Autorenseite

 << zurück 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Das Andreaskreuz.

Auf der Insel im Buenaventura, die der Graf und Kreuzträger zwei Tage vorher verlassen, waren die beiden Tage mit dem gewöhnlichen plänkelnden Kugelwechsel zwischen den Abenteurern in ihrer geschützten Stellung und den Apachen vergangen; zu einem ernstlichen Angriff war es nicht gekommen. Auf der Insel wußte man natürlich nicht, ob es dem Grafen und Kreuzträger gelungen, das Ufer glücklich zu erreichen, aber man schloß wenigstens, daß sie nicht in die Hände der Feinde gefallen waren, weil diese sicher sonst ihren Fang mit großem triumphierenden Lärm gefeiert haben würden.

Jetzt jedoch begannen die Abenteurer ängstlich die Stunden zu zählen und mit verdoppelter Aufmerksamkeit ihre Wachen zu halten. Die Lebensmittel reichten selbst bei der knappsten Einrichtung kaum noch für einen Tag, die Entscheidung auf die eine oder andere Weise mußte kommen.

Es war in der dritten Nacht; unter dem Schutz derselben mußten der Graf und Eisenarm, oder wenigstens einer von ihnen erscheinen, wenn sie nicht tot oder gefangen waren. Es war die Nacht, die der Graf mit seinen Begleitern im Goldthal zubrachte.

Leutnant Morawski hatte die Posten an den Ufern aufgestellt und sie eben nochmals revidiert. Jeder derselben war mit zwei Männern besetzt, die alle zwei Stunden abgelöst wurden. An der dem Strom abgekehrten Spitze, von der drei Abende vorher Kreuzträger und der Graf ihr kühnes Unternehmen begonnen, fand er Master Slongh und den Matrosen William, und empfahl ihnen die höchste Aufmerksamkeit.

Hier saß auch, die Arme auf den Rücken geschnürt, die Füße gleichfalls geknebelt, der Däne, mit dem Rücken gegen ein Felsstück gelehnt.

»Möge Eure Seele verdammt sein bis in die unterste Hölle!« fluchte der Bösewicht auf eine Ermahnung des Polen, sich ruhig zu verhalten, da der Zustand der Gräfin sich während der Tage verschlimmert hatte und die rauhen Männer mit ihrer Angst um den Gatten aufrichtiges Mitleid hegten. »Hätte meine Kugel sie getroffen, so wäre ihr das alles erspart worden! Ein Thor müßte er sein, wenn er zu den Narren, die ihn gehen ließen, und dem kranken Weibsbild zurückkehren würde. Sie haben ihre Haut in Sicherheit gebracht und lassen uns hier im besten Falle verhungern, wie die Ratten in einem leeren Schiff!«

»Euch kann es gleich sein, Mann, welchen Tod Ihr sterbt,« sagte der Pole unwillig; »denn wenn der Graf zurückkehrt, ist der Strick Euch sicher, und verdient habt Ihr ihn gewiß zehnfach in Eurem ruchlosen Leben.«

Der Däne schlug ein rohes Lachen auf. »So glaubt Ihr wirklich daran?«

»Graf Boulbon hat sein Ehrenwort verpfändet, zurückzukehren.«

»Und wenn er nicht kommt?«

»Dann mögt Ihr Euch hängen lassen, wo Ihr wollt.«

» Damned! es gilt. An den Beinen mögt Ihr mich aufknüpfen, laßt mir wenigstens die Stricke daran lösen. Leutnant, denn die Schufte haben mich zusammengeschnürt, daß das Blut nicht durch die Adern kann!«

Der Pole hieß Slough die Bande an den Füßen des Gefangenen etwas lockern, wenn er das Versprechen geben wolle, sich ruhig zu verhalten, und ging dann weiter.

Slongh machte sich an den zähen Lianenranken zu thun, mit denen der Seeräuber gefesselt war. Es war das erste Mal, daß die Reihe ihn getroffen, bei diesem zu wachen und er hatte absichtlich vermieden, ihm nahe zu kommen, um jeden Verdacht zu beseitigen. Jetzt jedoch hatte er die günstigste Gelegenheit zu einer Verständigung.

»Der Teufel hole Euch, Ihr plärrender Schurke!« murmelte der Seeräuber, »ist das die Freundschaft, auf die ich zählen kann?«

»Still, Mann!« sagte der Methodist in spanischer Sprache, von der er wußte, daß sie sein Gefährte auf dem Posten nicht verstand, »was hätte es genützt, wenn ich mich mit Euch in Verlegenheit gebracht hätte? Die Amalekiter haben die Gewalt über uns, aber der Herr verläßt die Seinen nicht in der Gefahr. Glaubt Ihr, daß wir mit dem Kanoe unbemerkt an den Apachen vorbeikommen könnten?«

»Den Teufel, das ist eine Idee!«

»Ich glaube so wenig wie Ihr, daß der Graf und Kreuzträger solche Narren sein werden, hierher zurückzukommen. Es wird also unsern Männern nichts übrig bleiben, als den Versuch zu machen, sich durchzuschlagen oder auf dem Wasser zu fliehen. Zum Gelingen ist da wenig Aussicht, und wir werden sicher unsern Skalp dabei lassen müssen.«

»Das ist so gewiß, wie Ihr ein Bursche seid, der wenig Lust hat zum Märtyrer, trotz alles Predigens und Psalmensingens.«

»Der Herr möge mich bewahren davor! Es ist genug, daß ich einmal nahe daran war. Nun denke ich, daß einer oder zwei sich ebensogut und noch bequemer aus dem Staube machen könnten, als unser würdiger General, wenn sie das Kanoe dazu benutzen wollten.«

»Und Ihr meint, wir beide könnten das thun?«

»Ihr seht, Kapitän, daß ich Euch aufrichtig ergeben bin. Aber Ihr müßt bedenken, daß ich Euch zuliebe ein armer Mann geworden bin.«

»Meinetwegen!«.

»Nun ja! bloß aus Freundschaft für Euch habe ich mich diesem thörichten Unternehmen angeschlossen, da Ihr durchaus nicht nach Guaymas zurückkehren wolltet, und da ich nun weiß –«

»Was?«

»Je nun, daß Ihr in Eurem Gürtel eingenäht noch Euer Handgeld von San Francisco und Guaymas her bei Euch führt …«

»Wer zum Teufel hat Dir das verraten, Schuft?«

Der Methodist verdrehte die Augen. »Die Heiligen haben mich mit einem feinen Gefühl in den Fingern gesegnet. Ich sollte meinen, Ihr hättet gesehen, daß ich nicht ungeschickt mit den Karten und Würfeln umzugehen verstehe. Also – wenn Ihr versprecht, mit mir zu teilen, Kapitän, so will ich's wagen. Euch zu meinem Begleiter bei dem Entwischen zu machen.«

»Gut! Ihr sollt Euren Anteil haben. Aber wann soll es geschehen?«

»Noch während unserer Wache – sogleich! Morgen wäre es zu spät, und wir würden nicht mehr die Gelegenheit dazu finden. Das Kanoe liegt keine fünf Schritte von hier.«

»Aber der englische Tölpel dort?«

»Das ist es eben, Kapitän. Ich habe versucht, ihn auszuhorchen, aber der Kerl ist zu dumm und zu ehrlich, und würde sich weigern und uns verraten.«

»Also …«

»Also muß er unschädlich gemacht werden, damit er uns nicht hindern kann.«

Der Pirat lachte höhnisch. »So, Freund Slongh? Der Teufel soll mich holen, wenn das nicht die wahre Ursache ist, weshalb Ihr mich an der Flucht Anteil nehmen laßt. Ihr wißt, daß Ihr mit der Teerjacke nicht fertig werden könnt und wollt, daß ich ihr den Hals zuschnüre.«

»Nein, Kapitän, Ihr sollt Euch nur auf ihn werfen im rechten Augenblick, das andere will ich schon selbst besorgen.«

»Aber dazu müßt Ihr mir auch die Hände losbinden.«

»Es ist nicht nötig, Kapitän,« meinte schmeichelnd der Methodist. »Es könnte durch einen unglücklichen Zufall bemerkt werden und das Ganze stören. Ihr braucht ihn bloß nieder zu werfen, ehe er von seiner Flinte Gebrauch machen kann – das weitere ist meine Sache!« –

»Aber …«

»Es muß sein, Kapitän! So – Eure Füße sind frei! Setzt Euch näher zu uns und paßt auf, wenn ich sage: Es ist Zeit!«

»Hört, Master Slongh,« sagte der Matrose, indem er sich umdrehte, »ich sollte denken, es wäre besser, Ihr hieltet hier Ausguck, statt mit dem Piraten da Euer Garn zu spinnen. Der Kerl verdient seinen Hanf, und es soll mich freuen, ihn baumeln zu sehen.«

»Ein Sünder, der Buße thut, ist dem Herrn mehr wert, als zehn Gerechte!« näselte der Methodist. »Warum sollte ich nicht den Versuch machen, ihn zu bekehren aus seiner Finsternis, darinnen er schlimmer ist als die Heiden und die Apachen! Warum sollen wir nicht die Leiden seines Leibes mildern, da doch seine Seele bald brennen wird im höllischen Feuer? Setzt Euch dorthin, Kapitän, damit Ihr wenigstens den Trost einer gottseligen Unterhaltung anhört.«

Der Pirat rollte sich, eine lästerliche Verwünschung murmelnd, in die Nähe des Matrosen, der ärgerlich fortrückte. »Der Henker hole Euer Geplärr, Bursche – glaubt Ihr wirklich, daß ein schuftiger Pirat vor Eurem Singsang seine Segel umholen und auf einen anderen Strich legen werde?«

»Der Herr hat auch die Schlimmsten erleuchtet,« meinte der Methodist, indem er dem Piraten einen Wink gab. »Überdies ist Kapitän Hawthorn von Eurem eigenen Gewerbe.«

»Den Teufel ist er!« gab der Matrose zur Antwort. »Nehmt Euch in acht, Bursche, daß ich Euch nicht 'ne volle Ladung in Euern Spiegel gebe für die Beleidigung. Eine britische Teerjacke segelt niemals unter Piratenflagge, auch wenn sie einmal auf einer Abtrift von ihrem rechtmäßigen Bord ist.«

»Nun laßt's gut sein, Master William! Das beste wäre freilich, wir sähen erst die blaue See in der Bai von San Francisco wieder vor uns statt dieses schmutzigen Gewässers. Ihr würdet auch lieber ein Tau oder eine Kanne Grog in der Hand haben statt der Büchse da, die nicht einmal eine von den besten ist.«

Der Methodist hatte während des Gesprächs sein langes Messer aus der Tasche genommen, damit nach der amerikanischen Sitte an einem Zweige und es dann neben sich in den Boden gesteckt. Jetzt nahm er dem Matrosen die Büchse aus der Hand, wie um sie zu untersuchen, klappte den Hahn auf und entfernte dabei unbemerkt im Dunkel das Zündhütchen.

Der Pirat hatte sich im Rücken des Matrosen, der unbekümmert auf einem Steine saß und nach dem Fluß hinaus schaute, auf ein Knie erhoben, bereit, sich auf ihn zu werfen.

»Sagt, William,« fuhr Slongh fort, »wie denkt Ihr über das Versprechen unseres Generals und Kreuzträgers? ich fürchte, es ist nicht viel darauf zu rechnen.«

»Ich habe nie viel von den Franzosen gehalten,« meinte der Matrose, »sie drehen nach jedem Kompaßstrich, und nur die Yankees, wie Ihr, sind noch schlechter und unzuverlässiger. Aber dennoch wollt' ich mein ganzes Prisengeld dafür verwetten, daß uns der Admiral nicht im Stich läßt, da er sein Wort darauf gegeben und ein tapferer Bursche ist er, das mag selbst ein Brite eingestehen, ohne sich zu nahe zu treten.«

»Glaubt Ihr? – Nun, heute sollt' er kommen,« sagte der Methodist spöttisch, indem er die Büchse auf seine andere Seite legte und Hawthorn mit der Hand winkte. »Mitternacht ist längst vorüber, und ich denke, es ist …«

Er konnte das verhängnisvolle Wort nicht aussprechen – der Matrose, der soeben noch den Führer verteidigt, faßte mit einer raschen Bewegung seinen Arm.

»Seht dorthin, Mann,« flüsterte er, »was bedeutet das?«

Der Methodist ließ bestürzt die Hand von dem Griff des Messers, den er bereits gefaßt hatte, und sah nach der Seite, wohin der Engländer deutete.

Der Pirat, der sich erhoben, taumelte an den Felsen zurück, an dem er vorhin gelegen; seine Augen starrten gleichfalls nach der Stelle hin.

Ein lichter Streif, eine Art hellerer Nebel kam über das Wasser dem Strom entgegen rasch daher – erst formlos – dann gleich einer Gestalt – deutlicher und deutlicher und dennoch körperlos, wie das Bild einer Laternamagica oder ein lichter Schatten. –

Ein bleiches, strenges Gesicht – ein ernstes Auge, das im Vorüberziehen starr auf sie gerichtet war. – –

Der Nebel – das Licht ging an ihnen vorbei nach der Mitte der Insel – man wußte nicht, woher – wohin – ob Wirklichkeit, ob Täuschung. – –

» Damned!« murmelte endlich der Matrose, »ich will mich kielholen lassen, wenn das nicht der Graf war!«

»Mensch, sprecht – – –«

Der Methodist saß mit bleichem Gesicht da – seine Zähne klapperten.

»Die Wunder des Herrn sind groß! Ist er wirklich zurückgekehrt?«

Ein Schrei klang von der Mitte der Insel her, durchdringend, schneidend!

Gleich darauf scholl der Ruf um Hilfe von einer Männerstimme; die Abenteurer fuhren von ihrem harten Lager empor und sammelten sich an der Stelle, von welcher der Schrei gekommen; es war die Zweighütte der kranken Frau.

Der Matrose Jack hatte sein Gewehr ergriffen und war aufgesprungen. Als er sich umwandte, sah er den Piraten an der Klippe lehnen, die Augen weit aufgerissen, das Haar gesträubt.

»Was thust Du da, Kerl?« rief der Engländer, »wer hat »Dir die Erlaubnis gegeben, aufzustehen? Nieder aufs Verdeck, oder ich schlage Dir den Schädel ein. Geht nach dem Lager, Slongh, und seht, was der Lärm bedeutet. – Mensch! Ihr fürchtet Euch doch nicht?«

Der Methodist zitterte ein allen Gliedern. »Der Graf, sein Geist …« stammelte er.

»Unsinn, Mann, es giebt keine Gespenster, mit Ausnahme des Klabautermannes Ein bekanntes Schiffsgespenst. und des fliegenden Holländers. Eine Sternschnuppe war's oder eine indianische Teufelei – Verdammt! was ist das?«

Ein Schuß krachte in einiger Entfernung drüben am rechten Ufer des Stroms – ein zweiter auf dem linken, ein gellendes Furio, als wären hundert Teufel losgelassen! Dann Schuß auf Schuß!

»Hurra! Männer hierher! Wo ist das Boot. Der Graf ist über den Apachen; wir müssen ihm zu Hilfe eilen!«

Der Pole Morawski sprang mit der Schnelligkeit und der Kraft eines Jünglings zum Ufer herunter, andere der Abenteurer, die Büchse in der Hand, folgten ihm.

»Die Ruder, William!« befahl der Leutnant, »sechs Mann ins Boot und dann so rasch wie möglich zurück! Wir wollen der armen Frau wenigstens eine Leichenfeier bereiten helfen im Blute der Rothäute!

Schuß auf Schuß krachte drüben und mischte sich in das Hurra der Abenteurer und das Todesgeheul der überfallenen Apachen. – – – – – – – –

Als Slongh, der keinerlei Beruf gefühlt, sich den Übersetzenden anzuschließen, jetzt nach der Mitte der Insel zu dem Lager schlich, hörte er von der Zweighütte her ein tiefes Schluchzen.

Es war der alte Avignote, der neben der Leiche seiner Herrin kniete; ein plötzlicher Herzkrampf hatte ihrem Leiden und Bangen ein Ende gemacht! –


Die aufgehende Sonne zeigte die völlige Niederlage und Vernichtung der Apachen. Wenige nur waren den Kugeln und den Tomahawks ihrer Feinde entgangen und hatten sich in die Einöde oder die Sierra flüchten können.

Die Belagerten auf der Insel waren befreit und bereits auf dem linken Ufer, während Kreuzträger mit den Comanchen auf dem rechten die Ankunft des Grafen und der beiden Jäger erwartete.

Der alte Wegweiser hatte bei dem Überfall sorgfältig darüber gewacht, daß dem Lord und seinen Begleitern kein Leid geschehe. Da dieser sich an dem Kampfe nicht beteiligt hatte, glaubte der Wegweiser sich nicht einmal berechtigt, ihn bis zur Ankunft des Grafen zurückzuhalten, und bot ihm an, ihn und seine Diener durch einige der Comanchen sicher bis in die Nähe der nächsten mexikanischen Mission geleiten zu lassen.

Trotz des Sieges und der Befreiung aus ihrer gefährlichen Lage herrschte doch unter den Abenteurern eine ernste Stimmung und sie erwarteten mit einer gewissen Spannung die Ankunft des Grafen, der sie zu den lange versprochenen Goldlagern führen sollte. Ihre ernste Stimmung war durch den Tod der Gräfin, die so treulich all ihre Anstrengungen und Gefahren geteilt hatte, und durch die seltsamen und verworrenen Erzählungen Slonghs und des Matrosen von der Erscheinung des Grafen hervorgerufen. Die Leute steckten die Köpfe zusammen, berieten sich über ihre nächsten Schritte und fürchteten offenbar neues Unheil. Die Mitteilungen Kreuzträgers waren nicht genügend, die Ursachen zu erklären, warum der Graf nicht mit den Comanchen zu ihrer Befreiung zurückgekommen war, und es herrschte offenbar ein gewisses Mißtrauen gegen diese, weshalb beide Parteien auf je einem der Ufer sich von einander abgesondert hielten, obschon in einiger Entfernung oberhalb der Insel eine Furt das Passieren des Stromes für Reiter leicht gestattete.

Lord Drysdale hatte bereits beschlossen, das Anerbieten Kreuzträgers und seines Sohnes anzunehmen, und traf seine Vorbereitungen, noch am Nachmittage aufzubrechen, um jedem Zusammentreffen mit dem Grafen auszuweichen, als der Methodist plötzlich vor dem Zelt erschien, das dem Engländer und seinen Begleitern zum Aufenthalt gedient, und ihn zu sprechen verlangte. Er führte ihn eine Strecke abseits, und mit Erstaunen sah der junge Preuße, der sich noch immer in seiner Gesellschaft befand und gleichfalls mit Ungeduld die Rückkehr des Grafen erwartete, daß der Lord mit großer Erregung die Mitteilung des Methodisten anhörte und mit ihm in eine lebhafte Verhandlung geriet.

Als er endlich, während Slongh in dem Kanoe zur Insel ruderte, zu dem Zelt zurückkehrte, war das Gesicht des Engländers bleich und entstellt, aber in dem festgeschlossenen Mund und dem drohenden Blick sprach sich ein finsterer Entschluß aus. Er bat den Offizier, Kreuzträger zu benachrichtigen, daß er beschlossen habe, bis zum Abzug der Comanchen zu bleiben und sie nach dem Rio del Norte zu begleiten, wo er leicht Gelegenheit finden könnte, Mexiko und einen der östlichen Häfen zu erreichen.

Der Tag und der Abend verging, ohne daß der Graf zurückkehrte. Bonifaz, der unter dem Beistande einiger der Abenteurer auf der Insel unter der Korkeiche ein Grab gegraben, war herübergekommen, um mit Kreuzträger und dem Preußen von seinem Herrn zu sprechen und diesen zu erwarten, da er es für Pflicht hielt, ihm zuerst die traurige Botschaft zu überbringen. Obschon er die Erzählungen Slonghs als eine alberne Erfindung und eine Eingebung seiner Furcht zurückgewiesen, war sein Wesen doch sichtlich schwer gedrückt und trübe. Auch der junge Preuße konnte eine ernste Stimmung nicht verbergen, und seine Blicke weilten oft lange und unentschlossen auf der jungen Indianerin, die mit ihnen am Feuer saß.

Die Tote auf der Insel lag allein neben dem Grabe, das sich am nächsten Morgen über ihr schließen sollte. Von beiden Ufern leuchteten die Feuer der roten und weißen Männer, und mit ungestümem Rauschen brach sich der Strom an den Klippen.

Jetzt erklang ein leiser Pfiff unter den Felsen des rechten Ufers unterhalb der Insel, und alsbald stiegen zwei dunkle Gestalten die Bank hinab, die eine hoch und stattlich, die andere in seltsamer Weise sich an der Erde hinschiebend.

»Hier, Mylord! hier herunter!« flüsterte die Stimme Slonghs.

Der Lord sprang hinab, dann nahm er seinen verkrüppelten Diener in die Arme und hob ihn in das Kanoe. Der Malaye ergriff das zweite Ruder, und mit der vollen Kraft seiner Arme trieb er das leichte Fahrzeug gegen den Strom. Nach wenigen Minuten landeten sie an der Spitze der Insel. Der Methodist befestigte den Kahn, dann half er dem Krüppel ans Ufer.

»Haben Sie Stricke, Mylord?« flüsterte er.

»Sie sind fest und gut. Verlaßt Euch darauf.«

»Dann folgen Sie mir mit aller Vorsicht und Stille; er ist verteufelt mißtrauisch.«

Slongh ging voran bis an die Klippen der Westseite des kleinen Eilands – dort hustete er.

Sogleich hörte man im Dunkel sich etwas regen, ein mürrischer Fluch wurde laut, und die Stimme Hawthorns, des Piraten, nannte den Namen des Methodisten.

»Es ist alles sicher, Kapitän,« sagte dieser. »Kommt nur hervor aus Eurem Versteck, das Kanoe ist da, und in einer halben Stunde sind wir beide in Sicherheit.«

»Der Teufel hole Euch, Schurke!« murrte der Pirat, der »mühsam aus einer Menge Buschwerk und Gräsern sich hervorarbeitete, die das Loch bedeckt hielten, in das er sich mit Hilfe des Methodisten versteckt hatte, als in der Nacht vorher der Kampf mit den Apachen entbrannt war und die Abenteurer ihren unbekannten Bundesgenossen zu Hilfe eilten, ohne sich um ihn zu bekümmern. »Warum habt Ihr mir nicht wenigstens die Hände frei gemacht, daß ich mich vor diesen verdammten Dornen schützen konnte? Mich den ganzen Tag in dem Loch da liegen zu lassen, ist ein schlechtes Freundschaftsstück. Schneidet sogleich den Strick durch, damit ich endlich meine Arme brauchen kann!«

»Gleich, gleich, Kapitän!« sagte der Verräter, »Ihr müßt Euch noch einen Augenblick gedulden, denn ich habe das Messer im Kanoe gelassen. Ich mußte mich auf alle Fälle sichern – jetzt aber glauben die Narren, Ihr habt die Gelegenheit ergriffen, ins Wasser zu springen, statt auf die Schlinge zu warten, und so sind wir ganz sicher. Die Apachen sind erschlagen durch Kreuzträger und eine Bande Comanchen oder verjagt, unsere Leute lagern alle auf dem linken Ufer, der Graf, mit dessen Spuk unsere eigene Einbildung uns erschreckt hat, kommt erst morgen zurück, und wenn wir uns mit dem Strom eine halbe Stunde lang den Fluß hinunter treiben lassen, sind wir unsere freien Herren und aller Gefahr ledig; es müßte denn sein, daß …«

»Was meint Ihr?«

»Je nun, daß Ihr noch einmal auf Euren schlimmsten Feind, den Engländer, stoßen würdet. Aber kommt hierher, Kapitän, hier ist das Kanoe!«

»Der Teufel gesegne Dir die Erinnerung!« fluchte der Pirat. »Nenne den Namen noch einmal, und ich schlage Dich zu Boden, wie einen tollen Hund!«

»Wenn Ihr je die Gelegenheit dazu bekommt!« lachte boshaft der Methodist. »Auf ihn!«

Der Seeräuber stieß einen Fluch aus und wollte vorwärts springen, aber er fühlte seine Beine fest umklammert und im nächsten Augenblick waren diese unter ihm weg und er zu Boden gerissen. Ein Knie setzte sich schwer auf seine Brust und eine starke Hand preßte ihm einen Knebel in den Mund, während seine Füße aufs neue mit festen Banden umschlungen wurden.

»Mörder!« zischte eine Stimme über ihm, während der Elende selbst in dem Dunkel ein bleiches Gesicht und funkelnde Augen über sich erkennen konnte. »Mörder, denk' an das chinesische Meer und bereite Dich auf Dein Schicksal!«

Der Pirat kannte diese Stimme; sein Haar sträubte sich bei ihrem Klang, seine Augen schienen vor Entsetzen aus ihren Höhlen zu quellen. Vergebens versuchte er Widerstand und riß wie rasend an seinen Banden; fester und fester schlangen sie sich um seine Glieder, ihn zu einer hilflosen Masse machend, und der Knebel zwischen seinen Zähnen erstickte den Schrei der Wut, den Ruf um Hilfe.

Der Lord hatte sich erhoben; er streckte die Hand nach dem Sternenhimmel empor, als danke er dem Rächer da oben, daß er das furchtbare Amt endlich in seine Hände gegeben.

Mahadrö, der Krüppel, kniete an der Seite des Gefesselten und murmelte Gebete.

»Ich sagte es Euch ja, Freund Hawthorn,« bemerkte spottend der Methodist, »daß Ihr gerettet wäret, wenn Ihr nicht etwa das Unglück hättet, auf Seine Herrlichkeit zu stoßen. Aus alter Freundschaft soll es mir auf eine Hand voll Gebete für die Rettung Eurer armen Seele aus dem höllischen Pfuhle nicht ankommen, und ich weiß, das wird Euch ein Trost sein, wenn Ihr jetzt hinüber müßt!«

»Still!« befahl der Lord. »Sie versicherten mich, daß der Ort, wo dieser Mann sich heute versteckt gehalten, ihn sicher vor Entdeckung schützen würde?«

»Gewiß, Mylord!«

»Hier sind die zweihundert Pfund, die Sie dafür verlangten, ihn in meine Hände zu liefern, und fünfzig mehr, damit Sie thun, was ich befehle.«

Der Methodist steckte die Banknoten ein, aber er konnte sich dabei eines Zitterns nicht erwehren. »Ich danke, Mylord! er hat den Tod sicher verdient, und eine Kugel durch die Schläfe oder eine Schlinge um den Hals …«

Der Engländer lachte, es war ein kurzes, kaltes, teuflisches Lachen.

»Was wissen Sie davon, was ich mit diesem Manne abzumachen habe!« sagte er rauh. »Glauben Sie, daß ich ihm drei Jahre gefolgt bin durch Meere und Länder, um mit ihm die kurze Abrechnung einer Kugel zu halten? – Fassen Sie an …«

»Aber, Mylord, was wollen Sie thun?«

»Gehorchen Sie!« sagte der Lord streng. »Sie haben Ihren Lohn erhalten. Nehmen Sie seinen Kopf, indes ich die Füße nehme, und lassen Sie uns ihn in das Versteck zurückbringen!«

Der Methodist, dem es kalt über den Leib rieselte bei dem unbekannten Schicksal, welches das Opfer seines spekulativen Verrats erwartete, gehorchte. So trugen die beiden Männer den hilflosen Körper zu der Felshöhlung zurück, in der er sich früher verborgen, und warfen ihn gleich einem leblosen Klumpen da hinein. Der Lord selbst half aufs neue, ihn mit Zweigen, Steinen und Gestrüpp bedecken, bis selbst das hellste Tageslicht keine Spur mehr von ihm zeigen konnte.

Dann wandte sich der ehemalige Missionär zu seinem verkrüppelten Begleiter.

»Mahadrö,« sagte er langsam und schwer, »ich versprach Dir einst, Deine Treue zu lohnen und Deine Leiden zu vergüten. Ich will es thun, indem ich Dir den Beweis meines höchsten Vertrauens gebe. Bewache diesen Mann, bis ich sein Leben von Dir fordere!«

»Du sollst nicht töten, spricht der Herr! Die Rache ist mein!« sprach feierlich der Krüppel.

»Blut für Blut! Leben für Leben! ich habe geschworen, das Schwert seiner Hand zu sein! Gehorche!«

Er winkte ungeduldig dem Methodisten nach dem Kahn und hieß ihn einsteigen.

Mit festen Ruderschlägen trieb er das Fahrzeug nach dem jenseitigen Ufer; – ohne daß er ein Wort zu sprechen wagte, sprang Slongh ans Land und eilte davon, als wäre der Rächer auf seinen eigenen Fersen.

Der Lord kehrte zu dem Lager der Comanchen zurück und warf sich am Eingang seines Zeltes auf die Decke nieder, die sein Lager bildete.


Es war eine Stunde nach Sonnenaufgang, als umherschwärmende Reiter der Comanchen verkündeten, daß am Ufer des Flusses von Süden her ein Mann auf einem Mustang sich näherte, ein zweites Pferd am Zügel führend.

Bald erkannten Kreuzträger und der Lord den Trapper. Zum Erstaunen aller kam er allein.

Man umringte ihn, als er herangekommen, Bonifaz und der Preuße bedrängten ihn voll Besorgnis mit Fragen nach dem Grafen.

Die Miene Eisenarms war ernst und undurchdringlich. Er begnügte sich damit, sich zu Kreuzträger zu wenden und ihn zu fragen:

»Wo ist Señor Bonifazio, der Begleiter des Conde? ich habe eine Botschaft für ihn.«

»Hier, Mann, ich bin es! Wo ist mein teurer Herr? Es ist ihm doch kein Unheil begegnet?«

»Der Graf ist tot,« sagte der Trapper. »Gottes Wille hat seinem Wege ein Ende gemacht. Nehmet dies Zeichen zum Beweise der Wahrheit meiner Aussage.«

Er reichte ihm den Siegelring mit dem Wappen der Lilien und dem schrägen Balken.

Der Schlag war, nachdem Kreuzträger mit den Comanchen die Nachricht gebracht hatte, daß alle glücklich den gefährlichen Kampf bestanden, so furchtbar, daß im ersten Augenblick niemand ein Wort zu sagen wußte. Der alte Avignote bedeckte das Gesicht mit den Händen und brach in tiefes Schluchzen aus.

Obschon der Lord keine Ursache hatte, für das Schicksal des Franzosen Interesse zu zeigen, veranlaßte ihn doch die Achtung, die ein entschlossener und tapferer Mann selbst dem Feinde zollt, sofort einzuschreiten.

»Master Eisenarm,« sagte er, »ich habe Ihren Charakter kennen und achten, gelernt und zweifle keinen Augenblick an der Wahrheit Ihrer traurigen Nachricht. Aber wenn auch die Gattin des unglücklichen Mannes ihm im Tode vorangegangen ist, so hat Graf Boulbon hier doch zahlreiche Freunde zurückgelassen, die Rechenschaft über die Art und Weise seines Todes von Ihnen verlangen müssen, da Sie und der Indianer, Ihr Freund, den wir nicht hier sehen, die Personen sind, in deren Gesellschaft Kreuzträger den Grafen gesund und kräftig zurückgelassen hat.«

»Wir haben den Toten nicht zu uns gerufen, Mylord,« sagte ruhig der Trapper, »er ist aus eigenem Antriebe gekommen und in gleicher Weise geblieben, als er hierher zurückkehren und seine Freunde befreien konnte. Niemand hat demnach ein Recht, mich für sein Schicksal verantwortlich zu machen. Dennoch bin ich bereit, dem Manne, den er selbst bestimmt hat, die näheren Umstände mitzuteilen, so weit ein Eid mich nicht bindet. Señor Bonifazio, ich wünsche mit Ihnen allein zu sprechen, während ich zugleich Señor Kreuzträger bitte, diese beiden Pferde in Obhut zu nehmen, und niemandem zu gestatten, sie zu berühren.«

Die ruhige, feste Weise Eisenarms unterdrückte jedes Mißtrauen, Bonifaz willigte sofort ein und ging ihm voran nach einer kleinen Anhöhe, einige hundert Schritte von dem Lager entfernt, wo niemand ihre Unterredung vernehmen, und man jeden sich Nähernden sehen konnte.

Hier setzten sich beide nieder, und der Trapper zog aus seiner Jagdtasche das Portefeuille, in dem der Graf kurz vor dem Kampf seine letzten Bestimmungen für den Fall seines Todes niedergeschrieben hatte, und reichte es dem Avignoten.

»Ich kann nicht lesen, Fremder,« sagte er, »und weiß nur, daß der Conde mir empfohlen hat, im Fall seines Todes Euch dies zu geben. Wenn Ihr es gelesen, und es sich nötig erweist, mögt Ihr mir davon mitteilen, was Euch gut dünkt.«

Bonifaz öffnete das Portefeuille und fand darin zwei beschriebene Blätter.

Das erste war eine Art Testament und lautete:

 

»Dies für den Fall meines Todes! Ich Horace Aimé, Graf Raousset Boulbon setze zum Erben aller meiner Habe diesseits und jenseits des Meeres ein meine Frau Suzanne Clément und unsern Sohn Louis, Grafen von Boulbon. Ich bestimme, daß derselbe im Waffendienst Frankreichs erzogen wird, und soll gedachter Louis Graf Boulbon, sobald er das 23. Jahr vollendet hat, hier in Mexiko an Ort und Stelle das von mir ihm hinterlassene Erbe in Empfang nehmen und nach Ehr und Gewissen und zum Besten Frankreichs damit verfahren. Zu Vormündern dieses meines Sohnes ernenne ich den Grafen Edgar Ney, meinen Freund und Begleiter Bonifaz Cornoche und den Trapper Leblanc, genannt Eisenarm. Möge Gott meine Erben und ihre Vormünder in Seinen allmächtigen Schutz nehmen und sie meiner in Liebe und Nachsicht gedenken lassen.«

 

Der Avignote las seinem Gefährten dies Testament wörtlich vor.

»Es ist sehr freundlich von einem so vornehmen Herrn,« sagte der Jäger, »eines armen Mannes wie ich bin, zu gedenken und ihn also zu ehren. Lesen Sie das andere Blatt, Señor Bonifazio, ich hoffe, es steht etwas näheres darin, wie ich mich zu verhalten habe.«

Das zweite Blatt war an Bonifaz selbst gerichtet und lautete also:

 

»Meinem alten Freunde und Begleiter durchs Leben, Bonifaz Cornoche Gruß und Dank! Nicht besser weiß ich Dir zu lohnen, als indem ich Dich zum Freund und Wächter meines Sohnes bestelle. Der Trapper Eisenarm, ein wackerer Mann, wird Dich mit dem Umstand bekannt machen, so weit es nötig und zulässig, daß meinem Sohn ein reiches Erbe in diesem Lande zusteht. Gott hat nicht gewollt, daß ich es hebe, so möge denn mein Sohn es thun unter Eurem Beistand, jedoch nicht eher, als in dem Jahr, in welchem er 24 Jahr alt wird, also von heute ab in dreizehn Jahren. Du sollst, wenn Du am Leben, ihn selbst nach der Sonora begleiten und magst allen Anweisungen Eisenarms und seines indianischen Freundes folgen. Laß meinen Sohn des Namens sich würdig zeigen, den er trägt, und möge Gott Dir alle Liebe und Treue lohnen.

Aimé Boulbon.«

 

Der Avignote vergoß heiße Thränen, als er diese Zeilen seines geliebten Herrn und Freundes gleich den andern dem Trapper vorlas, der sie aufmerksam anhörte. Dann folgte eine lange Unterredung zwischen den beiden Männern, und die Sonne stand bereits hoch am Himmel, als sie zu ihren Freunden zurückkehrten.

Sie waren nach reiflicher Überlegung zu dem Entschluß gekommen, wenn auch nicht das Geheimnis der Todesart des Grafen und des Goldthals, von dem Eisenarm dem Avignoten auch nur so viel mitteilte, als der Eid der drei Blutbrüder ihm gestattete, so doch die letzten Bestimmungen des Grafen den vertrauten Freunden mitzuteilen, und mit ihnen zu beraten, in welcher Weise die Abenteurer abgefunden werden sollten.

Der Lord, Kreuzträger und sein Sohn, der junge Offizier und Windenblüte wurden deshalb zusammenberufen, und Eisenarm öffnete vor den Blicken der Staunenden die Last, die der Mustang, den er mit sich geführt, getragen hatte. Die beiden Decken enthielten die Goldstufen, die der Graf in dem Thale zur Mitnahme bestimmt hatte, und den Block, den der Indianer getragen. Es konnten an Gewicht nach der oberflächlichen Schätzung an zweihundert Pfund gediegenen Goldes sein.

»Freunde,« sagte der Avignote, »ich habe die Pflicht, Ihnen zu sagen, daß mein Gebieter, der Graf, bei der Aufsuchung einer Bonanza verunglückt ist und den Tod gefunden hat. Eisenarm hat mir die überzeugenden Beweise dafür und den letzten Willen meines unglücklichen Herrn überbracht; den wackeren Mann trifft keine Schuld, und ich reiche ihm hier vor Ihnen die Hand, die Hand eines Freundes, der ihm dankt für die Treue und Redlichkeit, die er bewiesen. Mögen Gott und die Heiligen der unsterblichen Seele meines unglücklichen Herrn gnädig sein und seinem Leibe an unbekanntem Ort und fern von der Seite seiner Gattin die ewige Ruhe schenken bis zum Tage der Auferstehung. Was der Graf an jenem Ort an Gold gefunden, hat dieser Mann hierher gebracht, es soll zu gleichen Teilen zwischen seinem Sohn und Erben und den Männern dort jenseits des Flusses geteilt werden, die ihm zu seinem Unternehmen gefolgt waren. Mögen Sie uns nun Rat geben, wie dies am besten zu machen ist, ohne den Dämon des Neides und der Habsucht wach zu rufen und vielleicht noch mehr Blut zu vergießen, als um dies Gold schon geflossen ist.«

Die Beratung war lang und voll verschiedener Meinungen, bis Lord Drysdale endlich folgenden Vorschlag machte.

»Ihr Wunsch, Señor Eisenarm und Señor Bonifazio scheint es,« sagte er, »jene Männer sobald wie möglich dahin zurückzusenden, woher sie gekommen, um jeden Zwiespalt mit ihnen zu vermeiden. Ich habe in meinem Portefeuille Wechsel auf Guaymas und San Francisco im Betrage von fünf- bis sechstausend Pfund Sterling. Nun mögen Sie selbst den Teil des Goldes schätzen, der auf den Anteil jener Männer kommt, und ich bin bereit, ihnen die Wechsel zu diesem Betrage auszuhändigen nach Abzug des Anteils Meister Kreuzträgers und meines jungen Freundes hier. Indem dies als ein Vermächtnis des Grafen an jene gilt, brauchen sie nichts von dem Vorhandensein dieses Goldes zu wissen und werden genötigt sein, zur Versilberung der Papiere und zur Teilung der Summe alsbald nach dem Westen aufzubrechen. Da ich mich entschlossen habe, mit Meister Kreuzträger und seinen neuen Freunden, den Comanchen, nach dem Rio del Norte zu gehen und über Mexiko und Veracruz nach England zurückzukehren, schlage ich Ihnen vor, Master Bonifaz, uns zu begleiten, statt sich der Gefahr auszusetzen, auf dem Wege nach der westlichen Küste, um das Erbe des jungen Grafen vielleicht von Ihren alten Gefährten selbst, beraubt zu werden. In Chihuahua oder Monterey werden wir leicht Gelegenheit finden, unser Gold in neue Wechsel auf Mexiko oder Europa umzusetzen und so der Beschwerde weiterer Mitführung enthoben sein. Sir Ewald Kleist ist bereit, nachdem der Tod des Grafen seine Verpflichtung gelöst, mit mir zu gehen, und so bleibt denn nur die Frage, was Sie, Señor Eisenarm, zu thun gedenken.«

»Mylord,« sagte der Trapper, »ich passe nicht in die Städte, mein Leben gehört der Einöde. Außerdem habe ich in ihr eine heilige Pflicht zu erfüllen. Was Sie vorschlagen, scheint mir, obschon ich nicht recht verstehe, was ein Wechsel ist, gerecht und zweckmäßig. Wenn der Graf und Sie auch Gegner im Leben waren, so wird er es Ihnen doch im Tode danken.«

Nach einigen weiteren Erörterungen wurde der Vorschlag des Lords als der zweckmäßigste Ausweg angenommen und das Gold geteilt. Mit Hilfe einer improvisierten Wage wurde der Anteil der Abenteurer nach dem Gewicht von Büchsenkugeln auf etwas über neunzig Pfund geschätzt und Lord Drysdale gab dafür Anweisungen auf fünftausend Pfund Sterling. Das Gold wurde aufs neue sorgsam für den Transport verpackt und unter die Aufsicht Kreuzträgers gestellt. Bonifaz übernahm den Auftrag, die Gesellschaft der Goldsucher auf der andern Seite des Stromes, die schon wiederholt Zeichen der Ungeduld und Erwartung gegeben, von dem Tode des Grafen in Kenntnis zu setzen und Leutnant Morawski die Wechsel zur Erhebung und gerechten Verteilung des Betrages auszuhändigen. Falkenherz und ein Teil der Comanchen begleiteten ihn zu Pferde durch die Furt oberhalb der Insel, während die andern unter Kreuzträgers Leitung die Vorbereitungen zum Aufbruch trafen.

Bei allen diesen Verhandlungen und Vorgängen hatte der Trapper es sorgfältig und mit einer gewissen Beklommenheit in seinem ehrlichen Gemüt vermieden, des Indianers, seines jungen Freundes, zu erwähnen, obschon die Augen des jungen Mädchens oft fragend und voll Besorgnis auf ihn gerichtet waren. Jetzt aber fühlte er, daß er der traurigen Pflicht nicht länger ausweichen durfte.

Die Indianerin war zu ihm getreten und hatte sanft die Hand auf seinen Arm gelegt, während Leutnant von Kleist nicht weit von ihr entfernt stand.

»Mein weißer Vater,« sagte das Mädchen mit ihrer sanften Stimme, »hat Schmerz in die Ohren seiner Freunde geflüstert. Vielleicht bringt er Freude für Windenblüte, indem er ihr erzählt, daß der Jaguar seiner Schwester gedenkt und ihr erlaubt, wieder sein Wildbret zu bereiten.«

»Der Jaguar,« erwiderte der Trapper traurig, »gedenkt Comeos, seiner Schwester, aber der Große Geist hat gewollt, daß er sie niemals wiedersehen soll.«

»So ist er tot?«

»Ich habe gesagt, Kind, daß er Deiner gedenkt. Er will, daß Du zu dem Volke der Comanchen zurückkehrst, sie werden der Tochter eines Toyah und der Schwester eines Häuptlings die Aufnahme nicht versagen. Es ist nicht die leichteste, wenig schwerste meiner Pflichten, Mädchen, daß auch ich mich von Dir trennen soll und nicht mehr Dich beschützen kann.«

Warme Thränen rollten über das kindliche Gesicht der Indianerin. »Darf Eisenarm einer Schwester nicht Näheres sagen über das Schicksal ihres einzigen Bruders?«

»Es ist unnütz, Kind, und würde Dir nur größere Schmerzen bereiten. Genug, der Große Geist hat es gewollt, daß sein Geist umnachtet war, und daß ihm großes Unglück widerfahren. Er wird entscheiden, ob der Jaguar jagen soll mit den Geistern seiner Väter, oder noch länger wandern auf dieser Erde. Der Schatten, der die Seele eines tapferen Kriegers verhüllt, ist gebüßt. Auf alle Fälle ist ihm ein treuer Freund geblieben, der für ihn sorgen wird wie ein Bruder. Und auch Du, Comeo, sollst nicht zu kurz kommen, so lange ich eine Büchse führen kann. Ich will mit Kreuzträger sprechen, und durch die Händler alle Jahre einen Pack guter Felle für Deinen Unterhalt zu dem Stamme der Comanchen senden, der Dich als Tochter angenommen hat.«

Das Mädchen fuhr fort, still zu weinen, ohne daß sie es, mit dem leidenden Gehorsam einer Indianerin, wagte, dem Willen ihres Bruders und ihres alten Freundes zu widersprechen. Dieser stand in tiefem und schmerzlichem Sinnen auf seine Büchse gelehnt, als der Preuße ihn anredete.

Das Gespräch zwischen Eisenarm und der Indianerin war in der Mundart der Comanchen geführt worden, also von dem Offizier nicht verstanden worden. Aber die Thränen seiner treuen Pflegerin und Lebensretterin hatten deutlich genug gesprochen, um seine Teilnahme zu erregen.

»Señor Eisenarm,« sagte er entschlossen, »Comeo hat in jener Höhle aus Dankbarkeit für den kleinen Dienst, den ich ihr erwiesen, Sie und ihren Bruder verlassen. Ohne ihre Pflege und Aufopferung lebte ich wahrscheinlich nicht mehr. Ich habe also ein Recht zu fragen, warum weint Comeo, und wo ist der ›Jaguar‹, ihr Bruder?«

Der Trapper zögerte mit der Antwort; als er aber den Blick voll Anhänglichkeit und Vertrauen bemerkte, den das Mädchen bei der Frage des Offiziers auf diesen heftete, entschloß er sich, zu antworten.

»Wonodongah,« sagte er, »ist tot für seine Schwester und seine Freunde; er wird keinen wiedersehen, auch wenn er lebt. Comeo ist eine Waise, sie wird zu ihrem Volke zurückkehren und in seinen Dörfern leben!«

»Nein, bei Gott!« rief der Offizier, »dies soll ihr Los nicht sein! Ich habe selbst keine Heimat und nichts als meine Arme und das kleine Erbe meines edlen Anführers, aber hier, Mädchen, biete ich Dir ein ehrliches Herz und frage Dich, willst Du als mein Weib mir folgen und mir helfen, uns beiden eine neue Heimat zu gründen, sei es, wo es Gott gefällt!?«

Das Mädchen sank an ihm nieder. »O Herr,« sagte sie, »ich bin ja nur eine Indianerin und meine Haut ist rot!«

»Und wäre sie schwarz wie die Nacht, so wärst Du doch ein Engel des Lichts an Liebe und Herzensgüte. Ich liebe Dich nicht aus Dankbarkeit, sondern um Deiner selbst willen, und wenn dieser ehrliche und wackere Mann derjenige ist, der die Stelle Deines Bruders vertritt, so sage ich ihm, Ewald von Kleist begehrt die Indianerin Comeo zu seinem Weibe, und der erste Priester, dem wir begegnen, soll diese Ehe einsegnen, indem er die Braut zugleich durch die Taufe in die große christliche Gemeinschaft aufnimmt, der sie durch ihre Überzeugung bereits angehört.«

Die Indianerin schluchzte, indem sie die Hand ihres jungen Freundes mit Küssen bedeckte. Der Trapper reichte ihm die seine.

»Señor,« sagte er, »ich habe selbst erfahren, daß Sie ein tapferer und wackerer Mann sind, und so geben Sie mir Ihr Wort, das Kind stets gut und freundlich behandeln zu wollen, und nehmen Sie sie hin – obschon ich mir es früher anders dachte.«

Er preßte ihm fest die Hand, dann wandte er sich und ging zu dem Wegweiser.

Weiter hinauf am Ufer über der Insel konnte man die Vorgänge auf der andern Seite des Flusses leicht beobachten. Man sah, wie die Abenteurer den Avignoten und seine Begleiter umdrängten und wie eine lebhafte Verhandlung stattfand. Anfangs schienen sie den so unerwarteten Tod ihres Führers kaum glauben zu wollen, erst nachdem Bonifaz ihnen den wenigstens dem Polen wohlbekannten Siegelring des Toten zeigte, wurden sie mehr und mehr überzeugt.

Die bedeutende Summe, die ihnen mit der Nachricht überwiesen und die in die Hände Morawskis niedergelegt wurde, regte aufs neue alle schlechten und gehässigen Leidenschaften der Habgier und des Eigennutzes in den meisten auf, und hätten sie irgend einen Anhalt für ihr Mißtrauen auffinden oder einen Fingerzeig für ihre eigenen Nachforschungen nach Gold gewinnen können, so würden sie diese sicher fortgesetzt haben. Vielleicht war es ein Glück, daß der Avignote von den Comanchenkriegern begleitet worden und sie nicht mehr im Besitz des Kanoes oder einer hinreichenden Anzahl von Pferden waren. Ihre nächste Sorge schien jetzt, ob auch die übergebenen Anweisungen gültig und zu realisieren waren. Dies zu erfahren, blieb freilich nur eine Möglichkeit, und nach mancherlei Streit und Zank beschloß man, da keiner dem andern trauen wollte, so eilig wie möglich nach dem Westen aufzubrechen und sich nicht eher zu trennen, als bis die Papiere versilbert wären und sie sich in den Betrag teilen könnten.

Im stillen beschloß natürlich fast jeder, dann allein in diese Gegend zurückzukehren, um weitere Nachforschungen nach dem geheimnisvollen Schatze anzustellen, von dem der Graf ihnen versichert hatte, daß er nicht mehr fern sein könne.

Nachdem Bonifaz von seinen bisherigen Gefährten Abschied genommen, kehrte er mit Falkenherz und den Comanchen nach dem andern Ufer zurück.

Die Sucht der Abenteurer, in Besitz ihres Geldes zu kommen, war so mächtig, daß man sie schon im Lauf der nächsten Stunde ihren Lagerplatz verlassen und eilig nach Westen ziehen sah. Sie hatten sich nicht einmal Zeit genommen, die Beerdigung der Gattin ihres tapfern Anführers, die so treu alle Leiden und Anstrengungen mit ihnen geteilt, abzuwarten.

Diese heilige Pflicht hatte Bonifaz noch zu erfüllen, ehe er von dieser Stätte der Trauer Abschied nehmen konnte.

Mit Hilfe des Kreuzträgers und des Trappers wurde mit den Tomahawks ein rohes Kreuz gezimmert, das die letzte Ruhestätte der jungen Frau bezeichnen sollte. Als dies vollendet, holte man das Kanoe in der Strömung herauf, um nach der Insel überzusetzen. Die sämtlichen Weißen, Windenblüte und Falkenherz fuhren nach der Insel über, um der Toten die letzte Ehre zu erweisen.

Von allen hatte sie zwar nur der Avignote näher gekannt und geliebt, aber seine Erzählung von ihrer Liebe und Aufopferung rührte selbst die Herzen der Fremden tief, und Kreuzträger gedachte dabei der verlorenen Tochter.

Die Männer waren zwar erstaunt, auf der Insel dem Krüppel zu begegnen, den sie seit dem Morgen nicht gesehen, aber in dem kleinen Zelt des Lords gewähnt hatten, doch sie enthielten sich der Fragen nach jener Sitte der Prairie, die jeden unbehindert seinen eigenen Geschäften nachgehen läßt.

Windenblüte hatte am Ufer in den Büschen von wildem Oleander und Myrte Blumen und Zweige gepflückt und zu Kränzen gewunden, mit denen sie jetzt die Tote schmückte. Bonifaz hüllte diese in eine Decke, und so senkten die Männer sie in das einsame Grab.

Als die Erde sich über der armen Frau geschlossen hatte und ein Hügel sich über ihr wölbte, pflanzte Bonifaz das Kreuz darauf, und alle knieten am Grabe nieder, ein Gebet zu sprechen.

Auch auf den Lord schien die einfache Feier, obschon er die Verstorbene im Leben wohl kaum gesehen, einen tiefen Eindruck gemacht zu haben.

Er blieb stumm und finster, als das Gefühl des Schmerzes sich jetzt bei allen in Worte löste und man Anstalten traf, nach dem Ufer zurückzukehren.

Eisenarm, der Preuße und Windenblüte waren die ersten, die Falkenherz über den Strom setzte, um dann mit dem Kanoe zurückkehrend, die andern zu holen.

Während sie auf der Insel warteten, zeigte sich der Malaye sehr unruhig und schien wiederholt mit einem der Männer sprechen zu wollen, aber ein finsterer Blick seines Gebieters schloß ihm den Mund. Kreuzträger, der weniger von dem Vorhergegangenen berührt, ruhiger beobachtete, bemerkte, daß der Engländer unruhig umherging und mit einem Entschluß zu kämpfen schien.

Endlich kam Falkenherz mit dem Boot zurück, und der Wegweiser erinnerte seine Gefährten daran, daß es Zeit sei, aufzubrechen.

Bonifaz machte zum letztenmal das Zeichen des Kreuzes über die letzte Ruhestätte seiner Gebieterin und stieg mit dem Wegweiser in das Kanoe.

Lord Drysdale jedoch machte keine Anstalten, ihnen zu folgen.

»Mylord,« sagte der Avignote, »kommen Sie; es ist Zeit, wenn wir vor Einbruch der Nacht noch eine Strecke Weges zurücklegen wollen.«

»Einen Augenblick, Sir! Ich habe eine Bitte an Sie. Während Sie alles zu sofortigem Aufbruch bereiten und Leutnant von Kleist auch unsere wenigen Sachen in Ordnung bringt, habe ich noch ein Geschäft an diesem Ort zu verrichten. Es wird nicht lange in Anspruch nehmen und vielleicht erweist uns dieser junge Häuptling, Ihr Sohn, oder einer seiner Krieger den Dienst, uns mit dem Kanoe abzuholen.«

Bonifaz sah den Lord erstaunt an, Kreuzträger jedoch begann die Wahrheit zu ahnen.«

»Mylord,« sagte er, »es ist besser, wenn die Menschen Gott die Rache überlassen. Seine Hand weiß jeden zu finden. Bedenken Sie, daß Sie ein Christ sind und, wie man mir sagte, selbst ein Priester waren.«

Die schlanke Gestalt des Engländers richtete sich hoch empor, sein blaues Auge strahlte ein unheimliches Feuer.

»Wenn Sie den Christen suchen, so sprechen Sie zu dem da!« er wies auf den Malayen. » Sein Gott ist der meine geworden, der Gott der Rache! Haben Sie an Vergebung gedacht, als Ihr Weib und Kind sich in den Banden der Apachen wanden? und doch war es nur der Tod, der ihnen ans Herz griff, und Sie haben nicht gesehen, was die Augen Henry Norfords schauen mußten vom sinkenden Decke der Dschonke. Gehen Sie, Mann, gedenken Sie, wie oft Ihre Kugel und Ihr Messer das Herz eines Apachen durchbohrt, und sprechen Sie nicht zu dem von Schonung, der Maria Ronecamp leiden und sterben sah. Drei Jahre habe ich ihn auf Meer und Land gesucht, vor Ihren eigenen Augen habe ich den höchsten Schimpf eines Mannes um ihn erlitten – jetzt ist er mein, und seine Stunde ist gekommen!«

Der gebietende Wink seines Armes wies hinüber nach dem Ufer, der alte Mann gab einen Wink, – das Boot stieß ab.

Lord Drysdale wandte sich zu seinem Diener.

»Es ist Zeit, Mahadrö, komm!«

Er ging ihm voran nach dem Felsenversteck, in dem sie den Körper des Piraten verborgen hatten. Seine Hand riß mit fieberhafter Hast das Gestrüpp und die Zweige fort, die ihn bedeckten.

Die Augen des Piraten standen weit offen, blutunterlaufen, und starrten ihn an mit einem Gemisch von Wut und Furcht. Eine Minute lang wohl begegneten die Augen des Engländers diesem Blick, dann faßte er den schweren, regungslos zusammengeschnürten Körper und trug ihn wie den eines Kindes bis in die Mitte der Insel, wo er ihn zu Boden warf.

Der Pirat machte eine wahnsinnige Anstrengung, die Bande zu zerreißen, das Blut tropfte an seinen Gelenken herab.

Der Engländer sah ihm, die Arme über die Brust gekreuzt, zu und lachte, während der Krüppel an seiner Seite, die Hände flehend gefaltet, zu ihm empor sah, als wolle er um Barmherzigkeit bitten.

»Nimm den Knebel aus seinem Munde!« befahl der Lord.

Zitternd gehorchte der Malaye.

Der von dem Tuch befreite Bösewicht stieß ein Gebrüll aus so laut und gräßlich, daß man es über das Rauschen des Wassers hinweg weit auf dem Ufer drüben hörte, wo die Männer sich flüsternd zusammendrängten.

» Squale rouge – Roter Hay – Hawthorn!« begann der Lord, »meine Zeit ist gekommen. Der Gott, den ich angerufen, der Gott der Rache hat endlich Mitleid mit meinem Eide gehabt und Dich in meine Hand gegeben, wo niemand steht zwischen mir und Dir. Bereite Dich zum Tode! denn Du mußt sterben!«

»Schurke! Mörder!« schrie der Pirat. »Ich hasse Dich! Nimm mein Blut und sei verflucht!«

»Ich will Dein Blut nicht, Roter Hay!« fuhr der Lord fort, »ich würde meine Hand beflecken, wollte ich sie in das Blut eines Scheusals, wie Du bist, tauchen. Gedenk' an die Nacht im chinesischen Meer in der Kajüte des ›Satan‹, gedenk' an Marie Ronecamp und bereite Dich zu sterben!«

»Ungeheuer! was willst Du thun? Nimm Deine Büchse – töte mich! Zu Hilfe! Mörder!« Sein wahnwitziges Geschrei erfüllte die Luft.

Der Lord achtete nicht darauf, er sah sich um nach den Mitteln der schrecklichen, entsetzlichen Strafe, die er ihm bestimmt. Die Augen des Piraten folgten mit Entsetzen den seinen – die Haare auf seinem Scheitel begannen sich zu sträuben.

Es standen etwas weiter nach der Spitze der Insel hin in der Entfernung von etwa sechs Schritten von einander zwei junge schlanke Bäume einer Cedernart, die ein zähes, biegsames Holz hat, dasselbe, das die Indianer häufig zum Schnitzen ihrer Bogen verwenden. Die jungen Stämme waren gleich hoch, etwa zwanzig Fuß, so daß über das Felsenufer der Insel hinweg ihre Spitzen auf beiden Seiten des Flusses hinab zu sehen waren.

Auf diese Bäume richtete der Lord seine Augen, er schien sie schon vorher, während der Beerdigung der jungen Frau, deren raschen Tod der Pirat durch seinen Mordversuch ja auch verschuldet hatte, ausgesucht zu haben.

»Die Bola, Mahadrö!«

Der Krüppel holte unter seinem weiten Gewande zitternd die furchtbare Waffe der Indianer, den Lederstrick mit den Eisenkugeln am Ende hervor.

»O Sahib, Sahib! laß ihn nicht sterben in seinen Sünden!«

Wiederum lachte der Lord, es klang so unheimlich, so furchtbar, daß der Pirat zusammenschauerte und zu zittern begann wie ein Kind.

»Wenn Dir um das Seelenheil dieses Mannes bangt, so höre seine Beichte und gieb ihm die Absolution!«

Der Krüppel schien den bitteren Hohn nicht zu verstehen oder nicht auf ihn zu achten. Er schob sich an die Seite des Gefangenen, zog die abgegriffene Bibel aus seiner Tasche und begann die Psalmen, sein Lieblingsgebet, laut zu lesen.

Der Pirat antwortete ihm mit einem greulichen Fluch, seine Augen folgten wie gebannt den schrecklichen Vorbereitungen des Lords.

Dieser hatte das Ende der Bola gefaßt und warf sie mit der sichern Hand, die er sich bei seinem Aufenthalt unter den Apachen erworben, nach dem Gipfel des einen Baumes, den er mit den fest umschlingenden Kugeln niederzog und an einem schweren Steine befestigte.

Der Seeräuber glaubte, er solle am Halse an dem Baume aufgehenkt werden und brüllte Flüche und Verwünschungen. Zu seinem Entsetzen sah er, wie der Lord die Bola von dem Baume löste und die Kugeln in gleicher Weise nach dem Gipfel des zweiten Baumes schleuderte.

Das wütende Geschrei des Mörders verstummte, der Schrecken schnürte ihm die Kehle zusammen und trieb die Augen aus ihren Höhlen.

Der Lord band die Krone beider Bäume mit einer dünnen aber festen Reata zusammen, so daß sie etwa drei Fuß weit von einander blieben.

Dann trat er zu dem Gefesselten.

»Bist Du zu Ende, Mahadrö?«

»O Sahib, üb' Erbarmen!«

Der Lord wandte sich ohne Antwort an den Liegenden. »Die Zeit, den Eid zu halten, den ich nach jener Nacht am Bord der Diomede schwor, ist da! Roter Hay, der schottische Wolf ist über Dir! Bist Du bereit?«

»Erbarmen! Barmherzigkeit!« winselte der Zitternde, dem aller Mut und Trotz über dem Entsetzen vor dem unbekannten Schicksal geschwunden war, das ihn bedrohte.

»Ich will meine Verbrechen bereuen, ich will beten – töten Sie mich! Töten Sie mich wie einen Menschen – nur das nicht! Erbarmen! Erbarmen!«

»Hast Du Erbarmen gehabt mit Maria, der Unschuldigen? Hast Du Barmherzigkeit geübt an ihrem Leib? Auswurf der Hölle! kehre zurück zu dem Ort, der Dich geboren!«

Er beugte sich nieder zu ihm und schleifte ihn nach der Stelle, wo die Gipfel der Bäume zum Boden gebeugt waren.

Der Malaye wollte sich ihm in den Weg werfen, seine Kniee umfassen, ein Fußstoß schleuderte ihn weit zurück. Das Geheul des Mörders glich dem heiseren Gebrüll des Tigers in seinem Todeskampf. Der Lord warf ihn auf das Gesicht und setzte das Knie auf den zuckenden Leib. Hierauf befestigte er die festen Lederstricke, die er an die niedergebogenen Stämme band, auf jeder Seite fest an die Handgelenke und die Knöchel des gefesselten Piraten.

Dies alles war das Werk weniger Minuten. Dann nahm der furchtbare Rächer die Reata, welche die beiden Wipfel zusammen und am Boden hielt, ballte die Mitte zum Knoten zusammen und stieß ihn zwischen die Zähne seines Opfers.

»Halt fest, Roter Hay! Du hältst Dein Leben! Gedenk' an Maria und sei verflucht!«

Ein Schnitt des Messers trennte die alten Bande, die bisher seine Füße und seine Hände auf dem Rücken zusammengeschnürt hatten. Die Beine, die Arme streckten sich im Kreuz nach den Bäumen, an die sie gefesselt waren – kein Fluch, kein Schmerzensruf, kein Laut entfuhr dem Munde des Gemarteten, seine Zähne, seine Kinnbacken hielten krampfhaft den Strick fest, der um eine Steinkante geschlungen ihn und die Wipfel am Boden hielt.

»Komm!«

Der Krüppel vermochte sich nicht zu bewegen, seine Lippen murmelten Gebete; der Lord hob ihn auf und trug ihn hinunter zum Ufer.

Dort lag das Kanoe, Falkenherz und ein Comanche saßen darin mit den Rudern. Die beiden Krieger der Wüste waren bleich unter der roten und gebräunten Haut, wenn auch nicht so totenbleich wie der Lord, in dessen Antlitz allein die unheimlich starren Augen noch Leben zeigten.

Der Engländer hob den Malayen in den Kahn und setzte sich neben ihn.

»Fort!«

Von der Strömung weit hinab getrieben, landete wohl an hundert Schritt unterhalb der Insel das Fahrzeug; die Indianer stiegen ans Land und halfen dem Malayen ans Ufer.

Der Lord blieb zurück. Ein schwerer Fußtritt durchbrach den leichten Boden des Fahrzeugs – dann stieß er es hinaus in den Strom und sprang das Ufer hinauf. –


Die Comanchen saßen in ihren Sätteln, die weißen Männer standen an ihren Pferden, alle ernst und stumm, Comeo weinte an der Schulter ihres künftigen Gatten, als der Lord mit seinen Begleitern zu ihnen trat.

Auf der Insel drüben war alles still; kein Laut außer dem Rauschen des Wassers!

Der Lord half seinem Diener selbst auf den kissenartigen Sitz, den man für ihn auf ein Pferd geschnallt, und sprang in den Sattel.

»Vorwärts, Freunde, zu einem neuen Leben!«

Er spornte sein Pferd den anderen voran. In diesem Augenblick zerriß ein gellender entsetzlicher Schrei von drüben her die Luft.

Unwillkürlich schauten die Reiter zurück.

Entsetzliches Bild!

Drüben auf der kleinen, jetzt unzugänglichen Felseninsel schwankten zwei schlanke junge Cedern hin und her. und zwischen ihren Wipfeln – furchtbarer Anblick – streckten sich die Glieder des Dänen im lebendigen zuckenden Andreaskreuz und Schrei auf Schrei, von entsetzlicher Todesqual ausgestoßen, gellte herüber!

Im Galopp entflohen die Reiter dem schrecklichen Ruf.


Erst nach einer Viertelstunde, als keine Spur des Flusses mehr zu sehen, hielt der Trapper seinen Mustang an – alle folgten seinem Beispiel.

»Freunde,« sagte Eisenarm, »es muß geschieden sein, mein Weg geht nach einer andern Richtung, als der Eure. Señor Bonifazio, ich habe noch einige Worte mit Ihnen zu sprechen.«

Der Avignote lenkte sein Pferd sogleich an die Seite des Jägers.

»Spätestens in neun Tagen,« sagte dieser, »werde ich wieder an den Quellen des Buenaventura und bei Wonodongah sein. Gott allein weiß, ob ich ihn noch am Leben finde. Ist es der Fall, so werden wir beide das Geheimnis des Thales bewachen, sonst ich allein, bis die Zeit gekommen. Sie werden über dem Erben bis zu der Zeit wachen, die der Tote bestimmt hat; jeder erfülle seine Pflicht.«

»Wenn Gott mir das Leben giebt,« erwiderte der Avignote, »werde ich ihn selbst hierher begleiten. Aber, Señor Eisenarm, ich kann ihn nicht in die Wüste führen. Sie müssen uns einen andern Ort, nicht bei den Indianern, sondern auf christlichem Gebiet bestimmen, wo wir uns treffen können.«

»Ich habe gleichfalls daran gedacht,« sagte der Trapper. »Nun wohl, es sei! Aber ich bin unbekannt in den Städten und weiß wenig von ihrer Lage und ihren Entfernungen. Doch habe ich oft von einem wunderthätigen Heiligtum sprechen hören, das in der prächtigsten Kirche stehen soll, die Menschenhände Gott gebaut haben. Unsere weißen Jäger und Reisende schwören dabei und es heißt: Das Kreuz von Puebla!«

»Ich habe davon gehört!«

» Muy bien! Wenn der Weg dahin zu erfragen ist, so soll es geschehen. In dreizehn Jahren also von heute, am Tage der Geburt der heiligen Jungfrau, werden Sie vor diesem Kreuze mich mein Gebet verrichtend finden, wenn ich noch am Leben bin.«

»Und wenn ein Unglück Sie treffen sollte, was Gott verhüte, Meister Eisenarm, welche Hoffnung hat der Erbe dann, da nur Sie das Geheimnis kennen?«

»Dann,« sagte der Jäger feierlich, »dann hat Gott gewollt, daß das Geheimnis der Goldhöhle mit den drei Männern stirbt, denen er es gezeigt hat! Leben Sie wohl, Señor Bonifazio, und mögen die Heiligen mit Ihnen sein!«

Er wandte sein Pferd, reichte Kreuzträger und dem Preußen die Hand, verneigte sich kurz vor dem Engländer und wandte sich dann zu Comeo, die er auf die Stirn küßte, während sie ihn weinend umfing.

»Es muß sein, Kind,« sagte er herzlich, »Gott und seine Engel mögen mit Dir sein, und dieser Mann Dein Leben glücklich machen. Hast Du noch einen Wunsch, so sage ihn schnell.«

Sie flüsterte weinend einige Worte in sein Ohr.

»Es soll geschehen, es ist Christenpflicht. Lebe wohl! und Ihr, Señor, denkt an Puebla

Er wandte sein Pferd und galoppierte den Weg zurück, den sie gekommen.

Als die Reisenden sich endlich anschickten, weiter zu ziehen, vernahmen sie hinter sich, in der Ferne, den schwachen Schall eines Büchsenschusses.

Alle wußten, wen er erlöst!

(Schluß.)


Herrosé & Ziemen, Wittenberg.


 << zurück