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Die Tote am Orionsee

In einer sterbenszufriedenen Stunde am blauen See träumte ich mir einmal eine schöne Feuerbestattung. Auf der Veranda liegt, wie sonst im Leben, der Leichnam des kranken Mannes; die in ihren Gondeln vorüberfahrenden Orioniten, die ihn oft mit neugierigen und erschrockenen Augen betrachtet, wie er die Rauchwölkchen in die Luft steigen und das Weinglas im Sonnenlicht funkeln ließ, wissen nicht, daß er seinen letzten Trunk getan und seinen letzten Kuß geküßt hat, nur die kleine schwarze Katze, die sich sonst auf seiner Brust so behaglich zusammengerollt, schnuppert ängstlich in dem starren Gesicht und entflieht, wie von einem eisigen Hauch getroffen, mit einem plötzlichen Satze seitab. Manchmal tritt eine Tochter oder das Weib durch die Türe heraus, wirft aus überquellenden Augen einen Blick auf das dennoch geliebte Gesicht und kehrt wieder zurück an die Arbeit, an die Herstellung des opulentesten Mahles, das je diese Hütte gesehen hat. Der Abendzug bringt eine Anzahl tatfreudiger Gestalten, Turner von Detroit, meinen Doktor Tobias an der Spitze, der mit ganzer Seele in der Ausführung des kommenden Heidenspaßes aufgeht. Während die Sonne prächtig in Himmel und Wasser verblutet, sitzen sie bechernd um ein Tönnchen, und es geziemt sich, daß auch dem Toten Flasche und Glas mit dem geliebten Sonnentrank der Heimat zur Seite gestellt werde. Wie aber das Dunkel über dem Wasser sich lagert, beginnt ein geheimnisvolles Leben am See. Zwei ausgediente Nachen werden mit eisernen Klammern zusammengetan, und auf diese wird eine hohe Lage reichlich mit Öl getränkten und mit chemischen Brandsamen durchstreuten dürren Holzes gebaut. Darauf bettet man den Toten, so daß sein Antlitz vor der ganzen dunkeln Welt ringsum wie lebendig aufleuchtet, wenn der Fackelglanz darüber streift. Unterdessen haben die Freunde die ganze Flottille des Bootmeisters von Orion gemietet; und nun schwebt es über die Wasser, der Scheiterhaufen in der Mitte, hinein zwischen die verschwiegenen Inseln; kein Laut von Menschenstimmen, nur eine Flöte tönt irgendwo im Ufergebüsch eine einfache Volksweise, und das Wasser rauscht auf unter dem Drucke der Ruder. Jetzt ein helles Hornsignal, die Fackel wird an den schwimmenden Holzstoß gelegt, und unter den Klängen des Männergesanges »Integer vitae« schießen die Flammen hoch auf, daß der Wald in rotem Lichte steht und die Wellen aufzucken wie Feuerschlangen. Wenn aber der Leichnam in der glühenden Lohe verschwunden und der Holzstoß bis zum Wasserspiegel niedergebrannt ist und die dunkelgrüne Tiefe die verkohlten Reste mit den lecken Kähnen verschlungen hat – dann begrüße von der Villa Weidenlaub her rauschende Musik die Zurückkehrenden! Spielt mir den Päan der siegreichen Griechen von Salamis! – Und nun leget die Hände ans lecker bereitete Mahl, und ein Zechen soll anheben in den Zimmern, auf der Veranda, auf den Treppen, im Grase des Ufers, ein liedergewaltiges, bis von Osten her die Lichtpfeile dazwischen schießen und der Tag beginnt, der wie die andern ist.

*

Das wäre schön gewesen, aber es kommt gewöhnlich anders. Schade, gerade dort hätte sich so etwas Polizeiwidriges ausführen lassen, gegen eine solche Invasion wäre die hohe Obrigkeit machtlos gewesen. Und wenn es nachher geheißen hätte: Strafe zahlen »for disorderly conduct«, so teuer wie die gütige Mitwirkung des Undertakers wäre die Sache doch nicht gekommen. Aber es war nur ein Träumen; ich bin sonst gar nicht so für das Feierliche. Ich würde für mich sagen, wie ich es, zur Entrüstung einiger weicher Seelen in Chicago, von unsrem Harling sagte: Überlaßt die Sache der Armenkommission! nur daß ich in meinem Leben nie an eine Obrigkeit appelliert habe. Wenn es also doch nicht anders geht, so sollen mir der »Meester« und der John Wagner sechs Bretter zusammennageln, in diesen Kasten soll man mich legen auf Hobelspäne, damit mir die Knochen nicht weh tun, und mich mit einem Leintuch bedecken, weniger wegen der »Schenierlichkeit«, als weil nur die schöne Nacktheit Berechtigung hat, und der Miesel soll mich auf seinem Gemüsewagen nach dem Krematorium fahren, und wenn er mich abgeliefert, soll er rechtsumkehrt machen, um irgendwo einen Schoppen zu trinken. Das nenne ich eine »schöne Leich«, und billig dazu, die Kosten für das Verbrennen werden wohl aus der »Erbschaftsmasse« herausgeschlagen werden können. Vor allen Dingen aber soll Niemand dabei »einige tröstende Worte sprechen«, ich könnte sonst vor Ärger wieder lebendig werden. All das ist meine ernste Meinung. Wenn aber übereifrige Freunde jetzt wieder annehmen, daß müßte gleich nächste Woche geschehen, so sind sie schiefgewickelt.

Ich finde also nichts Schreckliches darin, wenn ein Mensch wie ein Hund begraben wird, und ich habe das Tier, das ich am meisten geliebt habe, sogar unbegraben am Strande des Orionsees liegen lassen! Nur eine Katze! Mancher Gebildete und Ungebildete verzieht den Mund zu einem Lächeln, das doch nur ein Grinsen ist; aber der Altmeister Friedrich Theodor Vischer, der es wagen durfte, dem Faust einen dritten Teil hinzuzusetzen, hat ein liebreiches Poem verfaßt auf den Tod seines Kätzleins, das an einer vergifteten Maus starb. Hört die drei letzten Strophen:

Vor Hungerstod könnt ich dich wahren,
Nicht vor der rohen Menschheit Gift,
Es schützen keines Hauses Laren
Vor Mord, der in die Ferne trifft.

Ich trüge wahrlich noch viel eher
Manch eines Tiervergifters Tod.
Verzeih mirs Gott, sie geht mir näher,
Des armen Kätzleins Todesnot.

Und leb ich nach dem Lärm hiernieden
Noch fort auf einem stillen Stern,
Sei auch in Gnaden herbeschieden
Das Kätzlein zu dem alten Herrn.

Ich habe im Armen Teufel über manchen schon ein freundschaftliches Wort gesagt, der sich nachher als ein ganz gewöhnlicher Schubiack erwiesen hat; was ich über meine Katze geschrieben, habe ich niemals bereuen müssen, sie ist mir, vor allem aber sich selber treu geblieben bis ans Ende. Einst vor zwölf Jahren, als noch der Arme Teufel nur in meinem Gehirne gärend stand, wurde sie, eben der Mutter Brust entwöhnt, zu uns ins Haus gebracht, ein klein, putzig Ding, »die Nase fein, die Augen helle, jedwede Linie eine Welle und jede Regung weich und rund«. Ihren Anzug, grau, mit schwarzen Streifen symmetrisch dekoriert, brachte sie gleich fürs ganze Leben mit. Durch ein Versehen des in der Physiognomie etwas unbewanderten Pfarrers wurde sie Johnny getauft, und obgleich sie ihre Weiblichkeit sehr bald bewies und auch für schriftliche Dokumente »Jeanette« substituiert wurde, bleibt ihr auch für die Nachwelt der männliche Name, sowie Aurora Dupin, verehelichte Dudevant, für alle Zeiten Schorsch Sand blieb. Die Werke unserer Johnny ließen sich aber nicht einbinden, sie bestanden in einer zahllosen Nachkommenschaft von Söhnen und Töchtern, die alle wohlgebaut und wohlgeraten den ungenannten Vätern und der Mutter Ehre machten. Nur einmal, in späteren Jahren, gebar sie ein verkrüppeltes buckliges Katerchen, an dem sie mit außerordentlicher Liebe hing, das aber in Folge einer Darmverschlingung (Diagnose des berittenen Tierarztes Schorsch Cöster) frühzeitig totgeschlagen werden mußte. Denn nur die Menschen läßt man hoffnungslos leiden, ein Abscheu in ihren eigenen und in Anderer Augen, um die Ohnmacht der medizinischen Wissenschaft an ihnen zu beweisen, und weil der liebe Gott es so will. – Johnny hatte keines der Laster der gewöhnlichen Katzen, sie war von Natur reinlich, sie stahl nicht, sie holte sich, wenn man ihr Deputat vernachlässigt hatte, als ihr gutes Recht das beste Stück vom Tisch und ging hocherhobenen Hauptes damit ab; sie wußte auch nichts von jener philiströsen Anhänglichkeit an das Haus, sie hatte vielmehr einen Zug von bohemianism wie die Familie, an die sie sich angeschlossen, freute sich des Umziehens und des Reisens und fand überall einen wünschenswerten Platz für ihr Wochenbett. Mitnehmen hätte sie sich nie lassen, wenn nicht die Vorliebe für unsre Sorte bei ihr vorhanden gewesen wäre; denn was sie tat, war nur ihr freier Wille, insofern als man den Ausdruck der eigensten Natur freien Willen nennen kann. Sie war das unabhängigste Geschöpf, dem ich je begegnet. Eine Drohung beantwortete sie mit einem Tage und Nächte währenden Jagdausflug, und dem Menschen, der einmal seine Hand gegen sie aufgehoben hatte, verzieh sie nie. Sie war unbestechlich. Wo sie nicht liebte, nahm sie die zärtlichsten Huldigungen als selbstverständlich, fraß die dargereichten besten Bissen und blieb kalt. Sie ließ sich aber, selbst wo sie die feindseligsten Gefühle hegte, nie zu der rohen Tat des Kratzens oder Beißens hinreißen, sie begnügte sich mit einem verächtlichen Fauchen und hat sich dadurch jeweils in Respekt gesetzt. Hunde und fremde Katzen duldete sie nicht in ihren Räumlichkeiten, Vögel, mit deren sinnlosem Piepsen sie sich nie befreunden konnte, fraß sie auf. Mäuse und Ratten, fast so groß wie sie selber, tötete sie zum Sport, ohne je die Kadaver weiter zu berühren, sobald sie aber merkte, daß man diese Jagd als ihre Pflicht ansah, blieb sie tagelang auf dem Sofa liegen. – Sie gab sich immer so, wie sie gerade aufgelegt war. Was habe ich Alles ausgestanden mit diesem Frauenzimmer! Meine zärtlichsten Schmeichelworte, meine flehendsten Bitten konnten ihr Herz nicht rühren, wenn sie eben »nicht so fühlte«. Von jener vielbesungenen Treue, die doch meistens nur Borniertheit oder Heuchelei ist, wußte sie nichts; es konnte vorkommen, daß sie einem nie vorher gesehenen Besucher (nie einer Besucherin) sich ohne Weiteres auf den Schoß setzte, eine Gunstbezeugung, zu welcher gegen ihren Willen keine Macht der Erde sie gebracht hätte, und für die Dauer seiner Anwesenheit mich als nicht vorhanden betrachtete. Wenn sie aber wollte, war sie von einer bezaubernden Liebenswürdigkeit, und in den langen Jahren unseres Zusammenseins hatte sie doch die meisten Stunden ihrer guten Laune für mich übrig. Dann blieb sie an meiner Seite, und wenn zehn Kater draußen im Mondschein ihre verlockenden Lieder anstimmten. Dann bereitete sie mir jene willkommenen Störungen der Arbeit, indem sie mit der zarten Pfote die Feder niederhielt und sich zwischen mich und das Papier drängte. Wie oft hat sie zugehört, wenn ich meine Predigten und Vorträge einstudierte, indem sie mit großen Augen jede meiner Bewegungen verfolgte. Wahrscheinlich hat sie sich dabei gedacht: Ist er schon übergeschnappt oder kommts noch? Denn wenn sie auch nichts gegen den Flug meiner Gedanken einzuwenden hatte, für Religion, für Ideale hatte sie kein Verständnis. Aber wenn sie, so ganz daheim fühlend, in meinen Armen lag, erzählte sie mir in der nur uns beiden verständlichen Sprache von den Promenaden in mondbeglänzter Zaubernacht, wenn der Baldrian duftet, wie sie die verliebten Katerjünglinge auf halsbrecherischem Wege hinaufgeführt, um sie auf dem Dachfirst mit Ohrfeigen zu traktieren, oder wie sie zierlich und sittig auf der Fenz saß, während in beiden Höfen die Helden um sie kämpften, daß die Haare davon flogen und vom Schlachtgeschrei die Menschen schaudernd in ihren Betten erwachten; wie sie so manchem mächtig beschnurrbarteten blonden Faust Gretchen und Helena zugleich war und manchen schwarzen Othello von der Eifersucht kuriert hat. Wenn sie dann einschlief, schnurrte es noch aus ihr in dem zufriedenen Ton des Weisen, der weiß, was er will: Man muß genießen und schlafen, um wieder genießen zu können. Post mortem nulla voluptas. – Von unserer Johnny hieß es auch wie von der Jungfrau in der heiligen Schrift, sie hat sieben etc. Männer gehabt, und der jetzt ihr Mann ist, ist nicht ihr Mann; und doch, Rätselhaftigkeit des Herzens! haßte und verachtete sie die Männer, stolz war sie nur auf ihre Kinder, und keine Madonna blickte holdseliger als diese Katze, wenn sie im Neste ihrer Neugeborenen halb verlegen, halb stolz eine Gratulation entgegennahm. Sie hat mir auch eine Tochter zurückgelassen, eine glänzendschwarze Melanie, eulenäugig, graziös wie ein junger Panther, aber was mir die Mutter war, kann die mir doch nicht sein.

Zwölf Jahre sind für eine Katze, was fünfzig Jahre für eine Helena sind und hundert für eine Ninon Lenclos. In Orion flackerte noch einmal die ganze Lebenslust unsrer Johnny auf. Sie betrat die freie Natur zum erstenmal, als ob sie eine geborene Prinzessin derselben sei. Ihr Pelz glänzte, ihre Augen funkelten, aber die Zähne, dieses tadellose schimmernde Gebiß, fielen ihr aus. Von da an bemächtigte sich ihrer eine tiefe Melancholie, sie ahnte, daß auf das Genießen schließlich ein Schlaf folgen muß, aus dem man nicht mehr erwacht. Am Tage unsrer Rückkehr in die Stadt fand man sie in einem verborgenen Winkel am See tot liegen. Sie hat niemandem etwas vorgejammert, sie hat kein Mitleid verlangt; einsam und stolz ist sie gestorben, weil sie nicht mehr leben konnte in Unabhängigkeit und Vollkraft. Es war in ihrem Sinne gehandelt, wenn ich der Natur das Begräbnis überließ. So netzt sie denn der Wellenschaum, wenn er von Sturm auf den Strand geschleudert wird, und der Regen des Himmels strömt auf sie herab, und die Weiden decken sie mit welken Blättern zu. Ich warte, bis die Insektenwelt ihren Wintervorrat aus dem schwindenden Körper ergänzt hat, dann will ich mir ihr feines Schädelgebilde kommen lassen, es soll zwischen meinen Büchern stehen zum Gedächtnis eines Wesens, das den Adel der Natur besaß, das nie zu einer sklavischen Handlung sich erniedrigt, das nie gelogen hat, weil es immer nur seinem Willen folgte, seinem Wesen, seiner Laune in Liebe und Haß.


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