Johann Kaspar Riesbeck
Briefe über das Mönchswesen
Johann Kaspar Riesbeck

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Dritter Brief.

Den 10ten Aprill 1770.

Liebster Herr Bruder! Die Versicherung deiner Freundschaft, und das alte redliche Gutmeinen, welches ich aus deinem Brief lese, hat mich ganz aufgerichtet. Ja, ich habe Vertrauen auf deine Erfahrung, und glaube, daß du mir eben so gut Rath geben als jezo Muth einsprechen kannst. Ich eile mithin dir vollends meinen Kummer zu entdecken. Und heute will ich mich durch nichts stören lassen. Es giebt nichts in der Kirche zu thun; die Bauern sind mit dem gnädigen Hrn. auf dem Schnepfentreiben; es ist auch nichts zu taufen noch zu begraben; und mit meinem Brevier bin ich fertig. Ich habe mich eingeschlossen; und wenn der alte Pfarrer nicht auf der Bühne rumpelt, so soll mich nichts hindern, dir Wunderdinge zu schreiben.

Ich muß dir zum voraus gestehen, daß ehe der P. Guardian mir von dem alten Hofmeister, Hr. Gutmann, so heißt er, so viel Uebels gesagt, und mir das Gewissen geschärfet, ich recht viel auf ihm gehalten habe. Der Herr ist alt und kränklich, dachte ich; er kann die feuchte Kirche nicht vertragen; er fürchtet sich für Husten und Flüssen; deßwegen kommt er nicht täglich in die Meß: In Proceßionen kann er auch nicht mitgehen, weil er schon oft das Zipperlein gehabt. Wer weiß, ob er nicht in seinem Zimmer desto fleißiger betet. Weil ich nur erst ein halb Jahr hier bin, und er mir nicht gebeichtet, so dachte ich, er glaube mich noch zu jung, und beichte wenn er dann und wann in die Stadt fährt. Ich höre ohnehin die Herren nicht gerne beichten. Man weiß nicht, was man ihnen sagen soll. Sie haben oft Sünden, die ich noch nicht verstehe, und dann weiß man auch nicht, wie man sich mit den Bussen zu richten hat. Es gebühret sich, daß man ein wenig höflich ist. Wann ich einen Bauern unter der Beichtcur habe, so richte ich mich nach den Sünden, die er mir sagt. Flucht und schwört er gerne, so tobe ich mit ihm wie ein lebendiger Teufel. Ist er einer guten Gemüthsart, so bin ich wie ein Lamm. Und damit komme ich recht gut aus. Bey Knechten und Mägden muß man viel Tanzen, Wirthshaus, und vom sechsten Gebot verschlucken können. – Transeat Herr Bruder, sie sind Menschen, die an der Erbsünde Theil haben. – Bey den Weibern kommt es meist auf Ehrabschneidungen, Hoffartsneid und Männerbetrug an. Das alles ist in einem Dorf parvitas materia. Aber, im Vertrauen, du solltest unsern gnädigen Herrn, oder den Amtmann oder Verwalter, wie ich im Jubiläum, Beicht hören. Da wußte ich wahrhaftig nicht, wie ich mit Ehren von ihnen kommen sollte. Das sind Sünden wie Heustöck. Fünfzehn habe ich aufgeschrieben, die ich nicht im Bussenbaum finde. Doch weil ich in diesem Fall auch die casus reservatos observieren konnte, und ich gleich gemerkt, daß keiner von ihnen weder die ewige Keuschheit, noch den Eintritt in einen geistlichen Orden verlobt hatte, so bin ich in Gottes Namen darüber hinweggehüpft. Der gnädige Herr war brav; er sagte: »Machts kurz, Herr Pfarrer; ich möchte mich gerne bessern, aber ich bin zu alt; doch nehme ich mir es vor. Keine lange Buß; sie wird sonst schlecht verrichtet - und ein Cavalier kann nicht beten wie seine Bauern.« Dem Amtmann wollte ich von Ungerechtigkeit und dem Verwalter (ich will aber keinen von beyden nennen) von Restitutionen reden. Da solltest du gehört haben, wie sie sich gewehret. Besonders der letztere, der als Quarti anni Theologus mehr Distinctionen über jede Sünde wußte als Buchstaben im Psalm Miserere sind.

Ich weiß nicht wie ich von meinem Hauptobject durch das einfältige Beichtgeschwätz abgekommen bin. Wenn das Herz voll, so gehet der Mund über. Ich sagte dir oben, daß ich auf dem alten Hrn. Hofmeister Gutmann recht viel gehalten, und das ist wahr. Er wohnet nun fünf Jahre hier, und in dieser ganzen Zeit hat er nicht ein Kind beleidiget. Wenn ein Bauer ein gescheides Memorial verlangt, so macht er es ihm, aber allemal umsonst. Wer ungerechte Händel anfangen will und ihn frägt, dem rathet er ab, und schreibt kein Buchstaben. Ist ein Gemeindsmann in Nöthen, so findet er 5, 10 bis 15 fl. bey ihm ohne Zins. Ob er schon nicht reich ist, so giebt er mehr zur Armencasse als der Amtmann. Mir hat er schon gar oft sagen lassen, wann ich Kranke im Dorf hätte, die sich kein Fleisch oder Brühen verschaffen können, so sollte ich sie an ihn weisen; und wenn ich es thue, so giebt er augenblicklich Geld und auch kleine Hausmittel. Er kauft alle Jahre ein Haufen Strümpfe, Kappen, Handschuh, und so Zeug, das er in der Schule den Kindern, die am besten lernen, austheilen läßt. Den Bauern läßt er um sein eigen Geld allerley Saamen kommen, um unsern Ackerbau zu verbessern, und schwazt ihnen freundlich vom Säen und Erdbau, wie ein ausgelernter Calendermacher. Er ist also überhaupt der rechtschaffenste Herr. Nur zwey einzige mal habe ich Gelegenheit gefunden, in Zeit meines Hierseyns, an seinem Christenthum zu zweifeln. Das erste war, daß er einer armen auf den Tod gelegenen Judenfrau Geld und Medicin geschickt; und das zweyte, so mich noch mehr Wunder genommen, ist, daß er vor vierzehen Tagen, mithin gerade bey dem Anfang des Jubiläums, wo sich doch jedermann als ein wahres Glied der catholischen Kirche bezeigen sollte, einem im Wirthshause gefährlich erkrankten calvinischen Handwerksbursch, weil sich, wie billig, niemand des Menschen annehmen wollte, und er kein Geld hatte, den Doctor aus der Stadt holen ließ, auch für ihn alles bezahlte. Da dachte ich, hinter diesem Mann muß nicht viel Religion steken. Aber so arg habe ich es mir nicht eingebildet, als ich es leider nun finde.

Alles, was mir der P. Guardian gesagt hatte, und mein eignes Denken zusammengenommen, fand ich mich endlich im Gewissen verbunden, dem Herrn Gutmann einen Besuch abzulegen, und mein Pfarramt dahin auszuüben, daß ich ihn entweder mit Güte zu einem wahren Kind der Kirche machen und zu Gewinnung des Jubiläums zwingen, oder doch Gewißheit haben möchte, was und wie er denkt, damit ich es unserm Herrn Dechant anzeigen kann.

Es hat mich viele Ueberwindung gekostet; denn es war das erstemal, daß ich ihn in seinem Hause und zwar von Angesicht zu Angesicht sprechen sollte. Mehrere Bedenklichkeiten hatten mich bis daher von ihm entfernt gehalten. Erstlich weiß ich, daß er bey dem gnädigen Herrn nicht wohl gelitten ist, theils weil er ihm aus dem Vermächtniß seines Bruders des Domherrn von A** jährlich 3200 fl. bezahlen muß; theils weil Herr Gutmann über das ewige Jagen, Fluchen, Saufen, Ehrabschneiden und Müssiggehen im Schloß manchmal, doch mit allem Respekt, ein wenig loszihet, und überdas mit dem verstorbenen Pfarrer gut Freund gewesen. Um ihm aber recht wohl bewafnet unter die Augen zu tretten, duchblätterte ich nochmal mit Fleiß mein ganzes Jubiläums=Büchlein, und gieng Freytags in der letzen Jubiläums=Woche nach der Meß in das Amthaus. Als mich die Magd gemeldet, ließ er mich fragen: Ob mein Besuch Kranke oder Nothleidende beträfe? Sonsten, wenn es nur ihn angienge, wolle er sich die Ehre auf den Nachmittag ausgebeten haben; er habe unaufschiebliche Geschäfte, und sey eben in der Arbeit begriffen in einer eilenden Sache eine Vorstellung an ein benachbartes Oberamt für eine arme bedrängte Partie [Parthey?] zu verfertigen. Als ich Nachmittags um zwey Uhr wieder dahin gehen wollte, hat mir das Herz im Leib so gepochet, daß ich mir vorher mit einem paar Gläser Wein Muth und Kühnheit einsprechen mußte. Ich gieng hin.

Er hat mich mit mehr Freundlichkeit empfangen als ich hoffen konnte, und sagte gleich beym Eingang: Herr Pfarrer, ich habe mir schon mehrmalen das Vergnügen gewünschet, sie bey mir zu sehen. Sie sind, wie ich nun selbst erfahre, und von den meisten des Dorfes gehöret habe, ein wackerer gutthätiger Mann. Ich habe ihnen nicht übel nehmen können, daß sie mich bisher noch nicht besuchet haben; die Ursachen sind leicht zu errathen; und eben diese haben auch mich abgehalten, ihren Umgang zu suchen. Ein freundschaftlicher Umgang, dergleichen ich mit ihrem Vorfahrer genossen, wäre mir ein Trost in meinem Alter: Allein man siehet es in dem Schloß nicht gerne, daß die Herren Pfarrer mit mir auf einen freundschaftlichen Fuß leben; und sie thun wohl, daß sie sich mit dem gnädigen Hrn. gut zu stehen bemühen. Kann ich aber ihnen oder ihren Pfarrkindern einige Dienste erweisen, so ist es aus Christenthum und Menschenliebe meine Pflicht. Ich stammelte einige höfliche Worte - machte ein paar Kratzfüsse - und wußte nicht mehr was ich sagen wollte. Herr Gutmann muß meine Verwirrung bemerket haben; denn er nahm, nachdem er mir einen Stuhl angewiesen, sogleich das Wort:

Sie haben nun vierzehen Tage sehr viel zu thun gehabt, Herr Pfarrer. Es freute mich, daß ich die Leute so fleißig nach der Kirche gehen sahe. Die Ostern werden leichter seyn. Es ist gut, daß nun die Hauptandachten noch bey schlimmem Wetter nach einander vorbeygehen, sonst würden die Leute in dem Ackern und Habersaat sehr gehindert worden seyn.

Diese Worte, und daß er das Jubiläum und die Osterbeicht mit der Habersaat vermischte, waren mir ein Donnerstreich. Ich muß blaß worden seyn; denn er fragte gleich wieder: Fehlet Ihnen etwas, Herr Pfarrer, oder haben sie sich an meinen unschuldigen Worten geärgeret?

Ich antworte ein halblautes Nein! Und da ich auf dem Tisch ein aufgeschlages Jubiläumbüchlein von C** sah, gab es mir Gelegenheit, meine Absicht merken zu lassen. Ich sehe, daß sie zu Haltung der großen Gnadenzeit vorbereiten, sagte ich, worzu nur noch zwey Tage übrig bleiben.

Ein Lächeln, das mir durch die Seele gieng, bereitete sich über des Hrn. Gutmanns Gesicht aus. Ew. Hochw. muß ich gestehen, daß ich meinen Bündel Untugenden und Sünden auf die nahestehende Osterzeit verspare.

Aber warum wollen Euer Herrl. nicht des allgemeinen, nun durch unsern heiligsten Vater eröfneten Gnadenschatzes sich theilhaftig machen?

Darzu verbindet mich kein Glaube; es beweget mich keine Ursache; und ich hoffe mit Erfüllung der wahren Christcatholischen Pflichten doch ehrlich zu leben und selig zu sterben.

Ehrlich zu leben, das kann wohl seyn. Aber mit Verachtung des von dem Statthalter Christi ausgeschriebenen Jubiläums, und Hintansetzung der übermäßigen Gnadenzeit, auch selig zu sterben; erlauben Ew. Herrlichkeit, daß ich daran zweifle! – Sie müssen mich nicht unrecht verstehen, Herr Pfarrer. Ich verachte das Jubiläum nicht. Ich trage alle Verehrung für unsern heiligsten Vater. Ich glaube, daß die Kirche Macht habe, Ablaß der Sünden zu ertheilen; und daß dieser Ablaß nüzlich sey. Ich glaube aber auch, daß wenn keine Ablaß ertheilt würde, man dennoch, mit Erfüllung seiner Pflicht gegen Gott und die Menschen, selig werden könnte.

Lieber Herr Bruder! Hier stunden mir die Haare zu Berge. Nun mußte ich mit sehr betrübtem Herzen sehen, daß ich wirklich einen Mann vor mir hätte, der schon mit kezerischen Banden verstrikt, und eines verhärteten Herzens sey.

Herr Gutmann merkte meine Verwunderung, und sah alle in meinem Innersten vorgehende Bewegungen mit lächelnder Ruhe zu.

Als ich mich ein wenig zusammengeraft hatte, sagte ich endlich: Wenn aber Ew. Herrlichkeit glauben, daß die Kirche die Macht habe, nützliche Ablässe auszutheilen, was bewegt sie, sich dieses Nutzens nicht auch theilhaftig zu machen? Denn wissen, daß mir etwas an meiner Seele nützlich ist, die Gelegenheit neben dem offen sehen, da ich es mir leicht eigen machen kann, und doch nicht darnach trachten, ist schon eine Sünde.

Ey! Herr Pfarrer, das bedarf eine weitere Zergliederung. Wenn ich weiß, daß ich ohne diese Sache schlechterdings nicht selig werden kann; wenn die Kirche, ich sage nicht der Pabst allein, mir die Erfüllung einer mit Gottes Wort oder den Geboten einstimmenden Handlung als ein Gesetz vorschreibt, so haben sie recht. Aber ich müßte keine Kirchengeschichte, keine vernünftige cathol. Glaubens=Ausleger, und das Concilium zu Trient nicht gelesen haben, wenn ich geradezu glauben und thun wollte, was der übertriebene unwissende Mönchen=Eifer oder der Hochmuth eines sich unfehlbar glaubenden Theologens, oder auch die Begierde nach Opfer uns weiß machen will. Verzeihen Sie, daß ich hier nicht weiter spreche, sondern für dieses Mal abbreche: Ich muß noch einen Boten nach der Stadt schicken, um für des armen Juden kranke Frau einige Kindbetterkräuter zum Trank zu beschreiben. Kommen Sie ein andermal zu mir; ich mache mir eine Freude mit ihnen zu sprechen. Und damit ließ er mich mit Höflichkeiten überhäuft weggehen.

Was meinest du, Herr Bruder, wie mir zu Muth war? Hundert verschiedene Einfälle giengen mir durch den Kopf. Bald bedauerte ich den übel gebrauchten Verstand des Herrn Gutmanns; bald entsetzte ich mich über seine so kezerisch schmekende Propositiones, bald wünschte ich ihn zu bekehren, und wußte doch auch nicht, was ich ihm sagen sollte. Doch war ich überzeugt, daß er unrecht habe: Denn qui ecclesiam non audierit sit sicut Ethnicus & Publicanus; atqui der Pabst hat das Jubiläum angeordnet, und der Bischoff hat uns in dem gründlichen Unterricht die Vorschrift gegeben, wie wir es halten sollen; ergo ist Herr Gutmann qui audivit, und doch den Ablaß nicht gewinnen mag, Ethnicus & Publicanus. Nur war ich noch irre, was er mit der Kirchengeschichte sagen wolle. Was mag dieses wol für ein Historienbuch seyn? Und wenn auch die Beschreibung aller Kirchen und Capellen darinn enthalten wäre, dachte ich, so kann das zum vollkommenen Ablaß nichts machen; denn eben dieses bestärket ihn, weilen bey jeder Einweyhung einer neu erbauten Kirche allemal vom Bischoff Ablässe ertheilet werden. Er sagt auch vernünftige catholische Glaubens=Ausleger; das scheinet mir auch nicht orthodox. Man soll ja die Vernunft nicht gebrauchen, so bald etwas den Glauben betrift. Das Concilium zu Trient lasse ich allenfalls an seinen Ort gestellet seyn. Wer weiß, was sie da für Sachen vorgehabt haben; es muß etwa kein Pabst dabey gewesen seyn; und wenn die Sache wahr wäre, hätte uns auch der Professor etwas darvon gesagt. Ueberdas hab ich mein Lebtage von keinem andern als dem Concilium Tridentium und nicht von dem zu Trient gehöret. Tridens heißt ja Dreyzak und Triens ein Drittel. In der Verlegenheit beschloß ich, mich bey unserm Herrn Dechant Raths zu erholen und ihm den ganzen Handel vorzulegen; bis dahin aber nicht mehr zum Herrn Gutmann zu gehen.

O das verzweifelte Schnepfenjagen! Ich muß schlissen; es ist ein Pferd vor meiner Thür; ich soll eilends in den Wald, der gnädige Herr hat einen Buben gefährlich geschossen. Nächstens sollst du erfahren, wie die Sache bey Ihro Hochw. dem Herrn Dechant abgelaufen.


 << zurück weiter >>