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Neuntes Capitel.
Das Erwachen.

Der Präfect war gerettet. Wolfstein hatte sich mit menschenfreundlicher Beharrlichkeit so lange im Vorzimmer festgesetzt, bis derselbe, bleich und entschlossen zum Aeußersten, heimgekommen war. Es fehlten noch zehn Minuten an vier Uhr. Hinreichend Zeit, um ein Pistol zu laden und es mit dem ersten Glockenschlage der »verhängnißvollen Stunde« an die Stirn zu setzen.

Der Anblick Wolfstein's verjagte die düster'n Bilder, womit er seine Seele zu stählen gesucht hatte. Hoffnungsvoll hob sich sein Blick, der gleich darauf in vollster Dankbarkeit strahlte, als er die benöthigte Summe baar in Händen hielt.

Wolfstein hatte sich eiligst fortgeschlichen. Markland war, wie ein Rasender, nach der Wohnung Leclaire's gestürzt, um noch mit dem letzten Glockenschlage der »verhängnißvollen Stunde« vor ihm erscheinen zu können.

So weit ging Alles gut. Herr Giseke fühlte die Wellen der überreizten Theilnahme sich legen. Wolfstein empfing eine Bürgschaft aus seiner Hand und verließ ihn.

»Er wird nun heute, wie immer, spielen und den kleinen Ueberrest, der ihm vielleicht geblieben ist, als Grundlage eines Gewinnes von beträchtlichem Werthe betrachten. Das ist die gewöhnliche Ausrede der Spieler,« murmelte Giseke, als er sich wieder allein befand. »Ich werde um einige tausend Thaler ärmer und Markland dessenungeachtet nicht reicher werden. Aber es sei darum. Lieber diesen Verlust ertragen, als seinen schmählichen Tod beklagen zu müssen. Ich kann nun ruhig sein. Ist dieser Tag keine Warnung für Markland, so wird er den Tag erleben, wo er es zu spät einsieht, daß sich Gottes Geduld erschöpfen läßt!«

Markland spielte aber nicht. Er saß an seinem Schreibtische und gönnte sich nicht einmal so viel Ruhe, um seine Gedanken auf Dora zu richten. Die Krisis hatte wohlthätig gewirkt und seinem Gemüthe die verloren gegangene Festigkeit wieder verliehen. Sein Entschluß war gefaßt. Noch war es nicht zu spät, seine Geisteskraft konnte das nahe Verderben aufhalten. Weiter ging für jetzt sein Denken nicht. Unmittelbar von Leclaire's Wohnung verfügte er sich in die Präfectur, nahm dort eine oberflächliche Durchsicht der eingegangenen Sachen vor, ließ sich von dem neuen Calculator, der ein Sclave Blanchard's war, den Rechnungsabschluß vorlegen, sagte ihm, daß Blanchard am nächsten Morgen um acht Uhr bei ihm erscheinen sollte und verließ das Lokal so ruhig, als ob nichts geschehen wäre und nichts geschehen würde. Sein Besuch war so kurz, daß keiner der anwesenden Beamten einen geheimen Beweggrund dazu vermuthete. Da er sich hütete, den geringsten Tadel auszusprechen, so ahnte Niemand, daß er beim ersten Blicke die abscheulichsten Veruntreuungen entdeckte, die er natürlicher Weise keinem Andern, wie Blanchard zuschreiben konnte.

Blanchard selbst, der bald darauf im Bureau erschien, hatte nichts Arges. Er sah in diesem Schritte die Folgen eines geheimen Wunsches, das Zerwürfniß wieder ausgleichen zu wollen, welches von Markland's übler Laune herbeigeführt worden war.

Der Präfect arbeitete die ganze Nacht, um sicher zu dem gesattelt zu sein, was er vorhatte. Sein moralisches Unbehagen schwand bei dem Eifer, womit er sich von Neuem seiner Pflicht widmete. Indem er den Muth zeigte, ohne Weiteres seine Gewohnheiten zu ändern, seine Vergnügungen einzustellen, es nicht bei unfruchtbarer Reue bewenden zu lassen, sondern sich mit eisernem Willen zur Thätigkeit anzuspornen, indem er diesen Muth zeigte, bewies er die ihm innewohnende Seelenkraft, die sich elastisch aus den Sturmeswolken erhob, bevor die Schatten des Unglücks, welche auf seinen Lebensweg gefallen waren, ihn gänzlich umhüllen konnten. Dies war jedenfalls das sicherste Zeichen seines Erwachens aus einer Verzauberung, die jede Arbeitslust und Arbeitsfähigkeit in ihm getödtet hatte.

Es warteten seiner schwere Tage. Er leugnete es nicht, daß er sich in einer sehr bedrängten Lage befand, und daß es seiner ganzen Thatkraft bedürfen würde, um die Schwierigkeiten zu bewältigen, die ihm durch seine Nachlässigkeit erwachsen waren. Aber das war es nicht, was ihm Bedenken einflößte. Damit hoffte er fertig zu werden. Es stand ihm ein anderer, weit gefährlicherer Kampf bevor, der Kampf mit Blanchard, dem gewissenlosesten Beamten seiner Zeit. Nur mit Vorsicht und mit Geistesgegenwart konnte er das Ziel erreichen, das, mit der Entlarvung Blanchard's, auch seine Absetzung möglich machte. Vor allen Dingen mußte er seine Schulden bei diesem gefährlichen Manne tilgen. Die Wolfstein'sche Anleihe setzte ihn in den Stand, dies zu bewerkstelligen und zu diesem Behufe hatte er Blanchard zu sich beschieden.

Pünktlich, wie eine Uhr, stellte sich Blanchard bei dem Präfecten ein und wurde, der neuen Einrichtung zufolge, von seinem Diener pflichtschuldigst gemeldet.

Kaum hatte sich die Thür hinter dem Diener wieder geschlossen, so übergab ihm Markland ohne weitere Umschweife den Betrag seiner Schuld und legte zwei Napoleonsd'or, als Zinsen für die wenigen Wochen, darauf.

Das Geschäft war abgemacht. Blanchard schien entlassen zu sein. Er nahm dies auch an und machte Miene sich zu entfernen. Markland kam dem zuvor, indem er ein Schreiben auseinanderlegte und mit sehr mildem Tone sagte:

»Hier ist ein Gesuch der Firma Wollberg. Man bittet darin um Beschleunigung der Zahlung für geliefertes Oel, die noch vom vorigen Winter restiren soll. Wollen Sie so gütig sein, Herr Greffier, und die Richtigkeit dieser Forderung feststellen lassen?«

Blanchard verbeugte sich höflichst und nahm den Brief. Ein leichter Aerger drückte seine Lippen stärker zusammen.

»Hier ist eine Mahnung des Holzhändlers Vogt. Mir ist aber erinnerlich, daß ich schon vor mehren Wochen die Anweisung unterzeichnet habe. Wollen Sie so gütig sein, Herr Greffier, und diesen Mann abschläglich bescheiden? Den Nachweis liefert wohl die Calculatur.«

Blanchard verbeugte sich nicht, sondern sagte mit verbissenem Groll: »Ich entsinne mich nicht, eine Anweisung erhalten zu haben.«

»Das wird sich ja nachweisen lassen,« entgegnete der Präfect ganz ruhig und sehr sanftmüthig.

»Hier nehmen Sie eine zweite Klage über Nichtbezahlung – hier eine Rechnung des Maurermeisters Böhm – hier – und hier – und hier« – er legte ein ganzes Packet Briefe vor Blanchard hin. »Es wird sich diese Unordnung bei einigem Fleiße noch heute abstellen lassen. Morgen früh um zehn Uhr halte ich Revision und hoffe, dann nichts mehr zu finden, was gegen die Ordnung verstößt. Sie haben wohl die Güte, Herr Greffier, und besorgen, daß es in allen Bureaux bekannt wird. Ich handle nach Principien, wenn ich die Beamten nicht mißtrauisch, wie der Dieb in der Nacht, überfallen möchte. Also morgen früh um zehn Uhr halte ich Revision, verstehen Sie mich?«

Blanchard hätte nicht Blanchard sein müssen, um diese Bestellung nicht als eine Drohung anzusehen. Wüthend gemacht durch den Gedanken, seine kleinen Kapitalien, die er durch Unterschlagung dieser Zahlungen erobert hatte, wieder zurückgeben zu sollen, entfernte er sich eilends mit den Briefen, die seine Schuld glänzend documentirten. Die Entdeckung war zu zeitig gekommen. Er hatte gehofft, daß der Präfect mit gewohnter Trägheit Alles liegen und gehen lassen würde, wie es lag und ging. Die Sache kam aber anders. Hingerissen von seinem Aerger schwor er einen Eid, daß diese Revision am nächsten Tage um zehn Uhr nicht stattfinden solle, so wahr er Blanchard heiße.

Sein Verdruß steigerte sich von Minute zu Minute. Es währte gar nicht lange, so kam er zu dem Gedanken, daß Einer zu viel in der Welt sein möchte, und daß dieser Eine, um seines Glückes willen, diese Welt verlassen müsse. Er sah ein, daß der Revision manche andere Ungelegenheiten folgen würden. Er wünschte, seine Stellung zu behaupten. Der Haß that dann das Uebrige. Genug, sein Entschluß war gefaßt, noch ehe eine Viertelstunde zu Ende ging.

Eine Stunde später erhielt der Präfect Markland ein Briefchen, das von einem Mädchen im Hause abgegeben worden war. Es enthielt in laconischer Kürze die Aufforderung, »sich in den Klosterruinen auf dem Berge einzufinden und zwar nach Sonnenuntergang, weil ihn dort Jemand erwarten werde, der, ihn zu seiner Frau zu führen, von dieser ausgesendet sei.«

Ein Freudenstrahl durchzuckte Markland's Herz. Dora war also in der Nähe geblieben? Er hatte die feste Meinung gehabt, daß sie zu einer Verwandten außerhalb des Königreichs Westphalen geflüchtet sei, um jeder Verfolgung und jeder tyrannischen Willkür zu entweichen.

Die Nachricht hatte durchaus nichts Verfängliches. Er lief auch gar keine Gefahr, wenn seine Zusammenkunft mit seiner Gattin bekannt wurde. Seine Spielschuld hatte er getilgt und daß sich Dora seiner leichtsinnig eingegangenen Verpflichtung zu weigern gedrungen gefühlt hatte, das ehrte ihn und sie. Ganz ruhig war er nicht bei dem Gedanken gewesen, daß er ihr die Freiheit eröffnete, ihn verlassen zu können. Der Leichtsinn der Frauen war ja zu entsetzlich groß. Konnte die schöne, fröhliche, junge Frau nicht auch von dem Gifte des Zeitgeistes durchdrungen sein, der jeden Lebensgenuß heiligte und allen Leidenschaften freien Spielraum bot? Die Erkenntniß ihres inneren Werthes war es hauptsächlich, die ihm die Augen über seine eigene Erbärmlichkeit geöffnet und ihn zur Erhebung aus dem Schlamme der Gemeinheit begeistert hatte. Jetzt sollte er seine Dora wiedersehen! Hochauf schlug sein Herz vor Freude. Es war, als kehrten die Jahre der Liebe zurück, wo er vor Sehnsucht nach ihrem Anblicke zu vergehen meinte. Stunden der Erwartung lagen noch zwischen ihm und diesem Wiedersehen und diese Stunden schienen ihm eine Ewigkeit.

Endlich, endlich ging die Sonne unter. Sie beleuchtete mit ihrem letzten Schimmer drei Männer in verschiedenen Räumen, die sich rüsteten zu einem Gange in die stille Nacht hinaus. Daß der Präfect auf den Flügeln der Liebe zu einem Rendezvous mit seiner Gattin zu eilen im Begriff war, wissen wir schon und wir lassen ihn getrost seinen Weg verfolgen bis auf Weiteres.

Allein es liegt uns die Pflicht ob, die Gründe zu erklären, weshalb es der Rath Giseke für nothwendig hielt, dem rauhen Nordostwinde zu trotzen und einen Spaziergang vorzubereiten, der ihn mit dem schnell weichenden Sonnenlichte zugleich dem Westthore der Stadt zuführen sollte. Giseke hatte einen unruhigen, von Geschäftsinteressen und politischen Nachrichten lebhaft bewegten Tag verlebt. Er war spät Mittags zu Hause gekommen und dann beiläufig von der Erzählung der Hausmagd in einen gelinden Schrecken versetzt worden.

Ahnungslos, wie nahe »ihr Herr Rath«, wie Giseke von allen Hausgenossen benannt wurde, bei dem seltsamen Diebstahle betheiligt war, der die ganze Stadt in Aufruhr brachte, schilderte das Mädchen mit keckem Humor die ganze Scene, welche sie mit dem Greffier, den sie sehr wohl kannte, erlebt hatte. Erstaunt hörte Giseke zu. Es war ihm ein neuer Beweis der raffinirten Schlauheit Blanchard's, daß er auf der Stelle die richtige Auslegung eines sonst unerklärlichen Ereignisses gefunden hatte. Unter diesen Umständen war seine Schwester in ihrem Verstecke nicht mehr sicher. Er beschloß, sich mit dem Untergange der Sonne nach der Bleiche hinauszuschleichen, um Dora zur Vorsicht zu ermahnen und weitere Anordnungen zu einer sichern Flucht zu treffen.

Außerdem war es dem Rath Giseke gerüchtsweise zu Ohren gekommen, daß der Oberst Leclaire an einem der nächstfolgenden Tage ausrücken wolle, um in den nahe liegenden Dörfern fouragiren zu lassen. Dieses Gerücht hatte ungeheuere Sensation erregt und war Anlaß zu vielen Befürchtungen geworben. Die ganze Gegend war von den bedeutenden Brandschatzungen ausgesogen. Natürlich zitterten die Bürger bei solchen Nachrichten weniger für das Wohl der Dorfbewohner, als für ihr eigenes. Sie fragten jeden Beamten um Rath, wehklagten schon im Voraus und machten damit die Sache nicht besser. Auf diese Weise vernahm auch Giseke von den Maßregeln Leclaire's das, was man sich einbildete, allein nach der Erzählung seiner Hausmagd wußte er sogleich, daß Leclaire die Streitkräfte der französischen Armee zu seinen Privat-Interessen zu verwenden beschlossen hatte.

Dora mußte fort, ehe der Trommelschlag die Helden zusammenrief, die ein wehrloses, deutsches Weib in die Arme ihres Befehlshabers liefern sollten. Und um seine Schwester zu warnen, hüllte er sich in einen unscheinbaren Mantel, drückte ein kleines Barett von braunem Pelz tief in die Stirn und schritt eifrig dem Westthore zu.

Kurz vor ihm war ein Mann ebenfalls in einem unscheinbaren Mantel, mit einer braunen Pelzmütze, über die Brücken des Westthores gegangen und hatte den Weg nach den Klosterruinen eingeschlagen. Während dieser erste Wanderer sich oberhalb hielt und sogleich nach den verödeten Mauern, die am höchsten lagen, zusteuerte, verlor sich der zweite Wanderer in dem Wege, der am Rande der Ruinen hinlief und sich allmälig nach dem Strome zusenkte. Wir wissen, daß von dort aus ein schmaler, kaum sichtbarer Wiesenpfad nach der Bleicherei ging, und wir erkennen also in diesem Wanderer den Rath Giseke, der sich sorglos in allerlei Gedankenspiele vertiefte, worin sich sonderbarer Weise das holde Bild des Calculator-Töchterchens anmuthig verwebte.

Der Wanderer, welcher sich ganz oben hielt, war natürlich der Präfect Markland. Er sah in seinem geflissentlich einfachen Wintercostüme dem Rathe sehr ähnlich, obwohl er sonst weit schlanker erschien und etwas Affectirtes in Haltung und Gang hatte, das dem Rathe durchaus abging. Sie waren gleich groß, hielten sich Beide stolz und gerade, und was den Unterschied zwischen ihnen ausmachte, das verbarg der graue weite Mantel und die dicke Pelzmütze.

Blanchard, der dritte der abendlichen Spaziergänger, war einen einzigen Moment zu spät am Thore angelangt. Er hatte deshalb den Präfecten nicht vorüber gehen sehen, sondern folgte dem Rathe, in der sichern Ueberzeugung, sein Opfer vor sich zu haben.

Während der Zeit war die Sonne gesunken, ein ungewisses Licht hüllte alle Gegenstände ein und verwandelte sich mit der gewöhnlichen Schnelle eines Spätherbsttags in Dunkelheit, bevor die drei Männergestalten noch die Ruinen auf dem Berge durchschritten hatten.

Blanchard's Phantasie war so ruhig und unbewölkt, als ginge er auf Tugendpfaden. Sein Gehirn arbeitete nur an einem Plane, wie er am nächsten Tage die Zeit und die Gelegenheit benutzen wolle, bevor – er lachte beinahe laut auf dabei – die Revision begann. Seine Wuth hatte sich den Tag über nicht vermindert, sondern war, wie Quecksilber in einer Thermometerröhre, gestiegen bis zum Siedepunkte. Er redete sich ein, daß er gegründete Ursache habe, den Präfecten zu hassen und daß er nur zu dem Mittel erlaubter Gegenwehr greife, wenn er einen Mann aus dem Wege schaffe, der seinem Glücke entgegenhandele. Natürlich war er der Verfasser des laconisch abgefaßten Briefchens gewesen, das er aber keineswegs in der Absicht geschrieben, dem Präfecten ein Rendezvous mit seiner Gattin zu bereiten. Für den Augenblick wußte er den Aufenthalt Dora's selbst noch nicht, war aber gar nicht abgeneigt, sich der Expedition anzuschließen, die der Colonel Leclaire in blindem Eifer wirklich ausgeführt wissen wollte, obgleich Blanchard's Hoffnungen auf Erfolg seit seinem Besuche bei der Flaschen spülenden Hausmagd sehr gemäßigt waren.

Die Dunkelheit nahm zu. Nur Augen, die daran gewöhnt waren, vermochten im Sternenlichte die Gegenstände zu unterscheiden und nur wer den Weg genau kannte, war im Stande, am Abhange des Hügels sicher zu sein, daß er dem Strome, der sich mit seinen schneebedeckten kleinen Eisschollen geräuschvoll dahin wälzte, nicht zu nahe kam.

Giseke kannte den Weg. Er wußte genau die Stelle, wo er sich rechts ab vom Strome nach den Wiesen wenden mußte. Eine Gruppe von Weidengestrüpp und verkrüppelten Erlenbäumchen bezeichnete die Wendung des Weges. Unmittelbar hinter diesem Gesträuche floß der Strom, etwa achtzehn Fuß tiefer, und die Wellen des Hochwassers hatten hier eine Höhle gebildet.

Blanchard kannte diese Stelle sehr gut. Es war das Versteck der Schmuggler, denen er hier die Sachen abnahm, um sie in dem Hause des Acciseeinnehmers, der sein Helfershelfer war, so lange aufzuspeichern, bis er sie in die Stadt bringen konnte. Blanchard wußte auch sehr gut, daß seit einigen Tagen diese Höhlung unter Wasser stand und vermuthete, daß bei dem schnellen Wachsen des Stromes das Wasser bis unter die Bäume getreten sein müßte.

Wenn auch sein Plan nicht gerade auf diesen Zufall gebaut war, so benutzte er doch mit der Entschlossenheit eines guten Feldherrn die Veränderungen seines Terrains und machte sich bereit, das auszuführen, weshalb er seit einer Stunde dem einsamen Wanderer vor ihm auf Tritt und Schritt folgte, immer in dem Glauben, Markland vor sich zu haben.

Der Rath Giseke ahnte nichts von seiner Verfolgung. Sein gutes Gewissen hatte verhindert, daß er sich umsah und umherspähte. Still in sich versunken, von einem Glücke träumend, das er niemals zu erreichen glaubte, ging er vorwärts. Als er auf dem Flecke angelangt war, wo er stehen geblieben, um seine Schwester mit den Augen bis an ihr Asyl zu verfolgen, richtete er seinen Blick mit Interesse hinab auf die Bleicherei. Tiefe Dunkelheit umhüllte die Hütten, nirgends ein Licht, überall eine Ruhe, als wohne dort nirgends ein Mensch. Nur von fern, aus dem letzten und größten Häuschen, das sich seine Phantasie aber denken mußte, schlich sich ein unsicherer Schein bis zu ihm hin. Dort weilte seine Schwester, dort fand er den ehrlichen Mann, dem er seine arme Dora anvertraut hatte. Dort leuchtete ihm das Ziel, auf das er muthig zusteuerte. Ein leichtes Lächeln umspielte seine Lippen, als er dies dachte, es war das Lächeln freudiger Erinnerung.

»Marie« flüsterte er. »Ob sie meiner wohl gedacht hat?«

In diesem Augenblicke hörte er ein Geräusch hinter sich. Eine Faust packte ihn. Mit der Kraft der Verzweiflung fühlte er sich seitwärts geschoben, sein Fuß glitt vom Wege hinab, ein Schuß krachte hinter ihm – mit einem gewaltsamen Rucke vorwärts gedrängt, fand er sich zwischen dem Gesträuche, das Wasser rauschte, es schlug über ihm zusammen. Unter dem letzten Schimmer von Bewußtsein hörte er das Frohlocken eines Teufels, der auf Französisch rief: »Wünsche guten Appetit! Nun halten Sie Revision, so viel Sie wollen!«

Giseke versank. –

*


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