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Sollen wir von den Klugen lernen oder von den Toren?

Wohl steht es einem armen Teufel an, bei der Jahreswende obige Frage an sich zu stellen, namentlich wenn er, wie Schreiber dieses, immer noch manchmal sich so hilfsbedürftig fühlt wie damals, als er zum ersten mal »ganz aus dem Kopf« einen »Aufsatz« zu Papier bringen sollte; oder wenn es ihm passieren kann, daß er für einen Narren gehalten wird, gerade wenn er das Rechte getan zu haben glaubt, und Lob über sich ergehen lassen muß, wenn er überzeugt ist, einen dummen Streich gemacht zu haben. Fragen, Lernen, Reproduzieren, daraus besteht doch bei der unendlichen Mehrzahl der Menschen, bei den Zeitungsschreibern aber durchweg, die ganze sogenannte selbständige Tätigkeit; und wer Glück hat, dem passiert es auch, daß er etwas findet, wenn »nichts zu suchen ihm stand im Sinn«.

George Eliot, die weiseste Romanschriftstellerin der Anglosachsen, sagt irgendwo: »Ich habe noch nie einen Narren gefunden, von dem ich nicht hätte etwas lernen können.« Wißt ihr, liebe Leser, wo ich das Zitat gefunden habe? In einer jener amerikanischen Roman-Zeitungen, die auf den dümmsten Geschmack berechnet sind, wo auf zehn blutdürstige Schurken immer ein edler Mensch kommt, der schließlich die Tugend zum Triumphe führt, wo die Heldin mindestens je einmal vergiftet, erstochen, ertränkt und zu einer Scheinehe gezwungen wird, ehe sie mit dem Richtigen auf Tod und Leben vereinigt wird – in einer solchen Zeitung, in der ich wahrhaftig nichts zu suchen hatte, fand ich auf einmal diesen Ausspruch der Eliot, noch dazu mit einer gar nicht Übeln Begründung, so daß also die Zeitung selber mit dem hineingeschneiten vernünftigen Gedanken eine Bestätigung des Eliot'schen Wortes war.

Jeder gute Vater, jeder gewissenhafte Lehrer wird seinem Sohne sagen: Halte dich an kluge, vernünftige Leute, die wissen, was sie wollen, und die es zu etwas bringen. Wenn wir aber in die Kulturgeschichte blicken, so wird es uns auf einmal klar, daß wir alles, was uns einen Zoll von der Bestialität entfernte, alles, was uns das Leben erträglich macht, den Menschen zu verdanken haben, welche von ihren Zeitgenossen, ja häufig von denen, auf deren natürliche Liebe sie angewiesen waren, als Narren angesehen wurden.

Der kluge Mann, der Mann von Welt, der Mann, »der was vor sich bringt«, behält alle seine Weisheit für sich, und er braucht sie auch sehr notwendig, und läßt dir nur das kahle: Hilf dir selber! Der kluge Mann ist in Folge seines Erfolges auch ganz zufrieden mit den Dingen, wie sie sind; nur der Narr wird von Sehnsucht nach Besserem verzehrt, und wenn er es hat, verschmäht er, es zu monopolisieren, und schenkt dir und allen, was er gefunden, der Narr!

Der Astronom Kepler lebte jährlich von einer Summe, welche nach hiesigem Gelde etwa 50 Dollar betrug. Er war Narr genug, seine Kenntnisse nicht wie seine Kollegen praktisch zu verwenden, d. h. in den damals der Theologie völlig gleichgestellten Künsten der Astrologie, Nekromantik etc., dafür mußte er darben, dafür wurde seine Mutter als Hexe verurteilt, dafür lebte er im Gefängnis und starb den Hungertod. Aber dieser Narr hat die Weltgesetze entdeckt, deren Kenntnis heutzutage jeder vernünftige Vater von seinen Kindern erwartet!

Aber noch mehr, wir finden in der Geschichte des Geistes Narren, die durch die Disharmonie ihres Wesens mit der sie umgebenden Menschenwelt soweit getrieben wurden, daß sie scheinbar absichtlich sich selber schädigten und herabwürdigten. Ein englischer Schriftsteller gibt dem unglücklichen Robert Burns folgenden Nachruf: Er war ein Narr, der sein Leben, seine Zeit, alles vergeudete. Er mußte eine Zeit erleben, da selbst die Trunkenbolde von Dumfries mit abgewandten Blicken, an ihm vorbeigingen, da keine Freundeshand sich fand, die ihn aus den Schatten herausholte, in denen er verschwand. Aber was sind wir diesem armen Narren schuldig? Die edelsten Schotten haben wenig getan im Vergleich zu der Fülle, welche dieser gehetzte und verachtete Mann uns hinterlassen hat. Seine Worte tönen durch die Welt, er ist der Magier, welcher in Myriaden Seelen alles heraufbeschwört, was an freiem Mut, Edelsinn und Liebe vorhanden ist. Er hat mehr getan als alle die unantastbaren Moralisten, welche in ihm ein abschreckendes Beispiel sahen, und nur noch heuchlerische Pfaffen wagen es heute, ein Wort gegen sein Andenken zu erheben.

Hat England seinen Burns und seinen Charles Lamb, den der höhere moralische Pöbel als Trunkenbold verachtete, während die Besten seiner Zeitgenossen ihn liebten, wie ihn die Nachwelt liebt, so haben wir unsern Fritz Reuter. Sein Vater ist in die Grube gegangen mit dem Gedanken: Mein Sohn hat kein Lebensziel, er vergeudet seine Kräfte wie ein Narr. Aber der wackere Bürgermeister von Stavenhagen würde trotz seiner Ehrenhaftigkeit und trotz des guten Biers, das er braute, längst vergessen sein, wenn ihn sein nichtsnutziger Sohn nicht unsterblich gemacht hätte, und die wahre Mission Fritz Reuters, der im Kleinen, im eigentlichen Volksleben, das wahrhaft Menschliche, die edeln Instinkte zu finden wußte, welche Garantien einer bessern Zukunft sind, wird erst dann beginnen, wenn nach dem sinnverwirrenden Kampf unserer Zeit das Suchen nach den Wurzeln unserer Kraft wieder Weisheit geworden ist.

Bis dahin aber steht es einem armen Teufel wohl an, wenn er fragt: Sollen wir von den Klugen lernen oder von den Toren? Und wenn er es dann einsieht, daß er von den Klugen nichts erhalten kann, entweder weil sie das, was sie besitzen, ängstlich hüten und egoistisch vergraben, oder weil ihre Klugheit nur darin besteht, nicht zu verraten, daß sie nichts zu verschenken haben, so wird er sich mit mir an den Tisch derer setzen, welche in zeitlichen Dingen arme Narren waren, aber die Perlen der Schönheit und die Edelsteine ewiger Weisheit wie trunkene Verschwender unter das Volk warfen.


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