit neuen Moden und einem hübschen Kleidgen nach Deutschland zurükkäme, wo die französische Schneider höher als mancher Gelehrter gesucht, angesehen und belohnet würde, so könnte ich gar in einer Stadt Meister und dann vielleicht Hofschneider werden; darauf eines reichen Mannes Tochter heyrathen, und meine Kinder wie Herren erziehen. Unser Kutscher, dem ich den Gedanken anvertraut, war auch wohl damit zufrieden. Ich ließ also meine Begierde zum Stall fahren, und eröfnete meiner Mutter, was mir der Schneider gerathen hatte. Allein, sie wollte durchaus nichts davon hören, und sagte: Sie sey aus adelichem französischem Geblüt, eine Officiers Tochter, die nur auf einige Jahre nach Deutschland gekommen, um etwas Geld zu erwerben: Daß sie nur einen schlechten deutschen Verwalter geheyrathet, seye genug Unglük. Und da ich die Ehre hätte, von ihrer Seite aus adelichen Lenden entsprossen zu seyn, so müsse ich auch ihrem Geblüt keine Schande machen; der gnädige Herr habe ihr erst gestern Abends beym Ausziehen versprochen, er wolle mich bey den P. P. Jesuiten zu D** Namens seiner Dorfgemeine, studieren lassen; denn soll ich geistlich und hier im Ort dereinst Pfarrer werden. Das seye so ein Dienstgen für mich zu Belohnung ihrer treuen Dienste, und Versorgung ihrer alten Tage. Ich dachte, in Gottes Namen, weil ich meiner Mutter nicht widersprechen durfte; und glaubte, Handwerk für Handwerk, könnte ich, alles zusammen genommen, eben so gut das Studieren als Schneider werden lernen. In D** wurde ich mir dir, lieber Bruder, zu Tisch, Schule und Bett im Convict bekannt. Ich erinnere mich wohl, daß du mir oft vom Studieren abgerathen; weil mein Kopf nicht dazu beschaffen, und das Lateinische mir schwer eingegangen ist. Meine Neigungen, die Beweggründe und die Ursachen getrauete ich dir nicht zu sagen, da meine l. Mamma mir gar sehr verboten, weder ihren Stand noch das Vorhaben des gnädigen Herrn zu verrathen. Mit Mühe, Bussen und Schlägen bin ich durch die Schule gekommen. Und weil mir der gnädige Herr, als ich Philosophus wurde, einen Degen, ein Kleid und 5. fl. schikte, zugleich aber dem P. Rector bekannt machte, daß ich im geistlichen Stand nur so viel studieren sollte als zu einer Pfarrey nöthig wäre, so wurde mir alles leicht gemacht. Fromm bin ich, wie es dir bekannt ist, allemal gewesen: Und da ich den Canisium so gut wußte, daß ich einst daraus Secundus certans worden bin, so sagte mir der P. Präfect: Ich würde mit ein Bischen Casus und dem Busenbaum recht brav zur Seelsorge taugen. Gottlob! Das ist mir auch so gut gerathen, daß ich auf des gnädigen Herrn Recommendationsschreiben, worinn er zugleich mir die Pfarre zu geben versichert, bey dem Examen fast ohne Anstand durchgewischt, – Und ein geistlicher Rath versicherte, daß, weil ich ohnehin auf ein Dorf käme, wo es nur auf Bauernseelen ankömmt, so wünsche er mir und meinen Pfarrkindern Glück: Mit der Verwarnung, ich solle nur vorzüglich darauf sehen, daß mir von den Pfarrgütern, Zehenden und Oblationen nichts abgezwackt, dem Pabst und geistlichen Rath nichts zuwider geredt werde, und ich selbst keine gar zu junge Hauserin nehme. – Uebrigens soll ich fromm seyn: Und wer zu meiner Gelehrtheit kein Vertrauen habe, könne sich ja aus der nahen Stadt einen Capuciner holen lassen.

Verzeihe, daß ich hier abbreche. Ich werde zu einem Kranken gerufen. Wenn der Bot wieder hier durchgehet, soll er einen zweyten Brief finden. Bete für mich! – Ich bin etc.


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