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Viertes Capitel.
Leclaire.

Es war Ball beim General du Marlé. Der Präfect Markland führte seit langer Zeit wieder zum ersten Male seine Gattin Theodora in die Reihen der Tanzenden und sie strahlte vor Glück, als sie von seinen Armen getragen im Saale dahin schwebte.

Das Paar erregte allgemeines Aufsehen und allgemeine Theilnahme. Die sichtliche Zärtlichkeit, womit Dora zu Markland aufblickte, wenn eine Pause eintrat, und das weiche Wohlwollen, welches Markland gegen seine reizende Gattin zeigte, wurde von allen Seiten bemerkt und besprochen. Die Damen waren entzückt von dem vornehmen Wesen, von der Stattlichkeit des Präfecten, die Herren aber zeigten sich begeistert von Dora's Schönheit, welche durch die Thorheiten der Mode auffallend günstig hervorgehoben wurde. Wer hätte ahnen können, daß sich mitten in dieser Begeisterung eine dämonische Leidenschaft entwickelte, die nur wenige Zeit gebrauchte, um vom ersten Keimen bis zur Blüthe zu reifen.

Der Colonel Leclaire hatte schon mit der gepriesenen Königin des Balles getanzt, als einige Worte über Dora's deutsche, stolze Treue sein Ohr erreichten. Ein höhnisches Lächeln umspielte des Franzosen Mund, als er darauf erwiederte, daß die Frauen Deutschlands nur spröder, aber keineswegs treuer, als anderer Nationen Frauen seien. Damit schien die Sache abgethan, denn es erhob keiner der anwesenden Deutschen Widerspruch gegen diese Behauptung.

Leclaire aber verfolgte mit sonderbarem Blicke das junge Ehepaar, das gleich thörichten, sorglosen Vögeln um die lockende Beere gaukelte und sich der Freude hingab, ohne das Netz zu beachten, das sie unrettbar ins Verderben locken konnte.

So lange ausreichend mit der Eroberung eines stolzen, schönen Mädchens beschäftigt, das sich sehr klug Leclaire's Liebe entzog, um eine Bewerbung herbeizuführen, war unglücklicher Weise gerade jetzt eine gewisse Erschlaffung seiner Bewunderung für diese eingetreten und sein wankelmüthiges Herz öffnete sich bereitwillig einem neuen Eindrucke. Da der Colonel nie gelernt hatte, seine Gedanken und Empfindungen von den Gesetzen der Convenienz regeln zu lassen, so gab er dem ersten Impulse nach, der eine Huldigung so vieler Reize, wie Dora an diesem Abend entfaltete, forderte. Die Manier, womit er dies vollführte, war ein Meisterstück von Plumpheit und vollkommen seines frühern Standes würdig.

Frau Theodora konnte sich sonst einer ziemlich großen Gewandtheit und einer schnellen Fassungskraft rühmen, aber bei der gemeinen Liebeserklärung des Colonel, die er frecher Weise ganz öffentlich machte, verlor sie auf einige Momente alle Haltung. Es bedurfte jedoch nur einer kurzen Zeit, so war ihr Schreck überwunden und sie entzog sich auf eine so feine und gehaltene Weise ihrem exaltirten Anbeter, daß sie in der Achtung aller anwesenden Deutschen stieg.

Die Feinheit in Dora's Betragen wäre dem französischen Oberst vielleicht entgangen, denn es gehörte eine größere Kenntniß der deutschen Sprache dazu, als er besaß, um sie zu würdigen. Allein die Schadenfreude Derer, die er über die Treue der deutschen Frauen zu belehren gedacht hatte, machte es ihm bemerklich, daß er mit seiner unbescheidenen Huldigung abgewiesen war. Sein Blick flammte wild auf. Er suchte seine Entschlüsse zu regeln. Die Hölle triumphirte in ihm und als er nach wenigen Minuten seine Augen wieder auf die junge Frau richtete, da sah Jeder, daß er Pläne gefaßt habe, die ihn seines Opfers sicher machten.

Dora selbst fühlte sich bis in's Herz hinein erschüttert von seinem tigerartigen Blick. Allein schon nach den ersten Touren eines neuen Tanzes beschwichtigte sie sich in der Fröhlichkeit ihres Temperaments mit der sichern Voraussetzung, daß sie von einem Freunde ihres Gatten nichts zu fürchten habe.

Sie erzählte dem Präfecten im Laufe des nächsten Tages von diesem kleinen Rencontre und auch jetzt erinnerte sich derselbe der Warnung des Generals du Marlé nicht.

Am Abend war Dora allein. Sie hatte gehört, daß ihr Bruder, der Rath Giseke, von seiner Reise zurückgekehrt sei und daß er sogleich einen sehr heftigen Wortwechsel mit Blanchard gehabt habe. Markland erzählte ihr auf ihr Befragen davon.

Es betraf die Entlassung eines Subalternen. Was interessirte denn die junge, vornehme Madame Markland ein Calculator? Sie lachte über ihres Herrn Bruders bärenhafte Laune und fühlte nicht die mindeste Lust, ihn wiederzusehen, obwohl schon viele Wochen vergangen waren, seitdem der Zwiespalt ihrer geselligen Ansichten zwei Geschwister getrennt hielt, die sich sonst sehr lieb gehabt hatten.

Der Präfect zeigte sich nicht ganz so leichtherzig bei dieser Gelegenheit, wie sonst. Er konnte sich im Grunde seines Herzens nicht ableugnen, daß er durch seine Maßregeln gegen den alten ehrenwerthen Calculator die erste Veranlassung zu dem Abschiedsgesuche Rüdiger's gegeben hatte. Dazu kam nun noch die Unverschämtheit Blanchard's, womit er ihn in ein Gewebe von Lügen zu verstricken suchte. Blanchard hatte nämlich gewagt, dem Rath Giseke gegenüber die Suspension in Abrede zu stellen und zu diesem Zwecke die betreffende Verfügung, welche vom Calculator verächtlich zurückgewiesen worden war, vernichtet.

»Er hat den Abschied gefordert!« bewies er dem Präfecten, der mißmuthig und mit Stirnrunzeln seiner Berichterstattung zuhörte. »Ich werde niemals zugestehen, daß von unserer Seite Schritte zur Absetzung des Rüdiger gethan sind. Der Herr Präfect werden und müssen sogar diese meine Aussage bekräftigen. Rüdiger ist aus der Stadt verschwunden, Niemand weiß, wo er geblieben ist. Das ist gut, sehr gut! Wäre er nicht so klug gewesen, sich aus dem Staube zu machen, nun, so –«

Er schwieg mit einem satanisch bedeutungsvollen Blicke und mit einer Geberde, die sehr schlimme Deutungen zuließ.

Genug, der Präfect war weder zufrieden mit sich selbst, noch mit Blanchard, als er sich zu einem Gastmahle bei dem Colonel Leclaire rüstete. Er trug das Bewußtsein mit sich herum, daß er in der allerkürzesten Frist das Darlehen an Blanchard zurückzahlen müsse, wenn es nicht ein Handgeld der Hölle für ihn werden sollte. Unter diesen Gedanken hatte er sein Haus verlassen und Dora war allein.

Ein helles, knisterndes Feuer im Ofen verbreitete die behaglichste Wärme im Zimmer, während der Winter seine Macht ungewöhnlich zeitig entfaltete. Ein Buch in der Hand, lehnte die schöne junge Dame, ohne zu lesen, im Sessel und sah gedankenvoll in die Leere. Wie glücklich, wie unbeschreiblich glücklich war sie, indem sie so da saß und träumte! Die Triumphe der Eitelkeit umwogten und umflatterten ihre Seele, und ließen alles Andere, was die Erde noch an reichen, edlen und schönen Freuden bot, werthlos erscheinen. Die Atmosphäre, worin sie jetzt zu athmen gewohnt war, wirkte berauschend auf sie. Sie war das Gestirn des Tages geworden! Sie war die geliebte Gattin des schönsten und liebenswürdigsten Mannes. Sie war von ihren Freunden geachtet, von den Fremdlingen aus fernen Landen, welche die Heroen der Zeit spielten, bewundert. Alles, was in der Vergangenheit ihres Lebens hinter ihr lag, erschien ihr kleinlich und erbärmlich gegen die feenhafte Pracht ihres jetzigen Daseins. Sie war glücklich, unbeschreiblich glücklich, und eine himmlische Zufriedenheit füllte ihr Inneres.

Der Abend rückte vor und die Nacht begann. Dora wurde schläfrig. Sie wartete bis Mitternacht auf ihren Mann, dann ließ sie sich entkleiden und suchte im Traume das Glück weiter zu spinnen. Die Zukunft lüftete ihrem ahnenden Geiste den verhüllenden Schleier. Sie wußte noch nicht, daß Zukunftsträume am trügerischsten sind.

Mitternacht entwich. Des Thurmes Glocke meldete, daß es drei Uhr sei. Dora schlief. Engelhaft ruhig schien ihr Schlaf. Ein süßes Kindeslächeln ruhete auf den rosigen Lippen. Da endlich öffnete sich die Hausthür und ein unsicherer Männertritt schlich die Treppe hinauf. Es war der Präfect, der vom splendiden Gastmahle des Colonel Leclaire heimkehrte.

Wie sah der Mann aus! War er ein Gespenst seines eigenen Ich's geworden?

Zerbrochen, gelähmt schlich er von einer Stufe zur andern, immer zögernd, als wenn er viel zu früh bei der jugendlichen Gattin eintreffen würde, immer stehen bleibend, als ob er nicht den Muth habe, ihrem freien, unschuldigen Blicke zu begegnen.

Zuletzt war er doch oben. Zuletzt stand er mit keuchender, schwerbelasteter Brust vor dem Lager, worauf sie in engelgleichem Frieden schlief.

Er neigte sein Haupt zu ihrem Haupte hinab.

»Fürchterlich!« murmelte er kaum hörbar. »Aber sie muß es wissen! Morgen habe ich den Muth nicht! Dora!« flüsterte er.

Sie schlug die Augen auf und lächelte lieblich.

»Nachtschwärmer!« sagte sie.

Seine Blicke hingen mit irrem Ausdrucke an ihr.

»Es ist fürchterlich, was ich gethan,« murmelte er noch leiser; »es ist aber noch fürchterlicher, wenn Du es thust!«

Die junge Frau richtete sich schnell auf, warf einen weißen Nachtmantel um sich und sprang aus dem Bette. Markland streckte die Hände nach ihr aus. Sie wendete sich voll Abscheu ab.

»Du hast getrunken, Philibert!« sprach sie tonlos und rang die Hände.

»O, wäre es doch wahr! Wäre es nur ein Rausch!« rief er, zitternd die Hände vor's Gesicht drückend. »Ich bin nicht trunken, Dora; ich bin nur wahnsinnig vor Reue!«

Vorsichtig und mißtrauisch prüfte sie seine Bewegungen; dann näherte sie sich ihm zaghaft.

»Sage mir, was Du gethan, Philibert,« bat sie leise. »Hast Du wieder hoch gespielt?«

»Ja! Ja! Sehr hoch! Um mein Glück! Um meine Ehre!« bebte es von feinen Lippen.

»Wie hoch beläuft sich Deine Schuld, armer Mann?« fragte sie beherzter.

»Sie ist unbezahlbar!«

»Wem schuldest Du sie?«

»Dem Colonel, dem verruchten Leclaire! O, wie er mich hetzte! Ich war sein Opfer! Der General warnte mich! O, wie er mich vorwärts trieb, immer sein Ziel vor Augen!«

»Der General du Marlé warnte Dich? Warum achtetest Du seiner Warnung nicht?« fragte sie strafend. »Wenn du Marlé Dich zu warnen für nothwendig hielt, so war es sicherlich die höchste Zeit!«

»Leclaire's Hohn hetzte mich vorwärts! Ich konnte sein höllisches Vorhaben nicht ahnen!«

»Und Du verlorest Alles, Philibert, Alles?« fragte sie traurig.

»Alles! Meinen Credit, meine Ehre, mein Glück!«

Sie trat an ihn heran, strich mit ihrer weichen Hand über seine Stirn und sagte beschwichtigend: »Schlafe nur erst! Im Grauen der Nacht ist Alles düsterer. Morgen beim frischen Sonnenlichte sollst Du mir Deine ganze Noth klagen, dann wollen wir überlegen!«

Er sah sie entsetzt an.

»Dora,« stöhnte er. »Hätte Leclaire Recht? Du könntest – Du könntest – überlegen? Laß uns doch lieber zusammen sterben!«

»Darum noch nicht!« erwiederte sie sorglos.

Markland aber warf sich nieder zu ihren Füßen. Sein bleiches Gesicht zeigte einen wahrhaft erschütternden Ausdruck.

»Gott im Himmel, wo hatte ich denn meine Sinne! Er trieb mich! Er trieb mich! Ich hatte Alles verloren. Ich hatte rund herum geborgt; ich hatte nichts mehr, gar nichts mehr. Keine Uhr, keinen Ring; er hetzte mich, wie man ein Wild hetzt, um es zu tödten. Alles, was ich an ihn verloren, warf er auf einen Haufen und schrie mir zu: Dies gegen Ihre Frau!«

Dora's Augen wurden starr; ihre kleinen Hände ballten sich krampfhaft, ihre Zähne bissen sich gewaltsam aufeinander.

»Und Du spieltest fort?« drang es kaum hörbar zwischen den Lippen hervor.

»Er hetzte mich zum Tode!« klang es matt aus Markland's Munde. »Ich wollte fort! ›Mein Glück sei ja sicher,‹ schrie er mir zu. ›Ich würde Alles wiedergewinnen.‹ Ich sah ihn fragend an. Ich glaubte, sein Herz rühre sich. Der General warnte – ich verlor

Nicht ein Laut unterbrach die entsetzliche Stille, die jetzt eintrat.

Von Dora's eiskalten Wangen rollten eiskalte Thränen.

»Nur acht Tage –« flüsterte dann Markland geisterhaft leise. »Du würdest ihn gern mit mir vertauschen! – Laß uns sterben, Dora!«

»Meine Verachtung wird ihn für seine schändlichen Worte strafen!« war die Antwort der jungen Frau, die sich schaudernd in ihren leichten Mantel wickelte.

»Und dann ist Dein und mein Verderben gewiß! Der General sagte mir selbst, daß uns nicht zu helfen wäre –«

»Wer kann mich zwingen!« rief Dora stammend vor Zorn.

»Laß uns sterben!« bat Markland mit der Mutlosigkeit des bösen Gewissens.

»Nein! Mein Leben ist mir zu lieb, um mich Deiner unsinnigen Spielwuth und der abscheulichen Intrigue zu opfern.«

»Der General meinte, daß ich Dich weder durch Geld noch durch Gesetze schützen könne.«

»Das wäre! Wir sind in Deutschland! Du kannst mir freilich keinen Schutz versprechen, denn Dein Ehrenwort gebietet. Ich werde mich selbst schützen! Sei ganz ruhig! Ich werde Dir keinen Vorwurf machen. Sieh zu, wie Du mit Deinem Gewissen fertig wirst!«

Dora erhob sich. O, wie ihr Herz klopfte, wie ihr Gesicht glühete, nachdem der Schmerz den starren Hauch des Entsetzens von ihrem Innern geschmolzen hatte. Ihr war zu Muthe, als hätte sie im Uebermuthe ihres gepriesenen Glückes Phantome heraufbeschworen, die sich in Nichts auflösen müßten, wenn sie nur muthig genug sei, denselben ins Antlitz zu schauen. Ihre Angst trieb sie hinweg von Dem, welchem sie mit Vertrauen das Wohl ihrer Jugend übergeben hatte. Sie floh vor dem Geliebten, der sie einer Entehrung überantwortet hatte, indem er ihren Besitz einem andern Manne verpfändete. Es war gewiß das furchtbarste Erwachen, das sich ein sterbliches Wesen nach solchen befriedigenden Phantasiebildern denken kann, wie sie sich noch vor wenigen Stunden entworfen hatte. Sie floh in ihr Zimmer, um allein zu sein, um den Jammer ihrer Brust austoben lassen zu können. Sie floh die Gemeinschaft mit Dem, welcher sie verrathen und verkauft hatte!

Der Morgen tagte, als sie sich todtmatt aufraffte aus ihrem verzweiflungsvollen Grame. Sie war unter dem convulsivischen Ringen ihrer Seele inne geworden, daß sie zu Gott, dem Erbarmer flüchten müsse, wenn sie nicht eine Beute der gehässigsten Empfindungen werden wollte. Wie Gott, der Erbarmer, dem Fehlenden vergeben sollte, so wollte sie ihrem Gatten Vergebung angedeihen lassen, wenn er den Weg des Verderbens auf der Stelle zu verlassen gelobte. Erhoben von dieser Idee, erfüllt von gnadenreicher Liebe, hingegeben der himmlischen Milde, wie verzeihende Zärtlichkeit sie verleiht, trat sie leise ein in das Schlafgemach. Sie glaubte einen trostlosen, reuigen Sünder Ruhe in's Herz gießen zu müssen, ein zermalmendes Gefühl der Empörung durchfuhr aber ihre Brust, als sie den Gatten bequem auf seinem Bette hingestreckt, schlafend fand.

»Er schläft!« flüsterte sie mit herzzerreißendem Ausdrucke. »Er schläft! Er kann schlafen – er kann schlafen!«

Ihre Kraft brach einige Minuten lang zusammen. Dann warf sie sich vor Gottes Angesicht zu Boden und betete: »Hilf mir, denn ich stehe allein und verlassen in dem wüsten Welttreiben! Erleuchte meinen Geist, damit ich das Rechte wähle, was mich retten kann!«

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