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»'s tut wunderselten gut«

Man braucht weder ein Philosoph noch ein hypnotischer oder sonstiger Mediziner oder gar ein praktischer Heuchler zu sein, um zuzugeben, daß der Schein unsrem Gedankenleben, der Erinnerung, dem Genuß der Gegenwart und der Hoffnung mehr Inhalt gibt als das Leben, die Wirklichkeit. Es genügt, zu dieser Erkenntnis zu kommen, ein wenig Lebenserfahrung und ein wenig Selbstdenken. Nicht was du durch die fünf Türen: Sehen, Hören, Riechen, Schmecken und Spüren in dich aufgenommen hast, sondern was du dir nachträglich dazu denkst, macht das Schöne der Erinnerung aus, nicht der Kuß, die Umarmung, der Wein und das Lied, die geglückte Forschung, die Tat bilden den Genuß des Augenblicks, sondern der unbewußte Vergleich mit den Augenblicken der Leere, die Einreihung des Gefundenen in eine imaginäre Kette, die Achtung vor dir selber. Mit andern Worten, der Egoismus oder die Eitelkeit ist der gute Gesell, dessen Zauberstab die Paradiese erschließt. Das Weib wird erst anmutig und herrlich, der Wein wird erst Sonnenfeuer und Sonnengold, weil sie die Ehre haben, von dir umarmt und getrunken zu werden. Das gilt auch für die sogenannte platonische Liebe und für den Dichter bei Wasser und Brot; denn die lieblichste Form des Egoismus, die Phantasie, schmeichelt dir ja doch immer den Besitz vor. – Und nun gar erst die Hoffnung! Sprechen wir nicht davon, wir segnen sie, und wenn sie uns tausendmal genarrt hätte. – Die Kunst schafft uns die höchste Welt des Scheines; aber nur der hat ihre ganze Bedeutung erfaßt, den sie zugleich mit der wirklichen Welt versöhnt.

Ich habe die Phantasie die lieblichste Form des Egoismus genannt, ich hätte gerade so gut sagen können: die Liebe. Die ist auch ein »Land voll träumerischem Trug«, wie Lenau mit zarter Anklage Amerika genannt hat, und wir haben uns in den Trug so verliebt, daß wir kaum mehr wagen, uns ihr Wesen gegenständlich zu machen. Du magst in allen andern vor der Welt leuchtenden Fragen dich vom Glauben, d. h. von der Sklaverei der Autorität losgerungen haben, in der im Geheimen brennenden Frage der Liebe ziehst du es vor, dir Blumen um deine Fesseln zu winden, statt sie zu zerbrechen, du rühmst dich deiner Abhängigkeit von den Schranken, die du, dem Beispiel der Edelsten folgend, dir selber gebaut hast, und du schämst dich der Gedanken und Taten, in welchen du frei den Trieb der Natur betätigt hast. Und in der Tat, die Feigheit auf diesem Gebiete ist erklärlich und darum verzeihlich. Hat doch hier der Zeuge der Wahrheit nicht einmal den armseligen Trost, daß die Zukunft sein Martyrium anerkenne und vergolde. Jeder Held einer Religion oder einer politischen oder sozialen Freiheit stirbt in dem schönen Gedanken: Der liebe Gott oder die Weltgeschichte, welche das Weltgericht ist, wird auch dir gerecht werden. Der Rebell von gestern ist der glorreiche Freiheitskämpfer von heute, der Märtyrer von heute ist der Sieger von morgen. Wer aber in der Liebe »über die Stränge geschlagen hat«, für den haben die Weltgeschichten aller Art nur milde Verurteilung, Schonung, Verzeihung, wenn er anderweitig sich groß und nützlich erwiesen hat. Das gute Recht auf das Außerordentliche, das in religiösen, politischen und sozialen Dingen von der bewundernden Nachwelt als das Wesen des Genius gepriesen wird, existiert nicht für den Liebesritter; er hat von jeher keinen größeren Ruhm mit ins Grab genommen, als der Kater, der in irgend einem Winkel sein kampf- und liebereiches Dasein endet. Der Ritter von Gleichen ist freilich mit päpstlicher Bewilligung mit seinen zwei Weibern zu Ehren gekommen, aber er hätte sich einmal einfallen lassen sollen, sich noch eine Dritte beizulegen, und er wäre sofort in die Kategorie der Höllenbraten à la Don Juan gesunken.

Der gute und tapfere Ritter von Gleichen erinnerte mich aber daran, daß ich durch die Lektüre der letzten Tage auf mein Thema gekommen bin. Ich las nämlich wieder einmal eine Heysesche Novelle, deren feine Psychologik von Männlein und Weiblein so hoch gepriesen wird, während doch insgeheim gerade die feinsten Helden der Heyseschen Erzählungskunst von Männlein und Weiblein für die größten Dummköpfe gehalten werden. Der Held, den man sich als ein Bild vollkommener Männlichkeit zu denken hat, ist in gedachter Novelle in zwei Frauen zu gleicher Zeit verliebt. Pardon! Die Ausdrucksweise ist zu niedrig, sagen wir: Eine wundersame Doppel-Liebe hat von ihm Besitz ergriffen; und was das Unglaubliche, Niedagewesene ist, die beiden Damen wohnen in den beiden Herzkammern ganz friedlich nebeneinander. Der Gedanke an die Eine beeinträchtigt nicht im Geringsten den Gedanken an die Andre, erzählt er dem Freunde, setzt aber im Bewußtsein an das Ungeheuerliche seiner Beichte hinzu: Ich weiß wohl, daß mir kein Mensch so etwas glauben würde. Die eine der beiden Damen, die ehelich angetraute, merkt die Geschichte und findet sie ganz begreiflich, namentlich daß die andre in ihren Mann verliebt ist – nur muß natürlich die andre aus dem Hause – und sie weigert sich fortan der ehelichen Umarmung, weil es ihr immer dabei zu Mut sein würde, als ob die andre zuschaue. Dieser unangenehme Waffenstillstand währt, bis die Nachricht kommt, die andre habe sich jetzt auch glücklich verheiratet. Bald stirbt aber die eheliche Frau des Doppelliebenden. Nach Jahr und Tag trifft er die andre. Die Geschichte mit der Verehelichung derselben war ein Schwindel gewesen. Sie ist noch schöner geworden und beide lieben sich noch gerade so heiß. Na, denkt man, das trifft sich ja famos. Ja, wenn der Herr Paul Heyse kein so feiner Psychologiker wäre. Jetzt ist's dem Helden der Geschichte plötzlich so zu Mut, als ob bei einer etwaigen ehelichen oder auch unehelichen Umarmung die andre, die Tote, zusehen würde. Also zieht er mit schmerzlichem Blicke von dannen, und was die Zurückgebliebene gedacht haben mag, wird die geneigte Leserin wissen.

So hat sich's denn auch hier wieder bewährt: Ob nun ein Mädel zwei Knaben oder ein Knabe zwei Mädel lieb hat, 's tut wunderselten gut!

Herr Heyse hat vermutlich seiner Zeit gedacht, er habe mit seiner Novelle etwas sehr Kühnes getan und das deutsche Publikum (zum Glück lesen so etwas nur Gebildete!) wird auch darüber erschrocken sein, daß hier die Behauptung aufgestellt wurde, daß man zwei Personen des andern Geschlechtes zu gleicher Zeit »wahrhaft« lieben könne. Du lieber Himmel, das Volkslied, das so naiv und wahrhaft wie die Natur selber sein kann, hat das schon vor vielen und allen Jahrhunderten nie bezweifelt. Es hat nur die praktische Erfahrung, meinetwegen als Warnung, dazu gesetzt, daß es wunderselten gut tue; nicht weil es an und für sich etwas Unrechtes oder gar etwas Unnatürliches sei, wenn ein Mädel zwei Knaben lieb hat, sondern weil die neidische Welt und die Eifersucht, d.i. Borniertheit, Dummheit der Geliebten so etwas nicht erlauben. Wenn's dann ein Unglück gibt und der eine bringt sich um oder sie schlagen sich gegenseitig tot (mich freut's immer, wenn's Mädel wenigstens übrig bleibt), so spricht man gelehrt von der tragischen Sühne der Schuld, und ist doch nichts Andres als die sittliche Rohheit, die uns christliche und andere Lügenbeutel als Moral aufgehalst haben! Der Psychologiker Heyse, der wie so mancher unschuldig als ein Schriftsteller der freien Liebe verlästert wurde, steht lange nicht auf dem natürlichen Standpunkt des Volksliedes, er läßt immer durchblicken, daß es sich bei dieser Doppelliebe um eine Schuld handle, und – Strafe muß sein, gebüßt muß werden. Um wie viel roher aber als der aus bornierter aber wenigstens ehrlicher Leidenschaft hervorgehende Mord ist diese aus Gewissensangst geborene Feigheit und Verleugnung des natürlichen Triebes, die zugleich dem Weibe die größte Beleidigung zufügt, die raffinierte Gemeinheit ersinnen kann.

Aber halt, in solchen Dingen fehlt mir ja das Urteil. Ich weiß ja nicht, was wahre Liebe ist. Wenigstens haben mir das schon ganz gute Freunde auf den Kopf zugesagt, wenn ich es wagte, die Behauptung aufzustellen, man könne mehr als Eine lieben. Du kannst mit dem besten Freunde im Wald spazieren gehen, nur darfst du in gewissen Dingen nicht die Wahrheit sagen. Ich habe ihnen freilich manchmal geantwortet, daß dieses Aufgehen in einer einzigen Liebe ebenso von Beschränktheit des Gemütes zeuge, wie das orthodoxe Festhalten an einer allein selig machenden Idee von Beschränktheit des Verstandes. Aber ich war doch selber nicht ganz ehrlich, denn bei den Frauen, die mir geneigt waren, habe ich das Loblied der Vielseitigkeit niemals angestimmt. Von der Idee, daß es für das männliche Geschlecht Rechte geben soll, die für das weibliche nicht existieren, die einem schon von der Mutter selbst eingeprägt wird und die unsrem männlichen Stolze so sehr schmeichelt und so bequeme Entschuldigung für kleine und große Gemeinheiten schafft, kann man sein Lebtag nicht frei werden; denn wenn man auch theoretisch kühn für Rechtsgleichheit des Weibes in Allem eintritt, in der Praxis ertappt man sich doch immer wieder auf jenen feudalen Gefühlen, die einem Kirchenvater und einem Sklaventreiber zu gleicher Ehre gereichen.

Ein elender Trost mag es für das Weib sein, daß die Männer-Rechte auch nur so entschuldigt oder heuchlerisch verdeckt werden, während sie vor dem höheren Forum der Sittlichkeit ihr Haupt nicht erheben dürfen. Wer wirklich freie Liebe verlangt, den naturgemäßen Gemeingenuß zweier sich anziehender Wesen, ohne Rücksicht auf die feinen Gefühle und die groben Gesetze der Gesellschaft, der kann froh sein, wenn er nur als ein Narr angesehen wird, oder wenn er so viel Geist, noch besser so viel Geld, besitzt, daß ihm die Meinung der Welt über seine Ansichten und Handlungen Wurst sein kann. Trotzdem fehlt es in unserer Zeit des Eisganges zertrümmerter Autorität nicht an Stimmen, die klar und offen im Namen der Vernunft das natürliche Recht fordern, welches unsre größten Denker der philosophischen Zeit umgingen oder mit einigen Formeln abspeisten, welches das gemeine Volk doch nicht verstehen kann, unsre größten Dichter nicht einmal in der Welt des Scheines im Namen der Kunst zu proklamieren wagten den einzigen Shakespeare ausgenommen.

Wenn ich von solcher Freiheit singen und sagen höre, die so frei ist, daß selbst die Freidenker ihr Pfui darüber erheben müssen, so freut es mich doch, daß ich in meiner ältesten Vergangenheit schon Erlebnisse finde, die in aller Unschuld den Stempel der natürlichsten Natürlichkeit trugen. Wie man weiß, habe ich mir stets ein Gewerbe daraus gemacht, das was man so seine Jugendeseleien nennt, den Lesern des Armen Teufel vorzusetzen, Kapitel aus der unerschöpflichen Geschichte der Liebe; ich meine halt, der Mensch habe nichts Besseres zu erzählen, als gerade das, was er seine Dummheiten nennt. Ich mache mir auch gar nichts daraus, daß mir derartige Schriftstellerei viel Spott eingebracht hat, getröste mich bei dem Gedanken, daß solcher Spott vorzüglich bei Denjenigen wächst, die gewisse Sachen nicht erlebt haben und sie also auch mit dem größten Nachahmungstalent nicht von sich geben können. Wenn ich also so von der Liebe träumerischem Truge schwärmte und mit dem Farbenspiele, das Erinnerung um die Jugendliebe schlingt, andre zu ergötzen versuchte – von der Jugendliebe darf man schreiben, was später folgte, verzeiht man nur einem Toten – so muß es aufgefallen sein, daß die Geschichten sich an so viele Persönlichkeiten hefteten, daß unmöglich eine zeitlich aufeinander folgende Reihe für die paar Jugendjahre angenommen werden konnte. In der Tat, mein junges Herz war so groß, daß ich mehr als einmal zwei, drei Mädchen zu gleicher Zeit liebte, und zwar jede von ganzem Herzen, in alle Ewigkeit. Aus jener Zeit mag das Talent stammen, das mich heute noch befähigt, an einem Tage drei, vier, fünf Liebesbriefe zu schreiben, von denen jeder ehrlich gemeint ist. Damals war ich mir des Unmoralischen, des Unmöglichen solcher Kapazität noch gar nicht bewußt; aber ich mußte doch schon erfahren, daß es wunderselten gut tut. In einem sehr schönen Gedicht hatte ich einst geschildert, wie ich mit Emilie auf Ebersteinschloß die ersten Küsse getauscht. Dieses Gedicht schrieb ich auch in ein hübsch in blaues Glanzpapier gebundenes Heft, dessen Poesien durchweg der andern Göttin, Emma, gewidmet waren, und das ich auch eines Tages besagter Emma zu Füßen zu legen wagte. Sie schickte mir das Heft zurück mit der Bemerkung, ich solle die Sachen der Betreffenden auf sellem Berge vorlesen. Dies gab mir vorerst eine dunkle Ahnung, daß man der Liebe in Mannheim nicht von der Liebe im Schwarzwald erzählen darf.

Ein andermal war ich von der Liebe in Mannheim außergewöhnlich gütig behandelt worden, also daß ich auf der Fahrt nach Heidelberg dem liebsten Freunde mein, der auch in aller Stille jener Emma ergeben war, mein Glück vorweinen und vorjubeln mußte. Als wir aber in Heidelberg in die weiße Rose kamen, brachte ein Mägdelein, das selber eine Moosrose im grünen Mieder war, den Wein, und vor lauter Glück mußte ich ihr um den Hals fallen und sie küssen. Das Mägdelein hielt das auch für ganz in der Ordnung. Mein Freund aber bewies mir mit den Worten tiefster Entrüstung, daß ich gar keiner wahren Liebe fähig sei; wahre Liebe trage man als Geheimnis in der Brust, und vor allen Dingen werfe man sich nicht der ersten besten Kellnerin an den Hals. Da er mir zu gleicher Zeit seinen eigenen Seelenzustand offenbarte und wie er stillschweigend gelitten und meine wahnsinnigen Ausbrüche auf der Reise erduldet, kam ich mir wahrhaftig wie ein Unwürdiger neben ihm vor und wie ein ganz schlechter Kerl. Als ich ihn beim Wiedersehen vor fünf Jahren an die Geschichte erinnerte, lachte er, an seine Liebe wollte er sich gar nicht mehr erinnern, er schämte sich ihrer. »Lassen wir die Dummheiten!« Aber diese Dummheiten waren mir süßer und bittrer Ernst und sind mir mein bestes Gut geblieben. Mein Freund, der nur eine auf einmal lieben konnte, liebte schon längst gar keine mehr. Ich aber küßte mit derselben Andacht mehr als einen Mund, den ich vor zwanzig Jahren geküßt, ohne daß darum das Gedächtnis der Lieben, die ich in Amerika wußte, Einbuße gelitten hätte. Es fragt sich also doch, wer der wahren Liebe am nächsten kam.

Ein armes Herz, das nicht einmal den Vergleich mit einem Photographie-Album aushalten kann, eine arme Liebe, die nicht einmal die Vielseitigkeit der Freundschaft beansprucht. Was ihr (nicht meine Leser, sondern die Nasenrümpfer, die osores und irrisores) eure einzige, ausschließliche Liebe nennt, ist nicht Egoismus, Betätigung aller naturberechtigten Gefühle und Fähigkeiten, sondern Geiz, Neid und Tyrannei. Ihr leugnet es zwar, aber im tiefsten Innern preist ihr doch den Türken glücklich, der seine Liebe in den Harem einsperrt und von Eunuchen bewachen läßt. Nur Eine, nur Einen lieben? Der Himmel lacht euch aus mit seinem Sonnenauge, das tausend Sterne beglückt, das Dasein des kleinsten Schmetterlings ist euch ein Vorwurf und ein Ärger.

In dem hohen Liede des Korinther-Briefes – kein Pfaff soll mir weismachen, daß der geniale Teppichweber nur die christliche agapae gemeint hat – heißt es: Die Liebe ist langmütig, sie eifert nicht, sie suchet nicht das Ihre, sie läßt sich nicht erbittern, sie freuet sich der Wahrheit. – Wer diese Eigenschaften heute und seit Beginn der christlichen Ära in der Liebe des Weibes sucht, wird schwer enttäuscht und zum Heuchler und Lügner wider Willen. Ich habe auch noch in meiner erwachsenen Unschuld einst geglaubt, es gäbe nichts Schöneres als der Liebsten von der Liebsten zu erzählen. Ein Glück, das man nicht erzählen kann, ist kein Glück. Ein Kartäuser mit oder ohne Kutte, der nur mit sich oder mit dem nie antwortenden Gotte spricht, ist ein Verrückter. Wem aber sollte ich das Glück einer neuen Liebe anvertrauen, wenn nicht derjenigen, mit welcher ich schon durch tausend Fasern des Leibes und Geistes verknüpft bin? Aber, unerfahrener Jüngling, folge nicht meinem Beispiel des unbeschränkten Vertrauens, 's tut wunderselten gut. Denn das Weib ist selbstisch – wie sollt es anders sein? Sie hat sonst nichts zu sagen, in der Liebe will sie das Machtwort haben; sie ist sonst abhängig, wird vom Manne »gehalten«, in der Liebe will sie ihn halten, will sie besitzen und herrschen; von allen andern Interessen des Mannes bekommt sie nur den Gnadenzipfel, seine Liebe will sie ganz und allein haben; sie opfert ihre schönsten, vom Sonnenschein der ewig wirkenden menschlichen Anziehungskraft hervorgelockten Triebe, schneidet sie ab als wilde Schößlinge dem Einen zulieb, folglich, grausame Logik! verlangt sie vom Manne dasselbe Opfer. Opfer bedingt immer Opfer, und mit Recht kann man daher von der wahren Liebe sagen, daß sie statt etwas Freudiges eine fortwährende Selbstaufopferung ist, zu gegenseitigen Gunsten.

So fehlt also immer dieser wahren, vielbesungenen Liebe jenes Element, ohne welches kein Verhältnis auf das Prädikat edel Anspruch machen kann, das absolute Vertrauen. Du willst dem Weib nicht weh tun, du verheimlichst, du lügst. Und das geht dann so weit, daß man sogar zu feig wird, das Ende der Liebe zu konstatieren; denn die Liebe zu einer Person ist nicht mit dir geboren, sie kann also auch vor dir sterben. Eine solche tote Liebe wird dann von den Beiden mit allerlei Spezereien, als da sind Treue, Pflicht, Gewohnheit, sorgsam einbalsamiert, damit der Geruch der Verwesung nicht aufkommen kann, und Tag für Tag, meinetwegen auch Nacht für Nacht lügen sie sich vor, sie sei noch lebendig, bis ihnen das zu langweilig wird und sie selber wie zwei Gestorbene neben einander hergehen. In den »anständigen« Eheverhältnissen einer einzigen modernen Stadt gibt es mehr solcher Mumien-Kammern als in ganz Ägypten.

In der eingangs erwähnten Novelle von Heyse läßt die Gemahlin des traurigen Helden die Katze aus dem Sack, wenn man ein so triviales Wort auf ein so feines Seelengemälde anwenden darf. Sie sagt nämlich zu ihrem Manne: Daß du sie liebst, finde ich natürlich, lieb ich sie doch selber wie eine Schwester, aber – du wirst begreifen – so hochherzig bin ich doch nicht, daß ich deine Liebe mit ihr teilen könnte. Diese Frau wird geschildert als das Ideal eines Weibes. Aber sie hat sich selber gekennzeichnet. So hochherzig ist sie nicht, sie ist gar nicht hochherzig, sie ist gar nicht edel, sie ist genau so gemein wie der Mann, der eine hohe Mauer um seinen Garten baut, damit kein andrer den Anblick genieße, wie der gemeine Selbstsüchtling, der eher den Wein verderben läßt, als daß er einen Durstigen damit labte.

Das unübersteigliche Hindernis, welches der allein naturwürdigen freien Liebe im Wege steht, ist der falsche Egoismus des Weibes. Und doch steht das Weib der Natur, dem Bösen nennt's Mephistopheles, um tausend Schritte näher als der Mann, und doch wird sie auf dem Wege friedlicher Energie eine Umgestaltung ins Werk setzen, von der keine Revolution des Mannes sich träumen lassen kann, wenn du ihr mit redlichem Sinne das eine Evangelium verkündest, vor dem Geiz und Neid und ihre scheusälige Tochter, die Eifersucht, weichen müssen: Vor allem sei deine Liebe frei!

Ich überlasse es redlichen Männern, diesen Gedanken auszudenken, und sich selbst zu prüfen, ob sich zwischen ihn und seine Ausführung nicht der Schatten der Furcht für die eigene Autorität drängt. Das ist ein Hohelied, würdig von einem neuen Goethe gesungen zu werden. Der alte hatte zwar den Mut, der Teilung der Liebe zu leben, aber er wagte sie nicht durch die Kunst zu verherrlichen. Wie kläglich wird der »Vertrauensbruch« der Eheleute in den »Wahlverwandtschaften« durch die chemische Formel entschuldigt, wie christlich ist es von dem modernen Heiden, daß er auch für dies Außerordentliche den See sein Opfer heischen läßt!

's tut wunderselten gut. Mir tut's gut, daß mein Herz wie eine Aeolsharfe ist, auf der die freien Winde nach allen Tonarten Loblieder zum Preise der Schöpfung spielen konnten. Die Krone der Schöpfung aber ist nicht ein Weib, sondern das Weib. Und die immer wieder gesucht zu haben, durch jeden neuen Fund nur zu neuem Suchen angespornt, kann so wenig Unrecht sein, wie in einem ganzen Leben in all den Menschen, mit denen man in Berührung kam, nach dem Menschen geforscht zu haben. Und ich freue mich, daß mir, wenn auch spät, die Erkenntnis gekommen ist, daß jede wahre und für die Zukunft maßgebende Kultur des Weibes erst mit der absoluten Freiheit desselben anheben kann, mit anderen Worten, daß man Achtung von seinem Lebensgenossen erst dann erwarten kann, wenn man ihm alle Rechte eingeräumt hat, die man für sich selber beansprucht.


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