Wilhelm Heinrich Riehl
Durch tausend Jahre – Zweiter Band
Wilhelm Heinrich Riehl

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Die Hochschule der Demut

1866

Im Jahre 1683 zog ein junger Franziskaner, der Pater Bonaventura, terminierend durch die sogenannte Pfaffengasse, das kurmainzische und kurtrierische Rheintal, und predigte dabei sehr erbaulich unter ungeheurem Volkszulauf. Seine Reden waren kurz, frisch, derb, voll Mutterwitz und handgreiflicher Lebensklugheit. Die berühmteste derselben, eine Ehestandspredigt, gefiel seinen Zuhörern so gut und ihm selbst noch so viel besser, daß er sie gar nicht oft genug wiederholen konnte. Er zeigte in dieser Predigt klar, wie Ehegatten durch Milde und Demut einander tragen und bessern müßten, und erzählte dann zum Schlusse allemal eine altbekannte Geschichte, welche doch immer wieder aufs neue rührte und ergriff.

Meine Leser werden diese Geschichte in jungen Jahren vermutlich auch schon einmal gelesen haben in irgendwelchem moralischen Anekdotenbuche. Allein ich kann's ihnen nicht schenken, daß sie dieselbe hier vorerst noch einmal lesen; sie ist ganz kurz, und aus der alten kurzen Geschichte wächst dann eine neue lange hervor wie Halm und Ähre aus dem Saatkorn.

Der Franziskaner also beschloß seine Ehestandspredigt jederzeit mit folgenden Worten: »Ein leichtsinniger Maurermeister«, so erzählte er, »ein Trunkenbold, hatte ein frommes, junges Weib; sie konnte ihn aber nicht vom Trunke bekehren, und böse Gesellen rissen ihn immer tiefer hinab in den Schlamm der wüstesten Schlemmerei, et dissipavit substantiam suam, vivens profuse: und er brachte sein Gut um mit Prassen. Einstmals hatte der Meister bis Mitternacht im Adler gezecht, und als ihn der Knecht des Wirtes vor die Türe geworfen, zog er mit all den trunkenen Genossen in sein Haus und befahl der Frau, die ihn schon lange in Gram und Kummer erwartete, daß sie Wein heraufhole und die Gläser fülle und wieder fülle als das flinkste Schenkmädchen, und wehe ihr, wenn je ein Glas leer bleibe. Der Frau wollte das Herz brechen; dennoch tat sie, wie der Mann befohlen – mulieres propiis viris subditae estote: ihr Weiber seid Untertan euren Männern! –, holte den letzten Krug, den sie schon lange aufgespart, füllte die Gläser und verbiß die Tränen, so daß nicht ein Tropfen in das Glas fiel, welches sie zitternd dem Manne darreichte. Als dieser aber sah, wie die Frau pünktlich tat, was er geboten, und nicht einmal in einer Miene die Höllenqual solchen Dienstes sich merken ließ, da erwachte er und erkannte in dem demütigen Gehorsam ihre Liebe und den Adel ihrer Seele, und zugleich schüttelte ihn tiefes Grausen vor seiner eigenen Herzenshärtigkeit, und die Frau mit dem Weinkruge und dem kummervollen sanften Auge erschien ihm wie der dritte Engel des Gerichtes, welcher spricht: bibes de vino irae Dei, mixto mero in calice irae ipsius – du wirst von dem Weine des Zornes Gottes trinken, der beigemischet ist dem lauteren Wein im Kelche seines Zornes! Er ward plötzlich stille, trank nicht mehr und bot den staunenden Genossen einen kalten Abschied. Als sie gegangen, fiel er der Frau um den Hals, bat sie um Verzeihung – peccavi in coelum et coram te: ich habe gesündiget in dem Himmel und vor dir – und gelobte ein neues Leben. So geschah es auch; er ward von Stund an ein besserer Mann. Durch Demut soll ein Gatte den anderen besiegen und durch Liebe und Milde des anderen Sünden richten: Beati mites, quoniam ipsi haereditabunt terram – selig sind die Sanftmütigen, denn sie werden das Erdreich ererben.«

Nach diesen Worten hielt der Franziskaner jedesmal einen Augenblick stille, schaute sich im Kreise seiner Hörer um und fuhr dann fort: »Ich habe euch diese Geschichte schon oft erzählt, und ihr fraget wohl, warum ich sie immer wieder erzähle. Einfach deshalb, weil ich keine bessere weiß. Erlebt einer von euch aber selber eine bessere Geschichte, daß ein Ehegatte noch Härteres beim anderen in Liebe getragen und durch Demut besiegt habe, so erzählet sie mir: ich werde euch dann mit der neuen Geschichte erbauen statt mit dieser alten. Amen.«

Es kam aber keine bessere, und der Franziskaner blieb immer bei der alten Geschichte.

Erstes Kapitel

Als der Franziskaner wieder einmal in Lorch am Rhein seine Ehestandspredigt hielt und die bekannte Geschichte vortrug, hörte ihm der Fuhrmann Peter Rambold aus Bacharach besonders achtsam zu; denn er wollte nächster Tage Hochzeit halten in Lorch mit der achtzehnjährigen Kätchen Rehm, »des verstorbenen Bürgers und Schultheißen Johannes Evangelist Rehm ehelich lediger Tochter«, wie es im Aufgebot hieß. Für diese Ehe hätte es aber eigentlich gar keiner Predigt bedurft, so zwei erlesene Leute fanden sich hier zusammen.

Rambold war ein gottesfürchtiger, gutgearteter Mann, rührig und treu in seinem Geschäft, daß ihm die Kaufherren tausend Gulden so sorglos anvertrauten wie einen Heller, dazu wohlhabend; er nannte ein Haus mit schönen Weinbergen und zehn Pferden sein freies Eigentum.

Kätchen Rehm war noch viel reicherer Leute einziges Kind, und da ihre Eltern frühe starben, so hatte man sie in einem benachbarten Klarissinnenkloster erzogen; denn Lorch war kein gemeines Bauerndorf, sondern ein »Flecken«, und die Lorcher Bürger ließen ihre Kinder nicht nach der Überhöher Bauern Art unter Schweinen und Gänsen aufwachsen. Im Kloster war Kätchen gar fein und fromm geworden, konnte lesen, schreiben und sticken wie eine Nonne, auch allerlei bunte Spielereien von Pappendeckel und Goldpapier machen, was man Klosterarbeit nennt, wußte nichts von der Welt und ihrer Schlechtigkeit und hatte ein Gesicht bekommen so zart und weiß und Finger so spitz und zierlich wie ein Fräulein, fast zu zart und zierlich für eine künftige Fuhrmannsfrau.

Die Eltern hatten schon frühzeitig vorbestimmt, daß Kätchen einmal den Peter Rambold, seinen »Andergeschwisterkindsvetter« – kein ehehindernder Verwandtschaftsgrad – heiraten solle, und sterbend dem dereinstigen Bunde ihren Segen hinterlassen. So war Kätchen schon Braut, als sie aus dem Kloster kam, und es dünkte ihr damals fast sündlich, eine Braut zu sein; denn sie konnte sich ein gerechtes Leben nur denken innerhalb des zweiten Ordens des heiligen Franziskus und der heiligen Klara von Assisi und geleitet von Konventualen des ersten Ordens jenes Heiligen, welche in dem Klarissinnenkloster die geistliche Oberaufsicht geführt hatten. Daß sie sich statt solcher Konventualen nun von einem Fuhrmann solle leiten lassen, kam ihr anfangs ganz entsetzlich vor.

Allein sie war kaum einige Wochen wieder in Lorch, so wurden ihre blassen Wangen zusehends wieder so rot wie bei den übrigen Lorcher Mädchen, und der bekannte frische Wind, welcher dort vom Wispertale zum Rhein herausbläst, fegte ihr viele Klostergedanken aus dem Kopf, und da man ihr von allen Seiten Glück wünschte, so ward sie doch nachgerade recht neugierig auf den Ehestand, und es kam ihr zuletzt ganz natürlich vor, daß sie sich auf die Hochzeit freue wie andere Bräute.

Am 15. Oktober 1683 wurden die beiden in der Lorcher Pfarrkirche vom Priester verbunden. Jedermann pries das schöne, tugendsame Paar; die jungen Männer beneideten den Bräutigam und die Mädchen die Braut; Peter und Kätchen aber hätten heute den römischen Kaiser selbst nicht beneidet, geschweige denn einen Menschen aus Lorch oder der Umgegend.

Nach der Trauung ging der Zug der Gäste von der Kirche zum Wirtshause, wo das Hochzeitsmahl gerüstet ward; nur die beiden Brautleute blieben nach einem schönen alten Brauche allein auf dem Kirchhofe zurück und schritten Arm in Arm hinter dem Chor der Kirche zu den Gräbern von Kätchens Eltern, die heute mit den schönsten Herbstblumen frisch geschmückt waren. Denn weil man die Verstorbenen nicht zur Hochzeit laden kann, so besucht das Kind die toten Eltern auf seinen Ehrentag am Grabe, und weil es ihnen an diesem Tage sonst nichts Liebes und Gutes mehr zu erweisen vermag, so betete es, mit dem eben angetrauten Manne vereint, etliche Vaterunser als ebenso viele Tropfen kühlenden Wassers, welche es den noch etwa im Fegefeuer dürstenden armen Seelen hinabsendet.

Kätchen betete ungewöhnlich lange und stand, nachdem sie geendet, noch eine Weile in tiefen Gedanken, deren Kampf man leise durch ihre lieblichen Züge zucken sah.

Dann ward sie, bis dahin leichenblaß, plötzlich von glühendem Rot übergossen, faßte den Peter bei der Hand und sprach: »Ich kann in dieser Stunde nicht vom Grabe meiner Eltern gehen, ohne dir ein Geständnis zu machen. Der Wunsch meines seligen Vaters ist nun erfüllt: ich habe dich geheiratet, und das war auch mein Wunsch, nämlich sofern ich niemals gedacht habe, daß ich einen anderen heiraten könne als dich, und habe dich auch immer liebgehabt, wie man seinen vom Vater vorbestimmten Bräutigam liebhaben soll. Allein was eigentlich heiraten heißt, das ist mir doch erst heute am Hochzeitsmorgen ganz klar geworden, und indem mir's drinnen am Altar und hier am Grabe immer schwerer aufs Herz fiel, wie kettenfest das Sakrament der heiligen Ehe bindet, entdeckte ich auch, daß ich dich bis daher doch nicht so ausschließend liebgehabt habe, als es von Gottes und Rechts wegen sein soll. Ich trage da etwas ganz Besonderes im Herzen und habe mich geschämt, dir's zu gestehen, weil mir's zu einfältig, und aber auch gefürchtet, weil mir's zu ernsthaft dünkte. Jetzt muß es heraus!« Sie stockte, doch ein freundlicher Blick Peters gab ihr neuen Mut. Also flüsterte sie ganz leise:

»Während ich dich immer liebte als meinen künftigen Mann, hatte ich noch einen anderen gern in seltsam anderer Art: das war der junge Christoph Keller, welcher jetzt Pater Bonaventura heißt und so schön vom Ehestand predigt. Er ist nur vier Jahre älter als ich. Schon als Kind, da er noch an gar kein Kloster dachte, zitterte ich vor Freude, wenn ich ihn sah, und da er ins Kloster ging, wurde diese Freude an ihm zwar recht schwermütig, aber ich zitterte um so tiefer inwendig. Dich hatte ich lieb, weil ich dich einmal heiraten sollte, ihn hingegen, ohne je ans Heiraten zu denken. Du liebtest mich wieder, und das gefiel mir; er hingegen merkte gar niemals, wie gut ich ihm war, und erwiderte also auch nichts, und das gefiel mir fast noch besser. Diese stille Qual kam mir genau vor wie die Liebe zum heiligen Franziskus, wovon die Nonnen immer redeten; man merkt da auch nicht, ob der Heilige sie erwidert. Er und du: es war ganz zweierlei Art, und ist eine Sünde dabei gewesen, so habe ich's selber nicht gewußt, und die guten Klosterschwestern haben mich auch niemals aufgeklärt über eine Liebe mit oder ohne Heiratsgedanken.«

Kätchen sprach diese Worte so kindlich unschuldvoll, daß ein Türke davon hätte gerührt werden müssen, geschweige ein christlicher Fuhrmann. Es ward ihm auch fast noch feierlicher zumute als selbst vorhin in der Kirche.

Und dennoch war er zugleich etwas unangenehm überrascht von dieser Beichte, die er zwanzig Minuten nach der Trauung gerade nicht erwartet hatte. Allein zwanzig Minuten nach der Trauung ist man auch hoffnungskühner und leichtmütiger als zu anderen Zeiten, und also dachte Peter, jetzt habe er sein Kätchen einmal fest und werde sie auch festhalten und ihr in Jahr und Tag schon gründlich lehren, was eigentlich Liebe mit Heiratsgedanken sei, trotz allen Franziskanern der rheinischen Kirchenprovinz. Also beschwichtigte er ihre Gewissenszweifel und meinte, da sie ja den Bruder Bonaventura nichts habe merken lassen und im neuen Haushalt mit zwei Mägden und drei Fuhrknechten ohne Zweifel weniger Zeit habe, an eine Liebe ohne Heiratsgedanken zu denken, wie im Klarissinnenkloster, so werde sich die Sache schon geben.

Diese milde Auffassung hielt aber bei Peter nicht lange Stich. Schon während des Hochzeitsschmauses fuhr es ihm plötzlich durch den Sinn, daß Kätchen vorhin von dem Christoph oder Bonaventura immer nur als von »ihm« gesprochen habe, ohne mehr als ein einziges Mal dessen Namen zu nennen. So machen's alle Liebende, sie reden von »ihm« oder von »ihr«, sind aber gegen Dritte äußerst sparsam mit dem Namen des geliebten Wesens, vermutlich weil sie für sich im stillen Selbstgespräche um so verschwenderischer damit sind. Das überdachte Peter. Aber zugleich ertappte er sich auf ähnlicher Fährte: wenn er jetzt so über den Pater Bonaventura grübelte, dann war es auch immer nur »er« oder »jener«, von welchem er mit sich selber sprach, den Namen mochte er nicht einmal in Gedanken sagen. Und dabei fiel ihm ein, daß man von zum Tode Verurteilten erzählt, sie scheuten sich aufs äußerste, den Namen des Henkers in den Mund zu nehmen, und sprächen immer nur von »ihm«. Das würde dann so beiläufig auf seinen überschüssigen Gebrauch des Fürwortes passen. Was man liebt und wovor man sich fürchtet, das nennt man nicht: den Schatz und den Henker.

Abscheuliche Hochzeitsgedanken eines Bräutigams! Er brauchte drei Gläser Wein, um sie hinwegzuschwemmen.

Als es nachher zum Tanze ging, deuchte es ihm fort und fort, der Franziskaner müsse zur Türe hereinkommen oder irgendwo aus dem Boden des Saales aufsteigen. Wie unrecht tat er doch seiner unschuldigen Braut und dem noch unschuldigeren Mönche. Er fühlte es und konnte doch nicht davon abstehen. Mochte man so gut und rein von der Sache denken, wie sie wirklich vorlag, eines blieb doch gewiß: Wenn es keine elterlichen Verlobungen und vorbestimmte Heiraten auf der Welt gäbe und keine Klöster und Mönche dazu und sein Kätchen wäre mit ihm und dem anderen »ihm« aufgewachsen, sie hätte ohne Zweifel den anderen geliebt und frei erwählt. Den Christoph hätte sie gesucht, den Peter hatte sie bekommen. Dies war und blieb ein bitterer Tropfen im Freudenkelche der Hochzeit.

Allein Peter nahm sein festes und doch mildes Fuhrmannsherz zusammen und ließ die Braut nichts ahnen von allen den trüben Gedanken, mit welchen er im Geiste rang.

Und so tat er es auch nach der Hochzeit im neuen Ehestande. Die Bacharacher merkten wohl, daß Peter nicht mehr pfeife und lustig mit der Peitsche knalle, wenn er durchs Städtchen fahre, auch daß ihm der Wein nicht recht schmecke und daß er 's Singen fast verlernt habe. Nur die junge Frau merkte nicht das mindeste von seinem Kummer; alle Güte und Freundlichkeit sparte er für sie allein auf, und sie war auch ihrerseits die reine Liebe und Güte gegen ihn.

Zweites Kapitel

So verstrichen sechs Wochen.

Da geschah es, daß Peter Rambold einmal unversehens mit Pater Bonaventura in dem benachbarten Oberwesel zusammentraf. Es kostete ihm einige Mühe, seine Fassung zu behaupten; denn obgleich er vordem des Paters Predigt so achtsam angehört, hatte es ihn als einen Bacharacher doch damals schon geärgert, daß ein Franziskaner so schön predigen könne. Die Bacharacher waren nämlich den Franziskanern todfeind und hielten es mit deren bittersten Widersachern, mit den Kapuzinern, aus Gründen, die ich nachher genauer berichten will. Dann aber wurmte es ihn, wie wir wissen, daß gerade ein solcher Franziskaner vorzeiten Christoph Keller geheißen und seinem Kätchen so ganz besonders hatte gefallen müssen.

Doch tat er dem Mönche sehr freundlich und kam, da dieser ihn gar treuherzig ansprach, auf den erleuchteten Einfall, in versteckter Weise den Pater selber zu befragen über Kätchens Geständnis und ihm dabei auf den Zahn zu fühlen, ob er denn wirklich von der geheimen Neigung seiner Frau niemals etwas gemerkt habe.

Also berichtete er im Laufe des Gesprächs so pfiffig, wie es nur dem biedersten Fuhrmanne möglich ist, daß sein Kätchen, die der Mönch als Nachbarstochter von Kind an ja recht genau kenne, ihn in seltsame Beklemmung versetze und daß er und sie schon längst einen geistlichen Gewissensrat darüber hätten hören mögen. Er erzählte dann genau, was ihm Kätchen am Hochzeitstage auf dem Kirchhof gestanden, nur mit dem einzigen Unterschiede, daß er statt des leibhaftig vor ihm stehenden Franziskaners wiederum von einem »er« redete (er wolle ihn nicht nennen), dem eine so unerhörte Liebe ohne Heiratsgedanken neben dem vorbestimmten Bräutigam gegolten habe.

Der Pater, mit Leib und Seele ein geborener Mönch, hatte sein Gesicht schon in priesterliche Falten gelegt; dennoch überwältigte ihn die Neugier, und er hätte gar zu gerne wissen mögen, wer denn jener »er« gewesen sei, allein Peter wich aus und meinte, darauf komme es nicht an, auch sei der junge Mann bereits gestorben.

»Und jenes Geständnis hat Euch gequält, erzürnt?« fragte der Franziskaner nun in sehr ernstem Tone.

»Ehrlich gestanden, ja!« erwiderte der Fuhrmann. »Ich hatte gemeint, am Hochzeitstage schicke sich's besser für eine frisch verheiratete Braut, dem Bräutigam zu sagen, daß sie ihn liebhabe, als daß sie einen anderen vordem viel lieber gehabt.«

»O törichter MannI« rief der Mönch. »Ihr habt eine rechte Perle von einer Frau und solltet jubeln, daß sie Euch so beunruhigt. Spricht nicht das zarteste Gewissen daraus, daß sie ihre Seelenangst Euch offenbarte eben in dem Augenblicke, da dieselbe in ihr erwacht war, unbekümmert zwar, ob sie Euch dadurch den Hochzeitstag trübe, aber auch unbekümmert, ob sie auf sich selbst einen Schatten werfe in einer Stunde, wo jede Frau dem Manne nur im schönsten Lichte leuchten will? Andere hätten geschwiegen bis zu gelegenerer Zeit oder für immer. Euer Kätchen aber machte sich zur Sünderin aus lauter Herzensreinheit. Eine Braut, die im Brautkleide an ihre Sünden denkt, ist schon gar selten, aber vollends eine Braut, die zwischen dem Altar und der Hochzeitstafel dem Bräutigam ihre Sünden beichtet, ist, glaube ich, in ganz Lorch noch nicht dagewesen, seit der Ort besteht. Daß sie Euch so grausam gequält, das war die beste Gabe, die sie Euch überhaupt am Hochzeitstage schenken konnte; – – übrigens ist es immerhin gut, daß jener Freund bereits gestorben ist.«

Peter ging etwas beschämt, aber auch beruhigter hinweg; nur verkehrte er, als er sich die Worte des Mönches wiederholte, den letzten Satz und sprach: »Daß jener Freund ein Franziskaner geworden, ist das allerbeste; übrigens ist es wirklich gut, daß Kätchen mich so tief bekümmert hat.«

Allein manchmal kamen ihm auch wieder andere Gedanken, und er meinte, ein allzu feines Gewissen könne ebensogut krank sein wie ein allzu grobes, und es sei doch neu, daß er nun gerade darum jubeln solle, weil ihn seine junge Frau so ausgesucht gequält habe, übrigens ließ er sich gegen Kätchen nichts davon merken, sondern ertrug ihr nonnenhaft ängstliches, selbstquälerisches Wesen, eingedenk des Spruches aus der Predigt: »Selig sind die Sanftmütigen!«

Kätchen waltete inzwischen als eine recht wackere Ehefrau, fleißig die Ordnung des Klosters ins Haus übertragend. Ihre Schlafstube nannte sie mitunter das Dormitorium und die große Wohnstube je nach Umständen das Refektorium oder den Kapitelsaal, auch redete sie von ihren zwei Mägden und drei Knechten öfters als von »dienenden Schwestern und Brüdern«, worüber sie von diesen hinterm Rücken ausgelacht wurde. Peter meinte zwar, seine Frau täte besser, nach klösterlichem Vorbild eine »Geißelkammer« für das zuchtlose Gesinde einzurichten, statt es mit so zarten Namen vollends zu verderben; allein er sagte das nicht laut, denn vor ihrer Liebe und Herzensgüte erstarb ihm jeder Vorwurf im Munde. Sie schien in der Tat den Mann, welchen sie früher nicht gesucht, nunmehr über die Maßen gern zu haben.

Nur an seinem Fuhrmannsberufe fand sie keinen Gefallen und quälte ihn oft mit der Bitte, er möge doch die Peitsche ganz an den Nagel hängen und bloß als Bauer und Winzer leben. Die größten Patriarchen und Klosterheiligen hatten den Acker gebaut, hingegen suchte Kätchen im Heiligenlexikon vergebens nach einem Heiligen, der Fuhrmann gewesen war. Das Frachtgewerbe brachte so viel Unruhe ins Haus und ließ die Klosterstille gar nicht aufkommen, welche sie in ihren vier Mauern anstrebte. Vorab aber war ihr das Kaufmännische an dem Geschäfte zuwider; der Fuhrmann diente dem Handel, bei den Klarissinnen aber hatte sie gelernt, im Handel nur den Wucher und die Förderung der Genußsucht und Eitelkeit zu sehen. Dazu schauderte es ihr vor den rohen Fuhrknechten mit ihren von Landstraßen und Herbergen heimgebrachten groben Sitten und gottlosen Flüchen und den gellenden Peitschenhieben, welche sie auf die unschuldigen Pferde führten, wenn dieselben mitunter lieber im Hofe stehenbleiben als einen siebzig Zentner schweren Wagen hinausziehen wollten. Kätchen war ein gar zartes, weiches Gemüt. Sie konnte nicht einmal die vielen Fliegen töten, welche durch die Nähe des Pferdestalles zu Tausenden ins Wohnzimmer gelockt wurden, sondern jagte sie höchstens zum einen Fenster hinaus, daß sie zum anderen wieder hereinflogen, – außer es regnete, dann ließ sie die Mücken ganz in der Stube, weil sie draußen naß geworden wären. Denn sie sagte, die Oberin bei den Klarissinnen habe ihr oft erklärt, wie das greuliche Morden der schuldlosen Tiere recht eigentlich den Verlust des Paradieses anzeige, wo Mensch und Tier in Friede und Freundschaft gelebt; je selbstloser wir daher wieder Freundschaft schlössen mit jedem Tiere, um so näher kämen wir auch zum paradiesischen Zustande zurück.

Der Fuhrmann half ihr zwar die Mücken möglichst rücksichtsvoll in die freie Luft befördern, meinte aber doch, jene Lehre sei im allgemeinen zu fein, und er halte es mit dem heiligen Ulrich, welcher auch kein schlechter Heiliger gewesen; der habe nicht nur bei Lebzeiten die Ratten und Mäuse vertilgt, sondern rotte sogar nach dem Tode noch durch die Kraft seiner Reliquien dieses Ungeziefer aus, und wenn er – Peter Rambold – darum eine Bremse an seinen Pferden sitzen sehe, so schlage er sie tot; denn lieber solle doch das tückische Insekt leiden als sein ehrlicher Gaul.

Übrigens würde ihn die Teilnahme Kätchens für das Schicksal der Mücken wenig gegrämt haben, wenn sie ihm nur den Fuhrmannsstand nicht so tief herabgesetzt hätte. Alle seine Vorfahren waren Fuhrleute gewesen, und er selber war im Doppelsinne ein geborener Fuhrmann, während der Pater Bonaventura doch nur im einfachen Sinne ein geborener Franziskaner war. Er fuhr seinen Wein redlich übern Hunsrück, ohne kleine Löchlein ins Faß zu bohren und etliche Flaschen unterwegs mit Strohhalmen herauszuzapfen, und wenn der Verkäufer mit dem Weine gewuchert hatte oder der Käufer sich daran betrank – war das seine Sünde?

Nun geschah es, daß Peter wieder einmal mit dem Mönche zusammentraf, etliche Monate nach jenem Gespräche in Oberwesel. Als ihn der Franziskaner fragte, wie es denn jetzt im Ehestand gehe, rühmte er recht herzlich seine gute Frau, klagte aber auch, daß sie ihm die Fuhrknechte verderbe, indem sie dieselben dienende Brüder nenne, und daß sie das Fuhrwesen überhaupt verachte, und erzählte dann weiter genau, wie sie so gar feingebacken sei, daß sie nicht eine Mücke totschlagen könne.

»Törichter Mann!« rief Pater Bonaventura. »Ihr beklaget, was Ihr bejubeln solltet. Welch unverdienten Schatz von einem Weibe besitzet Ihr doch! Zwar denkt sie strenge von Handel und Wandel, und ein frommer Fuhrmann kommt durch des heiligen Franziskus oder sonst eines ordentlichen Heiligen Fürbitte gewiß ebensogut in den Himmel wie ein anderer katholischer Christ. Insofern quält Euch Eure liebe Frau ohne Not. Aber würde sie Euch quälen, wenn sie nicht gescheiter, bedenksamer, strenger, reiner und feiner wäre als alle die anderen Frauen ringsum? Bloß weil sie gar so tief sinnet, verwirrt sie Euch den Kopf, und Ihr solltet stolz sein auf eine Frau, die Euch aus lauter Verstand und lauter Herzensgüte das Leben sauer macht und die beim Fuhrwesen gleich an den Weg zur Hölle denkt und bei den Mücken ans Paradies!«

Der Fuhrmann bedankte sich für den Trost und zog seine Straße weiter. Bei sich selbst aber dachte er: »Der Mönch hat in seiner Art ganz recht, obgleich es freilich besser wäre, wenn dem Kätchen umgekehrt das Fuhrwesen etwas paradiesischer vorkäme und die Mücken etwas höllischer. Soll ich also nicht auch in meiner Art recht haben und der Frau die Klostergrillen mit Gewalt aus dem Kopfe treiben dürfen, die nun einmal in kein Fuhrmannshaus passen?«

Doch nein! Er beschloß, auch weiterfort geduldig zu sein, den inneren Widerstreit ganz stille zu verschlucken und durch lauter Demut und Milde das Herz der guten bösen Frau dergestalt zu rühren, daß sie zuletzt doch noch den Fuhrmann ebenso hoch über den Bauer und Winzer setze wie den Peter über den Pater.

Er stutzte, als er diesen Entschluß gefaßt, und grübelte nun über seine eigenen Gründe. Wie kam er denn dazu, sich fort und fort Geduld und Demut aufzuzwingen? »Einmal«, sprach er zu sich selbst, »bin ich ein so guter Kerl, daß ich gegen eine so feine und fromme Frau gar nicht ordentlich grob sein kann. Übrigens kann man alles, was man will, und darum könnte ich's doch. Allein mir steckt die Geschichte im Kopf, welche der verwünschte Franziskaner am Schluß seiner Ehestandspredigt erzählte. Also will ich Kätchen bessern durch Milde und Geduld? Und also wäre ich hier vergleichbar der guten Frau, die gehorsam den Wein einschenkte, und Kätchen dem betrunkenen Maurermeister? Niederträchtiger Vergleich! Es ist eine Sünde, auch nur daran zu denken. Die Frau ist ja viel besser als ich – wenn sie nur nicht gar zu gut wäre!«

Drittes Kapitel

Der Zwiespalt in Natur und Art unseres jungen Ehepaars hatte sich bisher nur auf ihr häusliches Zusammenleben beschränkt. Aber bitterer noch sollte der Fuhrmann denselben nachgehends empfinden im Verkehr mit seinen Mitbürgern.

Bacharach war eine weit vorgeschobene Grenzstadt der Kurpfalz (Lorch, auf dem rechten Ufer, gehörte zum kurmainzischen Rheingau); das Jahr 1685 aber brachte dem Pfälzer Land eine ganz neue Ordnung der Dinge. Am 16. Mai starb Kurfürst Karl; mit ihm erlosch die reformierte Simmerische Linie, und es kamen mit dem neuen Kurfürsten Philipp Wilhelm die katholischen Neuburger ans Regiment. Die Pfälzer Protestanten blickten besorgt in die Zukunft, die Katholiken atmeten auf: durch ein Dekret vom 11. Oktober 1685 wurde ihnen freie Religionsübung zugesagt, und die Mönche, welche bisher nur so an den Grenzen ein wenig ins Land hineingeschaut, rüsteten sich zum Wiedereinzug in die seit vierzig Jahren verlassenen Klöster.

Waren nun schon überall im Lande die Gemüter erregt durch diese neuen Tatsachen, um wieviel mehr in einem Städtchen wie Bacharach, welches gen Süd und Nord von streng katholischem, mainzischem und trierischem Gebiete ganz nahe eingeschlossen lag und wo sich also die Katholiken bisher mehr als ihre anderen Pfälzer Glaubensgenossen beengt gefühlt und darum doppelt strenge an katholischer Art und Sitte gehangen hatten.

Kätchen hielt sich in diesen aufgeregten Tagen geradeso stille wie vorher. Sie wirtschaftete rührig und treu, allein die häusliche Arbeit gedieh doch nur, wenn sie ihr Haus einmal ausnahmsweise nicht wie ein kleines Kloster ansah. Zwar schrie seit einem halben Jahre ein gesunder kleiner Bube äußerst kräftig im »Dormitorium«, was nicht gerade klösterlich klang; die Seligkeit der Mutter blieb es aber darum nur desto mehr, mit dem Manne, dem Kinde und sich selbst allein in ihren vier Wänden abgeschlossen zu leben.

Diese Vereinsamung wurde ihr in ganz Bacharach übel vermerkt. Vor dem 16. Mai 1685 sagten die Reformierten: da sieht man die kreuzkatholische mainzische Rheingauerin, die sich in ihrem Hause ein Stück Kloster über den Rhein getragen hat, wie sie in Bacharach keines findet; und seit dem 16. Mai sagten die Katholiken: die ganze katholische Gemeinde, Mann und Weib, steht jetzt zusammen und rührt sich und freut sich, nur die Ramboldin bleibt trübselig in ihren Mauern und hält auch ihren Mann daheim, sie ist eben eine Fremde, eine Hergelaufene vom Überrhein und hat keinen Bacharacher Gemeinsinn. Oder ist sie etwa kalvinisch geworden?

Dem Peter lief das schwer über die Leber, allein er schwieg. Ein echtes Kind seiner Vaterstadt, war er überall bekannt und vordem auch gerne gesehen. Er hätte mit der schönen, feinen, braven, reichen Frau so rechten Staat machen mögen, sie hätte sich vor allen hervortun, ihr Lob hätte in aller Munde sein sollen. Nun aber lobte gar niemand seine Frau, ausgenommen der einzige Unglücksmensch, der Franziskaner. Und doch war Kätchen so traulich, sinnig, friedsam und so fleißig im Hause, das anmutigste Frauenbild, erfüllt von einer stillen Liebe, welcher selbst eines Fuhrmanns Herz nicht widerstehen konnte. Er wußte manchmal nicht, ob er vor Rührung weinen möge oder vor Zorn.

Schade, daß dann der Pater Bonaventura nicht zur Hand war; der hätte ihm vielleicht gesagt, daß dies ja eben die höchste Freude sei, wenn man vor Zorn weine.

Und wenn die junge Frau dann gar so rührend ihren Mann bat, er solle doch nicht mehr auf die Trinkstube gehen, und es ihm daheim zum Ersatz so schön und freundlich machte, konnte er da widerstehen? Dennoch sprach er dann wieder zu sich: ein Fuhrmann gehört auch ins Wirtshaus, schon von Geschäfts wegen. Und seine alten Zechfreunde zürnten ihm doppelt, daß er sie gerade jetzt mied, wo es beim Weinglase so viel Wichtiges zu raten und zu reden gab wegen der neuen Zeit und des neuen Kurfürsten.

Freute er sich auch zuletzt des Sieges, den er über sich selbst gewonnen, indem er seiner Frau gefolgt, so schämte er sich hinterdrein wieder vor den Genossen, daß ihn die Frau besiegt habe; und doch wollte er's durchsetzen und durch Sanftmut und Nachgiebigkeit ihr beweisen, daß sie gerade in ihrem unbezweifelten Rechte am meisten unrecht habe und alles verderbe, weil sie es gar zu gut mache.

In dieser Zeit kam Pater Bonaventura öfters zum Besuch; seit dem neuen Religionsdekret durfte er sich ungescheut nach Bacharach wagen, würde aber in anderen Häusern nicht besonders gastlich empfangen worden sein. Kätchen forderte ihn nicht zum Besuche auf, freute sich aber, wenn er kam; Peter gab sich sauere Mühe, dem Mönche so artig zu sein wie dem besten Freunde. Er forschte dann öfters im Gesichte seiner Frau, ob sie's auch merke und ob so viel Vertrauen ihr Herz nicht bewege; allein sie nahm das alles hin, als verstehe sich's ganz von selbst.

Der Pater Bonaventura kam übrigens weder als neuer Hausfreund des Mannes noch als alter Jugendfreund der Frau, sondern schlechthin als Mönch, das heißt im Interesse seines Ordens.

Kaum hatten nämlich die Bacharacher Katholiken ihre volle Religionsfreiheit wiedererhalten, so spalteten sie sich als echte Deutsche sofort in zwei Parteien. Das alte Kloster sollte wiederhergestellt werden, und die ganze katholische Gemeinde war einig in dem Wunsche, daß es recht bald geschehe; denn die Winzer meinten, wenn im vergangenen Sommer auch nur ein ganz kleines Klösterchen in der Stadt bestanden hätte, so würde der Hagel die Weinberge gewiß nicht so grausam zerschlagen haben. Allein ob Mönche mit oder ohne Kapuzen das Kloster beziehen sollten, das war die schwere Streitfrage. Die große Mehrheit des Volkes begehrte Kapuziner; nur wenige waren im stillen den Franziskanern zugeneigt.

Nun sind zwar Kapuziner und Franziskaner sozusagen leibliche Brüder; denn sie nennen sich gleicherweise Söhne des hl. Franz von Assisi; allein sie waren von langeher feindliche Brüder, und die streiten bekanntlich am bittersten. Der giftige Haß aber, in welchem sich Franziskaner und Kapuziner schon so oft befehdeten, ging diesmal auch auf die beiden Parteien ihrer Anhänger in Bacharach über. – Es hatte der Mönchshandel für diese Stadt allerdings ein ganz besonderes Gesicht. Die Kapuziner waren 1621 nach Bacharach gekommen und hatten sich in den Notjahren des Krieges bei den Bürgern sehr beliebt gemacht. Später mußten sie aber den Franziskanern weichen, die von einem in der Stadt kommandierenden General begünstigt wurden. Auf Beschwerde der Bürgerschaft brachte dann der Erzbischof von Trier die Kapuziner wieder zurück und empfahl sie als buccinatores S. Spiritus, als die Trompeter des Heiligen Geistes, bis diese Trompeter auf Andringen des Kardinalinfanten in Brüssel abermals den Franziskanern das Feld räumen mußten. Zuletzt kam dann der reformierte Kurfürst Karl Ludwig von der Pfalz und jagte die Franziskaner samt den Kapuzinern zum Lande hinaus. Die Kapuziner aber waren hier wie anderwärts volksbeliebt gewesen, die Erkorenen der Bürgerschaft; die vornehmeren Franziskaner dagegen galten als aufgedrungene, als die Günstlinge fremder hoher Herren. Nun wollten aber beide Orden wieder nach Bacharach zurück, beide stützten sich auf alte Besitzansprüche, und war doch nur ein Kloster vorhanden.

Bruder Bonaventura untersuchte den Boden für die Franziskaner, und das war der wahre Grund, weshalb er so fleißig bei den Fuhrmannsleuten einsprach. Er forderte sie auf, unter Freunden für das gute Recht der Franziskaner zu wirken. Der Fuhrmann schwieg, die Frau verhieß ihr eifrigstes Fürwort.

Als der Pater hinweggegangen, sagte Peter zu der Frau mit leisem Spotte: »Wir beide werden den ehrwürdigen Vätern kaum zu ihrem Kloster verhelfen können, weil wir nach deinem Wunsche selber bereits, der Welt abgestorben, wie im Kloster leben. Ginge ich noch auf die Trinkstube, so könnte ich reden und werben.«

Kätchen erwiderte mit glühender Heftigkeit, wie man sie noch gar nicht an ihr erlebt hatte: »Für mein Heil und unser Glück floh ich die Welt; wenn es aber das Glück und Heil der Gemeinde gilt, so entsage ich dem Frieden dieses Hauses und gehe wieder unter die Leute, und sollte ich sie abends am Marktbrunnen aufsuchen.«

»Ich bin ein langsamer Fuhrmann«, sprach Peter gelassen, »und kann so geschwind den Wagen nicht wenden. Du magst tun, was dir recht dünkt. Aber warum muß denn gerade von den Franziskanern Glück und Heil für die Stadt kommen? Die Kapuziner sind doch auch ein guter Orden, ja von Kindesbeinen an habe ich sie stets als den allerbesten preisen hören. Woher willst du denn, klüger als ganz Bacharach und der Erzbischof von Trier, wissen, daß die Franziskaner mehr wert sind?«

Kätchen, in welcher jetzt alle die Eindrücke, welche sie in dem Franziskanernonnenkloster der Klarissinnen empfangen, wie ein helles Feuer wieder aufloderten, war ganz verändert, sie glühte und bebte, sie war nicht mehr die stille, leidenschaftslose Frau. »Wollte Gott«, rief sie, »der Christoph Keller wäre ein Kapuziner geworden und kein Franziskaner, daß du nicht meinest, ich verteidige die Franziskaner, weil Christoph ihren Rock trägt. Aber Recht muß doch Recht bleiben!« Und nun schilderte sie mit all der genauen Kenntnis, welche sie bei den Klarissinnen gewonnen, die unvergleichlichen Vorzüge der Franziskaner. »Sie sind der große Stammorden, verzweigt in so viele echte Äste der Cölestiner, Spiritualen, Clareniner, Soccolaner, Coletaner, Amadeisten, Capreolaner, Reformaten, Recollecten und wie sie alle heißen, daß selbst die Äbtissin von St. Klara sie nicht in einem Atem herzusagen vermocht; die Kapuziner aber sind ein einziger falscher, dürrer Zweig abgefallener Franziskaner und nichts weiter. Der hl. Franziskus hat niemals eine Kapuze getragen, höchstens ein ganz kleines Kapüzchen wie die Kapuziolaner, die auch echt sind, aber keinen ellenlangen Sack wie die Kapuziner. Solch eine spitze Kapuze paßt dem Teufel über seine Hörner, aber keinem Heiligen über seinen runden Kopf. Hat der Erzbischof von Trier die Kapuziner Trompeter des Heiligen Geistes genannt, so besagt das gar nichts, wenn man erwägt, daß die Franziskaner von einem Papste die seraphischen Brüder genannt worden sind; denn ein Papst ist mehr als ein Erzbischof und ein Seraph mehr als ein Trompeter, auch wenn er die heiligsten Noten bläst. Ohne Zweifel aber sind die Franziskaner der nützlichste Orden; denn die Kapuziner mögen viele gute Werke tun, die Franziskaner aber sind ihnen und allen andern überlegen in der Kraft der Sündenvergebung; sie besitzen den stärksten Ablaß, den Portiunkelablaß, der wäscht alle Sünden am reinsten hinweg. Ja, der Bruder Bonaventura hat mir einmal gesagt, eine Ehefrau könne den Portiunkelablaß nicht bloß für sich gewinnen, sondern durch ihr gläubiges Reu' und Leid zugleich sogar mit für ihren Mann: so durchdringend wirkt dieser Ablaß, und so untrennbar eins achten die Franziskaner zwei durch das Sakrament der heiligen Ehe verbundene Gatten.«

Eine solche Rede hatte der Fuhrmann von seiner Frau noch nie gehört. Er stutzte, besann sich eine Weile und sprach: »Dein letzter Grund war der beste, und ich habe wirklich gefunden, daß unser Franziskaner nicht bloß im Worte, sondern auch in der Tat Respekt hat vor der Ehe. Tue du also bei diesem Mönchshandel, was dir gut dünkt.«

Diese milden Worte wirkten tief bewegend auf die Frau; Tränen traten ihr ins Auge, und sie sagte: »Lieber Mann, ich habe unrecht an dir gehandelt!«

Dann schwieg sie wieder.

Dem Manne lauteten diese Worte wie eine Erlösungsbotschaft: genau so hatte ja auch der Maurermeister zu seiner Frau gesprochen in der Geschichte des Franziskaners, welche ihm je mehr und mehr das auf den Kopf gestellte Spiegelbild seiner eigenen Ehestandsgeschichte zu sein schien. »Jetzt endlich«, dachte er, »habe ich sie durch meine Güte besiegt, jetzt endlich wird sie erkennen, daß ihr Klostergeist für mein Haus nicht paßt, daß sie etwas minder gut werden muß und doch nicht schlechter.«

Kätchen fuhr fort: »Lieber Peter, du hast den Bruder Bonaventura belogen, du hast ihm erzählt, ich habe einen verstorbenen Freund vordem geradeso liebgehabt wie dich, da er selber doch dieser Freund war und noch sehr lebendig ist. Er fragte mich nach jenem Verstorbenen, ich aber konnte die Lüge nicht auf dir und mir haften lassen und sagte ihm alles der Wahrheit gemäß. Da strafte er mich hart und legte mir schwere Bußen auf und spricht mich seitdem nie mehr, außer in deiner Gegenwart. Ich aber war so schwach, dir die ganze Unterredung bis heute zu verschweigen.«

Dem Fuhrmann rann bei diesen Worten ein ganzer Eimer kalten Wassers über den Rücken: das klang noch nicht nach Erlösungsbotschaft. Im Grunde hatte Kätchen ganz recht getan. Aber warum mußte sie diese alte Geschichte nun eben dem Franziskaner erzählen, und zwar diesmal nicht aus Gewissenhaftigkeit für sich, sondern aus Gewissenhaftigkeit für ihn, ihren Mann! Muß bei den Franziskanern die Frau etwa auch für ihren Mann beichten, wie eins für das andere Ablaß gewinnen kann? Nicht sie, sondern er hatte ja gelogen. Und warum mußte sie gerade jetzt ihm wieder beichten, was sie dem Franziskaner gebeichtet habe, in dem Augenblicke, wo er für die Franziskaner ihr zulieb ins Feuer gehen sollte! Menschen sind wir doch alle, auch die Fuhrleute und Franziskaner. Doch schalt Peter seine Frau nicht, daß sie so meisterhaft die Kunst verstehe, ihrem Mann aus lauter Liebe und Unschuld das Leben so schwer zu machen.

Kätchen ging in ihrem kochenden Eifer jetzt fleißig unter die Leute und warb für die Franziskaner. Hatte man sie früher getadelt, daß sie daheim geblieben, so tadelte man sie jetzt, daß sie so umgangsbedürftig geworden war. Denn man merkte bald die Absicht. Nur eine Überrheinerin konnte so gut von den Franziskanern sprechen. Man warf einen bitteren Haß auf den Fuhrmann, der in Bacharach wohl auch ein besseres Mädchen hätte finden können als diese durch und durch Fremde aus Lorch.

Peter war froh, daß ihn sein Geschäft auf mehrere Wochen an den Niederrhein führte. Er dachte wohl auch oft nach Hause zurück, und es ging ihm heiß durch den Kopf, daß seine gute Frau ihn so elend mache, daß sie ihn aus lauter Gewissenhaftigkeit zur Eifersucht treibe, ihm aus Frömmigkeit das Haus umkehre, die Knechte und Mägde verderbe, das Fuhrwesen und die Kapuziner verleide, ihn mit den Mitbürgern entzweie und durch alle Milde doch nicht zu bessern sei. Nun sollte er gar noch den Franziskanern helfen, welche ihm, als Mensch und Bacharacher, der widrigste von allen Orden waren. Kätchens Tugend dünkte ihm wie eine schleichende Krankheit, welche man nicht sieht und nicht fassen kann und die doch den Körper aufreibt. Wenn sie nur einmal ein rechtes Unrecht täte, statt immer unrecht das Rechte zu tun, dann wollte Peter das Übel wohl kräftig anpacken und heilen.

Viertes Kapitel

Von solchen Gedanken gemartert, zog der Fuhrmann im November 1685 wieder rheinaufwärts nach Hause. Auf der letzten Strecke war er die Nacht hindurch gefahren, und je heller der Morgen aufdämmerte und je näher die Heimat rückte, um so größere unerklärliche Angst befiel ihn, als ob irgendein großer Jammer ihn zu Hause erwarte. Als er darum hinter Oberwesel gegen die pfälzische Grenze kam, wo eine Kapelle mit einem wundertätigen Marienbilde stand, dachte er, es tue wohl not, daß die Muttergottes, die hier schon so manchem geholfen, auch ihn erleichtere und erleuchte. An der Tür der Kapelle sah man aber mancherlei beschriebene Zettel, angeklebt von Bedrängten, welche sich zu Gebeten in dem Kirchlein verlobt hatten und die Vorübergehenden baten, sie durch Beisteuer eines Vaterunsers in ihrem Verlöbnis zu unterstützen. Der Fuhrmann, der als frommer Katholik jedesmal im Vorbeifahren ein solches Vaterunser zu spenden pflegte, je nach Auswahl bald für einen gichtbrüchigen Alten, bald für eine Wöchnerin oder für ein krankes Kind, wohl auch für eine kranke Kuh, wurde heute durch einen besonders geheimnisvollen Zettel gefesselt. Derselbe lautete, mit sichtbar verstellter Hand geschrieben: »Eine gewisse Person, welche in einer gewissen Angelegenheit von schweren Zweifeln gequält ist, bittet jeden vorbeiziehenden Christen, daß er für ihre Erleuchtung ein Vaterunser bete.«

»Solch einen Zettel könnte ich auch für mich schreiben«, dachte Peter, »und da ich selber so sehnlich in meinen Zweifeln erleuchtet sein möchte, so steht es mir wohl an, diesem unbekannten Leidensgenossen zu helfen.« Also betete er nicht ein, sondern viele Vaterunser für die unbekannten Zweifel des Unbekannten und fuhr getrösteter zur Vaterstadt.

Schon vor dem Hause kam ihm die Frau entgegen, als ob sie ihn gar nicht habe erwarten können, und begrüßte ihn freudig aufgeregt, fast verklärten Gesichtes. Dem Mann war diese Verklärung etwas unheimlich; er fürchtete, da möge wieder ein rechtes erbauliches Unheil heranziehen. Kätchen aber ließ ihn gar nicht ins Haus treten, sondern sagte, er solle flugs vier frische Pferde vor den leichten Leiterwagen spannen, er müsse auf der Stelle gegen Oberwesel zurückfahren. Peter entgegnete, da komme er eben her, und bevor er nicht tüchtig gefrühstückt und dann einen langen Schlaf getan, spanne er um keinen Preis wieder ein.

Allein die Frau nahm ihn beiseite und sprach: »In Bacharach brennt's in allen Köpfen: heute entscheidet sich's, ob wir die Kapuziner kriegen oder die Franziskaner! Leider ist der Anhang der Kapuziner von Tag zu Tag größer geworden, denn sogar der reformierte Pfarrer wirbt für diese falschen Mönche, und die Bürgerschaft hat einen Deputierten an den Kurfürsten gesandt, daß er uns doch um Gottes willen die Kapuziner zukommen lasse. Es stünde schlecht mit unseren Freunden, wenn sie nicht klüger und flinker wären als ihre Gegner und wenn wir ihnen nicht Hilfe brächten.«

Peter fuhr spöttisch dazwischen: »Sollen wir beide etwa gegen den Kurfürsten und den Erzbischof und die ganze Gemeinde die Franziskaner in Bacharach einsetzen und die Kapuziner vertreiben?«

»Ja, das sollen und können wir beide«, entgegnete Kätchen fest und gelassen.

Dann erzählte sie, daß Bruder Bonaventura in den letzten Wochen öfters herübergekommen sei und sie beschworen habe, den Franziskanern zu helfen, und daß sie keine Gefahr, Spott oder Ungemach scheuen solle an dem entscheidenden Tage. Der Plan, wie die Söhne des heiligen Franziskus ihr rechtmäßiges altes Besitztum wiedergewinnen wollten, sei noch tiefes Geheimnis. So der Pater. Sie habe sich schwer geängstigt über derlei Reden und nicht gewußt, was sie dazu denken und sagen solle, und sei, Erleuchtung suchend, zur Marienkapelle gewallfahrtet und habe dort auch einen Zettel um Fürbitte angeschlagen. Nach unendlicher Seelenpein sei es ihr aber heute in frühester Morgenstunde urplötzlich ganz leicht geworden, und sie habe erkannt, daß sie um jeden Preis den Franziskanern helfen müsse. Nun aber sei sie ganz glückselig, seit ihr die Eingebung dieses Entschlusses geworden.

Peter unterbrach sie mit der Frage, um wieviel Uhr denn das gewesen sei, und als nun die Frau im Verfolg dieser Frage gar erfuhr, daß ihr Mann zur selben Stunde und ohne es zu wissen für sie gebetet habe, da war sie gar nicht mehr zu halten und behauptete, nun sei ein offenbares Zeichen gegeben, daß sie beide die Franziskaner nach Bacharach bringen müßten. Vergebens stellte ihr Peter vor, daß er ja ihr Anliegen gar nicht gekannt und gegenteils Trost in dem Gedanken gefunden, sich von nun an diesen Verwickelungen zu entreißen und als ein fleißiger Fuhrmann, unbekümmert um alle Mönchshändel, ein ehrsames Leben in der Welt und mit der Welt zu führen. Das half nichts. Er hatte nun einmal seine Frau noch tiefer in ihre Meinung hineingebetet, obgleich er gern jetzt barfuß nach Trier gewallfahrtet wäre, um sie wieder herauszubeten. So mußte ihm alles, was er dachte und tat, bei dieser unseligen guten Frau ins Gegenteil umschlagen.

Doch die Zeit drängte. Also fuhr Kätchen fort: »Kaum war ich zu dem festen Entschlusse gelangt, so kam ein Brief des Paters, folgenden Inhaltes: »Die Kapuziner werden heute noch nach Bacharach ziehen; es gilt, ihnen zuvorzukommen. Sendet darum einen Wagen mit vier Pferden um acht Uhr früh an die pfälzische Grenze. Wir haben kein Fuhrwerk, das verführte Volk dieser Gegend wird uns keines geben, und gewinnt die Schnelligkeit Eurer Pferde nicht den Sieg, so ist das unglückliche Bacharach für immer in den Händen der Kapuziner.'«

Kätchen beschwor ihren Mann, dem Brief Folge zu leisten; es ging auf acht Uhr, noch war es Zeit, aber höchste Zeit.

Peter widerstrebte.

Endlich drehte er sich rasch auf dem Absatze um und rief dem Knecht, daß er die vier Pferde einspanne, und sagte zur Frau: »Ich fahre an die Grenze, vorher aber mußt du mir ein heiliges Versprechen geben.«

Kätchen erschrak und zögerte. Peter aber sprach: »Du lässest zwar die Leute beten für ein Anliegen, welches sie nicht kennen; dennoch sollst du mir nichts versprechen, was du nicht vorher genau kennst. Also begehre ich nur, daß du, während ich fortfahre, an nichts anderes denkest, als wie ich jetzt, gleich als brenne es, im Sturm mit meinen vier Füchsen zur Grenze jage und dann einen ganzen Wagen voll Franziskaner im Galopp heimfahre und wie ich als ein rechter Fuhrmann auf dem Sattelpferd sitze und mit der Peitsche knalle, daß es rechts und links zehnfach von den Felsen widerhallt, und daß ein Fuhrmann doch kein ganz gottloses Geschäft treibe, denn er kann nicht bloß ein Faß Wein fahren, sondern auch ein ganzes Franziskanerkloster, namentlich seiner Frau zuliebe. Das sollst du bedenken und nichts anderes, bis wir zum Tore herein sind, und sollst selber mir ans Tor entgegengehen, daß du siehest, wie stolz ich die Rosse führe und alle die Mönche samt den Laienbrüdern.«

Kätchen hatte viel Härteres erwartet und versprach ihm darum alles leicht und freudig in die Hand. Beide hielten ihr Wort. Schlag neun Uhr jagte der Fuhrmann mit den Franziskanern durchs Tor, und Kätchen hatte während der ganzen Stunde an nichts anderes gedacht, als was ihr Peter doch für ein guter Fuhrmann und für ein guter Ehemann sei, daß er ihr zuliebe die Franziskaner, welche er nicht leiden konnte, nun gar selber in die Stadt fahre. Sie hatte sich freudestrahlend am Tore aufgestellt und winkte dem Manne und den Mönchen den ersten Gruß entgegen. Die Bürger, welche dem seltsamen Fuhrwerk begegneten, grüßten freilich in etwas anderer Art: sie warfen dem Fuhrmann Schimpfworte an den Kopf und sahen die Mönche ingrimmig an, ohne die Mütze zu rücken.

Diese aber ließen sich den kalten Empfang nicht anfechten, sondern liefen flugs zur Klosterkirche und lasen dort eine Messe, wodurch sie tatsächlich Besitz vom Kloster ergriffen zu haben behaupteten. Die Gemeinde bei diesem merkwürdigen Gottesdienste, welcher die Messe zu einem juristischen Akte machte, war äußerst klein; denn außer den Fuhrmannseheleuten war nur ein Häuflein Neugieriger den Franziskanern in die Kirche gefolgt.

Als die beiden Gatten aber wieder heraus auf die Straße kamen, wälzte sich ihnen ein großer Menschenschwarm entgegen: gefolgt von der ganzen Bürgerschaft, kamen jetzt die Kapuziner. Gerufen von der Gemeinde und anerkannt vom Landesherrn und vom Bischofe, waren dieselben im Vollbewußtsein ihres Rechtes ganz gemächlich zu Fuß gen Bacharach gezogen und erfuhren jetzt mit Schrecken, daß ihnen die Franziskaner vorgefahren und bereits im Besitze des Klosters waren. Die Menge tobte vor Wut. Peter und seine Frau wären schwerer Mißhandlung wohl kaum entgangen, wenn nicht ein alter Bekannter den Fuhrmann rechtzeitig aufgegriffen und ihn samt der Frau durch das Innere seines Hauses in ein stilles Seitengäßchen gebracht hätte, von wo sie auf großen Umwegen zu ihrer Wohnung schlichen.

Dort aber sah es übel aus. Während sie in der Kirche der Besitzergreifung der Franziskaner beiwohnten, hatte eine Rotte großer und kleiner Gassenbuben von ihrem Hause Besitz ergriffen, die Fenster eingeschlagen, viel Geräte zertrümmert und auf die Straße geworfen, und erst nach hartem Prügelkampfe waren sie selbst dann wieder von des Fuhrmanns Knechten hinausgeworfen worden.

Kätchen, welche bis dahin wahren Mannesmut gezeigt, brach bei diesem Anblick in Tränen aus und setzte sich sprachlos, gebrochen, zitternd auf die Treppe ihres einst so friedlichen Hauses. Sie weinte nicht über den erlittenen Schaden, sondern weil sie jetzt erst erkannte, daß sie ihrem duldsamen Manne den Haß seiner ganzen Vaterstadt auf den Hals gezogen. Der Mann aber blieb so gelassen wie immer und sprach: »Die bösen Buben haben uns das Ausziehen erleichtert. Heute abend hätten wir ohnedies das Haus und die Stadt verlassen; nun geht es etwas geschwinder und tut uns auch nicht mehr halb so leid.«

Die Frau blickte ihn erschrocken, fragend an. Er fuhr fort: »Ich habe das Haus an die Franziskaner vermietet; denn da das Kloster noch wüste liegt, müssen sie doch vorerst ein anderweites Obdach haben, bis sie dort wieder eingerichtet sind, und kein anderer Mensch in der Stadt würde ihnen jetzt Quartier geben. Also habe ich, da wir hereinfuhren, die Miete bereits mit dem Pater Guardian abgeschlossen, und du weißt, Bettelmönchen schenkt ein guter Christ die Miete um Gottes willen.«

Händeringend flehte Kätchen, daß er den Vertrag wieder rückgängig mache; sie könne ja niemals wieder Frieden gewinnen, wenn sie ihren Mann so von Haus und Hof vertrieben habe.

Der Mann aber entgegnete: »Die Miete ist fest. Die Bacharacher Luft taugt für uns beide nichts mehr; bis hierher bin ich dir gefolgt, jetzt folge du mir: umgekehrt ist auch gefahren! Wir ziehen nach Lorch in deine Heimat und bauen dort den Wein, welchen deine Väter getrunken; er ist ohnedies besser als der Bacharacher.«

Da sprach Kätchen: »Lieber Peter, es kann nicht sein; in Lorch wärest du kein Fuhrmann mehr, und siehe, ich werde nicht wieder glücklich, wenn du nicht wieder ein Fuhrmann wirst. Ich versprach dir ja heute morgen, eine Stunde lang über das Fuhrwesen nachzudenken, und habe es redlich getan, und als du so stolz zum Tore hereinfuhrst, hätte ich dir um den Hals fallen und sagen mögen, du sollest doch dein Leben lang ein rechter Fuhrmann bleiben.«

Peter hob sie lächelnd von der Treppe auf und rief: »Jetzt sprichst du endlich gescheit, weil du nicht mehr so gar grausam gescheit sprichst wie vordem. Es wird sich auch überm Rhein schon wieder machen mit dem Fuhrwerk, und hier hätten mir die Kaufleute doch kein Faß Wein mehr zu fahren gegeben, seit ich die Franziskaner gefahren.« Und er küßte sie, und sie waren friedevoller miteinander in dem verwüsteten Hause als je zuvor, da noch so klösterlicher Friede auf demselben geruht.

Am Abende zog der Fuhrmann aus, und die Franziskaner zogen ein. Ihre Feinde, die Kapuziner, hatten vorläufig das Volk beschwichtigt, denn sie waren so klug, der Gewalttat nicht Gewalt entgegenzusetzen, sondern ließen die Franziskaner gewähren, schickten aber Eilboten nach Heidelberg zum Kurfürsten und nach Trier zum Erzbischof, daß man ihnen zu ihrem Rechte verhelfe. So ließen die Bürger denn auch den Fuhrmann mit den Seinigen ungehindert abziehen. Als Peter Rambold nach einiger Zeit mit dem Nachen von Lorch herübergekommen war, um den Rest seiner Habe abzuholen, fand er im Bacharacher Hafen ein Schiff mit den sämtlichen Franziskanern befrachtet, zum Abstoßen bereit. Er rief den Pater Bonaventura an und fragte, wohin denn die Reise gehe. Etwas niedergeschlagen antwortete dieser: »Rheinabwärts! Gott weiß, wohin. Der Kurfürst hat uns verraten und der Bischof uns verlassen.«

Der Fuhrmann wünschte Glück auf den Weg, legte aber ein wenig bei neben den Mönchen und sagte dem Pater ganz heimlich: »Wenn Ihr wieder einmal die Ehestandspredigt haltet, so dürft Ihr fortan jene alte Geschichte nicht mehr erzählen von der Frau, die durch so große Demut und Gehorsam ihren trunkenen Mann bekehrte, denn ich weiß eine bessere, die ich selbst erlebt habe, und Ihr wißt sie auch. Seht, einen recht groben Sünder durch Demut zu bekehren, das ist in der Ehe nicht so gar schwer, aber eine halbe Heilige, die aus lauter Liebe und Güte und Tugend alles verschraubt und verderbt, in Demut und Gehorsam zur Umkehr zu bringen, daß sie schlecht und gerecht lebt wie andere Menschenkinder und nicht wie eine verheiratete Nonne, das ist das allerschwerste. Namentlich für einen Fuhrmann. Es wäre mir armem Sünder auch gar nicht gelungen, wenn nicht unser Herrgott ein Einsehen gehabt und mir euch Franziskaner zur Hilfe geschickt hätte. Denn wäret ihr nicht vierspännig in euer Unglück gefahren, so säße ich heute nicht so selig in meinem Glücke.«

Pater Bonaventura kam später in ein Kloster auf dem Westerwalde und soll in dortiger Gegend seine berühmte Ehestandspredigt noch öfters gehalten haben. Nur mit etwas verändertem Schlusse. Er sprach nämlich jetzt nach der alten Geschichte vom bekehrten Säufer: »Ich habe euch diese Geschichte schon oft erzählt, und ihr fraget wohl, warum ich sie immer wieder erzähle. Einfach deshalb, weil ich keine bessere für euch weiß. Ich habe zwar einmal erlebt, daß ein Fuhrmann durch noch viel schwerere Dulderproben seine Frau bekehrte, aber die Geschichte erzähle ich euch nicht: sie ist zu subtil, denn sie hat sich droben am Rhein bei den feinen Pfälzern zugetragen, und ihr groben Westerwälder würdet sie doch nicht verstehen.«


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