Johann Kaspar Riesbeck
Briefe über das Mönchswesen
Johann Kaspar Riesbeck

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Fünfter Brief.

Den 17. Aprill.

Ich danke dir für den freundlichsten Osterwunsch. Mir macht es nichts ob ich Fleisch oder Fastenspeise esse. Ich bin das ganze Jahr an eine magere Kost gewöhnet. Der Wirth hat auf die Feyertage geschlachtet, und mir einen schönen Braten geschickt. Die Helfte davon haben ich und mein Schulmeister mit einander verzehret, und das andere wollte ich eben unserem alten kranken Wagner, einem 70. jährigen von seinen Kindern übel behandelten Mann schiken. Aber er hat mir mit dem Beysatz danken lassen, der Herr Gutmann habe ihn auf die ganze Woche mit Fleisch und Brod versehen. Der verzweifelte Gutmann macht mich manchmal ganz irre. Ich weiß nicht was ich von ihm halten soll. Wenn ich betrachte, daß er ganz genau die Schuldigkeiten unserer Religion im äusserlichen erfüllet, wie er dann erst am Grünendonnerstag recht erbaulich communicieret hat; wenn ich sehe, daß er mit dem besten Gemüth von der Welt, aber freylich ohne Unterschied des Glaubens, jedem Nothleidenden Hülfe leistet; so möchte ich ihn lieb haben. Wenn ich aber wieder betrachte, was der gnädige Herr, der Dechant und P. Guardian mir von ihm gesagt, so ist und bleibt er ein verstockter Bösewicht und heimlicher Erzketzer.

Du kannst dir, lieber Herr Bruder, nicht vorstellen, was mir für wunderliche Gedanken, neulich, als ich von dem Dechant aus der Stadt nach Hause gieng, unterwegs der Teufel in den Sinn gegeben. Und ungeachtet ich seither den l. Gott alltäglich in dem heil. Meßopfer um Erleuchtung gebeten, so kann ich mich doch noch nicht ganz überzeugen, daß der Gutmann ein so verdammniswürdiger Mensch sey. Ich dachte, der Dechant hat mich auf den Catechismus gewiesen; und was darinnen stehet, das thut und glaubt ja unser alter Hofmeister. Ich weiß nichts Uebels von ihm, als daß er in keine Bruderschaft eingeschrieben; keinen Ablaß gewinnt; von Hexereyen nichts hält; Gespensterhistorien nicht glaubet; der Mönche Betteleyen nicht günstig ist; über ihre Predigten und geistlichen Erzählungen manchmal spöttelt; keine Walfahrten verrichtet; allerley weltliche Bücher auch von Ketzern lieset; und, was freylich das Aergste ist, keinen Unterschied in Vertheilung seiner Wohlthaten macht, sondern jeder menschlichen Creatur, die er in Armuth oder Noth weiß, und sollte es auch zehnmal ein Jud, oder gar ein Lutheraner seyn, mit gleichem Eifer hilft und dienet. Dieses sind grosse Fehler, ich gestehe es; aber es stehet doch auch gleichwol von allem diesem nichts in dem Catechismus; mithin ist er zu dem was er nicht thut durch den Glauben nicht gebunden. Und doch dachte ich auf der anderen Seite wieder, der Dechant müsse einmal recht haben. Denn er ist S. S. Theologia Baccal biblicus etc. formatus. Und als Priester, als Beichtvater, als unser geistliche Capitulsvorsteher dürfe er nicht lügen, nicht ehrabschneiden, nicht verläumden; das wäre ja eine entsetzliche Sünde. Er hat das Jubiläum gewonnen und lieset fast in jeder Woche einige heil. Messen.

Siehe, lieber Herr Bruder, wenn der Gutmann nicht in meiner Pfarre wohnete, so läge mir an allem nichts. Darf ich mit Juden handeln, so dürfte ich auch mit diesem Mann manchmal Umgang pflegen, und sein Pfarrer möchte alsdann für seine Seele an jenem Tage antworten. Aber das ist aus; er ziehet von hier nicht weg. Und da bleibt mir immer, nach des P. Guardians Versicherung, die Verantwortung für seine Seele, die ich nicht kenne, auf dem Gewissen liegen. Ich werde ganz abscheulich von meinen eigenen Gedanken herumgetrieben. Bald habe ich den Gutmann lieb, bald ist er mir wieder sicut Ethnicus & Publicanus.

Erst gestern Abends nach Tische habe ich mit meinem Schulmeister lang und breit über diese Sache gesprochen. Aber ich weiß nicht, wie mir der Mann vorkömmt; er hat mir behaupten wollen, der Dechant, der Guardian, und alle, die gegen den alten Hofmeister sprächen, wären unchristliche gewissenlose Verläumder; und er setzte mit einem erhitzten gotteslästerlichen Ton hinzu: »Ein Gutmann ist mehr werth und in Absicht der menschlichen Gesellschaft ein besserer Christ, als sechs und dreißig Franciscaner und vier und zwanzig Dechanten.« Ich mußte ihn mit Ernst schweigen heissen, und wollte, er sollte auf der Stelle beichten. Aber er war in einem solchem Jast, daß er sich nicht zurückhalten ließ.

Ew. Hochwürden, sagte er, ich bin über meine sieben Jahre. Ich weiß, was die heil. drey Könige geopfert haben. Ihr sel. Vorfahrer war auch kein Ketzer. Und daß er etwas wußte, hatte er in seinen letzten Jahren dem Herrn Gutmann zu verdanken. Der gab ihm, und der Herr Pfarrer mir Bücher. Hätte ich nur lateinisch verstanden, wie ich es lesen konnte, oder ein Bisgen mehr Französisch als votre Serviteur, so wollte ich ein anderer Mann seyn. Aber so viel ist allemal gewiß, daß der alte Herr Hofmeister, Gott segne ihn, mehr vernünftiges cathol. Christenthum in der That, und zwar täglich, ausübet, und sich dadurch bey dem allmächtigen Gott mehr Verdienst sammeln muß, als fünfzig Mendicanten=Klöster mit allem ihrem kraftlosen Geplärre in einem langen Jahr, zu 365. Tag und Nacht gerechnet, gewiß nicht zusammenbringen können. Das christliche Gesez ist ein Gesez der Liebe. Unser Heiland hat uns diese vor allen andern geboten, und gesagt: In der Liebe Gottes und des Nächsten bestünde das Gesez und die Propheten. Wer ist nun mein Nächster? Ew. Hochwürden werden vielleicht, mit dem Dominicaner, der letzthin zu A** gepredigt hat, antworten, nur die Mönche und die den catholischen Glauben haben. Aber das ist fein brav nicht wahr. Gott hat alle Menschen nach seinem Ebenbilde erschaffen. Christus der Herr ist für alle gestorben. Und der allmächtige Gott, der sie auf die Welt geschikt hat, auch darauf leben läßt, hat uns die Pflicht geboten, ihren Nöthen, wenn wir können, zu steuern, ihr Elend zu versüssen, und nicht, weil sie an ein oder das andere nicht so wie der Dechant glauben, sie ärger als das unvernünftige Vieh zu achten. Sie füttern ja ihre Kaze und den Canarivogel, und brechen sich auch wol ein Stück Brod von ihrem Mund ab, um es ihrem Mops zu geben. Ist dann ein kranker Kezer mit einer vernünftigen Seele, wo nicht besser, doch eben so gut als ihr Mops?

Ich habe mich fast zu Tode geärgert, fuhr er fort, als der Dechant nach dem Absterben ihres seligen Vorfahrers auf sechs Tage hieher kam, und mit sündlichen Kösten, unter dem Vorwand des Obsignierens und Inventierens, Diäten zu ziehen, und sich wohl seyn zu lassen. Die ganze Verlassenschaft schäzte er auf 120. fl. Die Leichkosten beliefen sich auf 27. fl. Die Diäten des Dechants auf 15 fl. Dann mußte die Schwester, als Erbin, noch für abgeholten Wein im Wirthshaus 7. fl. und für andere Küchennothwendigkeiten über 14. fl. bezahlen. Da sind schon über 60. fl. hingewesen. Die arme Tröpfin hat bitterlich geweinet, als sie nach bezahlten sonstigen Schuldpöstlein fast mit leerer Hand abziehen mußte. Heißt das die Liebe des Nächsten ausüben, wenn der reiche Dechant mit Faullenzen und befliessenen Köstenmachen so einer alten abgelebten Person das wenige, was sie erben sollen, vollends zu nichte macht? Aber das ist nicht, was ich sagen wollte. Sondern, weil Sie, Herr Pfarrer, noch nicht hier seyn konnten, so mußte ein Capuciner bisweilen die Pfarrey versehen. Der Dechant brachte ihn mit, und die sechs Tage, da dieser hier saß, mußte ich beym Tisch aufwarten. Wenn dieser seine zwey, und jener seine halbe Maaß Wein ausgeleert hatte, da fingen sie an gelehrt zu thun, und über Religionssachen zu disputieren. Wann alles das wahr wäre, was der Dechant da behauptete, so erbarme sich Gott seiner armen Geschöpfe; aber ich gieng heut noch und ließ mich beschneiden. Er gieng unbarmherzig mit den Menschen um. Nicht weniger als neunzehn Theil mußten des Teufels Eigenthum immer und ewig werden. Alle weltlichen Leute, welche die Oberherrschaft der Geistlichkeit nicht blind erkenne; die nicht in Brüderschaften eingeschrieben sind; oder nur im geringsten Stück an der Regel des heil. Francisci zweifeln; den Mönchen die Gurgel nicht schwenken, und keine Ablässe gewinnen, wurden von dem Himmel ausgeschlossen. Und wissen sie die wichtige Ursache? Weil sie als sündige Menschen täglich zwanzigmal fallen, und niemand oder nichts haben, was sie wieder aufhebt. Gerade als ob man nicht ohne Beyhülfe dieser Herren aufstehen könnte. Ew. Hochw. sollten nur gehört haben, wie sie mit Kaiser, Königen und Fürsten umgegangen sind. Das kann ich zwar gelten lassen, denn ich kenne keinen davon. Und ich dachte, wenn alle grosse Herren unserm Edelmann gleichen, so ist ihr Verlust ohne das dem Himmel kein grosser Schade. Mir selbst ist bey ihrem Verdammen nicht Angst geworden. Als Meßmer bin ich doch auch ein Mitglied der Geistlichkeit; und da ich auch Schuldigkeit wegen bey allen Andachten in der Kirche seyn muß; wo ich mehr als der Pfarrer selbst geschoren bin, so will ich den sehen, der mit meinen Antheil an dem Verdienst absprechen kann. Aber es giebt noch eine Schwierigkeit, die ich nicht verdauen kann. Es hat auch unter den Weltlichen eine grosse Menge recht gelehrter, wakere, gutthätige und redliche Männer, die alles glauben und thun, was unsere heilige Religion vor alten Zeiten zu glauben und zu thun geboten hat; und weil diese nicht alle, Gott vergeb es mir! von einfältigen Andächtlern aufgebrachte Narrenspossen mit machen, so sagt man gleich, sie hören die Kirche nicht; und wer die nicht höret wird verdammt. – Ey, so verdamme du und der Geyer! – Ich kann mich nicht zurückhalten, Herr Pfarrer; ich muß ihnen etwas gestehen: Aber verrathen sie mich, so halte ich mein Lebenlang nichts mehr auf sie; und bringen sie es für den Dechant, so läugne ich es ihnen vor dem Maul weg. »Ich glaube nicht, daß, wer Gott und den Nächsten liebet, auch für sich selbst ein redlicher Mann ist, in Ewigkeit verdammt werden wird. Gesetzt er wisse auch nicht just, oder glaube nicht ganz was im Catechismus stehet. Das lasse ich mir nicht nehmen. Und wenn ich anderst dächte, so glaubte ich in unserm Herrn Gott Unrecht zu thun.«

Lieber Herr Bruder! Mein Schulmeister war in einem so lebhaften und fast rasenden Eifer, daß ich ihn aller meiner Bemühungen ungeachtet nicht stille machen konnte. Aber wie er mir mit offenbaren propositionibus ab ecclesia damnatis kam – da machte ich die Thür auf, und hieß ihn aus meinem Hause gehen. Wie er sahe, daß ich in Zorn gerathen war, gab er gute Worte und sagte: Euer Hochw. verzeihen mir, wenn ich ihnen in der Hitze vielleicht grob begegnet bin; ich bitte um Vergebung. Aber ich kann mir nicht helfen; was ich gesagt habe, dabey bleibt es, oder sie müssen mir, als mein Seelsorger, das Gegentheil in meinen Kopf probiren. Wissen sie was? Wir sind allein; ich möchte gern mit ihnen noch weiter schwatzen: Und weil sie, wenn ich als ein gemeiner Mann mit ihnen rede, gar leicht böse werden, traktieren wir die Sache wie eine Beicht; da müssen sie mich wohl mit Geduld anhören. Er wollte gleich die offene Schuld beten und mich zum Niedersitzen zwingen. Da ich aber gar leicht einsahe, daß mit dem Geken, der aus gutem Gemüth fehlete, weiter nichts anzufangen seyn wurde, so suchte ich ihn dadurch zu besänftigen, daß ich ihm ohne Beicht zuzuhören versprach, und sogleich auf mein Ehrenwort versicherte, gegen den Dechant nicht das geringste merken zu lassen; doch mit dieser Bedingung, daß er mir aufrichtig bekenne, wie er zu diesen erzkezerischen Gedanken gekommen sey. Itzt ists recht, rufte er freudig aus! Ich will Ew. Hochw. alles sagen: Aber stören sie mich nicht, und seyn sie geduldig; es wird ihr Schade nicht seyn.

Der verstorbene Pfarrer hat mir einst im Winter eines von des Gutmanns Historienbücher zu lesen gegeben. Was weiß ich, was es eigentlich war; aber es handelte von Leuten, die vor alten Zeiten in Rußland wohneten und Griechen hiessen, die nicht an den H. Geist glauben. Da las ich von einem Juristen, der sich Solon geschrieben hat, der hat viele Gesetze zusammengeschrieben; und hernach noch von einem Namen Socrates, der war Professor auf der Universität Athen. Nur die zwey Namen habe ich aus dem Buch behalten können. Euer Hochw. werden nicht glauben können, was das für ehrliche, gescheide und wakere Männer gewesen sind. Und da es mir wehe that, daß so rechtschaffene Leute dem Teufel, und dagegen so viele einfältige nur dummfromme Einsiedler aus der Legend unserm Herr Gott zugehören sollten; so ward ich anfänglich auf diese gelehrten Leute böse, daß sie nicht auch den christlichen Glauben angenommen haben, und dachte: Was mögen sie doch immer für eine Ursache darzu gehabt haben? Endlich bin ich im Fortlesen auf die Buchstaben gekommen. A. 469. v. C. G. gebohren. Weil ich das nicht verstuhnd, so fragte ich den sel. Pfarrer der mich dann belehrte, daß es 469. Jahr vor Christi Geburt gebohren heisse: Da ist mir auf einmal leichter worden. Wenn die Leute 400. Jahr vor Christo gelebet, dachte ich so konnten sie keine Christen werden; und Juden werden sie wohl nicht haben werden wollen; weil, wenn man da Alte Testament lieset, und da findet, was sie für ein liederliches, sündiges, rachgieriges und lastervolles Volk gewesen, und was sie dem l. Gott für Verdruß gemachet haben, einem aller Lust vergangen seyn muß, sich zu einem Hebräer machen zu lassen.

Einstmal hatte ich das Buch bey mir in Sacristey. Da blätterte der P. Lector von E.** darinnen vor dem Meßlesen, denn er hatte Langeweile und mußte auf den gnädigen Herrn warten, der noch vor der Kirche seinen braunen Henst auswerfen lassen, und zusehen wollte, wie das arme Thier sich wehren und ächzen würde. Dr P. Lector fragte mich, ob das Buch mein sey? Ich antwortete, nein, es gehöre dem Herrn Gutmann. Schon das gefiel ihm nicht; denn er schüttelte den Kopf mit einem ziemlichen Amtsgesicht. Doch las er halblaut fort, so wie man des Brevier herschnorret; und da hörete ich meinen lieben Socrates nennen.

Nicht wahr ihr Hochw. das war ein braver Mann?

Ja, antwortete er, das war er, aber nur nach dem Fleisch nicht nach dem Geist.

Warum Herr Pater?

Weil er ein Heyde gewesen.

Was kann ihm das schaden; Christus ist ja damals noch nicht gebohren gewesen?

Dem ungeachtet ist er nicht weniger immer und ewig verdammt. Denn wer vor Christus kein Jud war, und nach Christus kein Catholik ist, der hat zur Seeligkeit kein Recht.

Ey das ist sehr hart. Der Mann war so brav, so gscheid, so nüzlich, so tugendhaft. Vielleicht hat er vom A. T. nie nichts gelesen; vielleicht sind keine Mißionen in sein Land gekommen; wie hätte er dann einen Glauben annehmen sollen, von dem er nichts gewußt hat?

Gewußt oder nicht. Das verstehet ihr nicht mein lieber Mann. Ihr müsset blind glauben und nicht zweifeln. Die göttlichen Gerichte sind ein tiefer Abgrund. Und wir Gelehrte haben das Ding schon so ausgemacht, daß, wann ihr nur den mindesten Anstand an meinen Worten nehmet, so seyd auch ihr verdammt.

Nun war es Zeit, mein Maul zu halten. Aber ich war so böse, daß ich ihm einige Stumper und Stösse beym Anziehen der Meßkleider gegeben; und wenn er sie nicht gefühlet, so muß sein Leib eben so unempfindlich als seine Kutte gewesen seyn. Unter der Meß habe ich Gott recht eifrig angerufen, er möchte mir doch in den Sinn geben, ob der Herr P. Lector wahr geredet oder gelogen habe. Und, Gott weiß es, Herr Pfarrer, es war mir nach wie vor. Als ich ihrem sel. Vorfahrer das Buch wieder gebracht, wollte ich ihn auch um seyne Meynung über meine Bedenklichkeiten fragen; aber er lächelte und fieng an von ganz andern Dingen zu reden. Von selbiger Zeit an konnte ich kein Buch mehr von ihm bekommen.

Der Dechant aber, da er bey dem Inventiren hier war, hat mir gleich den andern Tag einen gehäuften Korb voll Bücher gegeben, mit dem Befehl sie augenblicklich zu verbrennen. Unter diesen fande ich auch, nachdem das Feuer schon zwey Lateinische verzehrt hatte, mein Historienbuch, und hieraus urtheilete ich, daß sie alle mit einander dem Herrn Gutmann zugehören müßten. Warum läßt der Dechant eines anderen ehrlichen Mannes Bücher verbrennen? Das kann nicht recht seyn, dachte ich. Vielleicht kann es noch gar der armen Schwester des Verstorbenen Verdruß machen, und davor will ich sie verwahren. Ich holte sogleich einen Haufen alter Schreibbücher von meinen Schülern, die ich sonst unserm Krämer für Taback verkaufte, warf diese ins Feuer, und verstekte einstweilen die Gutmännischen unter dem Wasserstein, bis ich sie Abends ihm hintragen konnte. Der Dechant war zufrieden, daß er auf dem Heerd Papier prasseln hörte, und so brachte ich noch Nachts um neun Uhr dem Herrn Gutmann seine Bücher. Er freuete sich darüber, und wollte mir einen Gulden schenken; aber ich schlug ihn aus, weil ich glaube, man müsse sich eine ehrliche That nicht bezahlen lassen. Dieses einzige bat ich mir von ihm aus, daß, wenn er so eines hätte, das für mich zum lesen taugte, er es mir leihen möchte. Der l. alte Mann stellte mir frey was ich aus dem Korb behalten wollte; und da ersuchte ich ihn um ein dikes Buch, das ich noch habe. Dieses schenkte er mir gleich; und ungeachtet ich weiter nichts annehmen wollte, so schikte er doch Tags darauf meiner Frau, ohne mein Wissen, ein Viertel Erbsen. Ich war doch begierig dieses Buch kenn zu lernen, und fragte daher den Schulmeister, wie das Buch hiesse? Das sollen sie gleich sehen, sprach er, und lief eilends nach Haus. Er brachte einen ziemlich diken Band in Folio, der schon vor 200. Jahren in Straßburg gedrukt worden, unter dem Arm herfür. Es war Titus Livius und Lucius Florus von Ankunft und Ursprung des römischen Reichs, der alten Römer Herkommen, Sitten, Weisheit, Ehrbarkeit, löblichen Regiment und ritterlichen Thaten etc. Das ist ein Buch ihr Hochw. sagte er, indem er es auf dem Tisch aufschlug; da ist mehr Menschenverstand inne, als in dem ganzen Leben der Heiligen von P. Cochem.

Das lasse ich gelten, wenn ihr von menschlichem Verstand redet. Aber, mein lieber Schulmeister, aller Wiz, aller Verstand, aller Welt Gelehrtheit macht nicht selig.

Ja, Herr Pfarrer, aber das macht doch weise und glücklich. Zur Seligkeit muß es auch nichts schaden, sonst hätte Christus seine Apostel und Jünger immer dumm und einfältig bleiben lassen, mithin die Erleuchtung des H. Geistes versparen können. Lesen sie einmal den H. Paulus. Der war beym – ein feiner Kopf.

Ja, aber was wollt ihr denn mit eurem Buch beweisen?

Das nämliche was ich mir seit dem ersten Buch nicht mehr aus dem Kopf bringen kann. Ich will und werde nimmermehr glauben, daß Gott der Schöpfer aller Menschen, der alles zum Besten und mit unbeschreiblicher Weisheit gemacht und zur Seeligkeit berufen hat; der Gott, dessen Güte und Barmherzigkeit ohne Ende ist, ehrliche Leute, vernünftige, geschickte, menschenfreundliche, tugendsame Männer darum ewig verdammen sollte, weil sie sich nicht taufen lassen, ehe man noch etwas von der Taufe gewußt hat, und weil sie vor Christi Geburt und Lehre keine Christen geworden sind. Sehen sie einmal hier, (hier wies er mir einige sich ausgezeichnete Namen,) der Mann, der Archimedes heißt, war ein äusserst geschickter Rechenmeister und Feldmesser, zu Syracusa nicht weit von dem gelobten Land wohnhaft. Da ist einer, der mir gar wohl gefällt, der Seneca; er war Hofmeister bey einem Kaiserlichen Cronprinzen in Rom. Den Cicero kennen sie aus der Schule. Schon Ehre und Lob genug für ihn, daß er aus einem Gerichts=Procurator zum Rathsmeister aufgestiegen ist. Der alte Cato da hat auch viel Gutes gestiftet, und noch ein Haufen anderer, die ich nicht aufsuchen mag. Diese Leute lasse ich mir alle nicht verdammen, oder – ich gehe mit.

Um nur den halsstarrigen auf seiner Meynung versessenen Mann ein wenig zu beruhigen, jedoch mit feyerlicher restrictione mentali de non praejudicando S. S. Sedi Romanae in sententiis receptis, sagte ich endlich zu ihm: Es könnte seyn, daß diese mir nur dem Namen nach bekannte Heiden, wenn sie einen Gott geglaubet, und das natürliche Gesetz ohne sonstige Todsünde gehalten, vielleicht einmal zu Gnaden aufgenommen werden könnten; aber das helfe ja seinem Gutmann nichts, der in einer glücklichern Zeit der geoffenbarten Religion geboren sey, und geflissentlich sich durch seinen Unglauben gegen die Kirche, mithin gegen Gott, versündige, und, was das schlimmste sey, in seinem Eigensinn beharre, und sich dadurch muthwillig verdamme.

Ey, ey, Hochw Herr! Ich bedanke mich einstweilen, daß ihr meine heidnischen Altväter nicht ohne ihr Verschulden unglüklich machet; für Hrn. Gutmann ist mir nun nicht mehr bange. Er hat auch geistliche Bücher; er hat viel gelesen und thut es noch täglich; er ist getauft; er glaubt das ganze credo und ist von Herzen gutthätig. Was will man mehr von ihm? Und dann ist er so vernünftig, daß er ja auf dem Todbette beichten kann, wenn ihm noch etwas fehlen sollte. – Aber ich habe damit noch nicht genug, Herr Pfarrer: Ich möchte gerne –

Nun, was den weiter, fiel ich ihm ein?

– auch die Lutheraner und Calvinisten selig haben. Es soll mir keine Seele verloren gehen; sonst bin ich nicht zufrieden.

Wunderlicher Mann! Zulezt wollt ihr auch noch Türken und Juden dabey haben! – Vielleicht auch. Es soll mir niemand verdammt werden als die Narren, wenn es giebt, die Gott läugnen; und verstockte übelthätige Bösewichter, die kein Gefühl einer menschlichen Seele haben, und sich durchaus nicht bessern wollten.

Aber sagt mir, wie und warum ihr so denket?

Sehen sie, Herr Pfarrer, ich habe letzthin bey des Amtmanns Sohn, als er zum Meßdienen kam, einen Calender gesehen, einen Gothaischen Hofcalender. Ich behielt ihn während der Messe, und blätterte so hin und her. Ich habe gar bald gefunden, daß ungefähr 3000 Millionen Menschen auf Erden leben. Da kam mich der Lust an, in der Austheilung, die dabey stehet, auszurechnen wie viel catholische Länder darunter seyen; denn diese weiß ich aus einer Landcharte, die mir der vorige Pfarrer geschenkt hat. Ich brachte 62. Millionen catholische Christen heraus. Weil ich mich aber doch gestossen haben könnte, so gab ich für die hin und her in andern Ländern zerstreute noch 18. Millionen hinzu; da waren es 80. Von diesen 80. Millionen gehet auch noch der vierte Theil, und wenn es euch geistlichen Herren und euerm Sagen nach gehet, wohl die Helfte verloren. Doch wir wollen es bey dem vierten Theil bewenden lassen; so bleiben 60. Millionen für den Himmel übrig. Ich dividirte sodann die ganze Summe nach des Lechners Rechenkunst, und nach dieser Rechnung hat der Teufel allemal 50. Seelen bis unser Herr Gott eine bekömmt. Der liebe Gott hat sie alle erschaffen; zur Seligkeit erschaffen; sein göttlicher Sohn hat sie alle vom ewigen Tod erlöset, und der Teufel soll dem ungeachtet Herr und Meister darüber werden? Das kann mit dem herrlichen Zweck der weisen Schöpfung und wahrhaft göttlichen Erlösung nicht bestehen. Und wenn zuletzt alle Stricke brechen, so läßt es die unendliche Barmherzigkeit Gottes nicht zu. Ich kann den Himmel, der gewiß grösser ist als die Hölle, nicht leer stehen, und dagegen das kleine verdammte Loch im Mittelpunkt der Erde so voll angestopft sehen: Mit einem Wort, alle Menschen sind mir lieb, und Gott über alles. Es ist mir schlechterdings unmöglich, daß ich mir ihn wie den Kaiser Nero vorstellen soll, der, wie in diesem Buch stehet, eine Freude hatte die Leute zu quälen, blos darum, weil er Gewalt und ein böses Herz besaß. Ihr geistliche Herren, denke ich, macht euch nicht viel daraus. Weil ihr keine Kinder habt, so sorget ihr nur für euern Balg. Aber unser einer, der dafür arbeitet, daß die Welt nicht absterbe, hat schon mehr Menschenliebe. Wann wir uns überwinden könnten, alle Menschen als unsere Brüder und als Miterben des Himmelreichs anzusehen; wenn wir darauf merken wollten, was ein jeder thut, und nicht was er so zu sagen zu glauben gezwungen ist, weil ihn seine Geburt, sein Pfarrer und sein Schulmeister es gelernet; weil seine Eltern das auch geglaubt, die er für vernünftige Leute hält, und weil er in einem Lande sein Haab und Gut, und Nahrung hat, wo man nicht anders glauben darf, so hätten wir einander alle lieb; und da würden viele Seelen noch dem Himmel gewonnen, die sich jezo aus Haß und Verfolgungsgeist selbst verdammen.

Nun, Herr Pfarrer, damit ists aus. Ich weiß was sie dagegen nach ihrem Handwerk sagen müssen. Ich will alles als ein gehorsames Kind der Kirche annehmen, und zufrieden seyn, daß meine und ihre Religion die beste sey. Aber lassen sie mir nur die Freude, daß es unter den Kezern auch recht viele ehrliche, gutthätige, und rechtschaffene Leute gebe - und daß unser liebe Gott nicht denke wie der Dechant.

Bey diesen Worten ergriff mein Schulmeister die Thür, wünschte mir gute Nacht; denn es war beynahe zwölf Uhr; bat noch, ihm nichts vor ungut zu nehmen - und fort war er.

Dieses einfältigen Tropfens Geschwätz hat mir doch seither viel Nachdenkens gemacht. Ich habe ihm so aufmerksam zugehört, daß mir alles in dem Gedächtniß geblieben ist. Und ich muß es dir gestehen, wenn ich nicht geistlich wäre, so dächte ich fast wie mein Schulmeister. Sed abrenuntio. Die Kirche kann nicht fehlen, und was sie gebietet, das muß wahr seyn: Freylich haben des Schulmeisters Argumente viel Wahrscheinliches, und ich wünsche so gar, daß er recht haben möchte; allein – Bete für mich Herr Bruder, daß mein Glaube nicht wanke.

Der Bot klopft an meinem Fenster Lebe wohl!


 << zurück weiter >>