Wilhelm Heinrich Riehl
Durch tausend Jahre – Zweiter Band
Wilhelm Heinrich Riehl

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Ungeschriebene Briefe

1863

Erstes Kapitel

Der Burggraf Georg Ludwig aus dem alten thüringischen Hause Kirchberg war zweimal verheiratet. Mit dreiundzwanzig Jahren führte er seine erste Gemahlin heim, eine Gräfin von Hohenlohe-Langenburg, welche bereits zweiunddreißig zählte. Schon rückte die silberne Hochzeit nahe, da starb diese erste Frau – um 1670 –, und der rüstige Witwer verlobte sich im achtundvierzigsten Lebensjahre zum zweitenmal mit der Erbgräfin Magdalene Christine von Manderscheid-Sayn, einem kaum sechzehnjährigen Mädchen.

Schreitet ein Witwer zur zweiten Ehe, so rechtfertigt er diesen Schritt vor der Welt gewöhnlich mit dem Worte, er müsse seinen verlassenen Kindern eine neue Mutter geben, und doch sind die armen Kinder oft sehr unschuldig an den Heiratsgedanken ihres Herrn Vaters.

Der Burggraf von Kirchberg aber war ein seltener Mann: obgleich er vier Kinder mitbrachte, gestand er doch ohne Umschweif, daß er wieder heirate, weil er wieder heiraten wolle, und schob nirgends die Stiefmutter vor, um die Braut zu decken.

Da er aber niemandem etwas vorheuchelte über den Beweggrund, der ihn überhaupt zur zweiten Ehe trieb, so kam er auch nicht weiter in Verlegenheit wegen des allzu jugendlichen Alters der Braut. Denn eine Heuchelei hätte hier notwendig die andere bedingt.

Also bekannte er offen, daß ihm's die mädchenhafte Jungfrau ganz besonders darum angetan habe, weil sie so jung sei und dazu so schön und kindlich einfältig. Die erste Frau war neun Jahre älter gewesen als er selbst; nun deuchte es ihm ganz natürlich, daß er sich zum zweitenmal eine jüngere gewählt, obgleich es ihm nicht entging, daß zweiunddreißig Jahre jünger ein bißchen viel sei. Die erste Ehe hatte den Jüngling zum Manne gebildet, durch die zweite wollte er wieder jung werden; denn so nahe den Fünfzigen, nahm er mit Schrecken wahr, daß er eigentlich niemals recht jung gewesen.

Sehr frühe schon war ihm nämlich die Last des väterlichen Erbes zugefallen, frühe schon hatte er dazu bei mehreren deutschen Höfen wichtige Staatsgeschäfte geführt, und wäre er mit zweiundzwanzig Jahren nicht schon ein Reichsfürst gewesen, so hätte er wohl auch einen Professor des Staatsrechts vorstellen können. Damals nun hatte man ihm fast mit dem Antritte der burggräflichen Herrschaft die erste Gemahlin zur Seite gegeben, im Interesse der beiden Häuser mehr als eine welterfahrene treue Freundin, die ihn taktvoll an unsichtbaren Fäden leite, denn als eine Geliebte, welche er selber mit starker Hand ins Leben einführen solle. Die Ehe war dauernd glücklich, aber es war eine Ehe ohne allen Taumel von Schwärmerei, Poesie und Narrheit gewesen, eine überaus gesetzte und gediegene Freundschaftsehe.

Schwere häusliche Prüfungen kamen hinzu und machten den beiden Gatten das Herz schwer, wenn sie ihnen auch den stillen Frieden eines getreuen Zusammenlebens nicht rauben konnten. Die Knaben zwar, welche ihnen der Himmel geschenkt, gediehen, die Töchter dagegen starben frühe hinweg. Es war, als solle bei dieser Ehe die zarte Poesie eines heiteren Mädchenlebens nicht einmal der Kinderstube gegönnt sein. Die einzige Tochter, welche dem Kindesalter entwuchs, Dorothea Luise, war so überfeinen Körpers und so fieberhaft erregten Geistes, daß die bekümmerten Eltern nur mit heiliger Scheu auf die bleiche Gestalt blickten, als sähen sie ein überirdisches Wesen. Die junge Gräfin selber aber lebte fast nur in Todesgedanken, bezeichnete schon im vierzehnten Jahre den Text für ihre Leichenpredigt und die Lieder, welche bei ihrem Begräbnis gesungen werden sollten, und starb dann auch bald, fast gleichzeitig mit ihrer Mutter. In den verwandten hochadeligen Familien regte sich damals die fromme Gefühlsseligkeit des eben aufblühenden Spenerschen Pietismus, und man verehrte das verstorbene Mädchen wie eine halbe Heilige. Ja, der Burggraf selber neigte trotz seines weltmännischen Geistes eine Weile zu gleicher Frömmelei und brütete oft stundenlang über der mystischen Grabschrift seines Vorfahren, des fuldaischen Abtes Hartmann von Kirchberg, wie sie neben dem als leise schlummernd dargestellten Marmorbilde des Entschlummerten im Mainzer Dome geschrieben stand:

Quid mortui viventium
Legitis epitaphia?

»Was leset ihr Toten der Lebendigen Grabschrift?« Und es war ihm, als müsse auch er inwendig diesem Leben absterben, um, rings vom Tode umfangen, in Todesgedanken erst recht lebendig zu werden.

Aber Todesgedanken passen auf die Dauer nicht für einen Diplomaten und regierenden Herrn. Was aber hätte ihn rascher und anmutiger wieder auf diese schöne Erde zurückführen können als eine sechzehnjährige Braut, die noch harmlos wie ein Kind zum sonnig blauen Himmel blickte?

Neben der Schwüle des häuslichen Kummers, die so drückend über der frühen Ehe des Burggrafen lag, hatte derselbe aber auch noch einen anderen Druck schwer empfunden: seine erste Frau redete gar zu gerne mit in politischen Geschäften. Da war kein Aktenstück, das sie nicht zu lesen begehrte, kein Geheimnis, welches sie nicht ergründete, kein Zweifelsfall, den sie nicht mit weisem Rate klarzulegen verstand. Meisterhaft waren die politischen Kabinettsreden, womit sie gar oft ihres Mannes festen Plan und Willen beugte. Anfangs nahm der unerfahrene junge Mann diese eheliche Hilfe der weltklugen älteren Gattin dankbar hin; als er sich aber nachgerade sattelfest genug fühlte, um sein Roß auf eigene Faust zu lenken, belästigte ihn das stete Eingreifen der Frauenhand in seine Zügel. Ja, der stille Unmut brach zuletzt nicht selten zum offenen Streite durch.

Burggraf Georg Ludwig nämlich war zwar gut kaiserlich und deutsch gesinnt, aber trotzdem bewunderte er die persönliche Majestät und die meisterhafte Staatskunst Ludwigs XIV. Er erkannte in dem Franzosenkönige den ärgsten Reichsfeind, und dennoch hatte es ihm dieser Fürst wie mit einem Zauber angetan, daß er für ihn wie für ein Idealbild königlicher Hoheit schwärmen mußte. Die Burggräfin dagegen haßte jenen Ludwig und seinen Hof und glaubte, daß der unheimliche Mann durch die bezaubernde Poesie seines Wesens den deutschen Fürsten weit gefährlicher sei als durch seine reichsfeindliche Politik.

Scheinbar stritt man also bloß über eine Person, und doch barg dieser Streit den tiefsten Zwiespalt der Grundsätze. Der Graf wollte seinen Hof nur ein klein wenig nach dem Muster von Versailles umbilden, die Gräfin widerstand; der Graf wollte die große Kavalierstour nach Paris machen, um seiner staatsmännischen Kunst die letzte Weihe zu geben, die Gräfin hintertrieb es. Ja, zuletzt konnte der Graf im eigenen Hause nicht einmal mehr frisch von der Leber weg über die Welthändel reden und mußte seinen Ludwig insgeheim bewundern: wurden doch die Züge der Gräfin beim bloßen Namen des Königs alsbald so starr und eingefroren, daß auch dem Grafen das begeisterte Wort stracks auf der Zunge einfror. Im Widerstreit schärften sich die Gegensätze, so daß die Gräfin den fatalen Ludwig bei dem Grafen noch um einen Fuß höher hob, indem sie ihn verkleinerte, während der Graf ihn bei der Gräfin noch um das gleiche Maß herunterrückte, indem er ihn lobte. Der Graf meinte – natürlich wiederum insgeheim –, durch die Frauen Politik zu machen, sei höchst weise, wie ja eben Ludwig gezeigt, da er dem König Karl von England statt diplomatischer Noten eine schöne Hofdame geschickt habe, aber mit und unter den Frauen Politik zu machen, das sei schwach und töricht. Und doch konnte er sich – natürlich wiederum ganz insgeheim – nicht verhehlen, daß er dem letzteren Falle näherstehe als dem ersteren.

Nun war aber die neue Braut in der Politik ein reines Kind. Der Burggraf atmete hoch auf bei dieser Wahrnehmung. Sie redete kein Wort von Staatshändeln, und erzählte der Bräutigam von dergleichen, so gab sie nicht acht. Er jubelte im stillen über diese liebenswürdige Unachtsamkeit. Als in einer Gesellschaft die Schwächung der holländischen Statthalterwürde durch das »ewige Edikt« besprochen wurde, lockte sie ihren Mops zum Spiele herbei, weil sie von »Theologie« nichts verstehe! Der Graf war glückselig, daß seine Braut so anmutig unwissend sei und beim ewigen Edikt wohl gar ans ewige Leben denke. Zeichnete er ihr das glänzende Charakterbild seines Ludwig, so lauschte sie zwar gespannt, leuchtenden Auges, aber sie sprach weder ja noch nein, und der Graf meinte, dies sei in der Tat der rechte urteilslose Standpunkt, wie er Frauen zieme; denn wenn sie ja sagten, so könnten sie auch leicht einmal nein sagen und hätten immerhin noch ihre eigene Meinung; seine Braut aber habe gar keine Meinung, und das sei alleweil am besten.

Zweites Kapitel

Auf den Herbst hatte der Burggraf die zweite Hochzeit anberaumt, vorher aber wollte er den alten Lieblingswunsch noch erfüllen und Paris und Versailles sehen. Im Frühling verweilte er als zum Abschied vor der großen Reise mehrere Wochen zu Hachenburg, dem väterlichen Schlosse seiner jungen Braut.

Es sollten dies, so wünschte er, Maientage innigster Liebesverständigung werden; die Braut sollte jetzt erst recht erkennen, welch einen Schatz sie an ihm gewonnen habe. Allein mit geheimem Schauer gewahrte er, daß diese Maientage etwas frostig seien. Magdalene war höchst freundlich, voll unbewußten Liebreizes, dabei aber so töchterlich respektvoll gegen den Bräutigam, daß dieser mitunter sich selbst erinnern mußte, er sei ja nicht der Vater, sondern der Verlobte des guten Kindes. Sonst forderte der stolze Herr von aller Welt Respekt, und jetzt entsetzte er sich zum erstenmal, daß man so gar viel Respekt vor ihm haben könne.

Er wollte die Sache gut machen, legte in Magdalenens Gegenwart den Burggrafen und Staatsmann ganz beiseite und suchte mit ihr zu schwärmen und zu tändeln wie ein zwanzigjähriger Jüngling. Allein nun ging es erst recht nicht; Magdalene wurde sichtbar noch kühler. Und was das schlimmste war: indem der Bräutigam den Respekt seiner Braut etwas mildern wollte, verlor er beinahe den Respekt vor sich selbst; wenn er sich im Spiegel sah, so meinte er, aus dem Glase schaue ein Geck hervor. Also kehrte er rasch zu seiner natürlichen Art zurück und wahrte den Ernst, wenn er heiter, die Würde, wenn er zärtlich, und die Vernunft, wenn er leidenschaftlich war, wie sich's bei einem achtundvierzigjährigen Burggrafen im Grunde von selbst versteht. Doch gerade weil sich's von selbst versteht, genügte es ihm wieder nicht; denn einer Braut zeigt man sich eben auch gern in Vorzügen, die sich nicht von selbst verstehen. Der Burggraf besaß solche Vorzüge, – allein für diese hatte ja das sechzehnjährige Mädchen keinen Sinn und sollte keinen haben; der Bräutigam freute sich kindisch, daß sie ihn nicht hatte, daß sie gähnte, wenn man nur von Politik sprach, und dennoch sollte sie für den Bräutigam als für einen großen Staatsmann schwärmen, aber beileibe nicht respektvoll, sondern in glühender, hingebender Liebe!

Das waren verdammte Widersprüche!

Der Burggraf machte zuzeiten ein recht böses Gesicht, und als die Braut in aller Unschuld gar nicht merkte, was das böse Gesicht bedeute, sagte er's eines Tages deutsch heraus und meinte, vor der Verlobung habe sich ihm ihre Liebe sonnenklar kundgegeben, nach der Verlobung hülle sie sich in ein Rätsel. Statt aller Antwort auf die deutsche Frage öffnete Magdalene ein französisches Buch, in welchem sie abends gemeinsam zu lesen pflegten, und bezeichnete schweigend eine Stelle mit dem Bleistift. Sie lautete: »Une passion naissante et combattue éclate; un amour satisfait sait se cacher.«

Der Burggraf, überrascht von dem feinen Kunstgriff, mit welchem das Mädchen ihm entschlüpfte und in einem witzigen Zitat antwortete, damit sie nicht mit dem Herzen zu antworten brauche, wollte ihr sofort beweisen, daß die Liebe zweier Verlobten eben auch noch eine aufkeimende Leidenschaft und keine vollbefriedigte Liebe sei, als sich die Türe öffnete und ein unerwarteter Gast ins Zimmer trat – des Burggrafen Sohn aus erster Ehe, Georg Wolfgang, ein stattlicher achtzehnjähriger Bursche.

Es ist wohl immer etwas verdrießlich, wenn einem Witwer, der eben wieder Bräutigam geworden, die großen Kinder der ersten Frau so um den Weg laufen. Tappt aber solch ein unvernünftiges Kind nun gerade in eine recht zarte Liebesszene seines Vaters, so muß das vollends unerträglich sein. Der Burggraf hatte seine zwei ältesten Söhne auf Reisen geschickt, und Georg Wolfgang sollte eben an den Hof des Pfalzgrafen von Birkenfeld gehen, um dort seine ersten Militärstudien zu beginnen, während der Vater sich seinen zweiten Liebesstudien widmete. Da fiel's dem tollen Jungen ein, er wolle, ehe er beim Pfalzgrafen anklopfe, den Umweg nicht scheuen und zuvor doch auch einmal der künftigen Stiefmutter guten Tag sagen. So kam er unerwartet in dem geschilderten Augenblick.

Der Vater empfing den Sohn mit furchtbar herzlichem Händedruck; er schüttelte ihm die Hand, als ob er sie zerquetschen wolle: das war das einzige mehr fühlbare als sichtbare Zeichen des jähen Zornes, der in ihm aufbrauste über den ungebetenen Gast. Magdalene aber war vergnügt wie ein Kind, daß sie auch einmal einen Sohn ihres Bräutigams sehen dürfe, begrüßte ihn aufs anmutigste und hatte ihre besondere Freude daran, daß der Bursche einen halben Kopf größer sei als sie selbst. Die Liebenswürdigkeit des Mädchens rührte und erquickte dann auch wiederum den Burggrafen, und nach einer Stunde war er seinem Sohne schon nicht mehr gram, ja er schaute mit einem gewissen väterlichen Behagen aus dem Lehnstuhle im Kaminwinkel den jungen Leuten zu, wie sie so rasch sich zu verständigen und gleich den besten alten Freunden miteinander zu plaudern wußten. Wäre Magdalene doch nur auch gegen ihn so unbefangen und zutunlich gewesen!

Am nächsten Tage bemerkte er die beiden öfters in langer, tiefer Zwiesprach versunken. »Was habt ihr denn gar so Wichtiges zu verhandeln?« fragte er den Sohn im nächsten einsamen Augenblick. Der Junge erwiderte: »Meine künftige Mutter redet wie ein Buch. Sie sagt, wenn ich jetzt Soldat werde, so geschehe das zu einer ernsten Stunde; denn obgleich wir mitten im Frieden lebten, so rieche man doch schon wieder Pulverdampf in der Luft, wie man auch wohl den Regen rieche, lange bevor die Wolke über unseren Köpfen sich entlädt. König Ludwig, so sagt sie, sinne auf einen Eroberungskrieg gegen die Holländer, und in Paris meine man, die Generalstaaten müßten sich recht darauf freuen, von dem großen Ludwig erobert zu werden. Denn die Franzosen hegten von alters her die bescheidene Ansicht, daß fremde Eroberungen zwar völkerverderbend, ihre eigenen aber völkerbeglückend seien. Nur wüßten sie noch nicht genau, wie sie's eben jetzt anfangen müßten, um Holland erobern und beglücken zu können.«

»So spricht Magdalene zu dir?« fragte der Burggraf erstaunt.

»So spricht sie! Und sie fügte hinzu, der Kurfürst von Köln sei ein schlechter Reichsfürst und seine Räte seien Spitzbuben und der Erzbischof von Münster sei um kein Haar besser; denn sie spielten allesamt unter einer Decke mit den Franzosen.«

Der Burggraf, anfangs ganz verblüfft, lachte jetzt laut auf über die kräftige Charakteristik. Dann sprach er in lehrhaftem Tone: »Es ist ein besonderer Liebreiz der Frauen, daß sie alle Dinge der Welt nach ihren persönlichen Neigungen und Gefühlen messen. Magdalene ist ein reines Kind in der Politik; dennoch schleudert sie solche Gewaltsworte wider den Kurfürsten, weil Köln in dem großen Prozesse gegen Sayn die Grafschaft als eröffnetes Mannlehen für heimgefallen erklärt und vor Jahren gar Stadt und Amt Hachenburg okkupiert hat. Der Kurfürst ist ein Rechtsfeind ihres Hauses, folglich muß er auch ein Reichsfeind sein, und zuletzt baut sich Magdalene gar ein eigenes System der europäischen Politik auf den Prozeß Köln kontra Sayn.«

Während aber der Alte kalt und spöttisch also sprach, wünschte er doch im stillen, Magdalene möge diesen Liebreiz persönlicher Neigungspolitik nicht weiterentwickeln, und er dachte dazu, sein Sohn, ihr gelehriger Schüler, wäre jetzt am besten, wo der Pfeffer wächst, und sorgte dann auch, daß Georg des anderen Morgens zum pfalzgräflichen Hofe abreiste.

Allein auch für ihn nahte die Scheidestunde. Er hatte viel süße Hoffnung auf dieses Herannahen des bitteren Augenblickes gesetzt. Sollte die Braut nicht jetzt endlich wärmer empfinden und leidenschaftlicher ihr Herz ausschütten? Das wäre so natürlich gewesen! Allein sie ward umgekehrt immer verschlossener. Doch auch dies kann wieder natürlich sein, dachte der unglückliche Burggraf; der drohende Abschied schnürt dem schüchternen Kinde das Herz zusammen!

Hätte er nicht fest gewußt, daß sie ihn liebe, daß sie aus wahrer Neigung und früher auch beredteren Mundes ihr Ja und Amen zu seiner Liebeswerbung gesprochen, er würde entweder gar nicht gegangen oder für immer gegangen sein.

Endlich hoffte er nur noch auf die eigentliche Stunde des Lebewohls: da wird ihr Gefühl plötzlich wie ein verhaltener Strom alle Dämme durchbrechen. Die Stunde kam. Magdalene blieb, wie sie gewesen, gut, freundlich, still und kühl.

»Du wirst mir jede Woche schreiben!« bat der Burggraf, als er schon den linken Fuß im Bügel hatte. – »Oder lieber alle vierzehn Tage!« flehte die kleine Hexe höchst anmutig. »Das Schreiben ward mir allezeit gar sauer, und mein Lehrer hat mir stets gesagt, ich werde es nie zu einer schönen Hand, nie zu einer ordentlichen Rechtschrift bringen.«

Der Burggraf sprengte den Schloßberg hinab, daß die Funken stoben, er sah gar nicht mehr, wie zärtlich ihm Magdalene mit dem Tuche nachwinkte; er hätte am liebsten gleich den Hals gebrochen und war wütend über sein Pferd, welches nun gerade nicht stürzen wollte.

Als Magdalene nach diesem seltsamen Abschiede in ihr Zimmer zurückgekehrt war, zeigte sie ein ganz neues Gesicht: sie löste sich förmlich auf in Schluchzen und Weinen. Wenn der Burggraf nur auch etwas davon hätte hören können! Die Mutter tröstete sie, meinte, sie solle sich den Trennungsschmerz doch nicht so gar unmäßig zu Herzen nehmen, der Bräutigam verreise ja nur auf etliche Monate, und inzwischen könnten sie denn doch von Brief zu Brief sich sagen, was ihnen von Mund zu Munde zu sprechen verwehrt sei.

»Das ist ja gerade das Unglück!« jammerte Magdalene. »Ums Sagen handelt es sich zunächst gar nicht, sondern ums Schweigen. Von Mund zu Mund schweigen ist leicht, aber von Brief zu Brief schweigen, das ist entsetzlich. Ich darf ihm nicht schreiben, höchstens jeden Monat, und dann darf ich's erst recht nicht. Er hat mir's verboten, obgleich er mich eigentlich darum bat. Es gilt jetzt keine halbe Trennung, sondern eine ganze; er muß mich verlieren, damit er sich findet; hat er sich erst einmal gefunden, dann finden wir uns auch beide wieder zusammen. Ich habe von Kind an keinen kleinen Zorn gehabt auf den Franzosenkönig, aber daß er mir jetzt gar die rechten Briefe an meinen Bräutigam unterschlägt, das werde ich ihm mein Leben lang gedenken!«

Der Mutter kamen diese widersprechenden Schmerzensrufe zwar etwas verrückt vor, allein welche liebende Braut ist nicht mitunter etwas verrückt, zumal nach einer solchen Abschiedsstunde.

Drittes Kapitel

Paris war damals ganz der Ort, wo ein Mann wie der Burggraf von Kirchberg den Gram unerwiderter Liebe vergessen konnte. Der holländische Krieg bereitete sich vor, welcher von 1672 bis 1679 das mittlere Europa erschütterte. Die Soldaten lagen zur Zeit zwar noch ruhig in ihren Garnisonen, die Diplomaten aber behaupteten, der Krieg spiele schon längst in den geheimen Schachzügen der Kabinette, ja die entscheidende Schlacht sei vielleicht bereits geschlagen, obgleich kein Mensch vorerst den Plan und Erfolg kenne als Ludwig und seine Minister. Denn nicht im Felde war dieser Fürst der unwiderstehliche Taktiker, sondern auf dem verhüllten Kampfplatze politischer Überlistung, welcher vollständig gewonnen sein mußte vor dem ersten Kanonenschuß. Für solchen Krieg im Frieden aber gelten ganz ähnliche Kunstregeln wie für den wirklichen Krieg: wer das Geheimnis seiner Macht und seiner Stellungen dem Feinde als ein unlösbares Rätsel aufgeben kann, dabei aber alle Rätsel von des Feindes Macht und Planen durchschaut, dem blüht der Sieg.

Holland, England und Schweden hatten, zum Dreimächtebund vereint, im Jahre 1668 den beschleunigten Abschluß des Aachener Friedens herbeigeführt, und solange sie fest zusammenhielten, war der Einbruch der französischen Heere in Holland eine Tollkühnheit. Ludwig XIV. aber war kein Freund von tollkühnen Streichen. Darum sorgte er, daß jener Bund wie ein Schatten in Luft zerrann, bevor die Lärmtrommel gerührt wurde zum Eroberungszuge über den Rhein. Die politischen Köpfe in Paris lächelten schon lange über die »unheilige Dreieinigkeit«, wie sie die Trippelallianz nannten, und sagten, die Dreieinigkeit der Kirche sei leicht zu behaupten und schwer zu verstehen, jene Dreieinigkeit dagegen verstehe man leicht, werde sie aber schwer behaupten können. Wie es jedoch Ludwig angefangen habe, den Bund der Gegner zu unterwühlen, das wußte zur Zeit nur eine kleine Schar von Eingeweihten; und ob es ihm gelungen sei, sich neue Verbündete zu gewinnen und zweifelhafte Mächte zur Neutralität zu bewegen, ob namentlich Kaiser Leopold und der große Kurfürst von Brandenburg Freund oder Feind der Franzosen in dem drohenden Kriege sein würden, das war eine dunkle Frage, über welche sich die gescheitesten Leute vergebens den Kopf zerbrachen.

Der Burggraf, in all seinem Denken gefesselt von dem versteckten Intrigenspiel, welches sich verwirrend vor seinen Augen spann, ohne daß er erraten konnte, wie die Fäden zusammenliefen, dazu in allen Sinnen geblendet von neuen Eindrücken, vergaß anfangs die Seelenpein über das unbräutliche Wesen seiner briefscheuen Braut.

Er beobachtete in Paris ein strenges Inkognito; denn da er nicht einmal genau wußte, wie in dieser kritischen Zeit der Kaiser zum Könige stand, so wollte er sich als ein gefürsteter Burggraf des Reiches nichts vergeben, ja er überließ es ganz dem Zufall, ob er überhaupt Versailles und die Person Ludwigs sehen werde. Bot ihm doch das politische Treiben in den Salons der Hauptstadt schon ein Schauspiel so neu und spannend, daß es reichlich der weiten Reise wert war. Inkognito heißt aber bei vornehmen Herren bloß: sie wollen erkannt und gesehen sein, wollen es aber nicht hören, daß man sie erkannt und gesehen hat. Und da der Burggraf nun so manchen alten Freund aus der höfischen Welt begrüßte, so verfolgten ihn gar bald Späheraugen genug, und ehe er sich's versah, stand er mit Hofleuten, Gesandten und Ministern in lebhaftem geselligem Verkehr.

Zwar wunderte er sich über sich selbst, daß ihm diese Leute jetzt viel gleichgültiger waren als vordem und daß ihm ihre Gespräche oft ungebührlich lang schienen, weil er lieber allein mit seinen Gedanken nach Hachenburg zu der spröden, schweigenden Braut hinübergesprochen hätte. Allein er faßte seine fünf Sinne zusammen und zeigte sich unter stillen Schmerzen als den heitersten, liebenswürdigsten Mann, und in den engeren Kreisen des Königs wurde bald von dem deutschen Burggrafen gesprochen, der so ganz im Verborgenen durch Geist, Takt und vollendete Form glänze und sich wohl nur darum hinter den Kulissen halte, damit er die Bühne um so besser ausforschen könne.

Andererseits war der arglose Burggraf in all seiner Qual denn doch wieder entzückt von den artigen französischen Kavalieren, die ihm so auffallend schöntaten, weil sie es ihm gleichsam an der Nase ansahen, daß er eine geheime politische Mission in der Tasche tragen müsse. Und jeder hätte das Geheimnis ums Leben gern zuerst ergründet und seinem Souverän entdeckt! Er mochte sich so klein machen, wie er wollte, die scharfblickenden Franzosen erkannten in ihm doch den gewichtigen Mann. Das war höchst schmeichelhaft, und es ist ganz natürlich, daß die Begeisterung des armen Burggrafen für die Franzosen, für ihren König und seine Minister und Kavaliere in eben dem Maße wuchs, als man ihn wie einen Spion ersten Ranges ausforschte.

Hätte er seine Triumphe nur wenigstens einer mitschwärmenden Seele, hätte er sie nur seiner Braut verkünden können! Wie ein Fieberkranker von Hitze und Kälte, so wurde er von einem steten Wechsel des Behagens und Mißbehagens geschüttelt. Ach, es drückte ihn nachgerade recht grausam, daß gar kein Brief von Hachenburg eintreffen wollte! Vierzehn Tage waren vergangen und noch vierzehn Tage dazu: Magdalene mußte sich wohl entsetzlich schwer mit dem Stil und der Rechtschrift abkämpfen.

Doch wenn sie nicht schreiben konnte, so verstand er es ja um so besser. Er legt ihr in einem offenen Tagebuche all seine Erlebnisse dar, er schildert die Menschen, mit welchen er verkehrt, und wird durch diese Charakterskizzen ganz von selbst ins volle Fahrwasser der Tagespolitik – getrieben. Im Schreiben geht ihm das Licht auf, daß Magdalene doch nur dann recht warm wird für ihn empfinden können, wenn sie mit teilnimmt an seinem eigensten Beruf, und er beschließt, von Paris aus sie ganz sachte einzuweihen in die Geheimnisse der Staatsweisheit.

Da kommt endlich ein Brief; unter Herzklopfen wird er mit zitternder Hand erbrochen. Die Braut entschuldigt sich nicht einmal, daß sie so lange hat warten lassen, sie seufzt nicht über die Trennung, sie sehnt sich nicht nach dem Wiedersehen, – sie erzählt von ihren Spazierritten und Stickereien, von ihren Andachtsübungen und von ihrem Mops und wirft diese und ein Dutzend anderer Dinge in leichtester Anmut durcheinander; auch ist die Schön- und Rechtschrift gar nicht so schlecht, sondern könnte vielmehr trotz mancher reizenden Schnitzer den meisten deutschen Prinzessinnen damaliger Zeit zum Muster dienen. Dem Bräutigam schnürt der Brief vollends das Herz zusammen. Fast sehnt er sich zurück nach dem politischen Widerspruch, womit ihn seine erste Frau so oft geärgert; denn aus heißer Liebe können sich ja zwei Menschen fürchterlich zanken und ärgern, aber so glatt aneinander vorbeischlüpfen können sie nicht.

Der Burggraf legt das so eifrig begonnene Tagebuch für Magdalene beiseite; er weiß selber nicht mehr, was er ihr schreiben soll. Aber er muß sich Luft machen. Darum schildert er seinem Sohne Georg Wolfgang die Macht der französischen Diplomatie und die Tüchtigkeit des französischen Heeres und schließt mit dem Wunsch, Georg möge, wenn der Krieg mit den Generalstaaten zum Ausbruch komme, ein Jahr als Freiwilliger unter Ludwigs Fahnen dienen; denn bei Turenne, Condé und Vauban lerne man jetzt allein die wahre Kriegskunst. Nicht wenige Söhne edler deutscher Häuser hätten schon bei den großen französischen Marschällen Schule gemacht, und viel mehrere würden sich auch in dem bevorstehenden Kriege wieder zur Ehre eines solchen Dienstes drängen.

Während die Briefe der Braut so furchtbar lange auf sich warten ließen, kam die Antwort des Sohnes äußerst rasch. Sie klang aus einem Tone, den der Burggraf bei dem Jungen nie gehört, und schloß mit dem Satze: Unter Ludwigs Banner zu dienen, schicke sich doch wohl schlecht für den Sohn eines deutschen Reichsfürsten, und die künftige Mutter habe es ihm in Hachenburg recht klargemacht, daß es »räsonabler« sei, für als gegen das Vaterland die Waffen zu tragen, und wenn wir auch keine Holländer seien – habe die Gräfin Magdalene in Hachenburg gesagt –, so hätte das Deutsche Reich doch den sicheren Mit- und Nachgenuß aller Schläge, welche die Generalstaaten etwa von den Franzosen kriegen würden.

»So machen's die Frauenzimmer und alle anderen Ignoranten!« rief der Burggraf, gewaltig aufgebracht. »Vor dem Kindskopfe Georg predigt Magdalene über Krieg und Frieden wie ein wirklicher Geheimerat, und mir, dem gewiegten Staatsmanne, erzählt sie ihre Kindereien!« Dann aber schrieb er einen Brief an seinen Sohn, in welchem er genau so verfuhr wie die Franzosen, wenn sie die Holländer schlagen, zugleich aber und mehr noch das Deutsche Reich treffen wollen: er las dem Sohne tüchtig den Text über seine unklaren, unreifen Gedanken, dachte aber dabei viel mehr, daß er Magdalenen den Text lese, obgleich er ihrer mit keiner Silbe erwähnte.

Übrigens kamen ihm jetzt gewichtige Zweifel, ob seine Braut denn wirklich das politische Kind sei, wofür er sie gehalten. Er entschloß sich rasch zur Probe und schickte ihr das abgebrochene Tagebuch; bei Durchlesung desselben mußte Magdalene hundertfachen Anlaß zu Beifall oder Widerspruch finden, wenn nur ein Funke politischen Geistes in ihr lebte. Die erwartete Antwort blieb wiederum entsetzlich lange ungeschrieben, und als sie kam, stand neben allerlei artigen Geschichten nur der richtige Empfang des Tagebuches angezeigt, so trocken, wie ein Kaufmann den Einlauf eines Warenballens meldet. Der Burggraf war tief beschämt. Seine Person strahlte so bedeutsam beleuchtet aus dem Berichte seiner Pariser Erlebnisse hervor, und die Braut fand keine Silbe der Bewunderung oder auch nur der Kritik; sie hatte augenfällig gar kein Verständnis für die politische Rolle, welche ihr Bräutigam in der großen Welt spielte!

Um diese Zeit speiste der Burggraf einmal bei dem Marquis d'Argenson, dem vertrauten Freunde des Ministers Pomponne. Ein auserlesener Kreis durch Stellung und Geist hervorragender Männer war geladen; der liebenswürdige Humor des Wirtes und das Feuer seiner Weine entzündete bald verwandten Humor und verwandtes Feuer in allen Köpfen. Nur der Burggraf blieb auffallend still und trocken. Wenn er so hineinhorchte in die verwirrend rechts und links sich kreuzenden Reden, dann kam ihm diese Gesellschaft so fremd vor und er sich selber so fremd, daß er sich fragen mußte, wer und wo er eigentlich sei, und dann fragte er sich wieder, ob er denn wirklich verlobt sei mit Magdalenen, und er dachte, sie könne ihr Wort doch nimmermehr zurücknehmen, da sie ihn ja so gern habe und die Verlobung als ein politisches Ereignis sogar schon im Reichspostreiter gedruckt zu lesen stehe.

Aus diesen Träumen ward der Burggraf plötzlich geweckt durch eine Bemerkung des Marquis, der mit den Tischnachbarn in Wortspielen und Epigrammen über das in aller Stille aufgelöste englisch-holländische Bündnis spöttelte. »Es gibt Verlöbnisse«, sprach er lächelnd zum Burggrafen, »die in aller Form und Feier öffentlich erklärt und in den Pariser Zeitungen wie im Reichspostreiter verkündet sind, Verlöbnisse, die mit allem Scheine vor der Welt aufrechterhalten werden und dennoch unterderhand in nichts zerrinnen; denn das Paar ist zu ungleich, der fürstliche Bräutigam zu alt und ehrwürdig und die republikanische Braut zu jugendlich naiv.«

Der Burggraf, dessen Gedanken im Augenblick in Hachenburg und nicht in England und Holland weilten, fuhr auf, verbiß die Lippen und sprach kein Wort, während die Blicke aller an ihm hafteten.

Doch faßte er sich rasch wieder, lenkte das Gespräch in jähem Sprung auf andere Dinge und warf im inneren Unmute den Tischgenossen so bittere Worte hin, daß niemand klug werden konnte aus dem bis dahin so gemessenen deutschen Fürsten.

Der Marquis aber legte sich, als er wieder allein war, den Vorfall folgendergestalt zurecht: »Der Burggraf ist vermutlich ein geheimer Sendbote des Kaisers Leopold. Der Wiener Hof ist zwar durch den Minister Lobkowitz für Frankreich gewonnen, aber der Kaiser ist ein politisch unselbständiger und eben darum unberechenbarer Mann. Wie, wenn er hinter seines Ministers Rücken wieder schwankend geworden wäre? Wenn er nun auch einmal doppeltes Spiel mit Ludwig triebe? Tatsache ist, daß der Burggraf unseren Spott über die aufgelöste Allianz Englands und der Holländer mit still kochendem Zorne angehört und dann mit Seitenhieben des tiefsten Ärgers erwidert hat. Das Feuer des Burgunders entlockte ihm diesmal seine wahre Gesinnung, die er sonst so geschickt zu verhüllen weiß. Wie, wenn dieses nicht bloß die persönliche Gesinnung des Burggrafen, sondern auch seines hohen Auftraggebers gewesen wäre, wenn der Kaiser die Freundschaft Frankreichs zwar im stillen angenommen hätte und warm hielte, zugleich aber auch im stillen für die Stärkung Hollands tätig wäre, um je nach Zeit oder Umständen bei dieser oder jener Partei seinen Vorteil zu suchen?«

Der Marquis eilte zu seinem Freunde, dem Minister Pomponne, um ihm die Vermutungen mitzuteilen. Pomponne fand die Hypothese des Marquis zwar nicht stichhaltig, allein das Schweigen und Grollen des durch den Wein entlarvten Burggrafen gab allerdings zu tieferem Nachdenken Anlaß. »Wie, wenn der Graf vielmehr in geheimer Sendung des Kurfürsten von Brandenburg nach Paris gekommen wäre?« rief der Minister und sprang vom Sessel, als gehe ihm ein helles Licht auf. Der Kurfürst Friedrich Wilhelm war von Kurköln bearbeitet worden zugunsten der französischen Angriffspolitik auf Holland, doch ohne Erfolg. Man erwartete Georg Lorenz Crocow als brandenburgischen Abgesandten in Paris, der, wie man wußte, sich von der Sachlage genauer unterrichten und auf Abwendung des drohenden Krieges hinwirken sollte. Konnte aber der Kurfürst von Brandenburg diesmal nicht dieselbe List anwenden, die Ludwig schon so oft gebraucht hatte, und jenen Crocow als ostensiblen Bevollmächtigten schicken, welchem der Burggraf mit viel größerem geheimem Vertrauen vorausgegangen war, daß er, als bloßer Privatmann beobachtend, dem Crocow erst auf die rechten Wege helfe, je nach Befund aber auch in seiner Maske eine andere Politik vertrete als jener beglaubigte Sendling öffentlich? Stand doch für den Kurfürsten Vorteil und Nachteil gleicherweise in Aussicht, mochte sich das Blatt drehen, wie es wollte. Denn als brandenburgischem Territorialherrn konnte ihm die Niederlage der Holländer nur erwünscht sein, weil die Generalstaaten seinen cleveschen und westfälischen Besitzungen stets gefährliche Nachbarn waren; als Kurfürst des Reiches dagegen mußte er den Sieg der Holländer wünschen, denn ihr Land war ein Vorwerk des Reiches gegen die Franzosen. War es da nicht klug, wenn er zwei Agenten in Paris hatte, den einen für brandenburgische Sonderpolitik, den anderen für kurfürstliche Reichspolitik?

So dachte der Minister und beschloß, das Geheimnis des Burggrafen um jeden Preis zu ergründen. Eine persönliche Begegnung wurde – wenn auch etwas mühsam – vermittelt; denn der gemarterte Bräutigam begann nachgerade leutscheu zu werden. Was liegt uns an all den fremden Menschen, die uns suchen, wenn das einzige Wesen, welches wir mit ganzem Herzen gesucht, uns so bequem entbehren kann? Die Pariser Pasteten schmeckten dem Burggrafen nicht mehr und die Pariser Diplomaten auch nicht; er sehnte sich nach einem Stück deutschen Hausbrotes und nach einem empfundenen Briefe seines deutschen Mädchens. Und dann wußte er, verzweifelnd, wieder nicht, ob er sich überhaupt noch nach diesem Mädchen und nach irgend etwas in der Welt sehnen solle. Wäre Magdalene seine erste Liebe gewesen und er selbst erst dreiundzwanzig Jahre alt, so würde er seine fünf Sinne beisammenbehalten und Kälte mit Kälte vergolten haben; allein da sie seine letzte Liebe sein sollte, so war es natürlich, daß der achtundvierzigjährige Witwer ganz und gar den Kopf verlor.

Arg zerstreut empfing er den Minister. Dieser zog, um sich recht verbindlich einzuführen, eine eben eingelaufene Depesche aus der Tasche und versicherte, daß der Burggraf der erste Mensch in Paris sei, welcher die ganz warme Neuigkeit erfahre: der schwedische Reichsrat hatte die alte Allianz mit Frankreich wieder erneuert. Der Burggraf aber sah die Depesche so gleichgültig an, als ob es der Wäschezettel seines Bedienten sei. Zum Teufel, dachte er, mit aller Korrespondenz, wenn es nicht gute Briefe von Hachenburg sind!

Pomponne staunte. Dieser Fremde, sprach er zu sich selbst, muß die trefflichsten Kundschafter besitzen; er hat das längst gewußt, womit ich ihn überraschen wollte.

Als der Minister danach die Rede auf den Kurfürsten von Brandenburg lenkte, gab der Burggraf recht verkehrte Antworten, halb aus Zerstreuung, halb aus Ärger; denn das Gespräch begann ihn bereits grausam zu langweilen. Aber gerade weil die Antworten so verkehrt waren, hielt sie der Minister für ganz besonders treffend: bald glaubte er nämlich, daß ihn der verkappte Sendling absichtlich auf falsche Fährten leite, bald, daß er noch eine ganz andere kurbrandenburgische Politik in der Tasche habe als die dem Minister amtlich bekannte.

Pomponne zitterte dann aber inwendig vor Ärger, daß aus dem Burggrafen durchaus nichts Weiteres herauszubringen war. Allein je mehr er inwendig sich ärgerte, um so artiger ward er auswendig. Er stellte dem Burggrafen alle seine Dienste zur Verfügung, er forschte höchst teilnehmend, was und wen derselbe in der Hauptstadt bereits gesehen habe und noch sehen möge, und hoffte durch das unverfänglichste Examen von der Welt solchergestalt doch irgendein mittelbares Geständnis zu entlocken. Er ließ sich's dabei recht sauer werden. Aber da das französische Kabinett zur selbigen Zeit eine ganze Schar mit schweren Beuteln Goldes und noch vollwichtigeren Wechselbriefen ausgestatteter Sendlinge an große und kleine deutsche Höfe geschickt hatte, um Potentaten und Minister von allerlei Größe in Ludwigs Netze einzufangen, so schien es doch ein billiger Handel, hier bloß Worte zu verschwenden statt klingender Münze.

Bei jenem Examen voller Fallen und Fußangeln gestand denn auch der Burggraf ganz arglos seinen lebhaften Wunsch, den großen König Ludwig einmal von Angesicht zu sehen, obgleich er sich's aus naheliegenden Gründen versagen müsse, in aller Form seine Aufwartung zu machen. Der Minister horchte auf. Gewöhnt, mit Hintergedanken zu reden, suchte er sie auch in diesem einfachen Wunsche. Frankreich selber hatte erst vor wenigen Jahren zum Staunen der diplomatischen Welt das Beispiel gegeben, wie man durch ein ganz unvorbereitetes Gespräch unter vier Augen in den wichtigsten Staatshandeln plötzlich das Eis brechen könne, welches nach herkömmlichem Geschäftsgange in Jahr und Tag nicht zu schmelzen gewesen wäre. Der französische Gesandte in Wien, Ritter Gremonville, war am Silvesterabend 1667 zu Fuß und allein, in einen großen Mantel gehüllt, beim ersten Minister des Kaisers eingetreten und hatte demselben so glatt vom Zaune weg die Vorschläge Ludwigs über die Teilung der spanischen Monarchie vorgelegt. Konnte ein gefürsteter Burggraf sich nicht in denselben Mantel der Formlosigkeit hüllen und dem Könige in drei Worten die brandenburgischen Pläne klarer entwickeln – absichtlich oder absichtslos –, als es der breiteste Notenwechsel vermocht hätte?

Der Minister stellte dem Burggrafen ein zufälliges Zusammentreffen mit dem Könige in Aussicht; der Burggraf nahm das Anerbieten äußerst lebhaft an, seine gleichgültige Miene war wie weggeblasen. Er legte sichtbar großes Gewicht auf den Vorschlag solch einer improvisierten Unterredung.

Pomponne hatte eine schlaflose Nacht über dem kühnen Plane und spann ihn so lange im Geiste weiter, bis er sich in den festen Glauben eingesponnen hatte, die Zwiesprach des Burggrafen mit dem Könige müsse ein überraschendes Geheimnis zutage fördern. Er wußte dann auch Ludwigs Neugierde so gründlich zu reizen, daß der sonst so unnahbare Herrscher zugab, der rätselhafte Burggraf dürfe ihm zu einer bestimmten Stunde im Garten von Versailles begegnen als ein Fremder, der von ungefähr des Weges gekommen sei.

Viertes Kapitel

Der Minister fuhr mit dem Burggrafen nach Versailles und zeigte ihm den neuen Prachtbau. In einer Allee, wo sich eine besonders lockende Ansicht bietet, verweilen die beiden längere Zeit; da kreuzt ein einsamer Spaziergänger den Weg, – es ist der König. Er redet den Minister an. Dieser bittet um die Erlaubnis, den Herrn Georg Ludwig, des Reiches gefürsteten Burggrafen zu Kirchberg und Herrn zu Farnrode, Sr. Majestät vorstellen zu dürfen, und während der König ein artiges Gespräch mit dem Grafen anknüpft, zieht sich der Minister unvermerkt in den Hintergrund zurück.

Das nennt man in der Hofsprache eine »zufällige Begegnung«: ein jeder weiß, daß er dem anderen begegnen werde und daß der andere auch ihm zu begegnen beabsichtigt, beide aber stellen sich höchst überrascht, daß sie einander begegnet sind.

Keinem gelang jedoch diesmal diese Komödie der Überraschung natürlicher als dem Burggrafen; denn da er wieder drei Wochen lang vergebens auf Hachenburger Briefe gelauert, so dachte er im Augenblick gar nicht an den allerchristlichsten König, der pünktlich zur Stelle eintraf, sondern an die unchristliche Magdalene, deren Briefe niemals pünktlich eintreffen wollten. Fast zur selben Minute aber gewann er auch wieder seine volle Geistesgegenwart und stand als fertiger Hofmann jenem Musterfürsten höfischen Wesens gegenüber. Seine Haltung war korrekt, nichts weiter, und zwar wiederum aus dem geheimen Grunde, weil Magdalenens Briefe bloß korrekt waren und nichts weiter. Ich meine, der Burggraf war nun nicht mehr zerstreut, er tat nichts Ungeschicktes, wie wenn er bei der Verbeugung über seinen eigenen Degen gestolpert wäre oder mit dem Hut auch die Perücke vom Kopf gezogen hätte, allein es fehlte die geniale Spannkraft, jenes Feuer, welches im Auge glänzt, im Worte schimmert, welches uns den Meister der geselligen Form auch im zeremoniös gefesselten, gleichgültigsten Gespräche anziehend erscheinen läßt.

Ludwigs Adlerblick erkannte sofort diesen Mangel: man hatte ihm den deutschen Grafen als einen bezaubernd feinen und geistvollen Menschen geschildert, und vor ihm stand ein gewöhnlicher schnurgerechter Kavalier. Fast unbewußt stimmte darum der König den herzgewinnenden Ton, in welchem er begonnen, ein wenig herab, und da ihm bald der Geduldfaden riß, mit einem gleichgültigen Menschen über gleichgültige Dinge zu reden, so hielt er eine Weile an, als erwarte er eine Eröffnung aus dem Munde des Burggrafen.

Dieser aber harrte gleichfalls schweigend. So sprach denn Ludwig zuletzt in kaum merklich heftigem, aber raschem, halblautem Tone: »Zur Sache, Herr Burggraf! Was habt Ihr mir mitzuteilen?«

Der Angeredete schaute fragend auf, sich betroffen besinnend.

»Ihr kommt von Berlin?« fuhr der König drängend fort.

Der Burggraf sammelte sich und erwiderte mit großer Ruhe auf die hastig herausgestoßene Frage: »Sire! ich habe Berlin niemals gesehen und kam vor Monaten von Hachenburg und Farnrode.«

Ludwig lächelte verächtlich über die beiden obskuren Namen, von denen er den ersten nicht nachsprechen konnte und den anderen heute zum erstenmal hörte. »Aber Ihr seid ein Freund des Kurfürsten von Brandenburg? Ihr habt Briefe von ihm?«

»Hier waltet ein Irrtum, Sire!« entgegnete der Burggraf gemessen. »Der Kurfürst von Brandenburg hat mich nie mit seiner Freundschaft oder mit Briefen beehrt.«

»Aber was sucht Ihr denn hier? Was bringt Ihr uns? Was habt Ihr uns unter vier Augen zu melden?« fragte Ludwig, in steigender Ungeduld die Situation vergessend.

»Sire! Wir sind uns zufällig begegnet!« erwiderte der Burggraf kalt und nachdrucksvoll.

Mit diesem kurzen Worte war der König geschlagen; er stand da wie ein Fechter, der im unruhigen Ausfallen sich zu decken vergessen hat, der Klinge des Gegners preisgegeben.

Der Burggraf aber fand jetzt völlig sich selbst wieder, und als ob keine Magdalene und keine ungeschriebenen Briefe auf der Welt seien, sprach er stolz und fest: »Hätte ich eine Botschaft an Eure Majestät, so könnte ich sie meinem Range gemäß nur in förmlicher Audienz mitteilen. Ein deutscher Reichsfürst gibt sich nicht zum verkappten Zwischenträger her. Ich weile in niemandes Auftrage zu Paris, sondern lediglich als ein unabhängiger Privatmann, dem es allerdings zum belehrenden Genusse gereicht, das glorreiche Walten Eurer Majestät aus solch unmittelbarer Nähe schauen und bewundern zu können.«

Jetzt wußte Ludwig genug: diese Worte sprachen reine Wahrheit, er hatte es mit keiner Maske zu tun. Er warf einen bitterbösen Blick rückwärts, aber Pomponne war verschwunden. Pomponne hatte sich getäuscht – das erkannte der König auf der Stelle –, und wie beschämend für den erhabenen Herrscher würde diese Szene geendet haben, wenn er ebenso unvorsichtig vorgegangen wäre wie sein Minister! Die kleinen deutschen Reichsfürsten achtete Ludwig ohnehin gering und hätschelte sie nur, wenn er sie brauchen konnte; er hätte diesen Burggrafen zertreten mögen, um deswillen er sich für nichts und wieder nichts zu dieser Begegnung herabgelassen hatte.

Der Burggraf hingegen beobachtete während der langen Pause peinlichen Schweigens gleichfalls gar wohl, welche innere Aufregung hinter den würdevoll kalten Zügen des Königs spielte; er vergaß im Augenblicke seine Magdalene ganz und gar und war also auch wieder ganz der scharfblickende Weltmann, welcher er vor dieser unseligen Pariser Reise immer gewesen. Wie eine erleuchtende Ohrfeige fuhr ihm der Gedanke durch den Kopf, daß der König ihm wahrlich doch nicht darum in der Allee entgegengegangen sei, damit der Burggraf von Kirchberg Ludwig XIV. und Ludwig den Burggrafen von vorn und hinten ansehen und einer mit dem anderen vom Wetter sprechen könne. Er zitterte vor Scham über seine eitle Einbildung und vor noch größerer Scham darüber, daß man ihm augenfällig eine Rolle zugetraut, über welche er sich nach seiner sittlichen und gesellschaftlichen Würde hoch erhaben fühlte.

Ludwig XIV. war aber nicht bloß der durchtriebene Despot neuen Stiles, er war zugleich der letzte Ritter aus einer vergangenen Zeit. Als Ritter deckte er darum jetzt die Blöße, welche sich der lauernde Despot gegeben. »Wir sind uns zufällig begegnet, Herr Burggraf!« wiederholte er mit gesteigertem Nachdruck und ironischem Lächeln, »und was ich gesucht bei diesem erwarteten Zufalle, das habe ich gefunden. Es war mir ein Rätsel, wodurch Ihr, ein bereits von der Anekdote und Sage der Gesellschaft reich verherrlichter Held, meinen Hof seit Wochen in Entzücken, mein Kabinett in Zweifel und Verwirrung setzen konntet. Ich habe es jetzt gelöst: weil Ihr ein so vollkommener Edelmann seid und doch zugleich noch mehr als dies, ein so vollkommener Mann! Andere verblenden durch die Lüge ihrer Natur, Ihr habt durch die Wahrheit Eurer Natur meine Leute verblendet. Wir sind uns heute zufällig begegnet: doppelt wünsche ich nun, Euch an meinem Hofe öffentlich empfangen zu können.«

Mit diesen Worten entfernte sich der König.

Der Burggraf hätte sich geschmeichelt gefühlt, wäre er nicht zu verblüfft darüber gewesen, daß der König so schön und ritterlich zu lügen verstand. Dem Minister ging er aus dem Wege und fuhr in einer Mietkutsche zur Stadt zurück.

Pomponne aber hatte keinen guten Tag nach dieser »zufälligen Begegnung«; er mußte den ganzen Zorn des getäuschten Fürsten auf seinen Rücken nehmen und war herzlich froh, daß sich der deutsche Graf auf französisch empfohlen hatte. Im Grunde aber war es schwer zu entscheiden, wer sich an diesem Tage am tiefsten beschämt gefühlt und über sich und die anderen geärgert habe, ob der König oder der Burggraf oder der Minister.

Zur klarsten Selbsterkenntnis gelangte freilich unser Burggraf. Mit Schrecken gingen ihm die Augen auf über die klägliche und zweideutige Rolle, welche er unbewußt bisher in Paris gespielt. Allein wie es menschlicherweise zu gehen pflegt: auf die beiden Hauptunheilstifter, auf Magdalene und sich selbst, warf er den kleineren Zorn, den größten dagegen auf die Franzosen, ihren König und Premierminister an der Spitze. Denn am unleidlichsten sind uns immer diejenigen Leute, vor welchen wir uns schämen müssen.

Pomponne befand sich aber in gleicher Lage angesichts des Burggrafen, und also war es kein Wunder, daß er nunmehr den rätselhaften Fremden als einen ungeschickten, verdächtigen, dem Könige mißliebigen Menschen in den Hofkreisen darzustellen wußte, was um so leichter gelang, da der König trotz seiner ritterlichen Einladung keine weitere Notiz von dem Burggrafen nahm wie auch der Burggraf vom Könige: beide wiederum aus dem gleichen menschlichen Grunde der gegenseitigen Beschämung.

So sah sich der Burggraf mit einemmal aufs trockene gesetzt, von seinen früheren Freunden und Schmeichlern verlassen, und wo er ihnen ja begegnete, da war er selber so kurz angebunden, daß keiner mit ihm etwas länger anzubinden sich verpflichtet fand.

Ganz Paris und Frankreich war dem Burggrafen versalzen, und er wäre am liebsten gleich nach Hachenburg zurückgereist, um sofort zu erfahren, ob seine Rolle als Bräutigam nicht ein gleich beschämendes Ende nehmen müsse wie seine Rolle als beobachtender Politiker. Allein andererseits schämte er sich auch, so gar geschwind wieder heimzukommen und den wahren Grund der verfrühten Heimkehr zu bekennen. Und also blieb er grollend vorderhand noch, wo er war.

Da berichtete ihm eines Tages sein Bedienter, er habe Verdacht, daß die Hachenburger Briefe des gnädigen Herrn einen Mitleser an der Pariser Polizei gefunden hätten. Der Burggraf begehrte die Gründe dieses Verdachtes; der Bediente aber wollte nicht weiter heraus mit der Sprache, denn er fürchtete Prügel zu bekommen für seine Gründe. Als ihm jedoch sein Herr versicherte, daß er durchaus nicht böse werden, ja ihm einen Louisdor schenken wolle, wenn er alles frischweg, lückenlos und wahrheitsgetreu erzähle, so begann der Diener:

»Ich komme an freien Abenden öfters mit anderen Bedienten von Distinktion zusammen; ein Lakai des Polizeiministers, ein Kutscher Pomponnes, ein Küchenjunge des Erzbischofs, ja sogar ein königlicher Frottierer sind mit von der Gesellschaft. Diese Leute reden von Euer gräflichen Gnaden, als ob Sie geradezu vom Könige verungnadet seien und als sage Ihnen der Hof nur noch mit dem Rücken guten Tag. Meine Widerrede hilft nichts; der Küchenjunge schlug mich mit Tatsachen, wofür ich ihm aber eine Ohrfeige gab, welches auch eine Tatsache ist. Über den letzten Grund der Ungnade herrschten anfangs geteilte Stimmen. Der Lakai des Polizeiministers jedoch hat zuletzt den Hergang so klargelegt, daß die ganze Gesellschaft überzeugt war, sogar der Frottierer, der den Boden wichst, über welchen die Füße Seiner allerchristlichsten Majestät schreiten, daher er immer alles am besten wissen will. Es ist die Liebe, sagte der Lakai, die den Burggrafen gestürzt hat. So ein Deutscher, sagte er, liebt nämlich ganz anders wie ein Franzose; ist er verliebt, so ist er's überall, im Essen und Trinken, in Rock und Kamisol, ja sogar in der Politik. Ein Franzose dagegen ist bloß verliebt bei seinem Mädchen, bei allen anderen Dingen merkt ihm kein Mensch weiter die Liebe an. Nun hat der Burggraf eine Braut im Reich, die ihm mitunter einen Brief schreibt, er selbst aber schreibt ihr sechse für einen. Das mag auch so deutsche Art sein. Die Liebe zu dieser Braut aber ist ihm in die Politik hineingewachsen, und das bewirkte seinen Fall. Die Familie der Braut nämlich liegt in einem alten Rechtsstreite mit Kurköln, und mein Herr sagt darum, das Mädchen sei eine persönlich ebenso anmutige als lehensrechtlich interessante Partie. Folgerecht haßt dann weiter die Braut den Kurfürsten von Köln, Seiner Majestät getreusten Alliierten, und wiederum folgerecht konspiriert der Bräutigam gegen den Kölner, erforscht dessen geheime Schliche und verrät sie in den dicken Briefen nach Hachenburg an die Gegner des Königs und des Kölners im Reiche. Wäre der Burggraf der Politik des Vorteils gefolgt wie ein Franzose statt der Politik der Liebe wie ein Deutscher, so hätte er in Paris Gold und Macht gewonnen, daß er zehn alte Prozesse am Reichskammergericht hätte auskaufen können. Nun aber haben ihn die Hachenburger Briefe gestürzt, und der König zeigte ihm im Garten zu Versailles eine Visitenkarte, die sah aus wie ein Verhaftsbefehl. So sprach der Lakai des Polizeiministers.«

Der Burggraf bemerkte dem Bedienten, er habe ihm nun für einen Louisdor Grobheiten genug gesagt, gab ihm das Gold und befahl, ohne Verzug die Koffer zu packen.

Nicht, daß er vor der Pariser Polizei geflohen wäre, weil sie so genau gezählt hatte, wieviel Briefe er nach Hachenburg schrieb und wie wenige er von dort empfing: er floh vielmehr vor der Abendgesellschaft distinguierter Bedienten. Denn im Nachplaudern und Nachäffen der Gespräche, welche diese Gesellen bei ihren Herren erlauscht, trat ihm eine so vernichtende Parodie des Klatsches und des Intrigenspieles der französischen Hofkreise entgegen, daß er nun erst, wo er seine Person in dieses Zerrbild verwebt sah, klar erkannte, welch eine häßliche Fratze jene feine Gesellschaft auch bereits im Urbilde sei. Es war ihm geradezu ein Ideal seines bisherigen Lebens vernichtet. Dazu kam noch etwas anderes: die Beweisführung des Lakaien hatte ihn tief getroffen. Sie war ja an sich ganz falsch, denn die Familieninteressen der Braut dienten ihm keineswegs zur politischen Richtschnur. Aber der Vordersatz war impertinent richtig: wenn ein Deutscher einmal verliebt ist, so ist er's gleich überall. Die Liebe hatte ihn blind und stumpf gemacht für alle Menschen und Dinge, welche ihn umgaben; er ahnte, daß er als Staatsmann nicht wieder sehend würde, bevor er nicht von Grund aus erforscht, wie es um seine Liebe stehe; und nicht durch die Briefe, welche er geschrieben, wie die französischen Späher meinten, sondern durch die ungeschriebenen Briefe seiner Braut war er bei den Pariser Höflingen in Acht und Bann geraten.

Darum ließ er jetzt so geschwind die Koffer packen und eilte zur Heimat, beschämt, erzürnt, atemlos gespannt, in bangester Erwartung.

Fünftes Kapitel

Der Weg von Paris nach Hachenburg war damals noch weit, also hatte der Burggraf Zeit genug nachzudenken, wie er seine Braut begrüßen und wie er's erproben solle, ob sie denn wirklich noch seine Braut sei – nicht bloß vor Zeugen und laut dem Artikel des Reichspostreiters, sondern auch im Herzen ihm verlobt. Da er aber in der letzten Zeit seines Pariser Aufenthaltes wieder völlig zu Verstand gekommen war, so fand er leicht das rechte Gesicht und den rechten Ton, womit er Magdalenen frei und sicher gegenübertrat.

Unangemeldet, dabei so ruhig und unbefangen, als komme er von einem kleinen Spaziergange, stand er eines Abends im Hachenburger Schloßgarten vor der Braut und ihrer Mutter, die dort in einer Laube beisammen saßen. Er grüßte recht artig, und Mutter und Tochter hätten den Willkomm, welchen sie erhielten, miteinander auswechseln können, so hätte eine jede nachher ebensoviel gehabt als vorher.

Magdalene war überrascht, erschreckt, erfreut, sie zitterte, ward rot, ihr Auge glänzte und schwamm; es war, als ob sie sich entsetze beim Anblick des aus dem Boden gewachsenen Bräutigams und als falle ihr doch zugleich auch wieder ein rechter Stein vom Herzen. Der Burggraf machte keine Umstände, nahm Platz bei den Frauen und begann zu erzählen wie einer, der eine große Reise getan, von sich und seinen Erlebnissen. Er erklärte kurzweg, daß er so früh wiederkomme, weil es ihm in Paris gar nicht mehr gefalle, schilderte den Wirrwarr der politischen Intrigen, in welchem für einen ehrlichen deutschen Burggrafen gar kein schicklicher Platz mehr sei, und gab ein ergötzliches Bild seiner zufälligen Begegnung mit dem Könige, der den großen König so trefflich spiele, daß man fast glauben könne, er sei es wirklich.

Das alles aber berichtete er so fein durchdacht und gegenständlich, als ob er's in einem Abendzirkel von geistreichen Damen und Herren vortrage, denen er sich selbst als der geistreichste zu zeigen beflissen sei. Magdalene, die mit Aug' und Ohr an dem Erzähler hing, mußte sich wiederholt besinnen, der geistvolle Herr sei ja ihr Bräutigam, den sie kaum nach langer Trennung wieder begrüßt; sie aber glühte innerlich und im Gesichte wie im Fieber bei den schönen kühlen Worten, ihre Hände waren eiskalt, und die Tränen liefen ihr mitunter aus den Wimpern, obgleich da doch eigentlich gar nichts zu weinen, sondern vielmehr zu lachen gewesen wäre; denn der Burggraf sparte auch den Humor nicht und den Spott gegen sich und andere, was man an dem würdevoll gesetzten Herrn sonst kaum gewohnt war.

Kurzum, die Rollen schienen stracks vertauscht: die frühere Liebesglut des Bräutigams war in die Braut, die frühere Kühle der Braut in den Bräutigam gefahren.

Als aber der Burggraf mit so ätzender Kritik den französischen König und das Getreibe seines Hofes und Kabinettes dargestellt, konnte sich Magdalene nicht zurückhalten und drückte ihm warm die Hand, und als er geendet, fiel sie ihm weinend um den Hals, und der Mann hätte von Stein sein müssen, wenn er jetzt nicht sein diplomatisches Gesicht vergessen und feuchten Auges gefragt hätte, warum sie denn in solchen Sturm der Empfindung ausbreche.

»Ich kann es ja nicht sagen!« rief Magdalene. »Es sind die vielen ungesprochenen Worte, die vielen ungeschriebenen Briefe, die sich alle jetzt mit Gewalt hervordrängen. Gottlob, daß du mir heute die Sprache zurückgegeben hast; jetzt kann ich wieder reden und schreiben, soviel du nur willst.«

Und nachdem sie etwas ruhiger geworden, erzählte dann Magdalene, wie sie ihn allezeit gleich warm und treu geliebt, aber sie habe in einem Starrkrampfe des Gemütes gelegen, daß sie kein Zeichen ihres innersten Lebens habe von sich geben können. Das mache die leidige Politik. »Ich verstehe nichts von Staatshändeln«, fuhr sie fort, »und muß schweigen, wo du von solchen Dingen redest. Aber ich fühle doch wenigstens die Schmach, welche unserem Lande droht, und die Ehren, welche es gewinnen könnte. Mir schauderte vor deiner Bewunderung des Franzosenkönigs, und doch fürchtete ich mich, dir's zu sagen. Ich schwieg von aller Politik, wo ich im Wortgefechte doch sofort von dir geschlagen worden wäre. Als du aber vollends nach Paris gehen wolltest, da war es mir, als eiltest du in einen offenen Abgrund. Ich hätte dich zurückhalten mögen und konnte doch nicht; ich wußte, daß Widerspruch dich nur um so starrköpfiger machen würde. Ich war hilflos. Ich hätte dir Paris entleiden mögen, als sei es Sodom und Gomorra. Da dachte ich: liebt er mich so heiß, wie ich dessen gewiß bin, so muß ihm dieses Paris in den Tod zuwider werden, wenn es ihn von mir und meiner Liebe trennt. Er hält es nicht lange aus unter den Franzosen, wofern ich nicht täglich in meinen Briefen bei ihm bin; der blaue Himmel wird ihm grau erscheinen und die bezauberndsten Männer und Frauen langweilig und der gewaltige König Ludwig selbst ein ganz gewöhnlicher schwacher Mensch, wenn er nur aschgraue, langweilige und gewöhnliche Briefe von Hachenburg erhält. Das war wohl recht anmaßlich gedacht, allein ich wußte ja, daß es auch mir im gleichen Falle geradeso ergangen sei.

Oft fragte ich mich auch, ob ich da nicht ein durchdachtes Spiel treibe, unwürdig einer Braut. Allein dann sagte mir mein Gewissen, dieses Spiel sei Wahrheit, und wenn ich dir fort und fort Liebe vorgeschwärmt hätte, so sei dies vielmehr ein Spiel gewesen. Ich tröstete mich, daß ich die ungeschriebenen Briefe schon zur rechten Zeit nachsenden würde: jetzt sollst du sie alle haben! Ich setzte das Glück meines Lebens ein: dieser höchste Einsatz zeigt, daß das Spiel mehr als Spiel war. Jetzt wirst du meine Verzweiflung begreifen, ob meine Briefe auch in stichhaltiger Rechtschrift abgefaßt seien: ich dachte dabei ja nicht an die geschriebenen, sondern an die ungeschriebenen Briefe!

Mit Georg Wolfgang konnte ich über Krieg und Frieden reden, wie mir ums Herz war; denn der Jüngling erfaßte die Politik mit dem Herzen, ganz wie unsereins. Nicht weil der Feind unseres Hauses mit dem Franzosen geht, bin ich dem Franzosen feind, sondern weil des Franzosenkönigs Treiben meiner mädchenhaften Empfindung unrein deucht und verderblich fürs Deutsche Reich. Ich kann das nicht näher erklären, sowenig, als warum ich Ludwigs jungem Gegner zujauchze, dem Prinzen Wilhelm von Oranien. Die kunstreich verstrickten Querzüge von Ludwigs Politik versteht ein Mädchen nicht. Aber wenn Wilhelm, verlassen von allen Verbündeten, erklärt, er werde, wann er den letzten Fuß seines Landes gegen Ludwig vergebens verteidigt habe, mit dem Volk sich auf die Schiffe werfen, um jenseits des Weltmeers in einem neuen Amsterdam, einem neuen Holland, einer neuen Freistatt der Freiheit frei noch leben und sterben zu können, so versteht das auch ein Mädchen, und doppelt wird die deutsche Fürstentochter solche Worte eines deutschen Prinzen heilig halten!«

Dies war der erste der ungeschriebenen Briefe, welchen Magdalene ihrem Bräutigam mitteilte.

Glückselig, daß er seine Braut wiedergewonnen, die er schon fast verloren geglaubt, drückte dieser die begeisterte Jungfrau an sein Herz. Wie ein Blitz durchzuckte ihn aber zugleich die Ahnung, daß es eine Staatsweisheit gebe, die nicht bloß aus dem Verstande, sondern auch aus der Begeisterung des Herzens geboren werde, geweihet von der Liebe zum Vaterlande, welche Frauen und Jünglinge wohl gewaltiger empfinden möchten als der gewiegteste Diplomat. Er ahnte es im Rausch dieser Liebesstunde, denn dem nüchternen Geiste seiner Zeit und Schule lagen solche Gedanken noch zu fern, als daß er sie anders denn eine Weissagung hätte ahnen können. Von einer so schönen Prophetin aber wie Magdalene läßt man sich gerne weissagen, und während die wohlgemeinten Predigten der verständigen ersten Frau den Burggrafen nur starrer gemacht im Widerspruch, weckten und nährten die ungeschriebenen Briefe dieses »politischen Kindes« dauernd seinen deutschen Geist.

Es verdient wohl der Vergessenheit entrissen zu werden, daß in einer Zeit, wo verderbte Frauen so viel Unheil in der Politik stifteten, jene edle Erbgräfin von Sayn so tapfer für eine patriotische Politik gekämpft hat, und zwar mit der schärfsten Waffe eines liebenswürdigen Weibes: – indem sie unter Schmerzen zu schweigen wußte.


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