Wilhelm Heinrich Riehl
Durch tausend Jahre – Zweiter Band
Wilhelm Heinrich Riehl

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Zeit des 30jährigen Krieges

Der Fluch der Schönheit

1862

Erstes Kapitel

Daß der Schneidermeister Haselborn von Weilburg den schönsten Buben in der ganzen Stadt kriegen würde, ein so bildschönes Kind, wie man seit Menschengedenken keines gesehen, das hätte niemand gedacht. Und doch war es so.

Nun hat es freilich mit der Schönheit neugeborener Kinder nicht viel auf sich, denn welch verkümmerte Blüte kann sich nicht rasch aus der lieblichen Knospe entwickeln, und wer fragt überdies bei einem Knaben, und gar bei einem Schneiderssohn, zuerst nach der Schönheit?

Allein der kleine Haselborn war so fein und wohlgebildet in allen Gliedern und kam mit einem so vollkommenen Engelsköpfchen zur Welt, daß schon die Hebamme, als sie den Neugeborenen in das erste Bad legte, bewundernd ausrief: »So bildschön muß das Christkind in der Krippe gewesen sein!« Dieses Lob aber war sicher parteilos, denn die Hebamme galt für eine neidische Frau und war der Schneiderin besonders aufsässig.

Freilich rief sie dann auch gleich nachher: »Ach, welch ein Unglück, daß das Kind so schön ist!« Die Eltern fragten erstaunt, was das heißen solle, und die Hebamme fand eine Weil' keine Antwort und redete sich dann verlegen aus, es sei ihr eben durch den Sinn gefahren, sie wisse selbst nicht wie, als ob das Kind gar zu schön sei für diese Welt. Auch prophezeie man ja von einem Kinde, welches schon gleich einem fertigen Engel in der ersten Windel liegt, daß es nicht lange bei uns bleiben dürfe. Die Eltern verwünschten im stillen die neidische Kröte, der sie doch für die kaum geleistete Hilfe danken mußten, und hielten nun erst ihr Kind für noch einmal so schön. Doch wachten sie jahrelang mit äußerster Angst über der Gesundheit des Kleinen, damit er ihnen nicht wegen seiner Schönheit hinweggenommen werde, zumal er nicht nur ihr erstes Kind war, sondern auch das einzige blieb.

Der schönste Knabe mußte auch den schönsten Namen bekommen. Die Eltern sannen einen ganzen Tag, welches in ihrer Verwandtschaft der schönste Name sei, und erinnerten sich eines weitläufigen Vetters Amos Haselborn. Da den Protestanten damaliger Zeit – es war im Jahre 1610 – die alttestamentlichen Namen besonders fromm und kräftig klangen, unter diesen aber »Amos« als recht auffallend fremdartig hervorleuchtete, so wählte ihn der alte Haselborn; denn was weit her ist, das gefiel den Schneidern zu allen Zeiten.

Am dritten Tage ward das Kind in der Stadtkirche auf den Namen des dritten unter den kleinen Propheten getauft. Der Pfarrer hielt die Taufrede über zwei Stellen des biblischen Namenspatrons. Zunächst Amos am achten, Vers eins bis drei: »Der Herr zeigte mir ein Gesichte, und siehe, da stund ein Korb mit Obst. Und er sprach: Was siehest du, Amos? Ich aber antwortete: einen Korb mit Obst. Da sprach der Herr zu mir: Das Ende ist kommen über mein Volk Israel; ich will ihm nichts mehr übersehen. Und die Lieder in den Kirchen sollen in ein Heulen verkehrt werden zur selbigen Zeit, spricht der Herr: Es werden viel toter Leichname liegen an allen Orten, die man heimlich wegtragen wird.«

Das Prophetenwort auf die Gegenwart deutend, sprach der Pfarrer von der betrübten Zeit, welcher jetzt alle sichtbar entgegengingen und die kaum geborenen Kinder vielleicht noch mehr als die Alten. Es war nämlich in den beiden Vorjahren die protestantische Union und die katholische Liga abgeschlossen worden; man rüstete, Spinola mit seinen Spaniern lag bereits in Wesel, und die Kunde von der Ermordung des Franzosenkönigs Heinrichs IV. drang eben durch das deutsche Land. Niemand wußte, was da kommen solle, und eine Ahnung schwerer Tage lastete auf allen Gemütern. Der Pfarrer benützte sie zu mahnendem Wort, wandte sich dann aber zu der anderen Stelle seines Textes, den beiden Schlußversen des Propheten Amos: »Aber ich will die Gefängnis meines Volkes Israel wieder wenden, daß sie sollen die wüsten Städte bauen und bewohnen, Weinberge pflanzen und Wein davon trinken, Gärten machen und Früchte daraus essen. Denn ich will sie in ihr Land pflanzen, daß sie nicht mehr aus ihrem Lande gerottet werden, das ich ihnen geben werde, spricht der Herr dein Gott.« Diese glückselige Zeit – so wünschte der Pfarrer – möge wenigstens der Täufling noch mit leiblichen Augen schauen im deutschen Land, und wenn die Alten auch in der Trübsal hinweggenommen würden, so möge ihnen Gott doch noch viel größere Herrlichkeit bereiten im himmlischen Jerusalem.

Der Schneider und seine Frau fanden die Rede etwas zu schwarz für eine Taufe, auch meinte er, die Nassau-Weilburger wenigstens könnten doch ganz ruhig dem drohenden Weltkrieg entgegensehen, denn Graf Ludwig habe sich ja neutral erklärt, und die Schneiderin dachte im stillen Sinn, das Wort der leidigen Hebamme, welche den wunderschönen Buben mit dem Christkind in der Krippe verglich, hätte wohl auf einen besseren Text geführt als Amos am achten. Doch wagten sie diese Gedanken nicht gegeneinander auszusprechen; denn sie fürchteten sich der Sünde, auch nur unter vier Augen ihres Kindes Taufpredigt zu bekritteln, und als sie Geburts- und Tauftag des jungen Amos auf das letzte Blatt der Hausbibel eintrugen, setzten sie jene Verse des alten Amos daneben zum ewigen Gedächtnis.

Wenn nun die beiden Eheleute den Kleinen, der sich immer schöner auswuchs, so in der Wiege liegen sahen, dann sprach wohl der alte Haselborn: »Der Junge ist viel zu schön, als daß er mir ein Schneider werden dürfte. Geistlich muß er studieren oder Amtmann, oder er kann auch Offizier werden, Feldoberst meinetwegen, General oder etwas dergleichen.« Und die Hausfrau nickte bejahend mit freundlichem Schmunzeln. Der Schneidermeister war nämlich zwar nur ein gewöhnlicher Schneider in einer kleinen Stadt, allein er war reich durch das Geld, welches seine Frau, eine Müllerstochter, ihm zugebracht, und hatte darum allezeit, wie man zu sagen pflegt, große Rosinen im Kopf. Da ihn aber die reiche Müllerstochter vorab um seines schönen Gesichtes willen geheiratet hatte, so meinte er, der kleine Amos, welcher zehnmal schöner sei, müsse auch ein zehnmal größeres Glück machen. Und als der Bube nachgerade zu Verstand kam, hörte er so oft, er müsse Stadtpfarrer, Amtmann oder Feldoberst werden, daß er glaubte, er werde dereinst in all den drei Würden zumal glänzen, und so spielte er denn mit seinen Genossen, wie er heute als Oberst zehn Landesverräter und Friedensbrecher einfing, morgen als Amtmann ihnen den Hals absprach und übermorgen die ganze Gesellschaft mit geistlichem Trost zum Galgen begleitete.

Amos war gerade acht Jahre alt, als der gräfliche Hofmaler den Auftrag erhielt, die vier Ecken der inneren Kirchenkuppel mit je zwei schwebenden Engeln al Fresco zu schmücken. Er wußte kein besseres Modell als den wunderschönen Schneidersknaben und malte ihn solchergestalt achtmal nackt und schwebend an die Kirchendecke. Mit leuchtendem Auge sah seitdem der Kleine allsonntäglich nach der Decke, wo er so lustig umherflatterte, und erzählte jedem Fremden mit Stolz, daß er schon einmal als Engel gesessen habe. Bei den Schulknaben hieß er von da an nur der Kirchenengel; er hörte aber diesen Spitznamen gern, und niemand war so fest wie er selber überzeugt, daß er im Grunde der schönste Mensch in der ganzen Welt sei.

Der alte Haselborn dachte aber, das schönste Kind, welches den schönsten Namen führe und für einen der drei schönsten Berufe erkoren, zudem bereits als Kirchenengel gemalt sei, müsse auch die schönsten Kleider tragen. Und da er reich war und ein Schneider obendrein, so war es ihm leicht, halb in den Geldbeutel, halb in die »Hölle« zu greifen und seinen Sproß mit einer roten Kappe, grünem Rock und gelben Hosen prächtig auszustaffieren. Das kostete aber dem Jungen viel bittere Tränen; denn die Schulkameraden, welche ihn schon wegen seiner bewunderten Schönheit neideten und neckten, ließen nun den bunten Vogel vollends keinen Tag ungerupft, und er hätte manchmal in den Lumpen eines Bettelkindes gehen mögen, die niemand verspottete. Der Knabe ahnte noch nicht, daß unsere beneidetsten Vorzüge so leicht unser härtester Fluch werden können, und doch weinte er schon bittere Tränen darob.

Aber da gab es nicht bloß Spott und Tränen, sondern auch derbe Püffe herüber und hinüber; denn Amos war kein schmächtig schönes Milchgesicht, sondern stark und frisch und ragte allen Altersgenossen über die Köpfe. Nur stand er leider fast immer allein im Streit, die Feinde dagegen rückten ihm in dichten Haufen zu Leibe, und so mußte er wohl trotz Kraft und Mut den kürzeren ziehen. Da freute es ihn denn doppelt, daß ihm öfters ein gleichalteriges Mädchen beisprang, des Schulmeisters Marthe; die führte auch eine kräftige Faust, war wild wie ein Junge und in Wort und Tat allezeit der Anwalt des schönen Kirchenengels. Konnte sie ihm auch nicht den Sieg gewinnen, so teilten doch beide redlich ihre Prügel, die ausgegebenen wie die empfangenen. Amos nahm die tatkräftige Teilnahme hin, als ob sie sich ganz von selbst verstehe, und wenn ihm Marthe zum Trost für Spott und Schaden heimlich ihr Butterbrot schenkte, so aß er es auch, als ob sich's von selbst verstehe. Von Hause war er gewöhnt, jedes Geschenk, jede Schmeichelei ohne ein Wort des Dankes als gebührenden Tribut zu empfangen, und nur wenn man ihm nichts gab, geriet er in tiefere Gemütsbewegung.

Die Eltern aber, welche dem lieben Amos aufpaßten wie die Hechelmacher, sahen sehr scheel zu jener einseitigen Freundschaft. Sie hatten dem Wickelkinde schon seinen künftigen Beruf zugesprochen, also lag es ganz in der Zeitfolge, daß sie bei dem zehnjährigen Buben auch an die künftige Heirat dachten. Der Alte meinte, man habe Beispiele, daß Grafentöchter zu schönen Bauernburschen herabgestiegen seien; warum sollte sich nicht wenigstens ein adeliges Fräulein finden für den schönsten Schneiderssohn? Amos hatte bei diesem Gespräch an der Türe gelauscht, und damit er's wisse, auch wenn er nicht gelauscht hätte, sagte ihm die Mutter, er möge sich nicht zu gemein machen mit des Schulmeisters Marthe, er müsse noch einmal eine Prinzessin heiraten. Als ihm darum Marthe wiederum ihr Butterbrot als Pflaster auf empfangene Hiebe legte, sprach Amos herablassend: »Marthe, du bist gar gut, und wenn ich einmal eine Prinzessin heirate, werde ich dich als Kindsmädchen in meine Dienste nehmen.« Es war das erste Wort des Dankes, welches Marthe für so viele Butterbrote erhielt, und doch versteckte sich das arme Kind nachher den halben Tag und weinte bitterlich.

Amos wuchs inzwischen heran vom lieblichsten Kinde zum frischesten, kräftigsten Jüngling; er war gewandt, aufgeweckt, heiter, wenn auch etwas selbstgenügsam, und ein klarer Verstand sprach aus dem klaren blauen Auge. Die Blüte hatte erfüllt, was die Knospe versprochen. Aber auch die am Tauftage geweissagte Kriegszeit hatte sich erfüllt, und die Wehen des unseligen Streites lasteten von Jahr zu Jahr schwerer auf dem Nassauer Land. Die beiden Schneiderseheleute erinnerten sich manchmal ängstlich der Verse Amos am achten, die sie bei des Sohnes Tauftag in die Bibel notiert, und fragten sich, ob denn das furchtbare Wort in seiner ganzen Schwere wahr werden solle. Ergriffen von solch ernstem Geiste, bestimmten sie den jungen Amos dem Dienste der Kirche und schickten ihn zuvörderst in die lateinische Schule. Da der schöne Schneiderssohn nun also zum Gelehrten eingeweiht war, so klang ihm sein ehrlicher deutscher Name Haselborn bald zu ungelehrt, unschön und schneiderhaft; er latinisierte ihn nach damaliger Sitte und schrieb sich fortan: Amos Corylofontanus.

Mit jedem Schuljahr aber wuchs die Not der Zeit; der alte Haselborn kam merklich zurück, empfand es aber minder tief, weil alle anderen Bürger gleichfalls zurückkamen, und tröstete sich mit der Hoffnung, seinen Sohn in wenigen Jahren als Pfarrer zu sehen, und wenn Amos dann auch gerade keine Gräfin heiratete, so werde er doch gewiß ein adeliges Fräulein als Pfarrfrau heimführen.

Da erschien eines Tages der Rektor im Schneiderhause – es war just an Amos siebzehntem Geburtstage – und bat um ruhiges Gehör. Es sei jetzt wohl an der Zeit, meinte er, über den künftigen Beruf des Jungen endgültig zu entscheiden; auch ungebeten halte er sich darum als Lehrer verpflichtet zu einem offenen Wort. Amos sei der wunderlichste Heilige: Geschick habe er zu jedem Dinge, Fleiß zu gar keinem. All sein Lernen sei Laune. Lese er in den Alten von der schönen Helena, von Paris, Achill, Alexander, von Venus oder Apollo, dann spanne er mit allen Sinnen auf den Text; vom häßlichen Sokrates, vom buckligen Aesopus, vom warzigen Cicero und dem kahlköpfigen Cäsar dagegen wolle er gar nichts wissen. Es sei ein Glück, daß der Teufel so garstig aussehe; wäre er hübsch, so verliebe sich der Bursch am Ende gar in den Teufel. Werde eine altlateinische Schulkomödie von Plautus oder Terenz aufgeführt, dann habe Amos zwar nie seine Verse ordentlich gelernt; dennoch aber spiele er die Frauenzimmer und Liebhaber so meisterlich, daß man über der Wahrheit und Anmut seiner Gebärden die halb verschluckten, halb verketzerten Verse vergesse. Der heidnische Amor liege ihm überhaupt viel näher als der biblische Amos. In den letzten Fasten habe er, der Rektor, seinen Primanern eine freientworfene lateinische Meditation über die vier Evangelien aufgegeben; der junge Haselborn aber habe ein gar seltsames Stück Arbeit daraus gemacht, indem er von der »Idee der Schönheit in den Evangelien« gehandelt! Da sei zu lesen gewesen, wie rednerisch schön die Bergpredigt, wie himmlisch schön das Antlitz der Jungfrau Maria, wie göttlich schön die Gestalt des verklärten Heilandes, wie königlich schön der zorneseifrige Apostel Petrus, wie festlich schön der Einzug in Jerusalem, ja selbst an Judas Ischariot habe der schöne Amos etwas Schönes gefunden, nämlich seinen roten Bart. Kurz, alles sei schön gewesen in dem Aufsatze, nur nicht das Latein, denn das sei über die Maßen häßlich.

»Wo sitzt da auch nur ein Fünkchen geistlichen Sinnes!« fuhr der Rektor fort. »Alle Mädchen haben ein Auge auf den Jungen, und er hat zwei wenigstens auf alle schönen Mädchen. Weil kein Spiegel in der Schulstube hängt, beschaut er sich in den Fensterscheiben, und wenn er träumend über meinen Vortrag hinaushört, gleitet sein prüfender Blick vom Buche auf seine zierlichen Finger oder seine stattlichen Beine. Laßt euern Amos einen Maler werden – der alte Hofmaler treibt's ohnedies nicht mehr lange; – zum Pfarrer ist er nicht geboren.«

Die Schneidersfrau zitterte entrüstet über diesen Vorschlag, denn ein Maler war in ihren Augen nur ein höherer Vagabund. Und es entschlüpfte ihr halblaut das Wort: »Es ist ein Unglück, wenn man so schön ist wie unser Amos; dann finden sich Neider überall.«

Der Rektor aber fing das Wort auf und rief: »Ihr habt einen wahren Spruch getan; es ist ein Unglück, daß der Junge so schön ist. Wäre er als ein Frauenzimmer zur Welt gekommen oder als ein Kavalier, so würde es ein Glück sein; wenn aber ein Weilburger Schneiderssohn schöner ist als alle anderen Menschenkinder, so ist das ein Unglück, und wenn dieser Schneiderssohn gar seine Schönheit weiß und fühlt und Theologie dazu studieren will, so möchte man weinen über solchen Fluch der Schönheit.«

Sprach's und ließ das Elternpaar allein in Zorn und Staunen über seine Rätselworte.

Amos Haselborn oder Corylofontanus aber ward sofort aus der lateinischen Schule genommen; die Mutter meinte, lieber solle er das Studieren lassen, als daß das arme Kind länger dem Neide des häßlichen Rektors preisgegeben sei. Veränderungslustig, wie er war, ließ Amos sich das gern gefallen, nur ärgerte er sich über das einfältige Gerede, welches alsbald in der Stadt umlief; denn die Leute meinten, der schöne Schneiderssohn sei nicht eigentlich fortgegangen, sondern fortgejagt worden von der Schule, und das Gerücht dichtete hinzu wegen einer Liebschaft mit des Schulmeisters Marthe. In der Tat aber hatte Amos das Mädchen seit Jahren kaum mehr angesehen, und wenn sie ihn ansah, so war es nur verschämt und verstohlen. Das Gerücht aber gewann an Kraft. Denn in der ganzen tadelnden Stadt war Marthe neben den Schneidersleuten die einzige Seele, welche den verleumdeten Jüngling offen und eifrig verteidigte.

Das kam auch zu Amos' Ohren und tat ihm so wohl, daß er beschloß, der Marthe die längst schon fällige Schuld eines Dankeswortes abzutragen. Als er aber die schüchterne Jungfrau sah, verkühlte sich die warm begonnene Rede allgemach und schloß mit einigen gedankenlos verworrenen Gemeinplätzen. Denn er gewahrte erschreckend deutlich, daß ihre Nase etwas zu dick sei, die Augen zu klein und der Mund zu breit, so daß man das Mädchen trotz des freundlichen Mienenspiels und der stattlichen Gestalt doch eigentlich kaum hübsch, geschweige schön nennen könne.

Marthe aber erwiderte, wenn er wahrhaft Dank empfinde, so möge er um Gottes willen ihrem Rate folgen, dem Rektor Abbitte tun, zu seinen Studien umkehren und ehrlich schaffen, daß er ein guter und frommer Pfarrer werde. Das sei er nicht nur sich und den Eltern, sondern auch ihrem eigenen guten Namen schuldig.

Sie sprach diese ernsten Worte so bescheiden und so bewegt, daß sie dem Amos das Herz würden gewendet haben, wenn ihre Nase nur ein wenig zierlicher, das Auge um ein kleines größer und der Mund nur etwas feiner gewesen wäre. So aber verhallten sie, weil Amos just im stillen seine eigene Nase mit des Mädchens Nase verglich, und als er ihr nicht mehr Aug' in Auge sah, da meinte er, recht grob geschulmeistert habe ihn denn doch die Schulmeisterstochter. Aber häßliche Frauenzimmer predigten allerwege gern. Gelte dasselbe auch von den Männern, dann sei er freilich zu schön zum Pfarrer.

Und sogar die Mutter sprach jetzt mit gleichem Wort: »Der Rektor hat recht, unser Amos ist zu schön zum Pfarrer! Denn wenn man sieht, wie in diesen Kriegsläuften die Pfarrer überall gefangen, geplündert, verjagt werden, daß es fast minder gefährlich ist, Soldat als Pfarrer zu sein; darum war wohl unser Amos zu schön, als daß man ihn in eine Pfarre hätte schlachten dürfen.« Doch wurde sie verlegen um des Sohnes neue Laufbahn. Kanzler oder Rat konnte er nun auch nicht werden, da er das Studieren aufgegeben. Die Zeit schwand, das mütterliche Geld gleichfalls, und bereits seit einem Jahr streckte der müßige Sohn seine langen Beine, die er gerne den Beinen des vatikanischen Apoll verglich, unter seiner Eltern Tisch.

Da ward eine Schreiberstelle beim Rentamte frei, und Amos ließ sich herab, sie anzunehmen. Die Mutter tröstete ihn über den Schritt, welchen sie eine Mißheirat nannte, und meinte, beim Finanzwesen gebe es doch noch die besten Geschäfte in dieser räuberischen Kriegszeit, und wenn er nur einmal plötzlich reich geworden wie so viele Rentmeister, dann könne man gar nicht ermessen, was alles weiter geschehen möge. Amos wußte wohl, daß die gute Frau bei letzterem Wort an die bewußte Gräfin oder Prinzessin dachte.

Mit überraschendem Geschick und Eifer ergriff er den neuen Beruf und gewann des Rentamtmannes volles Zutrauen. Da aber selbigesmal am Weilburger Hof und in der Umgegend gerade keine Prinzessin zu haben war, so warf der schöne Schreiber sein Auge vorläufig nur auf des Rentamtmanns hübsche Tochter Dorothea. Die schulmeisterte nicht wie des Schulmeisters schüchterne Marthe, auch waren ihre Augen groß und ihre Nase klein genug, und wo Marthe gezögert hätte, den kleinen Finger zu geben, da gab Dorothea gleich die ganze Hand. So spielten die jungen Leute geraume Zeit einen ganz heiteren Roman: Amos glaubte sich geliebt, und Dorothea ergötzte sich daran, daß er's glaubte. Eines Morgens aber trat der Rentamtmann zu Amos und eröffnete ihm, er sei der vortrefflichste Schreiber, den er je besessen, allein er sei ihm zu schön. Weil er so schön sei, verbiete er ihm – er werde wohl den weiteren Grund erraten – sein Haus, und weil die Schreibstube nun einmal im Hause liege, so müsse er ihm leider auch den Dienst künden.

Amos stürzte hinweg, betäubt von Scham und Zorn. Doch schlich er nach einer Stunde wieder zurück, um wenigstens Dorothea einen Wink und Worte der Treue und des Trostes zu bringen. Diese aber bedurfte des Trostes nicht. Sie hatte nur das Spiel der Liebe gesucht, nicht Liebe, und da aus dem Spiele durch des Alten groben Querstrich ein ärgerlicher Ernst zu werden drohte, so schob sie die Karten beiseite. Sie sah heute ungewöhnlich schön aus, als sie ihrem Amos verlegen stotternd andeutete, er möge sie vergessen, heiraten könne sie ihn ja doch niemals, die Tochter eines gräflichen Dieners einen Schreiber, der nur ein Schneiderssohn. Und dazu hatte die Hexe noch die schönsten Tränen im Auge!

Doppelt geschlagen floh Amos zum zweitenmal aus dem Amthause. Er wußte nicht mehr, was er tat, was er fühlte, wo er sich umhertrieb. Heimzukehren zu den Eltern, schämte er sich; er stürmte den ganzen Tag durch die Wälder und Felder und schlug sich mit der Faust ins Gesicht, als wolle er ihm Ohrfeigen dafür geben, daß es zu schön sei, und als er gegen Abend sich wieder in der Stadt fand, wußte er selber nicht, wie er dahin gekommen und welche Wege er gelaufen war.

Er bog um die Ecke des Marktplatzes am Wirtshause zum Ritter. Da klopfte ihm ein fremder Mann auf die Schulter und rief: »Das ist der schönste Kerl, den ich in meinem Leben gesehen! Kamerad, du mußt eine Kanne Wein mit uns trinken!«

Amos fuhr auf wie aus einem Traum. Vor dem Wirtshause auf dem Marktplatz saßen fremde Soldaten und zechten, sangen und brüllten; einige Bürgersöhne sahen schüchtern von ferne zu, Bauernbursche aus der Umgegend tranken mit den Soldaten, von der Schwanengasse herüber hörte man Trommelschlag. Es waren Werber von dem Regimente, welches Markgraf Hans Georg von Brandenburg damals in den Nassauischen Landen für den Kaiser Ferdinand zusammenbrachte.

»Das ist der erste Mann, dem ich nicht zu schön bin und der mir etwas Gutes bietet wegen meiner Schönheit«, dachte Amos bei sich und maß den fremden Soldaten, welcher ihn zum Weine geladen, vom Kopf bis zu den Füßen. Dieser aber maß seinerseits mit noch viel festerem Blicke den jungen Haselborn, faßte seine Hand und zog ihn zu den Zechern. »Da bringe ich den allerschönsten Kerl, der muß zu unserer Fahne schwören!« rief der Werber den Genossen zu, und ehe sich's Amos versah, war er umringt von den anderen, die ihm schmeichelten, zutranken, Brüderschaft boten.

Bebend vor Ingrimm, rief er: »Gefall' ich euch? Hol' mich der Teufel! Ihr seid die ersten, denen ich ganz gefalle und gerade schön genug bin.«

»Schön genug und schöner als genug!« schmeichelte einer aus dem Haufen und wollte ihm die Hand reichen. Aber Amos trat wütend zurück, ballte die Faust und schrie: »Sagt das nicht noch einmal! Wer da spricht, ich sei schöner als genug, ich sei zu schön, dem schlage ich den Hirnschädel ein!«

In diesem Augenblick drängte sich ein Mädchen durch den wüsten Schwarm. »Komm mit mir, Amos, um Gottes willen! Komm mit mir zu deinen Eltern; sie suchen dich, die Mutter vergeht vor Kummer!« rief sie mit einem Schmerzenstone der Verzweiflung, der einen Stein hätte erbarmen können. Es war des Schulmeisters Marthe. Aus den Fenstern des Schulhauses hatte sie gesehen, wie Amos zu den Werbern gelockt worden war, und während sich sonst die Frauen vor diesem rohen Soldatenvolk in den Wald zu flüchten und in die Keller zu verstecken pflegten, eilte sie, aller Gefahr und Schande vergessend, mitten in die Rotte; denn es war ihr, als sei der undankbare Freund ihrer Jugend an Leib und Seele verloren, wenn sie ihn jetzt nicht rettete.

Mit wankenden Knien sah Amos das flehende Mädchen an, die geballte Faust löste sich, und er fuhr sich mit der Hand über Stirn und Gesicht, als wolle er ein wüstes Fiebertraumbild hinwegwischen. »Du hast recht, Marthe!« sprach er gebrochen, »ich will mit dir nach Hause gehen.«

Der Werber aber flüsterte ihm ins Ohr: »Ist das dein Schatz? Pfui, schäme dich; ein so schöner Bursch und eine so häßliche Dirne! Ist nicht ihr Gesicht wie aus einer Rübe geschnitzt? Da, schau hinüber nach unseren Mädeln, die den Wein kredenzen! Gelt, das ist feineres Kaliber? Und sie alle sollen deine Schätze sein, wie du willst; – jeden Tag eine andere!«

Amos warf einen Blick auf die Troßdirnen und spuckte voll Abscheu aus. »Geht mir mit euren Weibsbildern; ich habe keinen Schatz und will keinen haben!«

»Komm mit mir, Amos!« flehte Marthe.

»Ich folge dir!« erwiderte er, verwirrter als zuvor. Denn im selben Augenblicke fiel ihm ein, daß man die Schulmeisterstochter mit dem Rübengesicht nun doch für seinen Schatz halten würde, wenn er ihr folge. Hätten die Soldaten nur nicht gleich beim ersten Anblick über das häßliche Gesicht gespottet.

Und er folgte ihr nicht.

Als er aber sah, daß die Soldaten das geängstete Mädchen beleidigten, ergriff er eine Pike, die am Tisch lehnte, und rief wütend: »Das Mädchen ist nicht mein Schatz, und ich bleibe bei euch, um es euch zu beweisen; aber wer dem Kinde ein Haar krümmt, dem renne ich auf der Stelle den Spieß durch den Leib!« Die Soldaten standen verblüfft und ließen Marthe ziehen.

Der Werber aber sprach: »Brav, Bursche! Man sieht, daß du Mut im Leibe hast!« Und einer der eben geworbenen Bauern fügte hinzu: »Der Teufel! Unser Kirchenengel ist wie ein Bär geworden. Wer hätte das von dem schönen Schneiderssohn erwartet!«

Da rief Amos: »Nimm dies für den Kirchenengel und dies für den schönen Schneiderssohn!« und schlug ihm mit der Pike auf den Kopf, daß der Bauer zu Boden sank und das Blut ihm übers Gesicht lief.

Amos war jetzt seiner Sinne nicht mehr mächtig. Er fühlte nur, wie man ihn entwaffnete, mit Büttel und Henker drohte, wenn er nicht augenblicklich Handgeld nehme, dann ihm wieder schmeichelte, zutrank, seine Schönheit pries: die Eltern, Marthe, Dorothea, der Amtmann, die Soldaten, der blutende Bauer, Büttel und Henker, alles wirbelte in seinem Kopfe durcheinander. Er trank und trank, damit er wieder klarer denke; doch toller nur tanzten alle die Gestalten mitsammen, und aus dem wachen Taumel fiel er zuletzt in den Taumel des wirklichen Schlafes, und als er wieder zu hellen Sinnen kam, stand die Morgensonne am Himmel.

Der Werbeoffizier schlug ihm mit derber Faust auf die Schulter und rief: »Aufgewacht, Kamerad! Hörst du denn die Trommel nicht? Jetzt marschieren wir nach Herborn zu unserem Regimentsstab. Wärest du nicht der schönste Kerl, wir hätten's uns nicht so schwere Mühe und doppeltes Handgeld kosten lassen, um dich für des Kaisers Fahne zu werben.«

Zweites Kapitel

Leichter, als man hätte denken sollen, tröstete sich heute der nüchterne Amos über den verzweifelten Schritt, welchen gestern der trunkene Amos getan. Denn nicht bloß den bösen Leichtsinn hatte er als eine Mitgift seiner Schönheit empfangen, sondern auch den guten leichten Sinn. Er dachte, wer vor Tausenden durch die herrlichste Gottesgabe so sichtbar begnadet sei, dem müßten auch noch einmal große Dinge glücken, und es sei ein innerer Widerspruch der Natur, wenn er tatenlos ganz in Schmach und Elend versinken solle, – er glaubte an den Stern seiner Schönheit. Daß er jetzt inmitten einer Rotte rohen Gesindels diesem Sterne nachzog, störte ihn gar nicht in seinem Glauben. Es erfrischte ihn, lauter ganz fremde Gesichter um sich zu sehen und willenlos auf einen ganz unbekannten Schauplatz geschleudert zu werden. Er fühlte wohl, daß er sich völlig verfahren habe in seiner alten Umgebung und unter neuen Leuten ein neues Leben anfangen müsse.

Doch dachte er tiefbetrübt an seine Eltern. Einen Herborner Tuchmacher, der nach Weilburg ging, bat er, dem Vater zu sagen, daß er in dem Regimente, welches großenteils aus Landsleuten bestehe, gut aufgehoben sei und in Jahr und Tag gar wohl als Oberst und gemachter Mann wieder heimkehren werde, der Mutter aber, daß ihr Amos nunmehr ein Pikenier geworden, mit der Pickelhaube auf dem Kopf, dem eisernen Halskragen auf den Schultern, dem Halbküraß auf der Brust und einer achtzehn Fuß langen Pike in der Faust, ferner daß er täglich zwei Pfund Brot erhalte, eine Maß Wein, ein Pfund Fleisch und monatlich vierthalb Reichstaler Servis. Also brauche sie sich nicht um ihn zu sorgen; übrigens möchten ihm die Eltern nicht zürnen und ihren Segen im stillen auf seinen Weg senden.

Der große Jammer, welcher sich damals über das weite Land lagerte, verschlang den kleinen Jammer der Eltern um ihren verlorenen Sohn. Wo ein ganzes Volk stumpf wird vor Elend, da trägt auch der einzelne sein besonderes Kreuz leichter. Die Schneidersleute, von Raub, Brand, Pest, Krieg und Hunger geängstet und heimgesucht, erinnerten sich gar manchmal des Verses aus dem Propheten Amos, welcher nun buchstäblich wahr geworden: »Die Lieder in den Kirchen sollen in ein Heulen verkehrt werden zur selbigen Zeit«, spricht der Herr. »Es werden viel toter Leichname liegen an allen Orten, die man heimlich wegtragen wird.« Aber sie gedachten dabei oft kaum mehr des Sohnes, durch dessen Taufe sie diesen Vers sich eingeprägt; denn er war ihnen in den langen Jammerjahren zuletzt auch wie einer von den toten Leichnamen geworden, die man heimlich hinweggetragen.

Amos hatte inzwischen im Felde einen harten Stand. Unter der rauhen Zucht von des Exerziermeisters Haselstock legte er den lateinischen »Corylofontanus« wieder ab und kehrte zum ehrlichen deutschen »Haselborn« zurück. Hätte er nur auch den lateinischen Schliff seines Wesens mit ablegen können, so wäre es ihm unter den wilden Soldaten vielleicht besser ergangen. Aber weil er so schön war, hatte man ihn so fein erzogen, und nun war er eben doch wieder zu fein und zu schön für einen Pikenier. Er hatte sich einen ritterlichen Krieg geträumt, wo er sich mit dem Mute seines Ehrgeizes und dem Glanz seiner Erscheinung rasch zum Ritter wollte emporkämpfen, und man führte ihn zum Raufen, Rauben und Mordbrennen, zum Leuteschinden und Landverwüsten. In der Schlacht vielleicht der erste, war er in jenen Heldentaten doch allezeit der letzte unter seinen Kameraden, und obgleich er nach damaliger Art seine Haut zum öfteren einem anderen Kriegsherrn verkaufte, kam er dennoch nie in eine ordentliche Schlacht.

Einmal hätte Amos übrigens beinahe Gelegenheit gefunden zu einer auszeichnenden Waffentat. Es war im Jahre 1632. Schon trieb sich der Pikenier vier Jahre in Kriegsdiensten umher und stand jetzt bei den Schweden unter Generalmajor von Baudiß und war doch immer noch gemeiner Soldat. Baudiß wollte sich der Rheinstraße von Koblenz nach Köln bemächtigen, und es galt ihm vorab, die Burgen, welche diese Straße deckten, in seine Gewalt zu bekommen. Eine derselben mußte mit Sturm genommen werden, und das war eine harte Nuß. Der Generalmajor verhieß denen, die sich freiwillig zur ersten Sturmleiter stellten, Avancement auf dem Platze und doppelten Beuteteil. Amos trat vor allen vor die Front, aber es warben noch so viele mit ihm um die größte Gefahr und Ehre, daß der General die Auswahl hatte. Und als sein Auge auf den jungen Haselborn fiel, war es wie geblendet von dessen mannhafter Schönheit. Er dachte bei sich: In einer halben Stunde liegen die zwölf ersten alle zerschmettert im Graben; es wäre doch schade, wenn ich den prächtigsten Burschen im ganzen Regiment zum sicheren Tode schickte. Und er stellte den Haselborn mit anderen Überzähligen zurück. Das Glück aber fügte es, daß die zwölf ersten alle das Leben und die Ehre und den Gewinn davonbrachten; Amos aber ging leer aus, obgleich er tapfer genug kämpfte und Püffe übergenug erhielt. Er war eben zu schön zum gemeinen Pikenier, und doch konnte er nichts Besseres werden, weil er zu schön war. Wäre der Schneiderssohn gleich als Oberst ins Feld gerückt, er würde gewiß wegen seiner Schönheit den ruhmvollsten Weg gemacht haben.

So zog er wie ein Fremdling unter seinen gröberen Kameraden weiter, ungefreundet und beneidet und doch wahrlich nicht beneidenswert. Ward aber die Schönheit dem Soldaten zum Fluch, so ward sie dafür wenigstens dem Menschen zu einigem Segen. Denn weil sich Amos so viel feiner und schöner fühlte als die übrigen und an den Stern seiner Schönheit glaubte, versank er doch niemals ganz in den gemeinen Geist und das wüste Treiben der Genossen. In der angeborenen Schönheit sah er einen Adelsbrief, einen echten Geburtsadel, der auch zu adeligem Leben verpflichte, und die Kameraden, welche seine geheimen Gedanken von ungefähr witterten, nannten ihn gerne den adeligen Schneider.

Da geschah es, daß Amos Haselborn auf seinen Kreuz- und Querzügen eines Tages in ein Dorf am Rheine kam, woselbst sich die ausgehungerte Mannschaft etwas erfrischen und mit Vorrat auf die nächsten Tage versehen sollte. Das vollführten sie in der einfachsten Art. Sie fragten nicht lange, wo Speise und Trank feil sei, sondern schlugen die Haustüren ein und die Kisten und Schränke und nahmen sich, was sie fanden. Was sie nicht essen konnten, das warfen sie auf den Mist oder in die Brunnen, und hatten sie sich in den Kellern satt getrunken, so ließen sie die Fässer auslaufen. Wir müssen reinen Tisch machen, sprachen sie, damit es morgen schönes Wetter gibt. Und weil sich ein Soldat nicht beschweren kann mit Mundvorrat auf viele Tage, so suchten sie fleißig nach Silber und anderen Kostbarkeiten; das trug sich leichter und half ihnen nachgehends doch wieder zu Brot und Wein. Und da die Leute ihr Geld gern in den Betten verbargen, so schnitten sie alle Betten auf und schütteten die Federn auf die Gasse, daß dieselbe mitten in den Hundstagen fast aussah, als ob es geschneit habe. Dies und noch Schlimmeres dazu nannten die Soldaten ein kleines Gabelfrühstück einnehmen und etwas Proviant für den nächsten Hunger.

Wollte Amos nicht von der Luft leben, so mußte er's den Kameraden nachmachen; denn wer sich in solchem Gestürme aufs Bitten und Kaufen legte, der bekam gewiß nichts. Also stieg er durchs Fenster ins verschlossene Pfarrhaus, setzte dem Pfarrer die Pistole auf die Brust, damit er den Kellerschlüssel etwas rascher finde, und zeigte der Pfarrerin die bloße Schwertklinge, damit sie sich klarer entsinne, wohin sie ihre Schinken und nebenbei auch den Geldbeutel versteckt habe. Als er sich dann satt gegessen und getrunken und mit etwas Barschaft für die nächsten Tage vorgesehen, legte er sich auf die Bank in der Wohnstube, um ein wenig zu verschnaufen und seinen Gedanken nachzuhängen. Diese Bank war freilich das einzige unzertrümmerte Stück Hausrat im ganzen Zimmer, denn die etwas ungestümeren Kameraden, welche mit ihm eindrangen, hatten alles übrige bereits kurz und klein geschlagen.

Da es nun ganz stille geworden war, als Amos allein noch auf der Bank rastete, so glaubte der Pfarrer wohl, das Kriegsvolk sei abgezogen, und Amos hörte, wie er mit der Pfarrerin im Nebenzimmer wehklagend nachforschte, was ihm die Plünderer von seiner Habe noch gelassen hätten. Die Zwiesprach der geschlagenen Eheleute aber nahm plötzlich eine Wendung, daß sie dem schönen Schneiderssohne an die Seele griff, und er sprang von der Bank auf, als hätte ihn eine Natter gestochen.

Der Pfarrer sagte nämlich: »Die Kerle sind lauter eingefleischte Teufel; aber der teuflischste von allen war doch jener bildschöne junge Mann, der zuerst kam und dir das Schwert vor der Nase tanzen ließ.«

Die Pfarrerin dagegen meinte, der schöne Junge sei ja gegenteils vielmehr noch der Beste gewesen. Denn er habe sie doch nicht weiter gemartert, sondern nur bedroht, auch nichts zerschlagen und verderbt, sondern nur genommen, was er bedurft habe.

Der Pfarrer aber erwiderte: »Frau, das verstehst du nicht! Freilich schädigten und quälten uns die anderen viel ärger. Allein jenen rohen Bösewichtern hat es Gott schon in ihre Galgengesichter geschrieben, daß sie als Geißeln der Menschheit durch die Welt ziehen sollen. Dieser Bursche dagegen sieht aus wie der Herr Christus und übt doch gemeinsame Greuel mit den geborenen Räubern. Und wütet er auch nur halb so arg, so sündigt er doch dreimal schwerer als seine Genossen. Nicht bloß sein Gesicht, auch die Sprache und jede Gebärde verrät, daß er guter Leute Kind ist. Feine und schöne Spitzbuben sind aber allezeit die schlimmsten und meist auch inwendig die grausamsten; denn sie sündigen mit der bewußtesten Bosheit und nicht bloß wider das Gesetz, sondern auch wider ihre eigene Natur. Man tut sehr unrecht, daß man sich den Teufel als die häßlichste Bestie denkt. Er ist nicht so schwarz, wie man ihn malt, und eben darum am allerschwärzesten. Denn sähe er so bestialisch häßlich aus, so würde seine Gestalt ja die Wahrheit sagen. Er ist aber ein Lügner durchweg, und also geht er schön wie ein Gott einher und ist in dieser ungeheueren Lüge erst recht der teuflischste Teufel!«

»Nein! das ist zu arg!« rief Amos, in die Türe des Nebenzimmers tretend; und die Pfarrersleute standen versteint, als sähen sie jetzt den allerschönsten Satan leibhaftig. »Zu jedem Beruf und Glück war ich zu schön, nur zum Teufel bin ich also eben schön genug! Seht, Herr Pfarrer, wenn ich nicht so schön wäre, so wäre ich ein frommer Pfarrer geworden wie Ihr, und statt zu plündern, würde ich nunmehr selber geplündert. Ihr meint, die Schönheit sei ein Freibrief zu allem Guten. Aber ich sage Euch, jene Kerls mit den Galgengesichtern haben es zehnmal leichter, auf Erden ihr Glück und im Himmel die Seligkeit zu gewinnen, als ich, dem sein schönes Gesicht alle Tage ein Bein gestellt. Was zittert und wimmert Ihr denn? Ich bin ja ganz gewiß der Teufel nicht und will Euch nicht verschlingen. Aber zur Strafe Eurer Lästerung wünsche ich, daß Ihr nur ein einziges Jahr die Last der verteufelten Schönheit tragen müßtet, an welcher ich nun schon fünfundzwanzig Jahre schleppe: Ihr würdet dann milder über andere Christen urteilen und richtiger über den Teufel. Denn wenn dieser die Maske der schönsten Menschengestalt verschmäht, so tut er's nur deswegen, weil er zu gescheit ist und wohl weiß, daß er mit dem schönsten Gesicht auf ewig ein geradeso armer Teufel bleiben würde wie Euer ergebenster Diener Amos Haselborn.«

Mühsam erholte sich der Pfarrer von seinem Schrecken und überzeugte sich allmählich, daß er einen ganz gebildeten und wohlwollenden jungen Mann vor sich habe, den nur die Not und der wüste Brauch des Krieges zur Gewalttat trieb und den er klüglich zu seinem Schutz im Hause müsse zu fesseln suchen. Das ward ihm nicht schwer, denn er durfte den Pikenier nur auf die Geschichte der Rätsel seines Lebensganges bringen, die derselbe ja schon anspielend berührt hatte, und es ergab sich Amos bald behaglichem Erzählen und Plaudern, selber froh, wieder einmal einer seiner gearteten Natur zu begegnen.

So saßen sie lange beisammen in der verödeten Stube, und die Pfarrerin brachte eine Kanne des besten, duftenden Firmweins, dessen Versteck die drohende Pistole doch nicht zu erschließen vermocht hatte. Und so erschloß es am Ende wohl gar die Schönheit und feine Sitte des jungen Soldaten.

Als aber Amos seine Geschichte beendet und der Pfarrer manches treffende Wort dazugefügt hatte, deuchte es beiden doch fast seltsam, daß sie mitten in all dem Greuel der Verwüstung über den Fluch der Schönheit philosophierten, und der Pfarrer sprach, um die Rede zu beruhigendem Schlusse zu führen, mit einem wehmütig lächelnden Seitenblick auf seinen zertrümmerten Hausrat:

»Es ist nicht bloß Euer persönlicher Unstern, sondern der Fluch dieser ganzen Zeit, daß das Schönste und Edelste in uns am härtesten gestraft, ja uns selber zum ärgsten Feinde wird, und wer sich in den Panzer seiner Roheit und Häßlichkeit hüllen kann, der fährt am sichersten in diesen Tagen des Greuels.«

»Nun habe ich bald das Leben satt!« rief Amos halb lachend, halb zornig dazwischen. »Ich war zu schön für einen Schneiderssohn, für einen Pfarrer, für einen Schreiber, für einen Pikenier, zu schön fürs Waffenglück, fürs Liebesglück, zu schön für einen Mann und für einen ehrlichen Menschen, nun bin ich gar zu schön für diese ganze Zeit, und nur für den Teufel bin ich gerade schön genug gewesen!«

»Ihr habt mich nicht ausreden lassen«, unterbrach ihn der Pfarrer. »Meinem Vordersatz wollte ich hinzufügen: trotzdem gibt es auch jetzt noch Leute, die ein Glück gewonnen haben, wie es der Glanz ihrer Naturgaben verhieß. Und dabei denke ich zunächst an den schwedischen Generalmajor Jakob Ramsay, den Schotten. Er gilt als der schönste und stattlichste Mann im ganzen schwedischen Heere, und wenn ich Euch so ansehe, dünkt mir, Ihr sähet ihm fast wie ein Bruder ähnlich. Dazu ist Ramsay gescheit, fein erzogen, ein Schüler und Freund Gustav Adolfs, ritterlich tapfer und ein Glückskind ohnegleichen, der alles durchschaut und dem alles gelingt. Geld und Güter hat er im Deutschen Reiche schon die Fülle gewonnen, und seit er beim Sturm auf die Würzburger Feste so heldenhaft gekämpft und gesiegt, steht ihm der Weg zu den höchsten Ehren eines großen Feldherrn offen.«

»Ist dieser Ramsay auch ein Schneiderssohn?« fiel Amos ein.

»Nein! Er stammt aus altem Adelsgeschlecht!«

»Ah so!« sagte Amos sehr gelassen. »Wäre ich als ein Kavalier geboren, so würde auch mir meine Schönheit höchst förderlich gewesen sein. Das hat man mir öfters gesagt. Leider ward ich irrtümlich ein Schneiderssohn.«

Der Pfarrer aber erwiderte: »Ein Soldat darf niemals an seinem Glücke verzweifeln. Ich kenne Ramsay persönlich, und dieser ist mir zu einigem Danke verpflichtet. Ich will Euretwegen nach Hanau schreiben, wo Ramsay eben das Kommando führt. Er erkennt jeden Mann mit wunderbarem Scharfblick und weiß jeglichen an seinen rechten Platz zu stellen, und vorab hat er den Sinn für Eure feinere Art. Bei Ramsay könntet Ihr Euer Glück machen, und da Ihr ja bei einem schwedischen Regimente steht, so wird es dem Generalmajor leicht sein. Euch gegen einen anderen einzutauschen. Sollen wir beide den Versuch wagen?«

Leicht entzündlichen, hoffnungsvollen Gemütes schlug Amos ein. Der Pfarrer schrieb, und nach einem Vierteljahre war der schöne Pikenier bei dem Kriegsvolke Ramsays in Hanau. Der General gefiel ihm wie er dem General. Goldene Träume gaukelten vor seinem erregbaren Geiste. »Gottlob!« rief er aus, »nun ist meine Schönheit doch endlich einmal schön genug und zu irgend etwas Gutem nütze gewesen!« Er rief das aber nur ganz stille; denn der Pfarrer hatte ihm den guten Rat mit auf den Weg gegeben, er möge künftig nicht mehr so viel von seiner eigenen Schönheit reden, das gefalle dem Ramsay so wenig wie allen anderen Menschen.

Dieser Heerführer hielt seit der Schlacht von Nördlingen fast vier Jahre lang Hanau besetzt, und die Bürger lobten sein Walten und hatten es damals besser als gar viele Nachbarstädte. Dem umliegenden Lande dagegen war der schottische Schwede mit seinem Kriegsvolk ein Schreck und Greuel. Denn durch seine Ausfälle und fleißiges Scharmützeln mit den kaiserlichen Streifkorps schädigte und plagte er das flache Land unsäglich. Bei einem solchen Ausfall erstürmte Ramsay sogar die kurmainzische Stadt Aschaffenburg und brachte den Vizedom gefangen nach Hanau. Haselborn bewährte sich so tapfer bei dieser Waffentat, daß er endlich zum Fähnrich vorrückte. Und als nachgehends Ramsay unter sehr günstigen Bedingungen mit dem Kurfürsten von Mainz und dem Grafen Philipp Moritz von Hanau wegen der Übergabe Hanaus verhandelte, welches eben doch allmählich ein verlorener Posten ward und keinen Entsatz hoffen durfte, bediente er sich des ebenso federgewandten als klugen Haselborn zu manchem geheimen Kanzleidienste. So sah Amos jetzt allerseits seinen Weizen blühen; die Kameraden weissagten ihm eine glänzende Laufbahn, neideten sein Glück und sprachen: Da sieht man doch, wie ein schöner Kerl immer am raschesten vorwärtskommt.

In dieser Zeit des Waffenstillstandes lustwandelte Amos an einem klaren Winterabende vor den Toren der Stadt längs der Kinzig. Auch Ramsay liebte diesen sicheren kurzen Gang, und Amos hoffte fast, heute abend dem General zu begegnen, der sich gerne mit ihm unterhielt. Aber statt des Generals vertraten ihm plötzlich drei zerlumpte Bauern den Weg. Und einer von ihnen rief: »Das ist der Ramsay, der uns zu Bettlern gemacht hat; jetzt sollst du Schuft bezahlt werden für deine Mordbrennereien!« und schlug dem armen Amos mit der Axt über den Kopf, daß ihm Hören und Sehen verging. Die anderen aber hieben gleichfalls auf ihn los, und wie Amos blutend am Boden lag und ihm die Sinne schwanden, hörte er nur noch den einen sagen: »Jetzt ist er tot!« und den anderen: »Seid ihr auch gewiß, daß es der schöne Ramsay war?«, worauf der dritte erwiderte: »Freilich! Im ganzen Heer gibt es eine solche Gestalt und ein solches Gesicht nicht zum zweitenmal.«

Leider hatte ihnen Amos nicht rechtzeitig verdeutschen können, daß es nunmehr zwei schönste Männer im schwedischen Heere gebe.

Als er unter furchtbaren Schmerzen wieder einen Augenblick zu sich selber kam, fand er sich zu Hanau im Lazarette. Eine Streifwache hatte den Halbtoten entdeckt und heimgetragen. Der Generalmajor stand neben dem Lager und redete ihm freundlich zu. Amos aber sprach: »Mein General, ich habe genug und fühle den Tod nahen. Ich war zu allen Dingen zu schön, darum hat es mir nie und nirgends geglückt; nun bin ich zu guter Letzt gar wegen meiner Schönheit aus Mißverständnis totgeschlagen worden!«

Drittes Kapitel

Nachdem Amos diese Worte gesprochen, fiel er in das heftigste Wundfieber und schwebte mehrere Tage zwischen Leben und Sterben. Endlich jedoch siegte seine urkräftige Natur, und er begann zu genesen, wenn auch sehr langsam und unter qualvollen Schmerzen und Rückfällen.

Lag er nun so auf dem Bette und zählte die langen Stunden, doppelt lang durch Pein und Ungeduld, dann war es oft sein einziges Labsal, an die Vaterstadt zurückzudenken, ja ganze Tage in Weilburg umherzuwandeln und alle alten Freunde zu begrüßen. Nur selten hatte er während seiner Kriegsfahrten Kunde von den Eltern erhalten und in der letzten Zeit gar nicht mehr; denn auf einen Briefwechsel war da nicht zu zählen, sondern nur auf mündliche Nachricht, wie sie von den durchmarschierenden Söldnerscharen herüber- und hinübergebracht wurde. Der friedliche Verkehr hatte in diesen Tagen der äußersten Not und Gewalttat fast gänzlich aufgehört.

Nun dichtete sich Amos hinzu, was in jenen dürftigen, oft widersprechenden Botschaften lückenhaft geblieben war, und lebte im Geiste mit innigstem Behagen wiederum im Vaterhause. Dabei deuchte es ihm aber fast seltsam, daß eine neue und doch alte Gestalt sich immer unwiderstehlicher in den Vordergrund drängte: das Bild von Schulmeisters Marthe. Ja, oft machte er sich Vorwürfe und sprach: »Ich besuche, scheint es, nur die Eltern, um die Marthe im Hause zu finden.« Und obgleich zu seiner Zeit Marthe nur selten zu den Schneidersleuten gekommen und aus bekannten Gründen nicht einmal gerne dort gesehen war, so schwebte es ihm doch jetzt vor, als müsse sie allezeit bei seinen Eltern sein, er wußte selbst nicht warum.

Dann fuhr er fort in seinem wachen Traum: »Marthens Bild steht ganz deutlich vor mir, wie sie leibte und lebte; die Züge der Eltern sehe ich unbestimmter. Was hat mir nur das Mädchen angetan? Ach, vielleicht sind sie alle drei längst dahingegangen, das ganze Haus ausgestorben, die ganze Stadt ein großer Kirchhof, ein Trümmerhaufen, und es winken und rufen die alten, vertrauten Gestalten mir nur deshalb so freundlich, weil sie in der Tat ganz nahe stehen, hier an meinem Bette, die Geister der Verstorbenen! Man sagt, in der Erweckung solch sehnsüchtiger Bilder bringe oft der Tote seine eigene Todeskunde dem fernen Freund, wenn sich kein lebender Bote findet.«

Bald aber schlug er sich die traurigen Gedanken wieder aus dem Sinn und fragte sich, wie Marthe jetzt wohl aussehe. In erster Jugendblüte stand sie freilich nicht mehr; sie war ihm gleichalterig und ging also ins neunundzwanzigste Jahr. Doch fand er, daß sich ihr Gesicht viel schöner ausgewachsen habe. Es gibt ja Mädchen und Jünglinge derberen Schlages, bei denen mit der vollen Körperreife auch erst die Schönheit reift. Zwar waren ihre Augen noch immer etwas zu klein, der Mund hätte feiner sein können und die Nase zierlicher. Aber zu ihrer stattlichen Gestalt paßte das kräftige Gesicht; und der wunderbare Liebreiz einer milden, guten Seele, welcher aus ihren Augen leuchtete, aus ihrem Munde sprach, verklärte alle Mängel der Form. Wie eine geschminkte Puppe hingegen erschien ihm neben diesem Bild des Amtmanns hübsche Dorothea; anfangs hatte er noch manchmal mit dem Groll der Liebe an sie gedacht, jetzt wies er ihr Gedächtnis zurück mit dem vollen Zorne der Verachtung. »Wie war ich doch blind, daß ich Marthen so ganz verkannte!« fuhr er dann fort. »Es gibt Landschaften, die man erst einmal im Dufte der Ferne gesehen haben muß, um dann ihren traulich anheimelnden Reiz auch in der Nähe recht zu empfinden. Gibt es nicht auch solche Menschen?«

Und so verwandelte er sich im Geist diese Ferne immer mehr zu einer nächsten Nähe inneren Anschauens und durchlebte noch einmal seine Jugend an der Seite seiner einzigen Jugendfreundin, welcher nun auch er in treuester Freundschaft zugetan war. Noch einmal empfing er aus ihrer Hand alle die tröstenden Butterbrote, allein er dankte ganz anders wie vordem. Er ließ sich noch einmal von Marthen gründlich durchschulmeistern und abkanzeln, und es tat ihm bitter wehe, daß er ihr bloß nachträglich im stillen danken und nicht mehr ihrem treuen Rate folgen konnte. Und wenn vollends gar die Szene mit den Werbern immer wieder durch seine Seele zog, dann hätte er vor dem Mädchen wie vor einer Heiligen auf die Knie fallen und an ihrer Hand nach Hause gehen mögen, da er diese Hand doch nur kalt zurückgewiesen, wie man Heilige gewöhnlich zurückzuweisen pflegt. So schmerzlich ihm aber auch die späte Reue war, so tröstete sie ihn dennoch, und es war ihm, als komme sie immer noch nicht ganz zu spät. Die schwere Krankheit, in welcher er zum erstenmal in seinem Leben gerecht und ruhig in sich hineinschauen lernte, erschien ihm dann zwar als eine Strafe, aber als eine jener göttlichen Strafen, worin sich uns die Gnade und Güte Gottes am tiefsten offenbart.

Immer aber durchglühte ihn rasch wieder ein frischer Lebensmut. Dann hielt er's für ganz gewiß, daß er Marthen noch einmal sehen werde. Aber wenn sie sich inzwischen verheiratet hätte? Törichte Frage! Von Liebe und Ehe wollte er ja gar nicht mit ihr reden, sondern nur von guter alter Freundschaft. Und doch würde es ihn schwer geärgert haben, wenn sie sich inzwischen verheiratet hätte! Er mochte nicht daran denken. Aber den Weilburgern wollte er eines Tages zeigen, daß doch was Rechtes aus ihm geworden sei, ein Fähnrich und vielleicht auch mehr, und wollte mit seiner Schulfreundin durch die Straßen spazieren, und er meinte, die stattliche Marthe und er, das gebe schon ein Paar, welches sich sehen lassen könne, – natürlich nur ein Freundespaar.

Gerade bei diesem anmutigen Bilde trat der Feldscherer vor des Träumers Bett. Amos hatte ihn gebeten, einen kleinen Spiegel mitzubringen, wenn er das nächste Mal den Verband vom Kopf nehme; denn er wollte doch gerne wissen, wie er selber jetzt dreinschaue. Während der Verband gelöst wurde, sah Amos sich noch im Geiste prächtig neben Märchen einherschreiten; da hielt ihm der Doktor den Spiegel vor.

Himmel! war das ein Anblick! Die schönen langen Kopfhaare waren kahl abgeschoren wegen einiger beiläufigen Axthiebe, denen der harte nassau-weilburgische Schädel glücklich Widerstand geleistet; die Hauptstreiche aber saßen im Gesicht. Das linke Auge war ausgelaufen, von dort zog sich dann die schwerste Wunde rot und blau über das Nasenbein quer durch den ganzen rechten Backen bis zum Ohre, und der Feldscher hatte die fingertiefe Furche so roh zusammengeflickt wie ein Bettelmann seine alten Hosen. Amos, der ja doch am besten wußte, welche Hiebe er gekriegt, hatte sich sein Aussehen recht häßlich vorgestellt, aber die nackte Wahrheit überflog gräßlich weit sein kühnstes Phantasiegemälde!

Lang und gründlich schaute er in den Spiegel. Er wollte lächeln, allein die leise Muskelbewegung schnitt ihm wie ein Messer durch die Wunde. Mit grimmig verhaltenem Lächeln und einem tiefen Seufzer rief er dann:

»Gottlob! Nun bin ich nicht mehr schön!«

Da hörte er wie ein Echo seines Seufzers ein gedämpftes Gelächter hinter seinem Kopfkissen. Es war Ramsay, der dem ganzen traurig-komischen Auftritt gelauscht hatte. Er trat vor, schüttelte dem Verwundeten wie einem Freunde die Hand und sprach, er möge sich trösten über den Verlust des schönen Gesichtes, durch welchen er seinem Feldherrn das Leben gerettet. Das Glück solle ihm von nun an günstiger auf diese mannhaften Schrammen lächeln als vordem auf die glatten Züge, und mit dem einen Äuge werde er ruhmreichere Tage sehen als bisher mit zweien. Er versprach ihm dann stete unbegrenzte Gunst, sofortiges Aufrücken im Dienste und ein reiches Schmerzensgeld in gutem Golde, so wahr er Jakob Ramsay heiße.

Amos hörte das alles ziemlich gleichgültig an; fast wäre es ihm im Augenblicke tröstlicher gewesen, wenn ihm Ramsay ebenso bestimmt versichert hätte, daß des Schulmeisters Marthe in Weilburg noch nicht verheiratet sei.

Das Krankenlager des armen Haselborn zog sich über Erwarten lange hinaus, namentlich wegen einer dritten Hauptwunde in der Hüfte, die er damals nicht hatte im Spiegel zu betrachten brauchen. Schon war es Februar, und er lag noch immer im Spital.

Da vernahm er einstmals frühmorgens wilden Lärm auf der Straße, dann Waffengeklirr, Flintenschüsse, fremde Feldrufe und Signale; immer näher wälzte sich ein Getümmel von Kämpfenden. Dann ward es plötzlich still. Ein verwundeter Schwede stürzte in den Krankensaal und rief: »Alles verloren! – der Waffenstillstand gebrochen, – die Stadt überrumpelt, Ramsay totgeschossen!«

Verwundete, welche bald nachher von kaiserlichen Soldaten in das Lazarett gebracht wurden, bestätigten die Kunde von Hanaus Fall. Ramsay, der seit Monaten mit dem Kurfürsten von Mainz wegen der Übergabe verhandelte, hielt bei dem förmlich abgeschlossenen Waffenstillstande alle kriegerische Vorsicht für überflüssig, und die Besatzung lebte längst wie im tiefsten Frieden. Da aber der schwedische Kommandant den Grafen von Hanau, der sich in die Stadt begeben, nicht wieder hinausließ, so behaupteten die Kaiserlichen, er habe eigenmächtig die Waffenruhe gebrochen, überrumpelten unter dem Grafen von Nassau-Dillenburg und dem kurmainzischen Obersten von Metternich die kaum bewachte Feste und bewältigten das Häuflein Schweden, welches sich, von Ramsay geführt, in der Neustadt tapfer schlug, nach kurzem Kampf. Der Führer ward umzingelt und von einem Musketier in den Rücken geschossen. Die Sieger erwarteten stündlich den Tod des berühmten Generalmajors; trotzdem genas der Schwerverwundete, wenn man ein langes, elendes Siechtum statt raschen Todes Genesen nennen kann. Die kriegsgefangene Besatzung ward nach damaligem Kriegsbrauch alsbald unter die kaiserlichen Fahnen gesteckt.

Amos entging diesem Schicksale nur wegen seiner Wunden. Als der einäugige Mann an der Krücke hinkend das Lager verlassen konnte, befahl man ihm, binnen zweimal vierundzwanzig Stunden die Stadt zu räumen. »Gottlob, daß ich nicht mehr schön bin«, sprach der unverwüstliche Amos, »sonst hätte ich noch einmal wie vor zehn Jahren dem Kaiser Treue schwören müssen.«

Bevor er jedoch ging, ward er zu dem gefangenen Ramsay beschieden.

Der verwundete General wurde von den Siegern mit allen Ehren behandelt, und sie schlugen ihm den Wunsch nicht ab, seinem Lebensretter, wie er Amos nannte, Lebewohl zu sagen. Tief bewegt trat nun der schöne Amos an das Bett des schönen Ramsay, der, von Schmerz und Gram verzehrt, freilich auch nur noch ein Schattenbild seiner früheren Schönheit war. Die Tränen aber kamen vollends beiden hart geprüften Männern, als Ramsay nichts weiter denn herzliche Worte des Dankes und Abschiedes dem Hinausgestoßenen zu bieten vermochte, und Amos ward von diesem Dank unendlich tiefer gerührt als von alle der Gunst, die ihm der mächtige Ramsay noch unlängst an seinem Schmerzenslager verheißen. Auch die umstehenden Sieger ergriff der Schauer des Mitgefühls, und sie spendeten mehr aus Teilnahme für Ramsays tragisches Geschick als für die Armut des Fähnrichs demselben ein überreiches Reisegeld.

Als aber Amos den letzten Händedruck seines Generals und Gönners entgegennahm, fühlte er, daß ihm Ramsay ein kleines Zettelchen in die Hand drückte. Vorsichtig barg er jedes Zeichen des Staunens oder Verständnisses, und da er, von der Wache geführt, die Treppe hinabging, warf er rasch einen heimlichen Blick auf den kaum fingergroßen Papierstreif, steckte ihn dann unbemerkt in den Mund und verschluckte ihn in übergroßer Angst, daß ihm einer den Inhalt entwinden möge. Die Wache hatte nichts gesehen.

Auf dem Zettel stand, von Ramsays zierlicher Hand geschrieben: »In dem Haberkasten über meinem Stalle liegt ein Kleid mit Edelsteinen, wohl zwei Rittergüter wert. Die Hälfte gehört dir, wenn du mir die Steine rettest.«

Noch in derselben Nacht schlich sich Amos zu dem Stall; unentdeckt kam er auf den Heuboden, wo der alte unbenutzte Haberkasten stand. Des Ortes kundig, war es ihm nicht schwer, den Kasten und das Kleid im Dunkeln zu finden und sämtliche Steine abzutrennen. Mit zitternden Knien gewann er wieder das Freie und seine Schlafstätte. Das Kleid war das große Prunkgewand des Deutschordensmeisters gewesen, ein Beutestück aus Mergentheim, welches Ramsay für sich zurückbehalten und gleich nach dem Überfall von Hanau in den Haberkasten hatte verstecken lassen. Die fünf großen Edelsteine dieses historischen Prachtstückes aber wurden auf zwölftausend Gulden geschätzt, und da in selbiger Zeit ein Morgen guten Ackerlandes für sechs Gulden, ja zuweilen für sechs Laib Brot feil war, so hätte Ramsay wohl auch schreiben dürfen, die Kleinode seien zwölf Rittergüter wert.

Frühmorgens bereits hinkte Amos Haselborn mit den Edelsteinen im Beutel zum Tore hinaus, scheu umherblickend wie ein Dieb. In der Angst überspannte er seine noch schwachen Kräfte dermaßen, daß er am nächsten Tage in einem wetterauischen Dorfe krank liegenbleiben mußte und also Muße fand zu bedenken, wohin er eigentlich gehen wolle. Denn gestern war er nur, wie man zu sagen pflegt, seiner Nase nachgegangen; die Nase freilich zeigte wie ein Kompaß nach Norden, und im Norden lag Weilburg. Bei der unfreiwilligen Rast aber brannten ihn die Edelsteine in der Tasche, er hatte Tag und Nacht keine Ruhe, daß man sie entdecken oder stehlen möge, und beschloß, vor allem den Schatz an einen sicheren Ort zu bringen oder noch besser in die Hände Ramsays. In Hanau hatte er nämlich noch erfahren, daß man den verwundeten General demnächst nach Dillenburg schaffen werde auf das Bergschloß des Eroberers von Hanau, des Nassau-Dillenburger Grafen Ludwig Heinrich, der, früher auf Seite Schwedens, jetzt zu des Kaisers Banner hielt. Jedermann erwartete, daß Ramsay dort in leichter Haft auf Ehrenwort bleiben oder bald gegen einen anderen vornehmen Gefangenen ausgewechselt werden würde, und Amos rechnete aus, daß er bei seinem vorsichtigen Schneckengang durch das unsichere, verödete Land wohl nicht rascher an der Krücke nach Dillenburg kommen dürfte als der General in der Sänfte. Allein er rechnete falsch. Denn wochenlang schleppte er sich elend von einem Dorfe zum anderen mit vieltägigen schmerzvollen Rasten, die er seinem zerschlagenen Körper gönnen mußte; die Querzüge der Truppen, denen er ängstlich aus dem Wege ging, trieben ihn immer wieder von der geraden Straße zurück, und so kam der April, und Amos war noch nicht in Dillenburg. In zerlumpten Kleidern, die ihm jetzt sicherer dünkten als ein Panzer, bettelte er im Taunus umher; denn er wagte nicht, die geschenkten Goldgulden auszugeben, aus Furcht, man möge dann auch seine Diamanten aufspüren. Bei dieser heroischen Nachkur gelangte er wenigstens allmählich wieder zum besseren Gebrauche des verwundeten Beines.

Nun hörte er in jener Zeit die widersprechendsten Gerüchte über Ramsay. Die einen sagten, er lebe zu Dillenburg frei und geehrt, mehr wie ein Gast denn wie ein Gefangener des Grafen, die anderen, er schmachte dort zwischen Kerkermauern. Beides war richtig, insofern Ramsay durch seinen Eigensinn den Grafen veranlaßt hatte, auf etliche Tage den strengen Kerkermeister statt des freundlichen Wirtes zu zeigen. Amos aber dachte: im einen Falle kann der General die Juwelen jetzt fordern, im anderen Falle braucht er sie ungefordert am nötigsten. Und da er seine Ehre als treuer Soldat in diesen Steinen verpfändet achtete, so beschloß er, nunmehr stracks nach Dillenburg zu gehen, und koste es ihm den Hals.

Es lag ihm aber Weilburg mitten im Wege. Dennoch schwur er sich zu, lieber einen halben Tagemarsch abseits zu wandern, als die Vaterstadt zu sehen, bevor er in Dillenburg gewesen. »Die Mücke muß das Licht meiden«, sprach er zu sich selbst, »und wer zuerst bei der Liebe anklopft und dann bei der Ehre, der ist kein braver Soldat. Vorab muß sich's in Dillenburg ausweisen, ob ich ein Rittergut gewinne oder einen Strick. Habe ich das Rittergut, dann gehe ich auf dem Rückweg nach Weilburg und frage bei Marthen an, ob sie das Gut mit mir teilen mag, und bei meinen Eltern, ob sie dort ihre alten Tage in Ruhe verleben wollen.« Von der bloßen Freundschaft redete er jetzt schon gar nicht mehr und meinte, wenn nur erst drei kleine Zweifel gehoben seien, nämlich ob Marthe noch lebe, ob sie inzwischen keinen anderen geheiratet habe und ob sie ihn überhaupt haben wolle, dann stehe ja baldiger Hochzeit nicht das mindeste im Wege. Im Bewußtsein aber, daß er jetzt nicht mehr schön sei, baute er trotz dieser drei Zweifel auf sein Glück.

Entschlossen schlug er nun die Straße nach Dillenburg ein, obgleich sie von Streifkorps, Marodeurs und Troßgesindel wimmelte. Als er eben in einer Dorfschenke die Frühsuppe aß, setzte sich ein bewaffneter Mann neben ihn, der halb einem Soldaten, halb einem Landstreicher ähnlich sah. Der Mann kam von der Dill, und Amos suchte deshalb das Gespräch höchst behutsam so zu drehen, daß der Fremde von selber vom General Ramsay zu erzählen begann. Es werde dem General jetzt bald an den Kragen gehen, meinte jener; der Kaiser dränge den Dillenburger Grafen, daß er kurzen Prozeß mache, auch habe man bereits einen Sekretär Ramsays und andere seiner Vertrauten eingefangen und auf kaiserlichen Befehl gefoltert. Man spüre nach Geständnissen über den geheimen Briefwechsel, welchen Ramsay in Hanau geführt, nach Aktenstücken, die wider ihn zeugten, auch nach allerlei Kostbarkeiten, die der schlaue Schotte beiseitegeschafft habe.

Amos erschrak nicht wenig und gelobte sich verdoppelte Vorsicht.

»Übrigens«, fuhr der Fremde fort, »werden sie dem Ramsay doch nichts antun können; denn er ist ein Zauberer. Als er vor den Toren von Hanau eines Abends einsam spazierenging, fielen die Bauern über ihn her und wollten ihn totschlagen, aber in demselben Augenblicke machte sich Ramsay unsichtbar und schob den Bauern eine andere Gestalt unter die Äxte, und als sie diese gefällt hatten und glaubten, der schöne Schotte liege jetzt tot am Boden, war es nur ein Strohmann mit dem scheußlichsten Affengesicht!«

Diese mythische Verklärung seiner selbst war zu stark für den armen Amos. »Wenn es auch ein Strohmann gewesen«, rief er zornig, »so war derselbe doch mindestens ebenso schön wie Ramsay und kein scheußliches Affengesicht!«

»So? Wißt Ihr das genau?« fragte der Fremde.

»Freilich weiß ich's, denn ich bin doch wohl auch dabeigewesen! – – das heißt bei den Bauern, welche die Hiebe führten.«

»Ei, Kamerad«, entgegnete spöttisch der andere und blickte ihm scharf ins zerfetzte Gesicht, »wäret Ihr dabei, dann sehet Ihr aus, als ob Ihr die Hiebe gekriegt, und nicht, als ob Ihr sie ausgeteilt hättet!«

Amos hätte sich selber ohrfeigen mögen, und der Schreck über sein unvorsichtiges Wort fuhr ihm durch alle Glieder. So hatte er sich doch wieder durch die Schönheit, welche er gar nicht mehr besaß, zum dümmsten Selbstgeständnis verleiten lassen! Wochenlang hatte er seine Bekanntschaft mit Ramsay überall aufs geschickteste verborgen und dennoch die Leute ausgeforscht über den General, nur das »scheußlichste Affengesicht« lüftete ihm unversehens die Maske. Der Fluch der Schönheit reichte weiter als die Schönheit selber.

Er brach das Gespräch kurz ab, machte sich rasch auf den Weg und schlug einen Seitenpfad ein zur Lahn hinüber. Allein er war noch nicht weit gegangen, als er sich auch schon durch eine Schar bewaffneten Gesindels verfolgt sah; er suchte zu entfliehen, doch sein schwaches Bein versagte ihm, und die Verfolger winkten drohend mit Pistolen und Musketen. Es waren Nachzügler der verschiedensten Truppenteile, gemischt aus Freund und Feind, die nun einen Raubkrieg auf eigene Faust führten, und der Fremde aus der Dorfschenke schien der Hauptmann dieser Rotte. Bald hatten sie Amos eingeholt und umringt. Anfangs setzte der Anführer mit sarkastischer Höflichkeit das abgebrochene Gespräch fort und bat zuletzt den leugnenden und abweisenden Amos höchst artig, er möge nur bekennen, daß er ein Anhänger Ramsays sei. Das gereiche ihm bei ihrer Gesellschaft zu keinem Nachteil, denn ihnen sei der Kaiser und der Schwede gleich lieb, viel lieber als beide jedoch ein gutes Stück Geld. Nun stünden aber hohe Preise ausgesetzt auf die umherirrenden Vertrauten Ramsays, die etwa Papiere oder Kostbarkeiten aus der Hanauer Verlassenschaft bei sich trügen, und er sähe ganz nach einem solchen Vogel aus und sei trotz seiner Lumpen und des zerhauenen Gesichtes viel zu fein für einen zunftgerechten Bettler. Sie wollten ihn nicht auf des Kaisers Folterbank liefern, aber ein tüchtiges Lösegeld müsse er zahlen, und zwar auf der Stelle.

»Also ist es immer noch mein Fluch, daß ich zu fein bin«, seufzte Amos für sich und beteuerte dann laut, daß man sich in seiner Person irre und daß er ganz außerstand sei, irgendein Lösegeld zu bezahlen. Die Quälgeister ließen ihn noch wohlbewacht ein paar Stunden ruhig in ihrer Mitte fortmarschieren. Als sie aber durch den Wald zur Lahn herabgestiegen waren, da, wo sich das Bett des Flusses eine gute Stunde unter Weilburg am sogenannten »Hexenloch« zwischen steilen Felsen einengt, machten sie halt. Am rechten Ufer sprangen die Wände bis ins Wasser vor, und mächtige abgelöste Trümmerstücke lagen noch weit hinaus in der strudelnden Lahn. Ein ganz schmaler Steig, nur bei niederem Wasserstande gangbar, führte an den Felswänden vorüber; rechts und links tiefste Waldeinsamkeit. Das Hexenloch war das prächtigste Plätzchen zum Rauben und Morden.

Hier erklärte nun der Hauptmann dem gefangenen Haselborn, der Spaß sei jetzt zu Ende und seine Gesellschaft beginne ihnen langweilig zu werden, er möge also herausgeben, was er bei sich führe, Papiere oder Geld oder was es immer sei. Und zu gleicher Zeit griffen mehrere handfeste Kerle kräftigst zu, um Amos die Taschen zu leeren und die Kleider vom Leibe zu reißen. Da dieser nun sah, daß kein Verbergen mehr möglich, zog er selber rasch den Beutel voll Gold und Juwelen aus der Tasche und schleuderte ihn weit hinaus in das wirbelnde Wasser. Nun konnten doch wenigstens die Steine nicht mehr wider ihn und Ramsay zeugen.

Die Räuber, welche sich solchergestalt ihre sichere Beute entrissen sahen, wollten anfangs den Amos seinem Beutel nachwerfen, ihn erstechen oder erschießen, allein der Hauptmann wehrte das und sprach: »Jetzt wissen wir ganz gewiß, daß dieser Bursche einer von den verdächtigen Freunden Ramsays ist. Bewachet ihn fest, damit wir ihn den Kaiserlichen ausliefern und den Preis, welchen er selber zu zahlen weigerte, von seinen Feinden erhalten; die Folterknechte werden dann schon herauskriegen, was er eben in die Lahn geworfen hat.«

Im Zorn mißhandelten sie Amos eine Weile und führten ihn dann mit sich lahnaufwärts gegen Weilburg. Als Amos aber die nächste Todesangst überwunden, dachte er ganz im stillen: »Da versinken zwei Rittergüter und etwas mehr in den Wirbeln der Lahn! Hätte mich mein verfluchter Schönheitsstolz nicht verraten und wäre ich nicht immer noch zu fein für einen Bettler, so hätte ich auf eines der zwei Rittergüter wohl nächsten Monat schon des Schulmeisters Marthe heiraten können.«

An einem Hügel etwa eine halbe Stunde vor Weilburg machte die Rotte halt und lagerte sich. Man konnte von da droben die Stadt übersehen, wie sie mit ihren Mauern und Türmen auf einem Felsrücken emporstieg, fast rings von der Lahn umflossen. Tief betrübt blickte Amos auf das schöne, ihm so heimliche und doch jetzt wieder seltsam fremdartige Bild. Denn gar vieles erschien in den Umrissen der Stadt verändert, seit sie der junge Werbesoldat verlassen hatte. Noch in den letzten Jahren erstürmt, geplündert, durch Brand verwüstet, wollte das Weilburg, welches heute vor ihm lag, nicht recht mehr stimmen mit jenem, welches er seit zehn Jahren so treu im Gedächtnis bewahrte. Da fehlte ein Turm, dort waren Häuserlücken, das Schloß, vordem noch neu und schön, schaute alt und verfallen drein. – »Großer Gott!« dachte Amos, »wenn die festesten Mauern also wankten und stürzten, wie mag es den armen, schwachen Menschen ergangen sein!« Und es überkam ihn eine große Bekümmernis, daß die Lieben, mit welchen er nun schon monatelang so innig im Geiste verkehrte, hinweggenommen sein möchten gleich jenen Türmen und Häusern.

Dann aber wurde dieser traurige Gedanke durch einen noch viel traurigeren verdrängt. Er sah klar, daß die Räuberbande, welche ihn gefangenhielt, Überfall und Plünderung der Stadt beabsichtigte. Schon nahten sich Zuzüge ähnlicher Art von den benachbarten Höhen wie nach gemeinsamem Plane; es lagen wohl wenige oder gar keine Truppen in Weilburg, und die stündlich wachsende Bande hatte bequemes Spiel mit einer leicht einzuschüchternden Handvoll Bürger. Nun mußte Amos, der wenigstens als ein ehrlicher Soldat von Hause gezogen, als Gefangener dieses Gesindels wieder heimkehren, mußte wehrlos zusehen, wie die Bösewichter wohl gar seiner Eltern und Marthens Haus verwüsteten und ausraubten, die Leute quälten, totschlugen, die Stadt anzündeten, um ihn selber nachgehends zu verkaufen an ein peinliches Gericht!

Inzwischen hatte der Führer des Trupps eine Streifwache gegen Weilburg geschickt, daß sie erkundete, ob die Tore besetzt seien. Die Leute kamen rasch zurück, machten lange Gesichter und berichteten, bis zum Tore seien sie nicht vorgedrungen; denn schon im Weilweg unterhalb der Kirchhofsmühle sei die Straße durch Palisaden und ein Falltor gesperrt. Zwar stehe da außen keine Wache, allein an dem Falltor sei eine landesherrliche Proklamation mit großen Buchstaben ganz frisch angeschlagen, des Inhaltes, daß Nachzüglerrotten und freie Banden, welche sich in der Gegend herumzutreiben oder gar an die Stadt heranzuschleichen wagten, als Räuber behandelt würden mit kurzem Prozeß und langem Strick.

Solche Sprache war diesem Gesindel aber ganz neu; sie waren vielmehr gewöhnt, daß selbst volkreichere Städte ihnen demütige Deputationen entgegenschickten, um die Plünderung abzukaufen. Der Hauptmann sprach: »Gestern lagen nur wenige schlechte Söldner in der Stadt, denn der Graf ist abwesend und die Hälfte der kleinen Bürgerschaft geflüchtet. Ohne Zweifel aber hat der Graf Wind von unserem Vorhaben bekommen und in vergangener Nacht jene dreihundert Mann in die Stadt geworfen, welche bei Runkel standen. Sonst würden die Weilburger wahrlich die Unverschämtheit nicht haben, eine solche Proklamation vor unserer Nase ans Tor zu heften.«

Die Mannschaft teilte des Führers Ansicht, und ohne nur einen Befehl abzuwarten, brach der ganze Schwarm auf und schwenkte rechts in den Wald nach Braunfels hinüber. Sie wollten plündern, nicht kämpfen, und so frech sie gegen den Wehrlosen waren, so feig waren sie gegen den Gewaffneten. Als sie darum nach halbstündigem Marsch einen kleinen Trupp Soldaten, ohne Zweifel einen Vortrab, von Weilburg herüberkommen sahen, löste sich die ganze Rotte in wilder Flucht, und es gelang Amos, seinen Wächtern zu entschlüpfen.

Er eilte aus dem Walde gegen die Stadt. Zu seinem Erstaunen aber bemerkte er nun, daß beide Teile flohen. Denn in demselben Augenblicke, wo die Bande die Soldaten bemerkt und sich zur Flucht gekehrt hatte, waren auch diese erst der Gegner ansichtig worden und zurückgeprallt. Die Soldaten, etwa dreißig Mann stark, liefen wie die Hasen vor dem hinkenden Amos her, und es schien fast, als ob er allein sie in die Flucht geschlagen habe, und doch war auch er wiederum auf der Flucht vor den fliehenden Räubern. Freilich bemerkten die Soldaten bald, daß nur ein einzelner Mann hinter ihnen dreinkomme; sie machten darum mannhaft Front, legten selbdreißig die Musketen auf ihn an, forderten ihn auf, sich zu ergeben, und machten ihn mit großem Getümmel zum Gefangenen, sofern man nämlich einen fangen kann, der uns freiwillig nachläuft. Vergebens beteuerte Amos, daß er selber ein Gefangener der Räuber gewesen sei und vielmehr Schutz bei ihnen suche. Die Soldaten – eben jene wenigen schlechten Söldlinge, von welchen der Bandenführer gesprochen, – brauchten einen Gefangenen für sich zum Zeugnis des gelungenen Ausfalles, und wenn ein Mensch wie ein Räuber aussah, so war es jetzt der zerlumpte einäugige Amos. Also fesselten sie ihn und schleppten ihn mit Flüchen und Kolbenstößen nach der Stadt.

Vergebens rief Amos, daß er ein Weilburger Bürgerssohn sei und Amos Haselborn heiße und ob denn keiner den alten Schneider Haselborn kenne. Keiner wollte den Namen gehört haben. Das erschreckte Amos heftig. Freilich lagen diese fremden Werbesoldaten erst seit wenigen Monaten in der Gegend.

Doch versicherte einer im Vorbeigehen, er habe wohl gehört, daß vor Jahr und Tag ein Schneider Haselborn und seine Frau in derselben Stunde an der Pest gestorben seien. Und als die Soldaten sahen, wie tief diese zweifelhafte Nachricht ihren Gefangenen erschütterte, packten sie ihn aus Mitleid etwas milder an, lockerten seine Stricke ein wenig und sprachen in anderen Worten als in Fußtritten und Kolbenstößen.

Amos berief sich auf mehrere Bürger, die ihn wohl noch kennen und für ihn gutstehen würden. Allein jedesmal hieß es, der sei verstorben oder verschollen, und die Soldaten wußten nichts von ihm. Hundertmal brannte es Amos auf der Zunge, nach des Schulmeisters Marthe zu fragen, doch er brachte das Wort nicht über die Lippen; es war ihm, als könne er durch die Verzögerung der schlimmsten Antwort sein letztes, volles Elend selber noch hinauszögern. So verstummte er, und die Stadt, welche immer näher rückte, lag vor seinem schwimmenden Auge wie ein großer Kirchhof.

Da kamen sie an die Palisaden mit dem Falltor und der Proklamation. Die Soldaten hielten an, betrachteten lachend die Schrift, und einer rief: »So hat des Schulmeisters Marthe denn doch den Mut gehabt, des Grafen Proklamation anzuschlagen!«

Dieser Ausruf löste des Gefangenen Zunge. »Also lebt des Schulmeisters Marthe noch?« fragte er bebend.

»Freilich! und ist ein Teufelsmädchen dazu!«

Das war zwiefacher Trost für Amos, denn ein Teufelsmädchen konnte unmöglich verheiratet sein. Als er aber fragte, warum sie denn Marthen gerade diesen Beinamen gäben, schwiegen die Kerle, fast als schämten sie sich. Einer der Soldaten jedoch flüsterte Amos ins Ohr: »Diese feigen Schufte« (übrigens war er selber ebenso geschwind davongelaufen wie die anderen) »fürchteten sich vor der Rache der Räuber und wollten des Grafen Proklamation nicht anschlagen. Die Bürger wagten es auch nicht. Da sagte Marthe, wenn kein Mann es wage, seines Landesherrn Verordnung zu verkünden, so müsse es wohl ein Weib tun, und eilte vor das Tor mit dem Schriftstück. Meine Kameraden aber bekamen nun solche Angst über diese Herausforderung, daß sie eilends das Weite suchten und gegen Braunfels davonliefen.«

Nun ging Amos ein Licht auf über die ganze Kriegsgeschichte dieses Tages. Die Bande war geflohen wegen der Proklamation und die Besatzung gleichfalls wegen der Proklamation; indem dann beide fliehende Haufen sich begegneten, glaubte ein jeder sich angegriffen, und beide prallten fliehend auseinander. In Weilburg aber war weder der Graf noch eine bessere Mannschaft, sondern Marthe hatte durch das Anschlagen des Mandates die Stadt gerettet und Amos obendrein aus den Händen der Räuber befreit. An ihrer mutigen Tat erkannte dieser seine Marthe wieder, wie sie einst so kühn unter die Werber getreten war, um ihn zu retten, und er meinte, was ihr damals mißlungen, das sei ihr heute endlich geglückt: sie habe ihn den Banden des rohen Kriegsvolkes nun doch und wohl für immer entrissen.

In dankbarer Freude vergaß Amos sogar den Verlust der Eltern; trotzdem ward es ihm bleischwer in den Beinen, als er das Weilburger Pflaster betrat, die Stätte so manchen Jammers, der ihm ans Herz griff, und ihm deuchte, er müsse heute noch viel Schlimmes dazu erfahren.

Die Bürger begrüßten die heimkehrenden Soldaten gerade nicht als Sieger, gingen ihnen vielmehr mit einem Gemisch von Furcht und Verachtung aus dem Wege. Denn die feigsten Söldlinge waren in der Regel auch die boshaftesten. Nur ein alter Leineweber warf ihnen spottend die Frage entgegen: »Was ist denn das für ein sauberer Gefangener, den ihr heute erbeutet habt?«

»Ei, er ist einer von Euren Leuten«, erwiderte der Feldwebel mit gleichem Spott, »ein Weilburger Bürgerskind! Wollt Ihr für ihn gutstehen, oder sollen wir ihn aufhängen laut des gräflichen Mandats? Amos Haselborn schreibt er sich.«

Der Leineweber sah dem Gefangenen ins Gesicht und lachte. »Des alten Haselborns bösen Buben habe ich vor Jahren wohl gekannt; aber dieser Kerl da sieht dem schönen Amos so ähnlich wie der Schornsteinfeger dem Müller.«

»Gottlob!« dachte Amos, »die Leute merken wenigstens, daß ich mich gründlich verändert habe.«

»Wollt ihr übrigens genau erfahren«, sprach der Leineweber weiter, »ob dies der wirkliche Amos Haselborn ist oder nicht, so führet ihn nur zu des Schulmeisters Marthe, die war, soviel ich weiß, der Schatz jenes Amos und wird euch heute abend ebensogut über eure Kriegsbeute Bescheid geben können wie heute morgen über die Proklamation.«

Der Leineweber sagte das aber nur zum Spott, denn er meinte, bei dem bloßen Namen Marthens müßten die Soldaten vor Scham rot werden bis über die Ohren. Diese aber hatten das Rotwerden längst verlernt, glaubten ihrerseits sich an Marthen zu rächen, wenn sie ihr den Landstreicher als ehemaligen Geliebten ins Haus führten, und schwenkten also zum Markt hinüber, wo Marthe mit ihrer Mutter wohnte; auch ihr Vater war in den letzten Jahren gestorben.

Amos folgte schweigend. Seit er die Straßen der Stadt betreten, schnürte es ihm förmlich die Kehle zu.

Im abendlichen Zwielicht saß Marthe in ihrer Kammer, als die Soldaten hereindrangen. Sie richtete sich auf ohne das mindeste Zeichen von Furcht. Der Feldwebel schob den Gefangenen vor und fragte: »Kennt Ihr diesen Mann?« Staunend und forschend blickte das Mädchen lange auf die verlumpte Gestalt und das zerhauene Gesicht und fuhr sich über die Augen, als wolle sie heller sehen. Die Erscheinung war ihr bekannt und bewegte sie tief, und doch wußte sie nicht, wo sie diese Züge hintun solle. Da fragte Amos leis' und bebend: »Marthe! Kennst du mich nicht mehr?«

Kaum aber hatte diese den Klang vernommen, so war es, als zucke ein Lichtstrahl über ihr Antlitz, und sie rief, erstarrt zurücktretend, mit jenem innersten Schrei des Herzens, in welchen sich der höchste Schmerz und die höchste Freude gemeinsam teilt: »Amos! Amos! Das ist der Amos Haselborn!«

Und ob die rohen Soldaten gleich laut auflachten, fiel sie doch dem armen Gefangenen um den Hals und konnte vor Weinen und Schluchzen kaum zu sich selber kommen. Da verstummten sogar die Söldlinge, und mehrere schlichen sich sachte davon.

Amos und Marthe vergaßen ganz, daß noch andere Leute zuhörten, und überschütteten sich mit einer Flut von Fragen und Antworten und konnten des gegenseitigen Erzählens kein Ende finden. Als aber Amos berichtete, wie er in die Hände der Nachzügler gefallen und auf Grund der von ihr angeschlagenen Proklamation wieder frei, dagegen nun von den fliehenden Weilburger Soldaten aufgegriffen worden sei, machte sogar der Feldwebel kehrt, der zuletzt allein noch bei dem Gefangenen ausgehalten, und stieg ganz leise die Treppe hinab; denn von der Proklamation und ihren Folgen hörte er nicht gerne reden, vorab in Marthens Gegenwart.

Es war ganz dunkel geworden in der Stube, und die beiden hätten es nicht gemerkt, wenn nicht die Mutter mit Licht gekommen wäre, und nun erst sah auch Amos, daß er noch gebunden war, und Marthe löste ihm die Stricke. So saßen sie nun selbdreie beisammen, und Amos erzählte, wie er zu Hanau im Handumdrehen ganz lind und weich geworden durch die fürchterlichen Hiebe der Bauern und wie ihn dann auf dem Schmerzenslager urplötzlich eine so tiefe Sehnsucht nach Marthen ergriffen und wie er in der höchsten Pein zuerst erkannt habe, daß sie von allen Menschen ihm am uneigennützigsten gut gewesen sei. Und wenn er an sie zurückgedacht, dann sei es ihm gewesen, als blühe ihm die verlorene Jugend und Schönheit, als blühe ihm das verlorene Paradies der Unschuld wieder auf in ihrer treuen Seele. Allein es wundere ihn, wie Marthe auch ihrerseits so feste Liebe ihm bewahrt, die sie doch nie ausgesprochen und nie erwidert gefunden habe. Marthe aber berichtete ihm fast mit den gleichen Worten, daß in all der Not der Schreckensjahre das Andenken an den harten, schönen, leichtmütigen und doch auch wieder so guten Amos ihr wie ein tröstendes Zurückversenken in die selige Jugend gewesen sei und daß sie in derselben ziellos sehnsüchtigen Liebe zu ihm sich hinübergeträumt, in welcher man der unschuldigen Kindheit als eines nie mehr zu gewinnenden und doch unverlorenen Kleinodes gedenke.

Darauf aber sagte Amos traurig: »Unserem inneren Glücke stünde demnach fast nichts mehr im Wege, hingegen dem äußeren alles! Es war mein Fluch, daß ich zu schön war, zu stolz auf meine Schönheit und daß ich gar zu oft dachte und sprach, wie schön ich sei. Gottlob! jetzt bin ich nicht mehr schön. Allein ich bin auch nicht mehr schön genug für dich; denn du bist schöner geworden, als ich mir jemals vormalte; die gereifte Kraft der Seele hat die Härte deiner Züge bezwungen und verklärt. Heut morgen noch glaubte ich ein Rittergut mit dir teilen zu können, jetzt bin ich ein Bettler. Ich habe keinen Beruf, kein Vermögen, und wer weiß, ob ich je die volle Kraft meiner Glieder wiederfinde, und so wird unsere Liebe bleiben müssen, was sie war: der Traum eines unverlorenen und doch nie mehr ganz zu gewinnenden Kleinods!«

Statt aller Antwort sagte Marthe, sie müsse ihm noch von den letzten Tagen seiner Eltern erzählen. Und sie berichtete dann, daß sie seit Jahren bei jenen wie das Kind im Hause gewesen sei, befreundet durch die schwere Not der Zeit, welche sie mit dem verlassenen Paare zu teilen gesucht. Sie habe geglaubt, die Liebe, welche sie dem Sohne nicht geben könne, wenigstens den Eltern schenken zu müssen. Auch in der letzten Krankheit habe sie die Alten gepflegt, und die sterbende Mutter habe ihr den Rest ihres eingebrachten Vermögens übergeben, damit Marthe das Geld aufbewahren möge für den verschollenen Sohn. »Die Summe«, so schloß sie, »ist zwar kleiner als in den guten Tagen deiner Eltern, allein da inzwischen alle Welt ärmer geworden ist, so gilt sie noch genug, daß du dir zu dem väterlichen Hause Garten und Feldgut kaufen und als ein geachteter Bürger von deiner Hände Arbeit leben kannst.«

»Du beschämst mich heute allerwege«, entgegnete Amos. »Am Morgen gedachte ich dir noch ein Rittergut zu schenken, und am Abende schenkst du dem Bettler sein mütterliches Erbe. Aber wenn ich schon das Rittergut nicht ungeteilt hätte genießen mögen, so nehme ich noch viel weniger das Erbe aus deiner Hand, außer du teilest mit mir und gibst mir diese treue Hand dazu.«

So löste sich in des Abends stillem Frieden alles Wirrsal des heißbewegten Tages und der sturmvollen Jahre. Und es war den Liebenden, als sei ihnen in diesem Frieden eine Verheißung gegeben, daß sie über die schreckliche Gegenwart hinaus auch den ersehnten Frieden des ganzen Vaterlandes noch erleben würden, wie sie ihn vorhergesagt glaubten in dem Tauftexte des Amos: »Aber ich will die Gefängnis meines Volkes Israel wenden, daß sie sollen die wüsten Städte bauen und bewohnen, Weinberge pflanzen und Wein davon trinken, Gärten machen und Früchte daraus essen. Denn ich will sie in ihr Land pflanzen, daß sie nicht mehr aus ihrem Lande gerottet werden, das ich ihnen geben werde, spricht der Herr, dein Gott.«

Fast zur selben Zeit, da Amos und Marthe Hochzeit hielten, kam aus Dillenburg die Kunde vom Tode des Generals Ramsay, und das Gerücht fügte hinzu: der stolze, schöne Schotte habe sich aus Gram zu Tod gehungert. Amos war tief ergriffen von dem traurigen Ende eines so hochbegabten Menschen und erkannte, daß der schönste Mann im Heere, als Schneiderssohn geboren, zuletzt doch noch zu höherem Glück aufsteigen könne als der schönste Mann, als Kavalier geboren. Und zum wenigsten war er froh, daß Ramsay jetzt die Edelsteine nicht mehr brauche, denn die lasteten ihm noch immer etwas auf dem Gewissen.

Er widerstand auch später der Versuchung nicht, eines Nachts in Begleitung seiner Frau mit einem großen Netze nach dem Hexenloche zu gehen und dort den Fluß auf und ab zu fischen nach den zwei Rittergütern. Allein sie zogen nichts als Sand, Geröll und einen Teller voll Weißfische ans Ufer. »Schleichen wir stille wieder heim«, sprach endlich Amos, »und backen wir uns die Fische morgen zum Mittagsmahl. Ein Weißfisch ist zwar der geringste Fisch, aber wenn ihn zwei junge Eheleute zusammen verzehren, die einander gerade schön genug sind und lieb übergenug, und gehörig achtgeben auf die vielen Gräten, dann schmeckt er doch besser als ein köstlicher Salm an der Tafel einer Gräfin oder Prinzessin – Gott habe meine Mutter selig!«

Und als sie bei diesen Worten, vom Monde hell beleuchtet, einander ins Auge sahen, da meinten beide für sich, die Herzensgüte, welche aus den Zügen sichtbar hervorbreche, mache doch das allerschönste wie ein etwas verunglücktes Gesicht erst wahrhaft schön und kein Maler könne diese allerschönste Schönheit nachbilden, auch wenn er Kirchenengel zu malen verstehe.

Aber keines sagte es diesmal dem anderen.


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