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Eilftes Capitel.
Die Haussuchung.

Als der Rath Giseke müde und von einem leichten Fieberanfalle, den er in Folge seines überstandenen Abenteuers spürte, einigermaßen erschöpft, seine Wohnung erreichte, war die erste Neuigkeit, die ihm die Hausmagd mehr entgegenschrie, als rief, daß der Dieb, welcher ihren Anzug gestohlen und wiedergebracht habe, endlich gefangen und von einer Ordonnanz des Generals du Marlé, die gerade zufällig vorübergegangen wäre, sammt dem Briefe mitgenommen sei, den der Kerl als Vorwand gebraucht und vorgezeigt habe, als er vom Hauswirthe oben attrapirt sei.

Ein ahnungsvoller Schrecken durchfuhr den Rath. Er verlor indeß seine Fassung nicht, sondern erwiederte mit Leutseligkeit:

»Das ist gut, mein Kind. Aber an wen war denn der Brief gerichtet? Es konnte dem armen Kerl am Ende Unrecht geschehen?«

Das Mädchen lachte.

»Eben der Brief hatte gar keine Aufschrift und der Kerl sagte kluger Weise, der Brief sei für den Herrn Rath Giseke bestimmt.«

»Lächerlich!« erwiederte Giseke freundlich, obwohl er ganz richtig ahnte, was dies bedeuten könne und es ihm dabei keineswegs heiter ums Herz war. »Wer an mich zu schreiben hat, muß den Brief auch an mich adressiren.«

Das Gespräch war unten im Hausflure begonnen und beim Hinaufsteigen auf der Treppe, die das Mädchen mit ihrer Küchenlampe erleuchtete, fortgesetzt.

»Das sagte meine Herrschaft auch,« fiel die Magd treuherzig ein.

»Habt Ihr denn nicht nachgesehen, was in dem Briefe stand?« inquirirte der Rath weiter.

»Ja wohl! Der Armeegendarm hat ihn flugs aufgerissen und Alles gelesen.«

»Was stand denn drinnen?« fragte Giseke gleich gültig, aber sein Herz pochte. Er hätte für's Leben gern den Inhalt gewußt, um zu unterscheiden, wie weit er dadurch compromittirt werden konnte.

»Ja, das weiß ich nicht!« betheuerte das Mädchen gleichgültig, indem sie die Thür aufschloß. »Geheizt finden Sie die Stube schon, Herr Rath,« plauderte sie mit derselben Unbefangenheit weiter. »Nun will ich Ihnen schnell Licht besorgen. Wollen Sie meine Lampe so lange hier behalten?«

»Nein, mein Kind,« erwiederte der Rath schnell, denn er hatte während des Hinaufsteigens schon einen Entschluß gefaßt, den er nicht allein seiner Sicherheit wegen, sondern auch der Rettung von Tausenden wegen auf der Stelle ausführen mußte, damit es nicht zu spät werde. Er ahnte, daß er beobachtet wurde. Er ahnte, daß nicht zehn Minuten verfließen würden, ohne eine Durchsuchung seiner Papiere herbeizuführen. Er ahnte, daß der erste Lichtstrahl in seinem Zimmer das Signal zu diesem Angriffe sein würde, also mußte er die betreffenden Papiere zu vernichten suchen, bevor man ihn in seinem Zimmer vermuthete.

Mit einer raschen Wendung schloß er sein Schreibpult auf, nahm ein Packet heraus, warf es behutsam in den Ofen, worin noch einige Holzscheite glimmten, trat dann nochmals an das Pult, tappte suchend mit der Hand nach einigen Briefen umher, fand sie, zählte sie blindlings und schickte sie eben so behutsam dem helllodernden Packete nach.

So wie er dies vollführt hatte, trat die Magd mit den beiden brennenden Lichtern ein und meldete bestürzt, es sei so eben ein französischer Officier ins Haus getreten, von einer Menge Soldaten begleitet, der nach ihm frage.

Giseke lächelte, warf jedoch einen sehr zufriedenen Blick nach dem Ofen, worin die Beweise seiner Schuld eben verkohlt zusammensanken.

»Soll ich nachlegen?« fragte das Mädchen, diesen Blick bemerkend.

»Jetzt nicht«, sprach Giseke. »Hilf mir den Mantel ablegen. So. Nun hänge den Mantel unten am Feuer auf. Er ist naß.«

In diesem Momente stampften ein Dutzend Flintenkolben auf den Fußboden des Vorsaales, und die nur angelehnte Thür wurde heftig aufgerissen.

»Im Namen Sr. Majestät des Königs Jerome von Westphalen verlange ich Gehorsam von Ihnen und Antwort auf alle meine Fragen!« schrie ein eintretender junger Officier in französischer Sprache.

Der Rath trat ihm höflich entgegen und legte etwas mehr Verwunderung in sein Mienenspiel, als er wirklich fühlte.

»Was verschafft mir die Ehre dieses Besuches?« fragte er ebenfalls französisch mit so gewinnendem Tone, daß der stürmische Franzose zur Besinnung zu kommen schien.

»Mein Herr Rath, ich muß Sie leider zur Aufklärung einer Sache mit einigen Fragen behelligen.«

»Die Fragen werde ich, so weit es meine Ehre und die Würde meiner Stellung erlaubt, sehr gern beantworten. Was wünschen Sie von mir zu wissen?«

Der Officier winkte. Ein Armeegendarm trat vor. Er führte am Arme einen gut gekleideten Mann aus dem Bürgerstande, der todtenbleich und zitternd kaum gehen zu können schien. Giseke blickte zu ihm hin und holte, ganz verstohlen, sehr tief und sichtlich erleichtert, Athem.

»Kennen Sie diesen Mann, mein Herr Rath?« fragte der Officier mit anständigem Ernste.

»Nein,« antwortete Giseke sehr bestimmt. Er kannte ihn wirklich nicht.

Der Officier, welcher gar nicht deutsch sprach, aber es handlich gut verstand, winkte dem Gendarmen, der sofort den armen zitternden Menschen auf Deutsch anfuhr:

»Blicken Sie auf und sagen Sie mir, wer der Herr ist, der vor uns steht!«

Der Bürger blickte gehorsam auf und richtete sein vor Angst ganz erloschenes Augenpaar auf den Rath, der ihn gespannt fixirte.

»Ich kenne den Herrn nicht!« murmelte der Bürger.

»Sprechen Sie deutlich!« herrschte der Gendarm ihn an. »Was sagten Sie?«

»Ich kenne den Herrn nicht!« antwortete er nochmals, nun sehr deutlich.

»Das ist der Rath Giseke, an den Sie den Brief abgeben wollten.«

»So?« fragte der Bürger. »Ich habe nie seinen Namen gehört und nie sein Gesicht gesehen,« setzte er mit zitternder Stimme hinzu und sah, wie verdummt starr vor sich hin.

Giseke fühlte Mitleid mit dem armen Menschen, allein seine eigene Sicherheit verlangte, daß er sich jeder Einmischung enthielt, also schwieg er.

»Sie haben doch zu dem Hauswirthe, der Sie hier oben im Vorsaal abfing, gesagt, Sie wollten einen Brief an den Rath Giseke abgeben?«

»Nein, das habe ich nicht gesagt!« erklärte der Bürger ziemlich muthig. »Ich habe dem Manne, der mich einen ›verfluchten Spitzbuben‹ schimpfte, nur geantwortet, daß ich einen Brief an den Herrn, der hier wohne, abgeben solle.

»Wo ist denn dieser Brief?'« warf Giseke jetzt, sorglos lächelnd, ein. »Vielleicht klärt der Brief Alles auf, was die Herren zu wissen verlangen.«

»Hier ist der Brief,« rief der Officier, mit spöttischer Bereitwilligkeit einen sehr zerknitterten, großgefalteten Brief hervornehmend und ihn dem Rathe hinreichend.

Giseke bemeisterte mit aller Geisteskraft, die ihm zu Gebote stand, seine innerliche Unruhe und durchlas das Blatt Papier. Eine leichte Blässe, der ein gutmüthiges Lächeln folgte – das war Alles, was der durchbohrende Blick des Armeegendarmen zu entdecken vermochte.

»Verstehen Sie, was im Briefe steht?« fragte er den Gendarmen leichthin. »Die ganze Geschichte scheint mir eine Mystification zu sein.«

»Meinen Sie,« sprach der Gendarm, noch immer mißtrauisch seinen Blick auf ihn heftend.

Giseke hob das Blatt wieder zu seinen Augen empor und las laut: »Das Uebermaß der Schmach wird Deutschland retten und dem Volke Kraft verleihen, seine Unterdrücker zu vernichten und zu verjagen, so sprach das Organ des Bundes und unsere Herzen wurden entflammt. Aber warum zögert der Bund? Die Russen hungern die Franzosen aus – Moskau liegt in rauchenden Trümmern – das Treibjagen durch die Schneewüsten hat begonnen. – Derselbe Mann, der den Plan zu diesem unvergleichlichen Brande entwarf, derselbe Mann giebt dem Bunde den Rath, aufzubrechen und Herrn N. an der russischen Grenze in Empfang zu nehmen. Ob man ihn lebend, als Schaustück oder todt, gleich dem gespießten Eber, durch die Länder schleifen will, darüber ist später weiter zu berathen!«

Giseke hatte ruhig den Inhalt des Briefes, der natürlich ohne Unterschrift war, abgelesen. Als er fertig war, hob er sarkastisch lächelnd seinen Blick empor und sagte:

»Das hat ein Wahnsinniger geschrieben! Wer wird solche Worte aufs Gerathewohl in die Welt senden, die noch dazu jedes Zusammenhanges entbehren.«

Der Armeegendarm, als eigentlicher Ankläger, ließ jetzt sein Mißtrauen ein klein wenig schwinden.

»Fragen Sie doch den Bürger, wer ihm den Brief gegeben hat?« begann Giseke nach einem kleinen Stillschweigen. Dieser antwortete ungefragt.

»Ein Mann hat mich auf dem Wege hieher, nicht weit vom Dorfe Berau, angeredet und mir gesagt, daß ich den Brief hier im Hause, er bezeichnete es mir genau, an den Herrn abgeben solle, der eine Treppe hoch wohne. Der Herr würde mich glänzend belohnen. Wenn der Herr nicht zu Hause sein sollte, so hätte ich auf dem Vorsaal so lange zu warten, bis er käme, denn nur in seine Hand dürfe ich den Brief abliefern, wenn ich die Belohnung verdienen wolle.«

»Beschreiben Sie uns den Mann!« sagte Giseke ruhig,

»Er war groß und mager, hatte langes Haar, einen schwarzen Sammtrock an und sehr große Stiefeln –«

Giseke zuckte verächtlich die Schultern. »Ein Studentenstreich!« sprach er spöttisch.

Der Armeegendarm trat verlegen zurück. Er war überzeugt, im Eifer fehlgegriffen zu haben. Für ihn stellte sich nun der französische Officier wieder in die Schranken. Er hatte so ziemlich Alles verstanden oder doch errathen, wollte aber sein Licht, als Repräsentant der executiven Gewalt, noch glänzen lassen.

»Kennen Sie die Handschrift nicht, mein Herr Rath?« fragte er hastig.

»Auf Ehre nicht!« erklärte Giseke.

Der Officier dachte eine Secunde nach.

»So wenig Gründe des Verdachtes sich auch zeigen,« begann er dann mit ceremoniellerem Tone als bisher, »so muß ich dennoch, kraft meiner Ordre, eine ganz specielle Haussuchung nach geheimnißvollen Papieren, die diesem Briefe gleichen könnten, unternehmen. Wollen Sie gefälligst Ihr Schreibpult öffnen und mir dann alle die Behältnisse zeigen, wo sich irgend dergleichen, wie wir suchen, befinden könnte?«

»Mit Vergnügen! Ich weiche der Gewalt und übergebe Ihnen hiermit alle meine Schlüssel. Sie werden mir erlauben, daß ich mich in meinem Sopha niederlasse, um mich auszuruhen. Man hat mir schon heute nach dem Leben getrachtet, und der Blutverlust hat mich erschöpft.«

Der junge Officier sah ihn ungläubig an. »Nach dem Leben getrachtet?« wiederholte er. »Sie scherzen wohl nur, mein Herr Rath!«

»Keineswegs,« antwortete Giseke, sich kaltblütig im Sopha hinstreckend. »Man hat mich zweifach ums Leben bringen wollen, es ist aber, wie Sie sehen, nicht gelungen.«

»Um Sie zu berauben?«

»Schwerlich.«

»Also wegen persönlicher Feindschaft?«

»Oder aus Irrthum! Ich werde dem Procurator morgen die betreffende Anzeige machen, um den unerklärlichen Mordversuch aufklären zu lassen.«

Unterdessen er sprach, hatte der Officier mit Hülfe des Gendarmen, der seinen Gefangenen wieder unter Obhut der draußen stehenden Soldaten gegeben hatte, alle Schubladen des Schreibpultes durchkramt und nichts Verdächtiges gefunden. Schon wollte er den Deckel des Bureaus schließen, als ein eingeklemmtes Blatt seine Aufmerksamkeit erregte.

»Halten Sie!« rief er dem Gendarmen zu. »Nehmen Sie das Papier aus der Spalte und sehen Sie nach. Es scheint mir ein Brief.«

Giseke rührte sich nicht auf seinem Sopha, aber ein eiskalter Schauer überlief seinen ganzen Körper. Sollte er in der Dunkelheit nicht alle Briefe zusammengerafft haben? Möglich war es. Er lauschte mit allen Sinnen. Das Papier war tief eingeklemmt. Man bemühte sich vergeblich, es aus der Ritze zu ziehen. Endlich gelang es. Mit einem Freudenschrei hob es der Officier heraus. Giseke fühlte, hörte und sah kaum vor Beklemmung, als er schrie: »Danzig gestempelt!« Das war der Brief, aus welchem er die Nachrichten geschöpft, die er draußen bei dem Calculator mitgetheilt hatte. Unglücklicher konnte der Zufall nicht spielen, denn er enthielt fast dieselben Worte, wie der aufgefangene anonyme Brief.

»Danzig? Wie? Danzig? Herr Rath, wollen Sie mir gefälligst erklären, mit wem Sie in Danzig correspondiren?«

»Ich habe dort eine verheirathete Schwester,« antwortete Giseke ausweichend, aber auf Alles gefaßt.

»Wollen Sie mir aber gefälligst erklären, was diese Buchstaben auf dem Siegel bedeuten? G. M. U.?«

»Es wird der Namenszug meines Schwagers sein,« meinte Giseke voller Resignation.

»Wollen Sie mir gefälligst den Brief ausantworten, der in diesem Couvert gesteckt hat?«

Giseke richtete sich froh überrascht in die Höhe. Er dämpfte jedoch seine Stimme, indem er sagte:

»Steckt denn der Brief nicht im Couvert? Ja, das thut mir leid. Ich pflege überhaupt meine Briefe nicht sorgfältig zu verwahren und hebe sie selten auf, weil ich einen Brief als den Abdruck einer Seelenstimmung betrachte, die schon längst verflogen ist, wenn ich diesen Abdruck erst zu Gesicht bekomme. Es thut mir wahrlich leid, obwohl es mir andererseits lieb ist, daß ich dadurch die fehlerhafte Orthographie meiner guten Schwester nicht ans Tageslicht gebracht sehe,« schloß er scherzend.

Von diesem Momente an suchte der Officier sehr oberflächlich und sehr nachlässig. Er hätte aber auch nichts gefunden, und wenn er mit Vergrößerungsgläsern gesucht hätte. Außer dem unglücklichen Couvert, gestempelt mit Danzig und gesiegelt mit »Gott Mit Uns!« hatte Giseke durch glücklichen Handgriff Alles vertilgt, was mit dem aufgefangenen Briefe übereingestimmt haben würde.

Endlich traf der Franzose Anstalt, das Zimmer mit seinem Untergebenen zu verlassen. Er verbeugte sich militairisch artig und bedauerte, den Herrn Rath gestört zu haben.

»Aber mein Herr, so wenig Gründe zum Verdachte nach dieser Haussuchung auch vorliegen, so muß ich doch, meiner Ordre gemäß, eine Wache vor Ihre Thür stellen und Sie bitten, Ihr Zimmer bis auf Weiteres nicht zu verlassen.«

Giseke hatte dies erwartet, deshalb störte es seinen Gleichmuth durchaus nicht. Aber er fühlte sich unwohl. Seine Wunde am Kopfe brannte. Fieberschauer durchwühlten seinen sonst sehr kräftigen Körper. Er wünschte aus mehr als einem Grunde seinen Arzt zu sprechen.

»Ich muß über mich ergehen lassen, was Ihr Commandeur anzuordnen für gut findet,« antwortete er. »Sie erlauben mir aber den Einwurf, daß ich mich in Folge meiner erhaltenen Wunde krank fühle und daß die Wunde bis dahin nur oberflächlich verbunden ist. Ein Arzt wäre mir unumgänglich nothwendig, darf ich mir meinen gewöhnlichen Doctor holen lassen oder wollen Sie mir einen Ihrer Feldärzte schicken? Geben Sie der Wache darüber Befehle, damit nichts Gesetzwidriges geschehen kann.«

Der Officier sah die Ordonnanz und die Ordonnanz sah den Officier an. Sie waren Beide von Giseke's Unschuld überzeugt. Sein ganzes Benehmen flößte ihnen Achtung und Respect ein. Was war auch zu fürchten, wenn einem Doctor Einlaß zu ihm gewährt wurde? Er sollte ja, nach du Marlé's eigenem Ausspruche, vorläufig nicht in Haft genommen, sondern nur bewacht werden. Um seine aufsteigenden Scrupel vollständig zu beseitigen und sich vor aller Verantwortung sicher zu stellen, verlangte der Officier die Wunde des Rathes zu sehen. Er fand die Verletzung hinreichend gefährlich, um die Hinzuziehung eines Arztes vertreten zu können und gab ohne Einschränkung die Erlaubniß, einen solchen holen zu lassen.

Das Zimmer wurde geräumt und der Rath blieb allein. Eine tiefe Niedergeschlagenheit bemächtigte sich seiner. Er war zwar für's Erste jeder Gefahr entronnen, wenn sich nicht irgend etwas ereignete, was die Kette eines Zusammenhanges zu knüpfen im Stande war; allein der arme, unschuldige Bote, der von einem exaltirten Bundesgenossen leichtsinniger Weise hineingezogen, und nun der ganzen Wuth der französischen Generalität preisgegeben war? Er zermarterte sein Gehirn mit Plänen zu dessen Rettung. Sein Tod war gewiß, wenn man ihm nicht Gelegenheit zur Flucht verschaffen konnte. Die Franzosen zauderten nicht lange. Mit Untersuchungen, die die Unschuld eines Angeklagten ermitteln konnten, hielten sie sich nie auf, also war das Urtheil dieses unglückseligen Bürgers schon gesprochen im Augenblicke, wo man ihn gefaßt hatte.

Giseke wurde immer unruhiger. Sein Gewissen machte ihm Vorwürfe, wiewohl er sich sagen mußte, daß sein Eingeständniß demselben gar nichts gefruchtet haben würde. Sein Blut begann fieberhaft zu wallen und stieg ihm in den Kopf. Als der Doctor Herzmann, ein Vertrauter aller seiner Gedanken und Pläne, eintraf, da war er zwar dem Delirium sehr nahe, aber er hatte mit Aufbietung aller Geisteskräfte ein Mittel zur Rettung des Bürgers gefunden. Bestürzt erkundigte sich der Doctor, was vorgefallen sei, denn die Wache, welche so lange im Vorsaale verweilt hatte, trat mit ihm zugleich in's Zimmer und faßte an der Thür Posto. Giseke tauschte nur einen Blick mit ihm aus, weiter war nichts nöthig, um den Doctor sogleich zum Verständniß seiner Lage zu verhelfen.

»Ich bin durch Irrthümer aller Art Staatsgefangener,« antwortete er gleichzeitig laut genug, um von dem Soldaten, der jedenfalls kein Stockfranzose war, verstanden zu werden. »Das sollte mich aber nicht kümmern, Doctor, wenn man mir nicht außerdem eine Kugel durch den Kopf gejagt und mich jählings in's Wasser gestürzt hätte.«

»Sie phantasiren wohl, liebster Herr!« rief lachend der Doctor, indem er seinen Puls fühlte.

»Beinahe sollte ich es selbst glauben, Doctor! Der Beweis ist aber da. Es ist eine Thatsache!«

»Haben Sie keinen Verdacht, wer auf Sie geschossen hat?« forschte der Doctor, als er sich von dem Vorhandensein einer Wunde überzeugt hatte.

»Freilich habe ich Verdacht! Ich scheine einem Schurken im Wege zu sein. Nicht allein, daß man mir nach dem Leben trachtet, man spinnt auch Intriguen aus. Ich denke, mich morgen wohl genug zu befinden, um meine Anklagen zu Protocoll geben zu können, und mit Hülfe des Generals du Marlé hoffe ich die Spuren des Verbrechers dergestalt zu verfolgen, daß wir vielleicht einer tief angelegten Verschwörung begegnen, der ich im Wege stehe. Es ist nämlich ein Mann hier im Hause verhaftet, der einen vollkommen unverständlichen Brief bei sich getragen hat. Ich wette, dieser Mann weiß mehr von der Sache, wie er sich das Ansehen giebt. Und wenn man es versteht, ihn kirre zu machen, so wird er schon seine Genossen verrathen. Lieber Doctor, Sie machen mir aber große Schmerzen,« unterbrach er sich. Ein verstohlener Seitenblick hatte ihn überzeugt, daß der wachstehende Franzose so gut deutsch verstand, wie er selbst und daß seine hingeworfene Rede Eindruck machte.

Verräthereien und Spionagen wurden damals vortrefflich bezahlt. Rath Giseke überließ sich mit Zuversicht der Hoffnung, daß diese Schildwache Alles versuchen werde, um den Tod des Bürgers so lange zu verzögern, bis er geplaudert hatte.

»Halten Sie nur still, mein Herr,« bat der Doctor, der Alles begriff, was er begreifen sollte. »Ich muß Ihre Locken aus der Wunde entfernen. Hätten Sie einen Zopf getragen, wie sonst, so wäre Ihnen dieser Schmerz erspart,« setzte er launig hinzu. »Wenn man den Kerl, der so dumm gewesen ist, sich in Verschwörungen einzulassen, nur ordentlich verwahrt, damit er nicht entwischt. Die Nächte sind jetzt sehr dunkel und so ein Kerl weiß den Weg besser, als die Soldaten, die nicht heimisch sind.«

»Sie werden ihn hoffentlich in den Sebastiansthurm gebracht haben, das beste Gefängniß, was die Stadt besitzt. Bombenfeste Mauern und stark vergitterte Fenster. Aber Doctor, Sie gehen ja grausam mit mir um!« warf er abermals mit klagendem Tone ein. »Ist die Wunde gefährlich?«

»Durchaus nicht. Einige Hautlappen. Wäre die Kugel einen Zoll weiter gegangen, so lägen Sie steifer da. Ein Wundfieber giebt es aber, darauf können Sie sich verlassen. Bleibt die Wache hier im Zimmer, dann brauchen Sie keinen Krankenwärter. Sonst möchte ich Ihnen anempfehlen, Jemand hier wachen zu lassen, denn es könnte noth thun.«

»Bleiben Sie doch hier, Doctor,« sagte Giseke mit affectirter Dringlichkeit.

»Das geht nicht. Ich habe einige schwer kranke Patienten.«

»O, ich kann's schon mit übernehmen!« mischte sich jetzt plötzlich der Sergeant, gut deutsch sprechend, ein.

Der Doctor affectirte einen Schreckensruf und der Rath wendete sich, als wäre er angenehm überrascht, zu dem Soldaten herum.

»Sie sind also ein Deutscher? Das trifft sich ja gut.«

»Nicht g'rad ein Deutscher,« meinte der Soldat halb verlegen. »Ich bleib' bis Mitternacht hier. Dann wird abgelöst. So lange will ich Ihnen dienen!«

»Ich werde Ihre Dienste vielleicht nicht nöthig haben, denn ich denke zu schlafen; allein für den Fall, daß mir etwas zustößt, nehme ich sie an,« sprach der Rath höflich. »Kommt die Ordonnanz des Generals nicht nochmals, um Rapport zu holen?«

»Ja wohl!« gab der Sergeant zur Antwort.

»Schön,« dachte der Rath Giseke. »Dann wird er wohl erfahren, was ich gesprochen habe und wird hoffentlich den armen Kerl nicht beim Sonnenaufgange füsiliren lassen.

Mit diesem beruhigenden Gedanken begab sich der Rath in sein Schlafgemach, nachdem er den Doctor mit eigenthümlicher Betonung gefragt hatte, ob es warm genug im Zimmer sei.

Doctor Herzmann wartete, ohne auf diese Frage zu antworten, bis der Sergeant sich, gemüthlich pfeifend, wieder in's Vorzimmer begeben hatte, dann öffnete er den Ofen, zerstörte mit einer Ofengabel den schwarzen, verkohlten Haufen Papier, der hinlänglich verrieth, was hier gebrannt hatte, legte einige starke Holzscheite in die glimmende, verdächtig aussehende Asche und vertilgte damit jede verrätherische Spur des Autodafé, welches Giseke vorsichtiger Weise gehalten. Er entfernte sich mit einem bedeutsamen Kopfnicken, indem er »dem Herrn Rath angenehme Ruhe« wünschte.

Der Herr Rath hatte aber keineswegs eine angenehme Ruhe zu hoffen. Er bezwang mit eiserner Beharrlichkeit die Anwandlungen von Schlaf, um nicht die Unruhe seiner Seele in Worten zu verrathen, die ihm im Traume oder in der Fieberhitze entschlüpfen könnten. Es war eine Höllenmarter, Schlaf zu heucheln, und doch der entsetzlichen Abspannung des Körpers, die sich in einer krankhaften Müdigkeit zeigte, Trotz bieten zu müssen. Giseke erlag aber der Hinfälligkeit der menschlichen Natur nicht. Er kämpfte und blieb Sieger bis Mitternacht. Da hörte er im Nebenzimmer flüstern und zwar französisch. Der Ablösung wurden Instructionen ertheilt. Giseke merkte, daß seine List gelungen war. Der Sergeant glaubte ihn schlafend. Der an seine Stelle kam, war ein blutjunger, gemeiner Soldat, offenbar erst wenige Monate vom französischen Vaterlande entfernt, denn er verstand kein Wort Deutsch.

»Es ist Alles in Ordnung,« flüsterte der Sergeant, »Du kannst Dich im Vorzimmer niederlegen und schlafen, nachdem Du die Thür abgeschlossen und den Schlüssel zu Dir gesteckt hast. Ist der Kerl in den Sebastiansthurm gebracht? Gut!«

»Aus der Füsilade wird nichts,« sprach der junge Recrut rapportirend.

»Gut. Du hast leichten Dienst hier. Aber hübsch aufgepaßt. Heraus darf nichts, weder Mensch, noch Brief; nicht der kleinste Zettel, hörst Du! Der Herr schläft. Laß ihn schlafen, so lange er will. Wer weiß, ob es nicht sein letzter Schlaf ist, der Oberst soll sehr wüthend sein! Er hat sich das Couvert und den Brief ausgebeten. Thorheit, wenn daran etwas zu finden gewesen wäre, so hätten wir Drei, der Lieutenant, der Armeegendarm und ich es gewiß nicht übersehen! Schlaf wohl, mein Junge!«

Jetzt gab Giseke seiner Erschöpfung nach und schlief ein. Wirre Träume umspielten zwar seine Lagerstätte, aber der Verrath blieb fern davon.

Der Tag war schon angebrochen, als er erwachte und neu gekräftigt um sich blickte. Gleich darauf erschien sein Doktor mit bewölkter Stirn und unzufriedenen Blicken.

»Wie steht es hier?« fragte er vorsichtig. » Sonst steht es schlecht. Man muß etwas gefunden haben. Deine Lage verschlimmert sich. Wir müssen eine Flucht vorbereiten.«

Der Recrut erschien auf der Schwelle und störte das Gespräch.

»Was sagen Sie zu meinem Zustande?« fragte Giseke, der doch nicht ganz genau wußte, ob der Franzose nicht etwas Deutsch verstand.

»Sie müssen liegen bleiben,« befahl er, die vertrauliche Anrede sogleich vermeidend.

»Ich fühle mich auch sehr krank,« antwortete der Rath französisch.

»Geben Sie Acht, daß er das Bett nicht verläßt,« wendete sich der Doctor, den Wink verstehend, an den Wachtposten. »Der Herr darf nicht eher aufstehen, bis ich wiederkomme!« Dann sprach er Deutsch mit derselben herrischen Geberde, aber im murmelnden Tone. »Ich muß erst erforschen, was man vor hat. Große Unruhe! Dein Name wird mit Flüchen genannt von dem Oberst.«

»Wie steht es mit Ihren Patienten, die so schwer krank sind?« fragte Giseke wieder französisch.

»Ganz gut, aber außer Gefahr sind sie noch nicht!« antwortete, der Doctor, indem er that, als wolle er sich eiligst entfernen.

Giseke sendete verstohlen einen Blick des Dankes zum Himmel hinauf, denn die »schwerkranken Patienten« sollten nichts anders bedeuten, als den eingefangenen Boten, und der »Sebastiansthurm« war ein altes Hospital, das theilweise zum Lazareth eingerichtet war, wozu der Doctor, vermöge seiner Berufsstellung einen Hauptschlüssel besaß.

Er hatte wirklich das Wagniß vollbracht und den Bürger aus dem bombenfesten Gefängnisse befreit. Aber er hatte es nicht gewagt, den Mann zu entlassen. Er hatte ihn in seine eigene Wohnung geführt und ihn in die Livree seines Kutschers gesteckt. Jetzt harrte er mit einigem Bedenken des Augenblicks, wo die unerklärliche Entweichung des Gefangenen entdeckt werden und einen fürchterlichen Scandal erregen würde. Darum sein Befehl, daß der Rath, um jeden Verdacht von ihm abzulenken, das Bett nicht eher verlassen solle, bis er wiederkäme.

Mit freundlich sorglosem Wesen die Schildwache grüßend schritt er zur Thür. Aber draußen blieb er stehen und holte sehr tief Athem. Es war ihm seltsam zu Muthe. Sein Leben stand auf dem Spiele, er hatte es eingesetzt seinem Freunde und der guten Sache zu Liebe. Wenn Verrätheraugen ihm nachforschten, so war er, sein Freund Giseke und der arme Bürger aus der Vorstadt, den das Unglück in ihren Weg gesendet zu haben schien, verloren. Nach vierundzwanzig Stunden lebten sie alle Drei nicht mehr. Das stand fest. Es gehörte Mannesmuth dazu, um, mit dieser Gewißheit im Busen, ein heiteres Gesicht zeigen zu können. »Gott sei mit uns!« murmelte der Doctor und schlich wie ein Missethäter die Treppe hinab und zum Hause hinaus.

Ein sonderbares Getümmel empfing ihn auf der Straße. Soldaten mit Fouragesäcken stürzten bei ihm vorüber, in ihrem Patois mit einander plaudernd und sich zurufend. Aber kein Mensch konnte dies Kauderwälsch, welches sie mit Kernflüchen mischten, verstehen. Der Doctor mochte nicht fragen. Er eilte zwischen diesen Haufen vorwärts und verlor sich bald wieder in der Gegend seines Hauses, um sich dort so lange aufzuhalten, bis sich der unerwartete Zusammenlauf des Militairs etwas verzogen hatte. Es war immer mißlich, sich unter aufgeregte französische Heeresmassen zu wagen, aber für den Augenblick mehrten sich die Gefahren speciell für ihn noch.

Der Doctor fand seinen Schützling, den er nächtlich aus dem Sebastiansthurm befreit hatte, ziemlich genesen von seiner Todesfurcht, im Stalle bei den Pferden. Er hatte alles Mögliche gethan, um sein Aeußeres zu verändern, und es war ihm so gut gelungen, daß selbst der Doctor Mühe hatte, in diesem schmutzigen Stallknechte den saubern Bürger wieder zu erkennen. Seinen Anzug hatte er im Stalle vergraben und seinen zierlich frisirten Kopf, durch die Entfernung des Haarbeutels, in ein struppiges Medusenhaupt verwandelt.

Zufriedengestellt von dieser Veränderung, begab sich der Doctor zu seiner Familie, die natürlich von der ganzen Geschichte nichts wußte und die drohende Gefahr, worin ihr Familienhaupt schwebte, gar nicht ahnte.

Wir aber verfügen uns nun zu dem Präfecten, der von dem Hergange der nächtlichen Abenteuer keine Sylbe erfuhr. Selbst am Morgen vermied er es, eine Nachfrage nach dem Befinden des Rathes halten zu lassen, weil er sich mit seinem Schwager verabredet hatte, in ihrem äußern Begegnen nichts zu ändern bis zur gelegenern Zeit.

Der Präfect war schon früh aufgewesen und mit seltener Freudigkeit an seine Arbeit gegangen. Er fühlte sich wie neugeboren. Je tiefer er sich wieder in seine Thätigkeit versenkte, desto leichter und wohler wurde ihm zu Sinne. Dazu kam die innere Beruhigung, daß er ja nichts verloren hatte, was nicht wieder herzustellen gewesen wäre. Das Unglück war nahe an ihm vorübergegangen, durch seine Verschuldung hatte er ein unabsehbares Elend auf seinen Lebensweg gelockt, aber er war zeitig genug umgekehrt und wollte diesen Weg auf immer vermeiden.

Ein Geräusch störte ihn endlich in seiner Thätigkeit. Er wußte, daß ihm jetzt der Mann nahen würde, der ihn nicht mehr unter den Lebenden zu finden glaubte, und seine Hand suchte die Waffen, die ihm nöthig schienen.

Blanchard hatte wirklich die Frechheit, zur gewohnten Stunde das Haus des Präfecten zu betreten. Seinem dämonischen Wesen war es eine Lust, sich mit scheinheiliger Bestürzung zwischen die Leute zu mischen, die voller Unruhe die Abwesenheit des Präfecten nicht zu begreifen vermochten, während er am besten darüber Auskunft hätte geben können. Auch mochten ihn noch andere Interessen in das Haus Dessen ziehen, den er, nach seiner Meinung, auf ewig stumm und kalt gemacht hatte. Genug, er ging, als wäre nichts vorgefallen, mit Seelenruhe die breiten Treppen zum Quartiere des Präfecten hinauf, jeden Augenblick erwartend, daß man ihm mit Wehklagen den Weg vertreten würde.

Nichts regte sich aber. Die Todtenstille im Hause berührte ihn unangenehm. Sein Gang wurde unsicherer, langsamer. Sollte man wissen, wie oder wo – er schüttelte sich unbehaglich und dachte den Satz nicht aus.

In dem Vorzimmer, das unmittelbar an das Arbeitszimmer Markland's stieß, blieb Blanchard ein Weilchen stehen. Alles todtenstill. Kein Bedienter kam, um ihn zu melden. Sein Herz pochte, nicht vor Furcht, sondern vor Freude, vor wilder, ungebändigter Freude, daß ihm sein Streich wieder so schön gelungen war. Leise, schleichend, wie ein Raubthier, welches seiner Beute schon gewiß ist, tappte er vorwärts, der Thür zu, hinter der Markland, seines Besuchs gewärtig, saß. Seine Hand berührte den Drücker. Der Drücker wich. Die Thür sprang auf. Wieder blieb Blanchard ein Weilchen stehen und sah hinter sich, ob nicht etwa einer der Dienerschaft lauschte. Todtenstille rings umher.

Jetzt brach der Uebermuth des Siegers bei Blanchard aus. Er faßte, dreist geworden, die Thür und warf sie weit auf.

Markland wendete sich kaltblütig um und sah ihn an, ohne ein Wort zu sprechen. Wie eine Bildsäule stand Blanchard und starrte ihn an. Er glaubte eine Erscheinung aus jener Welt vor sich zu haben. Sein Blut gerann ihm in den Adern, seine Augen traten, vor Schrecken beinahe aus ihren Höhlen.

So vergingen mehrere Minuten. Dann sprach der Präfect mit fester, unbewegter Stimme:

»Sie haben es doch nicht vergessen, Blanchard, daß ich um zehn Uhr Revision halten will? Gehen Sie. Weiter habe ich nichts mit Ihnen zu sprechen.«

Besser konnte Markland seine Anrede gar nicht wählen. Wie eine Geistermahnung traf sie den schuldbewußten Sünder. Sein Haar sträubte sich, er floh eilend von dannen die Treppe hinab und zum Hause hinaus, ohne sich umzusehen.

Hart an der Hausthür, auf der Straße, traf er auf den Oberst Leclaire, der wie ein Rasender daher gestürzt kam, hochroth im Gesichte vor Eifer und wüthend vor Zorn. Als er Blanchard ansichtig wurde und das Haus erkannte, welches dieser eben verließ, blieb er einen Moment stehen, ballte seine Rechte drohend gegen die obern Fenster und stieß die Worte hervor:

»Geschenkt ist's ihm nicht! Geschenkt ist's nicht, so wahr ich Leclaire heiße! Auch dieser Giseke ist ein Schurke, ein stiller Heuchler, ein Landesverräther! Wissen Sie es noch nicht, Blanchard? Nein? Sie wissen wieder nichts?« schrie er noch wilder als zuvor, die stumme Verneinung des bestürzten Greffiers beantwortend. »Hören Sie, Ihre Zeit ist vorbei, Sie sind verdummt, machen Sie, daß Sie fortkommen. Vorher aber stoßen Sie den Schurken Giseke nieder, wo Sie ihn finden. Hören Sie?«

»Was ist es denn mit Giseke?« schob Blanchard mit Spannung und Neugier dazwischen, als der Oberst jetzt Athem holte. »Sie haben Haussuchung halten lassen? Was hat man gefunden?«

»Ein elender Preußenspion ist der Kerl! Ich sagte es Ihnen schon gestern. Briefcouverte gefunden mit demselben Siegel, wie der aufgefangene Brief. G.M.U. Wissen Sie, was das heißt?«

Blanchard schüttelte abermals stumm mit dem Kopfe.

»Gott Mit Uns!« schrie der Oberst triumphirend. »Unser neuer Spion hat es herausgebracht. Zum Spion taugen Sie nicht mehr, Sie Dummkopf. Aber zum Henker wollen wir Sie noch ein wenig benutzen. Stechen Sie den Preußenfreund nieder, wann Sie wollen. Nieder mit dem verfluchten Emissair, nieder mit ihm. Wir haben nicht mehr nöthig, Rücksicht zu nehmen, seine Schuld ist erwiesen, völlig erwiesen!«

Nachdem er seinem Herzen Luft gemacht hatte, setzte er sich mit dem Ausrufe wieder in Trab:

»Der General hat uns zusammenberufen; was mag es geben? Couriere sind angekommen, das weiß ich schon. Wenn sie uns nur unseren Spaß mit der Brandschatzung nicht verderben!«

Er lachte wie ein Knabe und trottete die Straße hinab.

Blanchard aber rieb sich schadenfroh die Hände.

»Also Giseke zuerst? Immer wird es mir ja nicht mißglücken! Wen mag ich nur gestern in jenes Schattenreich gefördert haben? Der Präfect ist es nicht gewesen! Ich bin neugierig, wie die Revision ausfällt. Wäre es nicht gut, wenn ich ›meine Ersparnisse‹ zur Deckung aller Unordnungen herliehe? Ich muß mich im Amte zu halten suchen! Es würde der beste Weg sein, dem Präfecten, der leider noch lebendig ist, das Maul zu stopfen. Natürlich, fort muß er, und ich werde mich hüten, zum zweiten Male fehlzugreifen. Wenn ich nur wüßte, wen ich gestern Abend in's Wasser gestürzt hätte! Giseke und Markland! Beide sind mir verfallen!«

Solche Gedanken ungefähr waren es, mit denen Blanchard seinen Weg verfolgte, ungewiß über seine nächsten Entschlüsse, aber sicher, trotz seines jetzigen Mißgeschickes, als Sieger triumphiren zu können, bevor seine Opfer ihre Gefahr ahneten.

Es fiel dem sonst scharfsinnigen Straßburger zuerst gar nicht auf, daß sich nach und nach auf den Straßen ein außergewöhnliches Leben entwickelte, daß Militaircouriere an ihm vorbei sprengten und sämmtliche Officiere auf den Beinen zu sein schienen. Als er es endlich bemerkte, schob er es auf die anberaumte Generalconferenz, von der Leclaire ihm so eben gesprochen, und als sich dann der Verkehr um ihn her zu einem tumultuarischen Gewimmel erhob, da dachte er an die Expedition, die Leclaire rücksichtlich seiner Privatinteressen auszuführen beschlossen hatte. Wiederum rieb er sich schadenfroh die Hände und eilte, ohne weitere Erkundigung nach den Gründe

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