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Achtes Capitel.
Eine deutsche Magd.

Unterdessen erreichte Blanchard athemlos die Zimmer des Colonels Leclaire und stürzte mit dem Freudenschrei: »Wir haben sie, wir haben sie!« hinein.

Leclaire erhob sich sichtlich überrascht.

»Nun? Und wo fanden Sie die Dame versteckt?« fragte er, schadenfroh die Hände reibend. »Allons, bringen Sie Madame herein. Es ist drei Uhr und zehn Minuten. Um vier Uhr erwarte ich den Präfecten.«

»Ja, Monseigneur, wir haben nur erst die Fährte der Dame,« bekannte Blanchard jetzt zaghaft.

»Narrheit! Darüber machen Sie solch' Aufhebens?« fuhr der Colonel auf.

»Mein Gott, ist das nicht aller Ehren werth, daß ich schon so weit gekommen bin,« meinte Blanchard empfindlich. »War Madame nicht spurlos verschwunden?«

»Nun, und wohin ist sie gebracht worden?«

»Nicht gebracht worden, sondern wahrscheinlich allein gegangen,« erklärte Blanchard. »Denken Sie. Ich bin ihr heute früh, kurz nach sieben Uhr, im vollsten Morgennebel begegnet, ohne sie zu erkennen.«

»Was hatten Sie denn da schon auf der Straße zu thun?« warf der Colonel mißtrauisch ein. »Ich will nicht hoffen, daß Sie schmuggeln.«

»Au contraire! Ich bin der Beistand unserer Mauthbeamten,« behauptete Blanchard mit dreister Lüge. »Genug, ich bin überzeugt, daß es Madame Markland gewesen ist, die ich gesehen habe. Allein es ist mir nicht möglich gewesen zu erkundschaften, wohin sie gegangen ist. Denken Sie! Nun sitze ich vorhin in meinem Bureauzimmer, als ein junger Supernumerar im Tone höchsten Erstaunens erzählt, daß doch jetzt Zeichen und Wunder geschähen. Es wäre einer Bauernmagd am Morgen ein ganzer Anzug gestohlen und am Mittag hätte er wieder vollständig am Nagel gehangen. Und was das Beste bei der Sache wäre, der Dieb hätte einen Thaler, einen wirklichen preußischen Thaler in der Rocktasche stecken lassen. Halt, dachte ich, das ist für mich. Ich fragte lachend, wo denn das passirt sei. Die dummen Knaben hören immer nur halb zu, wenn ihnen etwas erzählt wird. Der Supernumerar wußte nur, daß es in der Stadt passirt sei, wollte mir aber sogleich nähere Nachrichten bringen. Und nun, Monseigneur, kommt das Beste. Denken Sie! Auch dem verkleideten Bauernmädchen bin ich wahrscheinlicher Weise begegnet und zwar auf der Brücke des Westthores.«

»Tod und Hölle, und Sie hielten das Dämchen nicht an?« schrie Leclaire. »Welche Dummheit!«

»O – ho! Hätte ich damals gewußt, daß ein Bauernmädchen bestohlen sei, so würde ich diese kluge Diebin schon besser betrachtet haben,« entgegnete Blanchard mit sichtlichem Uebermuthe. »Was thut's aber zur Sache, daß dies nicht geschehen ist. Wissen wir doch, daß Madame in der Nähe sein und Helfershelfer haben muß, sonst wäre der Bauernanzug mit dem preußischen Silberthaler nicht um Mittag schon wieder an Ort und Stelle gewesen. Nach meiner Meinung hat sich Madame mit oder ohne Bewilligung ihres Herrn Gemahles in ein ländliches Asyl geflüchtet. Ich denke sie dort aufzufinden und es wird nicht allzuviel Mühe kosten. Im schlimmsten Falle stehen uns ja einige Compagnien Soldaten zu Gebote, die auf Ihr gegebenes Commando sämmtliche Dörfer vor dem Westthore durchsuchen können.«

Leclaire lachte boshaft.

»Das giebt einen Hauptspaß, Blanchard, und er soll Ihnen auch ein Vortheilchen abwerfen. Was Sie finden in den Schränken der Bauern, das mag in Ihren Beutel gehen, wenn Sie mir in kürzester Zeit die charmante Schöne abliefern.«

»Der Herr Oberst ist stets die Gnade selbst,« erwiederte Blanchard mit schlecht verhehlter Begierde.

»Jubeln Sie nur nicht zu früh, mein Bester!« spottete der Colonel. »Die Spur von Madame Markland könnte sich doch noch ins Wasser hinein verlieren, wie der Präfect zu fürchten scheint. Schade, daß wir ihm nicht die Ueberraschung bereiten konnten, sie hier wohlbehalten anzutreffen.« Er sah nach seiner Uhr. »Es ist halb vier. Mich soll wundern, ob er ein Cavalier von Ehre ist. Um vier Uhr versprach er hier zu sein, um mir meine siebentausend Francs zu bringen.«

Blanchard horchte nach außen, wo sich ein Geräusch hören ließ.

»So groß ist seine Schuld?« fragte er ganz erschrocken. »Wie will er das beschaffen? Mir hat er nichts gesagt, er liegt bei mir auch schon angebunden!«

»Das schreiben Sie nur in den Wind,« hohnlachte der Colonel.

Blanchard's Lippen umspielte wieder das eigenthümlich dämonische Lächeln, das eine innerliche Sicherheit verrieth.

Das Geräusch draußen erneuerte sich. Ein leichter Männertritt näherte sich der Thür und es klopfte. Blanchard und Leclaire tauschten einen widerlich vertraulichen Blick. Ersterer schlich auf den Zehen nach dem Nebenzimmer, um, wenn es der Präfect sein sollte, ein unberufener Zeuge der folgenden Scene zu werden.

Es war jedoch der Präfect nicht, sondern jener Supernumerar, der die Geschichte mit dem »Bauernanzuge« erzählt hatte. Er öffnete ehrfurchtsvoll die Thür ein klein wenig, als der Oberst »herein« rief und fragte nach dem Greffier Blanchard, der ihn hierher bestellt hätte, wenn er günstige Nachrichten zu überbringen im Stande sei.

Begierig nach den Resultaten dieser Forschung, sprang Blanchard sogleich vor und zog den Schreiber mit sich fort in den Vorsaal. Was er dort von ihm vernahm, veranlaßte ihn, sich unverzüglich bei dem Colonel zu beurlauben und den Weg nach dem Hause einzuschlagen, in welchem der curiose Vorfall sich ereignet hatte.

Wir wissen, daß in diesem Hause der Rath Giseke wohnte. Blanchard wußte dies aber nicht. Wir wissen auch, daß der Rath Giseke der Bruder der Madame Markland war. Allein dem Greffier war auch dies nicht bekannt.

Im Fluge durcheilte Blanchard die Straßen der Stadt, fand ohne Schwierigkeit das bezeichnete Haus und trat in den dunkeln Hausflur ein. Der Zufall begünstigte ihn. Die Eigenthümerin des benutzten Anzuges stand an der Hinterthür und spülte Flaschen.

Es war ein derbes, blühendes, tüchtiges Landmädchen mit rothen Backen und blauen Augen, die nicht allein treuherzig, sondern auch listig in die Welt hineinblickten, mit merkwürdig großen, weißen Zähnen, welche bei der leisesten Bewegung ihrer Lippen charakteristisch hervortraten. Zufällig war dies Naturkind eine ganz gehörige Franzosenfeindin. Ihr erster Blick auf Blanchard sprach schon durchaus keine Willfährigkeit aus, ihm Rede stehen zu wollen. Sie warf ihren Kopf verächtlich in die Höhe und wendete ihm den Rücken zu, indem sie mit heller Stimme das Volkslied zu singen begann:

»Es ritten drei Reiter zum Thore hinaus, ade!«

Blanchard war aber nicht blöde. Er legte seine Hand auf die Achsel des Mädchens und sagte freundlich:

»Guten Abend, Mademoiselle. Sie scheinen ja sehr vergnügt zu sein! Sie haben es auch Ursache. Wenn man bestohlen wird und erhält sein Zeug mit einer Vergütung zurück, so läßt man sich schon gern bestehlen und singt dazu! Nicht wahr, Kleine?«

Die Magd warf ihm über die Schulter einen Blick zu, der nicht von Freundschaft zeugte.

»Ein Franzose ist der Dieb nicht gewesen,« sprach sie schnippisch, »sonst hätte ich meinen Rock und meine Jacke gewiß im Leben nicht wieder gesehen.«

»Ei, das kommt doch darauf an, Mademoiselle,« meinte Blanchard mit schmeichelnder Stimme. »Unter den Umständen, wie Ihnen Ihr Zeug gestohlen wurde, hätte ein Franzose wahrscheinlich einen Napoleond'or in die Tasche gesteckt.«

Die Magd hielt ganz verwundert mit dem Flaschenspülen inne und sah Blanchard groß an.

»Hören Sie, Herr Franzose, was Sie da von Umständen sprechen, das ist anzüglich für mich,« antwortete sie grob. »Machen Sie, daß Sie fortkommen. Denn erstens bin ich Ihre Mademoiselle nicht und zweitens habe ich keine Zeit, um mit Franzosen zu plaudern, selbst wenn sie deutsch sprechen. Da ist die Hausthür, verstehen Sie mich?«

Blanchard lächelte und trat so, daß er ihr Gesicht, vom Abendlicht erhellt, vor sich hatte.

»Wie hübsch der Mademoiselle der Zorn kleidet!« sagte er.

Die Magd warf einige Steinchen in eine Flasche, würdigte den Schmeichler keiner Antwort und rasselte beim Spülen, als wolle sie Pauken und Trompeten übertönen.

Blanchard sprach dessen ungeachtet ruhig fort:

»Was für hübsche Zähne die Mademoiselle hat!«

»Ja, zum Beißen! Nehme sich der Herr Franzose in Acht!«

»Und die Augen könnten als Leuchtkugeln dienen! Mein Gott, was habe ich denn der Mademoiselle gethan, daß sie so böse thut. Ich komme ja nur hierher, um Sie zu fragen, ob Sie Madame Markland kennen?«

Er richtete sein Auge mit durchbohrender Schärfe auf das Gesicht der Magd. Es veränderte sich nicht im Geringsten, zeigte weder Bestürzung, noch Erstaunen, sondern die größtmöglichste Gleichgültigkeit, als sie mit Spülen aufhörte und fragte:

»Wen soll ich kennen?«

»Madame Markland, die Frau unsers Präfecten!« sprach Blanchard sehr deutlich.

»Nein,« entgegnete das Mädchen ruhig. »Die kenne ich nicht!«

»Ist sie nicht heute hier im Hause gewesen? Nicht bei Ihrer Herrschaft vielleicht?«

»Mit keinem Fuße,« sagte sie gleichgültig. »Meine Herrschaft hat keinen Umgang mit vornehmen Damen. Aber gehen Sie doch hinein und fragen Sie selbst nach. Was geht mich denn Madame Markland an? Ich habe mehr zu thun, als zu schwatzen.«

Und sie schüttelte mit Vehemenz ihre Flasche als Accompagnement zu ihrer Rede.

»So ein Franzose, der expreß von Frankreich hergekommen ist, um dem lieben Herrgott die Tage und uns das Geld zu stehlen, der bekümmert sich um Alles. So was ist doch noch nicht dagewesen. Kommt hier hergetreten, frägt nach meinem Rock und meiner Jacke, spricht von Umständen, schimpft mich Mademoiselle und redet mir was von einer Madame Markland vor. Na, Mosjö, machen Sie, daß Sie fortkommen, ich bin Ihre Mademoiselle noch nicht und werde es auch nicht werden, verstehen Sie mich? Ich sage es Ihnen zum letzten Male, da ist die Hausthür! Verstande vous, Mosjö?«

Blanchard murmelte etwas zwischen den Zähnen und entfernte sich schleunigst.

Diese Mühe war vergebens gewesen. Die Magd stemmte ihre Hand in die Seite und schrie ihm nach:

»Was murmelt der Herr Mosjö? Nein, so 'was erlebt der Mensch nicht alle Tage. Das muß ich doch meinem Herrn Rath erzählen, wenn er nach Hause kömmt!«

Der Vorsatz war jedenfalls gut, wurde aber leider an diesem Tage nicht ausgeführt, sondern erst später. Dagegen machte Blanchard beim Hinausgehen die unangenehme Entdeckung, daß der Rath Giseke in diesem Hause wohne, wo er eben resultatlose Recherchen nach der Frau des Präfecten angestellt hatte.

Giseke war eben im Begriffe, auf seine Wohnung zuzubiegen, als er Blanchard aus dem Hause eilen sah. Er winkte ihm. Sein Herz pochte ganz bedeutend, indem er ihn dann fragte:

»Suchen Sie mich, Blanchard?«

»Nein, mein Herr!« erwiederte dieser respectvoll, aber sehr kurz.

»Der Präfect,« sagte Giseke unruhig und zerstreut, denn er wußte noch immer nicht, wie die Sendung Wolfstein's abgelaufen war. »Ich glaubte, der Präfect sende Sie! Was macht er?«

»Ich habe den Herrn Präfecten seit heute früh nicht gesehen!« erwiederte Blanchard eben so kurz. Es verlangte ihn durchaus nach keiner weitern Unterredung mit diesem gefürchteten und gehaßten Manne, deßhalb unterließ er geflissentlich eine Berichterstattung der Ereignisse des Morgens, obwohl ihn seine Schadenfreude dazu anregte. Er zog es vor, die unerwartete Audienz auf der Straße eigenmächtig zu beenden und schleunigst das Weite zu suchen, jedoch nicht, ohne sich durch einen zurückgeworfenen Blick zu überzeugen, daß wirklich der Rath in das Haus trat, das er eben verlassen hatte.

Giseke ging so hastig die Treppe zu seinem Quartiere hinauf, daß er von der Flaschen spülenden Magd nicht bemerkt wurde. Oben angelangt, gab er sich ungestüm dem Ausbruche einer lange unterdrückten Aufregung hin. Die Sorge um das Schicksal des Mannes, der von seiner Schwester stark geliebt wurde, veränderte sein ganzes Wesen. Er hatte schon früher, ehe Markland in seine Familie getreten war, bereitwillig dessen Vorzüge anerkannt und den Ruf seiner Liebenswürdigkeit vollkommen bestätigt gefunden, allein es fehlte dieser Anerkennung die nöthige Achtung, um eine freundschaftliche Annäherung zu vermitteln. Er ging schon damals kaltsinnig an einem Manne vorüber, der mit ihm an einem Gerichte arbeitete. Dann aber, als es Markland späterhin geglückt war, das Herz seiner Schwester Theodora zum Treubruch gegen einen ehrenwerthen Verlobten zu verleiten, war ein gewisser Widerwille an die Stelle der Gleichgültigkeit getreten, der ihn abhielt, das Haus seines nunmehrigen Schwagers zu besuchen.

Der Sorge war es also vorbehalten gewesen, die ersten Regungen von verwandtschaftlicher Neigung in ihm zu wecken. Es wurde ihm von Minute zu Minute ein unerträglicherer Gedanke, dem armen jungen Manne in seinem Unglücke nicht nahen zu können. Eine wunderbare Gemüthsunruhe trieb ihn von einem Orte zum andern und wenn er es sich auch tausendmal vorsprechen wollte, daß Markland sein Schicksal selbst herbeigeführt habe, so zeigte sich sein Herz doch willfährig, ihm Alles zu vergeben, um Dora's willen. Er fand, daß die Bande der Verwandtschaft heilig sind und ihren Zoll fordern, wenn die Noth eintritt.

Giseke war schon im Wolfstein'schen Hause gewesen, hatte aber Herrn Wolfstein noch nicht heimgekehrt gefunden. Wo in aller Welt war der Banquier? Beim Präfecten. Ja, dahin hatte ihn Giseke selbst gehen sehen. Aber was hätte er dort so lange zu thun gehabt, wenn nicht – Er mochte den Gedanken gar nicht ausdenken! Die Ehre verloren, die Frau verloren, rathlos, hülflos, dem Hohngelächter der französischen Officiere preisgegeben. Wer konnte es Markland verargen, mit einer Kugel durch den Kopf seiner Qual ein Ende zu machen?

Dahin wäre es also mit einem Manne gekommen, der vom Glück begünstigt, im fünfundzwanzigsten Jahre eine Stellung errang, wonach verdiente Männer gestrebt hatten! So sollte also eine Ehe enden, die in feurigster Jugendliebe geschlossen worden war! Drei Jahre hatten hingereicht, die Seligkeit bis auf den Grund zu erschöpfen, um sie in bitterer Trauer enden zu lassen. Aber war es denn möglich, das Unglück aufzuhalten, das bergab rollend, dies junge, schöne, leichtsinnige Ehepaar vollständig zu zermalmen drohete?

Giseke konnte die Ungewißheit nicht länger ertragen. Schon griff er entschlossen wieder nach seinem Zobelpelz, um nun direct zum Präfecten zu gehen, da öffnete sich die Thür und Wolfstein trat mit freudestrahlendem Antlitze zu ihm herein.

*


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