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Siebentes Capitel.
Schuld und Buße.

Wir kehren nun zu dem Manne zurück, welcher durch einen unverantwortlichen Frevel sein schönes, junges Weib verloren hatte.

Der Tag war schon ziemlich hoch gestiegen und, beiläufig gesagt, seine Gattin längst in ihrem Asyle angelangt, als der Präfect endlich aus seinem tiefen Schlafe auffuhr und mit gänzlich verstörtem Wesen ringsum schaute, als wisse er nicht, wo er sich befinde. Erst nach und nach kehrte die Erinnerung an geschehenes Unheil in ihn zurück, und als es dann klar in ihm tagte, da sprang er, von furchtbarer Angst erfaßt, aus dem Bette.

»Wie sie retten? Wie mich retten?« murmelte er, weit lebhafter und schneller seinen Anzug bewerkstelligend, als sonst. »Schande überall! Schande! Jesus, wie mich retten, wie meine Dora seinen Klauen entziehen?«

Indem er im Begriffe war, die Thür zum Wohngemache höchst eilig aufzureißen, hörte er Blanchard's Stimme im Vorflur.

»Auch der?« flüsterte er. »Wohin ich sehe, nichts als Schmach, nichts als Schande. O Dora, Dora, was wirst Du sagen! Wirst Du mich nicht verachten?«

Rasch trat er in ihr Zimmer. Es war leer. Der Frühstückstisch war nicht servirt. Das Feuer im Ofen nicht angezündet.

Markland zog die Klingel. Das Kammerzöfchen erschien, ihr folgte die Küchenmagd mit glimmenden Kohlen auf der Schaufel, die sie geschickt unter dem aufgeschichteten Holzhaufen im Ofen arrangirte. Das Feuer loderte hell auf und die Zofe beschäftigte sich mit dem Arrangement des Frühstückstisches.

»Wo ist meine Frau?« fragte der Präfect ungeduldig.

Die Zofe hob ihr Näschen sehr keck und verwunderungsvoll in die Höhe.

»Gnädige Frau schlafen ja noch!« sagte sie spitz und spöttisch.

Der Präfect sah sie an und blickte dann im Zimmer rundum, als wolle er sagen, daß allerdings hier ihre ordnende Hand noch keine Behaglichkeit hergestellt habe.

»Im Schlafzimmer ist meine Frau nicht mehr,« entgegnete er mißmuthig. »Freilich hier scheint sie auch noch nicht gewesen zu sein; ist sie wohl nicht im Vorrathszimmer?«

»Nein, die gnädige Frau hat das Schlafzimmer noch nicht verlassen, darauf kann ich schwören,« betheuerte die Zofe, merklich spottlächelnd, weil sie glaubte, der Herr Präfect habe noch nicht hinlänglich ausgeschlafen, um sehen zu können.

Sie bewerkstelligte durch ihre Worte, daß Markland, wirklich unsicher gemacht, rasch in das Schlafgemach zurückeilte und mit Hast die dunklen, seidenen Gardinen zurückschlug. Dora war nicht da, weder in ihrem Bette, noch auf dem kleinen Sopha, worauf sie zuweilen einen kleinen Nachschlummer zu halten pflegte.

»Suche meine Frau!« herrschte der Präfect die Kammerzofe an.

Er glaubte, Dora wolle ihm ausweichen. Da aber die Zeit drängte, so mußte er sie sprechen, ehe Leclaire kam, um ihr »die Aufwartung zu machen«, wie er mit beleidigendem Hohne versprochen hatte.

Die Zofe suchte, natürlich aber vergebens. Die Dienerschaft begann zu suchen. Markland durchstrich mit Todesangst alle Zimmer, stürzte endlich wie ein Rasender treppauf, treppab, rufend, bittend, wehklagend, das ganze Haus in Aufruhr bringend, vergeblich!

»Hat Niemand sie gesehen? Wie kann sie sich entfernt haben, ohne gesehen zu sein? Wohin ist sie gegangen? Mein Gott, wo ist sie geblieben?« fragte er wild durcheinander.

Kein Mensch konnte ihm diese verzweiflungsvollen Fragen beantworten. Dora war spurlos verschwunden.

Rathlos warf sich der Präfect endlich in den Sessel, der vor Dora's Nähtisch stand, und barg trostlos sein Gesicht in beiden Händen, als wolle er nun nichts weiter hören und sehen, von dem, was um ihn her geschah.

So traf ihn der Colonel Leclaire, der sogleich die erste Morgenstunde, die sich zur Visite eignete, benutzen wollte, um sich mit Schadenfreude an der Verlegenheit eines Ehemannes zu weiden, der so thöricht gewesen war, sein reizendes Weib auf eine Karte zu setzen. Er war schon unterrichtet worden von der Verwirrung im Hause, glaubte aber nicht recht an die Wahrheit eines Verschwindens, das von der Dienerschaft unbemerkt geblieben sein sollte. Seine Laune war also auch nicht die beste, als er beim unangemeldeten Eintritt in's Familienzimmer Markland's mit höhnendem Tone ausrief:

»Wollen Sie mit mir Comödie spielen, mein Herr Präfect? Bemühen Sie sich nicht, mir Scenen aufführen zu wollen, deren Ende ich durchschaue. Wir kennen das, mein Herr! Blanchard hat mir im Vorzimmer die ganze gut gespielte Affaire erzählt. Jetzt bemühen Sie sich aber gefälligst nicht weiter mit Redensarten, sondern thun Sie nach Pflicht und Schuldigkeit, wie es Ihnen die Gesetze der Ehre vorschreiben. Wo haben Sie Ihre schöne Gemahlin versteckt? Heraus mit dem Geheimnisse!«

Schon beim ersten Worte des Colonel, gleichsam vom Klange dieser tief verhaßten Stimme wie electrisch berührt, hob Markland seinen Kopf empor und sah den französischen Offizier starr und abwesend an. Er verstand und begriff nicht, was derselbe sprach. Wie hätte er auch darauf verfallen können, daß man die Ehrlichkeit seines Schmerzes bezweifelte.

»Was hat Blanchard?« fragte er verwirrt. »Weiß Blanchard, wo meine Frau ist?«

Leclaire heftete jetzt seinen Blick schärfer auf ihn. Ihn überfiel ein Zweifel. Das schien kein Spiel zu sein. Furcht und Verzweiflung drücken ihren Stempel zu unverkennbar auf das menschliche Angesicht, wenn das Gefühl wahrhaft ist. Aber mit der Ueberzeugung von Markland's wahrem Schmerze stillte sich der Zorn des Colonels nicht. Im Gegentheile, er loderte heller auf, als er sich von der Flucht der hübschen Frau dupirt und dadurch tödtlich beleidigt fand. Vielleicht hätte er sich eher durch eine kluge und sanfte Beredung Dora's zu milden Maßregeln umstimmen lassen, jetzt aber erhob er die zwischen ihnen schwebende Frage zu einer Wichtigkeit, die Alles fürchten ließ. Sein Auge begann zu rollen und zu leuchten gleich dem besten Ungewitter und er schrie mit einer Stimme, als wolle er Todte auf erwecken:

»Weiß Ihre Frau, was für Verpflichtungen Sie gestern eingegangen sind?«

Markland's Bewußtsein kehrte bei dieser Frage zurück. Er fühlte, daß er seine äußere Ehre zu wahren hatte, und er sammelte gewaltsam seine Geisteskräfte, um den brutalen Manieren des Emporkömmlings, der mit drohenden Geberden von seinen Ehrenschulden sprach, zu rechter Zeit entgegenzutreten.

»Meine Frau erfuhr noch in der Nacht, zu welchen fürchterlichen Übereilungen ich mich habe hinreißen lassen,« sprach er mit einer Würde und Haltung, die dem Colonel imponirte. »Sie äußerte nichts, was mich auf entscheidende Schritte von ihrer Seite hätte vorbereiten können. Was die Ausgleichung unserer Geldangelenheit betrifft, so haben Sie mein Ehrenwort, daß die Sonne nicht darüber untergehen soll. Erwarten Sie mich um vier Uhr Nachmittags!«

»Und der Hauptgewinn des gestrigen Abends?« fragte Leclaire mit Spott.

Markland zuckte die Achseln.

»Die Lösung dieser Frage muß ich meiner Frau überlassen, da sie weder meine Sclavin noch eine seelenlose Sache ist, worüber mir freie Dispositionsrechte zustehen. Meine Rechte habe ich gottloser Weise verspielt. Sie ist fernerhin mein Eigenthum nur durch freien Entschluß und kann ohne Hinderniß Ihr Eigenthum werden. Ich fürchte jedoch, sie wird uns Beide verachten und wir werden sie nie wiedersehen!«

»Denken Sie, daß Madame sich das Leben genommen hat?« fragte Leclaire mit frivolem Lachen.

Der Präfect schauderte vor der ausgesprochenen Idee, die er längst im Stillen gehegt hatte, zurück. Er legte tief athmend die Hand auf die Brust.

»Meinen Sie, daß Madame in's Wasser gesprungen ist?« fügte der Officier voller Hohn, hinzu, als er diese Bewegung bemerkte. »Trösten Sie sich, das Wasser ist zu kalt für solch' Vergnügen! Ich werde meine Vigilancen auf diesen Punkt richten! Wetten wir, daß ich Ihnen um vier Uhr, wenn Sie zu mir kommen, Ihre theure Dora in Person in meinen Armen präsentire!« schloß er mit einem cynischen Gelächter.

Markland mußte diese unverschämte Andeutung ruhig hinnehmen. Er that es mit dem Anstande und mit dem Muthe eines Mannes, der zur Sühnung seines Vergehens den Tod nicht scheut. Der Glanz seines Auges verrieth die innere Empörung, sonst blieb er unbeweglich.

Als Leclaire sah, daß er sich vergebens bemühen würde, ihn zu reizen, verließ er ohne alle Ceremonie das Zimmer und sprang trällernd die Treppe hinab, im Innersten seines Herzens blutige Rache schwörend.

Unten im Hausflure traf Leclaire sämmtliche Hausgenossen des Präfecten um Blanchard versammelt, der sich bemühte, nach den verschiedenartigen Aussagen und Vermuthungen, eine Spur der verschwundenen Dame aufzusuchen. Jeder der Umstehenden zeigte sich gern bereit, seinem erheuchelten Bedauern Rede zu stehen. Einer wollte in der Nacht Tritte und Wehklagen gehört, ein Anderer eine weiße, händeringende Gestalt die Treppe hinabeilen gesehen haben. Ein Dritter meinte bedenklich, daß er glaube, um sieben Uhr sei die Thüre leise geöffnet und eben so leise wieder geschlossen.

Blanchard sah bei diesem Berichte aus, als ginge ihm ein Licht auf und da in diesem Momente der Colonel Leclaire singend die Treppe herabhüpfte, so eilte er ohne Weiteres auf ihn zu und flüsterte:

»Ich habe die Fährte der Dame entdeckt. Geduldigen Sie sich bis Mittag, dann bringe ich Ihnen Bescheid, wo sie ist.«

»Zweihundert Napoleonsd'or, wenn Sie Wort halten!« entgegnete Leclaire. »Das heißt, wenn Sie mir das Liebchen lebend in die Arme liefern.«

»O freilich, lebend!« versprach Blanchard lachend. »Ich habe sie gesehen, habe sie aber leider nicht erkannt, müßte aber nicht Blanchard heißen, um nicht herauszuspioniren, wohin die Dame ihre Schritte gewendet hat. Bei Gott, ich bringe sie Ihnen!«

Da diese Uebereinkunft französisch abgemacht wurde, so verstand das Dienstpersonal des Präfecten wenig davon. Als aber der Officier laut auflachend jetzt zum Abschied winkte und dabei die Worte hervorstieß: »Wohl, sehr wohl, mein Bester! Der Herr Präfect und seine Frau Gemahlin sollen Respect vor mir bekommen!« da begriffen die Leute, um was es sich handele und sie wechselten ganz verstohlen sehr bedenkliche Blicke untereinander.

Wie wir schon früher andeuteten, der Präfect war im Allgemeinen sehr beliebt. Auch seine Dienstboten bewiesen sich ihm stets anhänglich. Sein gewinnendes Aeußere, die leichte fröhliche Manier, womit er sich selbst und Andern Absolution für alle Unterlassungssünden ertheilte, seine Leutseligkeit und Zugänglichkeit, so wie die unverkennbare Herzensgüte, die leider in Schwäche ausgeartet war, das Alles zusammen, mit einem wirklich noblen und imponirenden Wesen verbunden, machte ihn zum Lieblinge Derer, die gern zur Dienerschaft eines vornehmen Herrn zählen. Diesem Umstande verdankte es denn der Präfect, daß er innerhalb der nächsten Stunde von allen Seiten leise und vorsichtige Warnungen erhielt, die ihm kund thaten, es sei zwischen Blanchard, dem Greffier der Präfectur, und Leclaire, dem hoffährtigen Colonel, ein Complot zu seinem Schaden geschmiedet.

Zuerst achtete der Präfect der Warnungen nicht. Als jedoch unter dem Einflusse des ernüchternden Unglückes, das so plötzlich über ihn hereingebrochen, sein Geist aus der Lethargie erwachte, in die er durch Gewohnheit und wohlgepflegte Trägheit des Körpers versunken gewesen war, da drängte sich Alles in sein Gedächtniß, was längst mit dunklem Unbehagen seine Seele bedrückt hatte. Was hatte z. B. Monsieur Blanchard immerfort in seinem Hause zu suchen? Er erinnerte sich, ihn schon ganz früh und auch ganz spät angetroffen zu haben, ohne daß er hinreichende Gründe dafür anzugeben gewußt hätte. Was wollte dieser Mensch heute bei ihm? Schon beim Aufstehen erinnerte er sich, seine Stimme vernommen zu haben. Sollte er von seinen Vorgesetzten, wozu er in gehässigem Rückblick auf unangenehme Reibungen absonderlich seinen Schwager Giseke zählte, als Spion benutzt werden? Wollte man ihn stürzen? Es sah seinem Schwager ähnlich, daß er an seinem Verderben arbeitete, da Dora ihn wider dessen Willen geheirathet hatte. Oder verfolgte Blanchard eigene Zwecke?

Mit diesen Fragen beschäftigt, trat er gegen Mittag unversehens in sein Zimmer und fand den Gegenstand seiner Befürchtungen an seinem Schreibtische stehend. Ein nie gefühlter Aerger, der nahe an Zorn streifte, überwallte den sonst so sehr nachsichtigen Präfecten und entriß ihm den herben Ausruf:

»Was haben Sie in meinem Zimmer zu thun? Wer erlaubte Ihnen, in meinen Papieren zu kramen? Ich muß mir Ihre Insolenzen künftighin verbitten!«

Blanchard, der eben im Begriff gewesen war, einige Briefe von wesentlich vortheilhaftem Inhalte zu absentiren, sah sich etwas bestürzt um und trat, von seinem bösen Gewissen geleitet, einige Schritte zurück. Er schien zuerst betroffen und fassungslos zu sein, gewann aber, im Rückblick auf seine, dem Präfecten erzeigten Gefälligkeiten, sogleich seinen ganzen Muth wieder. Indem er eine ehrerbietige Haltung annahm, blieb er regungslos stehen, gleichsam fernere Vorwürfe und Befehle erwartend. Der Präfect warf nur einen Blick auf ihn, allein noch niemals war ihm Blanchard so satanisch in Blick und Geberde erschienen, wie in diesem Augenblicke. Die Gewohnheit, welche Alles ausgleicht, hatte ihn nach und nach blind für den sprechenden Ausdruck dieser Gesichtszüge gemacht, jetzt aber konnte er sich eines unwillkürlichen Schauders nicht erwehren, als sein Auge darüber hinstreifte. Wenn dies Gefühl eine Inspiration war, eine Warnung vom Himmel eingegeben, so kam sie leider zu spät, denn er war diesem Dämon bereits verfallen, das ahnte ihm, trotz seiner wenigen Menschenkenntnis.

Um so mehr trieb ihn sein Stolz an, die Grenze unverzüglich festzusetzen, die von Blanchard künftig respectirt werden sollte. Er ging ohne Umschweife dabei zu Werke und wählte seine bestimmenden Worte bei den neuen Maßregeln nicht eben schonend und rücksichtsvoll. Ein Blinder hätte es sehen müssen, daß diese Anordnungen der Ausbruch eines erwachten Argwohns waren, und Blanchard gehörte keineswegs zu den Blinden. Mit einem unverschämten Lächeln maskirte er die innere Wuth, die seine Brust bis zum Ueberschäumen ausfüllte. Er war, wie alle Emporkömmlinge, empfindlich und ehrsüchtig in Hinsicht auf conventionelle Höflichkeit. Es würde ihn wahrscheinlich weniger verletzt haben, wenn sein Vorgesetzter, den er mit seiner Schlauheit zu beherrschen glaubte, ihn hätte merken lassen, daß er ihn für einen Schurken halte, als daß er ungeahndet die Schmach ertragen mußte, in seine Schranken als Untergebener zurückgewiesen zu werden. Wie konnte er rechtmäßiger Weise gegen einen Befehl remonstriren, der ihm den Eintritt in das Arbeitszimmmer des Präfecten ohne vorherige Meldung untersagte? Es war dies bis dahin ein Vorrecht der Vertraulichkeit gewesen, die zwischen ihm und dem trägen Herrn Präfecten herrschte. Diese Vertraulichkeit sollte also beschränkt werden. Für immer? dachte Blanchard, und ein eigenthümliches Lächeln umspielte seine Lippen bei dieser innerlichen Frage. Er hielt die ganze Scene, die sich abspielte, mehr für das Ueberschäumen einer schlechten Laune, die natürlich genug war, um keine große Verwunderung zu erregen, aber die seine rachsüchtige Gesinnung dergestalt aufstachelte, daß sie Vergeltung heischte. Daß sich ein Charakter plötzlich aus dem Schlamme böser Gewohnheiten erheben und zu seiner ursprünglichen Kraft und Reinheit zurückkehren könne, davon hatte Blanchard keine Ahnung. Er entfernte sich mit spöttisch ehrerbietigem Gruße und verbarg den gährenden Haß sehr geschickt unter respectvoller Artigkeit, trotzdem ihm Markland mit unverminderter Kälte noch einige Befehle ertheilte.

Markland blieb allein. Es war der erste Act von Energie, den er seit Jahren vollführt hatte, und es mußte wunderbar überraschen, eine Entschlossenheit und Würde in dem Aeußern eines Mannes entfaltet zu sehen, der bis dahin von den Fesseln einer unüberwindlichen Trägheit entwürdigt worden war. Lag nicht in dieser Selbsterhebung nach so tiefem Falle eine Garantie für sein edles Innere? Ganz gewiß! Markland war nur durch seine Eitelkeit, durch den Hochmuth seiner Seele in eine gefährliche Geselligkeit verlockt, die ihn entnervte, ohne seinen Geist zu tödten. Es bedurfte einer fürchterlichen Lehre, um ihn diesem wirren Gesellschaftsleben zu entreißen, und ihm die zügellosen Vergnügungen derjenigen Männer vollständig zuwider zu machen, die er im Grunde mehr haßte und verachtete, als er selbst wußte. Er hatte in dem Wahne gestanden, seinem Range dies Leben schuldig zu sein, und er war sorglos bis zum Rande des Verderbens gekommen, ohne die Sündlichkeit seines Treibens einzusehen.

Sein Erwachen aus dem Irrthume wurde von der bittersten Reue begleitet, und diese Reue führte ihn zu einer strengen Selbstprüfung. Mit Beschämung blickte er auf sein vergangenes, weichlich thatenloses Leben zurück. Zum ersten Male machte er sich Vorwürfe über den Leichtsinn, womit er seine Stellung mißbraucht und sein Amt vernachlässigt hatte. Durch diese Selbsterkenntniß war viel gewonnen. Wenn ein begabter, geisteskräftiger Mann erst wirklich zur Einsicht kommt, daß er thörichter Weise seine Zeit vergeudet hat, so kann er, vermöge eines guten, festen Willens, bald das nachholen, was nöthig ist.

Der Präfect zögerte auch keineswegs, einen Anlauf auf seinen Arbeitstisch zu nehmen, und er mußte zu seiner Befriedigung bemerken, daß ihm die Befähigung zum schnellen Arbeiten nicht verloren gegangen war. Der Anfang zur Besserung schien also gemacht zu sein. Ob er jedoch Ausdauer genug behielt, um auf dem Wege fortzuwandeln, der ihm die verlorene Achtung wiedergewinnen konnte, das stand immer noch in Frage.

Nachdem Markland die erste Bestürzung über Dora's Verschwinden überwunden hatte, fand er Trostgründe genug in sich vor, die ihm vorspiegelten, daß es nur ihrer oft bewährten Klugheit zuzuschreiben sei, wenn sie sich heimlich entfernt habe, lediglich um einem Zusammentreffen mit dem Colonel Leclaire zu entgehen. Die schwere Kränkung, die er selbst ihr zugefügt hatte, war nach seiner Meinung kein Grund zu ihrer Entfernung. Seine Selbstsucht verleitete ihn zu dem guten Glauben, Dora für die glücklichste Ehefrau zu halten, da er sich stets als ein nachsichtiger, zärtlicher Gatte gezeigt hatte, immer bereit, ihre Wünsche zu erfüllen und durch schmeichelhafte Huldigungen seine unverminderte Liebe zu beweisen. Daß es noch ein tieferes, schöneres Glück geben könne, welches aber nur fern von dem frivolen Welttreiben gedeiht, daran dachte er nicht.

Ueber Dora's Verschwinden machte sich der Herr Präfect also keine Sorgen weiter, aber die Schwierigkeit, sich aus seiner bedrängten Lage zu retten, die Notwendigkeit, sich innerhalb weniger Stunden eine bedeutende Summe Geldes zu verschaffen, das regte die Denkkraft des armen Mannes mächtig auf. Woher das Geld nehmen, dessen er noch vor Sonnenuntergang benöthigt war? Er hatte vermessen sein Ehrenwort verpfändet. Konnte er also sein Versprechen nicht halten, so blieb ihm nichts weiter übrig, als sich eine Kugel durch das Gehirn zu jagen, und dazu war er fest entschlossen. Sein Eifer am Schreibtisch ist daher erklärlich. Er wollte mindestens versuchen, eine gewisse Ordnung in die ungeheuerliche Vernachlässigung zu bringen, damit bei dem möglichen Fall seines Todes durchzufinden sei.

Es schlug zwei Uhr, als er endlich aufstand und zufrieden mit sich selbst, die Briefe und Acten zusammenband, die er für wichtig genug hielt, um sie mit dem Präfectursiegel vor Mißbrauch zu schützen. Wäre er doch früher schon so vorsichtig gewesen! Danach klingelte er seinem Diener und ließ sich sehr schnell anziehen.

Um halb drei Uhr stand er vor dem Hause eines Mannes, der reich genug war, um ihm helfen zu können. Es kam nur darauf an, ob er ihm helfen wollte. Markland hatte seine Rechnung mit dem Leben geschlossen, deshalb schritt er ohne Furcht und Zagen in dies Haus hinein und verlangte, dem Herrn Wolfstein gemeldet zu werden. Wolfstein war der reichste Banquier der Stadt und mit ihm befreundet. Herr Wolfstein empfing den hochgeehrten Herrn Präfecten mit unverstellter Artigkeit, allein seine Mienen erlitten eine kleine Veränderung, als dieser ihn um ein Darlehn von dreitausend achthundert Thalern bat.

»Sicherheit giebt Ihnen meine brillante Hauseinrichtung,« fügte der Präfect leicht hinzu, um die Wolken der Besorgniß zu zerstreuen, die sich auf Wolfstein's Stirn thürmten.

»Hauseinrichtung, werther Herr?« fragte der Banquier kleinlaut. »Was thue ich mit der Hauseinrichtung, die die Motten fressen? Haben der Herr Präfect kein anderes Pfand? Etwa eine Obligation vom Vermögen der gnädigen Frau Gemahlin?«

»Meine Frau hat kein Vermögen!« sagte Markland sehr kurz, um sogleich jede Erörterung über diesen kitzlichen Punkt abzuschneiden. Das Vermögen Dora's war nämlich schon längst verbraucht. »Wollen Sie mir das Geld nicht auf mein Ehrenwort leihen, so thut es nichts, Herr Wolfstein. Es war nur eine Anfrage, um mein eigenes Gewissen zu beruhigen. Man muß Alles versuchen, bevor man zum Aeußersten schreitet. Leben Sie wohl!«

Er grüßte mit gewohnter Leutseligkeit und Herr Wolfstein erwiederte den Gruß mit der freudigen Ueberraschung, so leichten Kaufes dieser Unannehmlichkeit überhoben zu sein.

Der Präfect verließ das Haus weit langsamer, als er es betreten hatte. Er war um eine Hoffnung ärmer. Er hatte nur noch einen Schritt zum Grabe.

Unschlüssig blieb er einen Moment auf dem Treppensteine des Wolfstein'schen Hauses stehen und bedachte, was zu thun sei. Sollte er noch an eine Comtoirthür klopfen, um eben so wie hier, wegen ungenügender Sicherheit, abgewiesen zu werden? Wozu das? Wozu noch tiefer hinabsteigen, nachdem man tief genug gefallen war?

Und doch blieb er stehen, unschlüssig, ob er eilen solle, sein Leben der Ehre zu opfern. »Der Todte wird bemitleidet, der Lebende wird verdammt, fort!« sagte er endlich zu sich selbst und schritt weiter.

Zwei Männer hatten aber gesehen, daß er mit einem Entschlusse rang, und beiden Männern war es klar geworden, daß seine Anker gerissen waren, daß er planlos auf den Wogen trieb und rettungslos verloren war, wenn ihm nicht Hülfe kam. Der eine der Männer war Wolfstein, der, von Gewissensbissen getrieben, das Fenster öffnete, um dem Präfecten, der so allbeliebt war, nachzuschauen. Der andere Mann war sein Schwager Giseke, der schrägüber in einer Conditorei am Fenster saß und die Zeitung las.

Kaum wendete Markland sein Gesicht, so fuhr Giseke zum Laden hinaus und eilte in Wolfstein's Haus hinein. Wolfstein empfing ihn zitternd.

»Was wollte der Präfect hier?,« fragte der Rath Giseke kurz.

»Halten zu Gnaden – dreitausend achthundert Thaler borgen,« flüsterte er sehr beklommen. »Was thut's mir leid – will ich doch sogleich hinter ihm d'rein, sonst giebt's ein furchtbares Unglück!«

»Sie haben ihm das Geld abgeschlagen?«

»Es war nur wegen der Sicherheit,« stammelte Wolfstein. »Der Herr Präfect brach's Geschäft gar zu kurz ab. Was thut's mir leid! Ich will die Gelder nehmen und sie ihm nachtragen.«

»Thun Sie das! Ich bürge für den Präfecten! Eilen Sie, Herr Wolfstein. Mein Name wird aber nicht genannt! Eilen Sie! Eilen Sie!« drängte Giseke, von Angst erfaßt.

»Gott, was thut's mir leid,« jammerte der Banquier. »Ist's doch ein so lieber Mann, es giebt ein furchtbares Unglück! Ich will's ihm bringen, selbst bringen auch ohne Bürgschaft, ist's doch ein so guter Herr!«

Wolfstein rannte die Treppe hinab, und wäre ganz sicher auf den entgegengesetzten Weg gerathen, wenn der Rath Giseke nicht seinen Arm ergriffen und ihn die Straße hinabgeleitet hätte, die zur Wohnung des Präfecten führte.

»Gott, wenn ich nur nicht zu spät komme,« jammerte der Banquier leise.

»Eilen Sie! Eilen Sie!« flehte Giseke, als er an der Ecke stehen blieb, um von Markland nicht bemerkt zu werden, im Falle er sein Haus noch nicht erreicht hatte. Nur einen Moment warf er spähend seinen Blick die Straße hinab; Markland war nirgends zu sehen.

Niedergedrückt von seinen Befürchtungen schlich er dann den Weg wieder zurück, den er gekommen war. Er hatte erst wenige Schritte gethan, als ein eiliger Tritt dicht hinter ihm hörbar wurde, und ein rasches Athemholen an sein Ohr schlug. Bevor er sich umwenden konnte, flog mehr als er ging, der Greffier Blanchard an ihm vorüber und stürmte in ein Haus hinein, in dem, wie der Rath wußte, der Colonel Leclaire wohnte.

»Blanchard –! Er kömmt von Markland –! Es ist etwas geschehen! Großer Gott, meine arme Dora!« murmelte Giseke. »Es war zu spät! Markland ist das Opfer seines Leichtsinnes geworden!«

*


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