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Zweites Kapitel.
Die Kinder

Was nun die Zahl der Kinder anbelangt, so blieb es unabänderlich bei den vier erwähnten Sprösslingen des Dasselhofes, die, wie es schien, während der ersten Ehejahre ihrer Eltern sich ein dringendes Stelldichein im Leben gegeben hatten; denn im Laufe von sechs Jahren waren sie samt und sonders auf dem Platze und kündigten durch mehr oder weniger auffallende Umstände ihr Dasein und ihren künftigen Charakter an.

Der erste Sprosse, sozusagen der Fahnenträger der kleinen Kompagnie, was ein naseweiser Knabe, der, kaum drei Sekunden ins Buch des Lebens eingetragen, schon ein solches Geschrei vollführte, dass ihn die Amme in die ersten Windeln hüllte und sagte:

»Der wird Lärm in der Welt machen, der wird ein großer Mann, er hat Brust und Lunge für ein Dutzend!«

Man taufte ihn auf den Namen Blasi, wahrscheinlich weil man dachte, zum Berühmtwerden gehöre eben sehr viel Lärm und Aufgeblasenheit, Trommeln und Trompeten.

Das zweite Kind des Dasselhofes war ein Mädchen. Es begrüßte mit leisem Weinen das Jammertal dieses Lebens, ließ sich hierauf das erste Bad, den ersten Schlotzer, den ersten Milchbrei und des Brüderleins Wiege ohne Widerstand gefallen und kündigte auf diese Weise früh genug jenen Charakter des Duldens an, der leider Gottes einem jeden Menschen, vor allen aber einem Frauenzimmer auf der Lebensreise nötig ist. Dieses zweite Kind des Dasselhofes wurde auf den Namen Beate getauft, wahrscheinlich in der frommen Meinung, dass das Schicksal auf den Wortlaut eines Namens höre und glücklich mache, wer sich nach dem Glücke nenne.

Der nächste Stammnachfolger des Schwesterchens war wieder ein Brüderchen, und diesem Brüderchen folgte schon nach Jahresfrist abermals ein Wesen gleichen Begriffs.

Da wir bei den früheren Geschwistern einige erste Lebensakte aufgeführt haben, so sei denn auch hier in Kürze erwähnt, dass der Drittgeborene nach seiner Geburt sich eine volle Stunde Bedenkzeit nahm, ob er es billigen solle, dem Leben anzugehören oder nicht; denn nach flüchtigem Öffnen der Augen schloss er sie fest und, wie es schien, für immer wieder, worauf ihn nur die Rücksicht auf den Kummer der Mutter bewegen mochte, die Gabe des Lebens dennoch anzunehmen. Man taufte ihn ganz im Sinne dieses Vorfalls auf den Namen Victor, dieweil er so gütig war, die erste üble Lebenslaune zu besiegen und der Welt mit seinem Dasein ein Geschenk zu machen.

Merkwürdig genug verschwand im Dasselhofe nach diesem dritten Kandidaten des Lebens das Interesse an den ersten Gebahrungen der Neugeborenen, so dass der arme Nachfolger ein Jahr hernach, als er überhaupt am Leben zu bleiben versprochen hatte, nicht weiter mehr beobachtet und vom Herrn Papa sogar als einer, der schon um einen zu viel sei, mit sauersüßem Lächeln hingenommen wurde. Der so schlecht Empfangene schien daher auch mit seiner Umgebung nicht viele Beziehungen unterhalten zu wollen, wurde ernst und verschlossen, weinte und lachte nur in einsamen Stunden sich das Nötige vor und verhielt sich, etwa wie eine Großmacht fünften Ranges, beobachtend und vor allem seine innere Entwicklung im Auge behaltend. Getauft wurde dieser letzte Mohikan des Dasselhofes auf den Namen Gotthard, freilich ohne dass sich jemand beifallen ließ, er könne bestimmt sein, die übrigen Geschwister einmal wie ein zweiter Gotthard gewöhnliches Mittelgebirge zu überragen.

Das also waren die vier Zöglinge des Lebens, welche im Dasselhofe das Licht der Welt erblickten, nach und nach zur höheren Menschenwürde herangebildet werden und schließlich als Erben des Himmels ein rühmliches Ende finden sollten.

Über ihre spätere Entwicklung viel zu sagen, wird hier umso weniger nötig sein, als wir ohnehin Gelegenheit bekommen, sie in reiferen Jahren als fertige Wesen auftreten und handeln zu sehen; geht es uns doch in solchen Fällen wie den Kindern, die bei allem Interesse, das man ihnen für den Wachstum eines Baumes und dessen Bestandteile beibringt, doch am Ende am liebsten nach der reifen Frucht greifen, die ihnen schön und gut zugleich vom Aste winkt. Nun gingen zwar die Stammbaumfrüchte des Dasselhofes nicht so eigentlich vollkommen aus den Händen des Elternhauses, der mangelhaften Landschule und Mitwelt hervor, allein das soll uns doch im Ganzen das Interesse nicht schwächen, das wir einmal an ihnen nehmen wollen.

Am Jahrestage der silbernen Hochzeit seiner Eltern war Blasi, der Älteste des Dasselhofes, ein kräftig aufgeschossener Bursche mit breiten Schultern, kecken Gesichtszügen und dunkeln, unruhigen Augen; die Ehre der Erstgeburt und die fort und fort weiderholten Versicherungen des Vaters, dass er ihm über kurz oder lang den Dasselhof übergeben und ihn zu der hohen Würde eines so ansehnlichen Hofbesitzers erheben werde, nährte den Schwung seines ohnehin stark cholerischen Temperaments, und die Leute hatten nicht ganz unrecht, wenn sie die Besorgnis äußerten, dass mit diesem jungen Manne, wenn er einmal die Zügel der Herrschaft in Händen habe, nicht freundnachbarlich zu leben sein möge. Blasi war so recht eine Mustererscheinung jener Zwittergattung von Bürger und Bauer, wie man sie bei kleinen Stadtökonomen und größeren Bauern findet, die sich zwischen zwei fest ausgeprägten Ständen in der Schwebe halten und nach Tracht, Lebensart und Bildung weder wirkliche Bürger noch ganze Bauern sind. Beim Vater des Blasi hatten stete Gewöhnung von Jugend auf, ziemliche Bildung, Tracht und Erinnerung fassbaren Anlass geboten, den Stadtbürger auch auf dem Lande noch unverkürzt darzustellen; bei Blasi stützte sich der Bürgersinn mit vagem Hochmut auf die Herkunft und Stellung des Vaters, während Lebensweise, Tracht und Umgang unwiderstehlich zum Landleben hinzogen. Diesen Charakter des Halbbauern zeigte auffallend genug Blasis Benehmen und Sprache, noch deutlicher die Gewandung, welche er trug. So z. B. hatte sein Hut, den er stets gegen ein Ohr geneigt trug, genau die Form des Bauernhutes, nur war er aus feinerem Filz gemacht und ließ den landesüblichen Blumenstrauß über dem Stirnrand vermissen; Blasis Halstuch und Weste unterschieden sich dem Stoffe nach in nichts von denen der übrigen Dorfburschen, nur hatte die Weste einen mehr städtischen Schnitt, und das Halstuch wurde nicht nach ländlicher Sitte bloß einmal um den Hals geschlungen, sondern zweimal wohl anpassend herum gelegt, so dass es unter dem Kinn nur noch einen Kunstknoten, ähnlich einer kleinen Kokarde, bildete. Melden wir noch, dass Jobbe und Rock des Halbstädters vollkommen ländlich waren, das Beinkleid dagegen aus Pantalons bestand und die wohlgebildeten Stiefel gewichst und nicht mit landesüblichem Schweinefett geschmiert wurden, so haben wir ziemlich ausreichend bezeichnet, was zur äußeren Anschauung des Thronfolgers im Dasselhofe nötig ist. Da in Bezug auf die Tracht ein fester Elternwille das Nötige vorschrieb, so blieb auch den jüngeren Brüdern nichts übrig, als die Kleidung Blasis Stück für Stück gleich zu wählen; natürlich hinderte diese äußere Gleichförmigkeit keineswegs, dass sowohl Victor als Gotthard in Bezug auf Gestalt und Charakter diejenige Entwicklung nahmen, welche ihnen durch natürliche Anlage vorgezeichnet war und durch die Erziehung zur Reife gebracht wurde.

Victor entwickelte sich seiner Figur nach in jener übermäßigen, schlanken Länge, welche gemeinhin als lebensgefährlich bezeichnet wird; in der Tat blieb auch bei dem raschen Aufbau seines Körpers die schmale, eingedrückte Brust nicht weg, so dass Victor seiner Erscheinung nach das darstellte, was man gewöhnlich »Fidelbogen ohne Bespannung« nennt. Dies hinderte indessen nicht, dass Victor seine Erscheinung mit dem hageren, blassen Gesicht für eine der vollkommensten hielt, die je aus den Händen der Meisterin Natur hervorgegangen. Ein sanguinisches, fast nervöses Temperament, verbunden mit einigem Mutterwitz erleichterten ihm solche Selbstüberschätzung, und da der junge Mann von Natur nicht gerade mutig war und selten in den Vordergrund zu treten wagte, so verbrauchte seine Einbildung zu Gunsten seiner Schönheit viele glückliche Gedanken im Stillen.

Fügen wir dieser Doppelschilderung noch einige Worte über die Schwester Beate und den jüngsten Bruder Gotthard hinzu, so haben wir wenigstens ein flüchtiges Gesamtbild derjenigen Familie, die uns bald in der Stunde einer großen Begebenheit beschäftigen wird.

Gotthard war in seinem achtzehnten Jahre ein Bursch von mittlerer Größe, nicht gerade stark, aber ebenmäßig wohl gebaut, hatte dunkelblondes, die Linien der Schläfe und des Nackens entlang leicht gekraustes Haar, war still, gerne einsam, oft zerstreut und von seltsamer Vorsicht, wenn es galt, bei Familienauftritten entschieden mitzureden. Er liebte es – und man ließ ihm dieses Sonderlingsvergnügen – oft Monate lang bei fernen Landwirten freiwillige Dienste zu leisten und so bald abwesend zu sein und bald wieder ins elterliche Haus zurückzukehren. Daher kam es, dass man ihn daheim so gut als entbehren lernte und beinahe unbeachtet ließ – mit Ausnahme der Schwester, die, sei es, dass sie sich durch besondere Neigung zu ihm hingezogen fühlte oder mit schärferem Auge in dem länglich runden Gesichte mit dem kräftigen Kinn und der unter vorfallenden Haaren versteckten großen Stirne las, sich gerne unter vier Augen Rat bei ihm erholte oder ihr Herz durch Klagen zu erleichtern suchte, zu denen sie leider Anlass genug fand.

Denn Beate hatte frühzeitig das Unglück gehabt, eine vollständige Täuschung ihres Herzens zu erleben und mit siebzehn Jahren einen Kampf auf Leben und Tod durchzukämpfen, in Folge dessen ihre körperliche Schönheit rasch verblühte und ihr Gesicht nur noch das Bild versteinerten Schmerzes darstellte. In einem makellosen Leben, in rastloser Arbeit, die ihrem Elternhause, solange sie lebte, zu Gute kommen sollte, suchte sie Trost und Zerstreuung für ihr Herz – leider ohne von dieser Mühe die gewünschten Früchte zu sehen oder viel Dank und Freude zu erringen. Denn trotz ihrer bewundernswerten, fast männlichen Bemühung, verbunden mit der gerade nicht lässigen Betriebsamkeit der älteren Brüder, trat das unabwendbare Schicksal ihres Elternhauses von Tag zu Tag drohender heran. Es stand jetzt, wenn nicht bis zur Kante des Schornsteins, doch wenigstens bis zum Ziegeldach in Schulden, deren Zinsen vom Ertrage des Hofes das Beste hinweg fraßen, immer wieder zu neuen Anlehen trieben und bei der unverbesserlichen Verschwendungslust der Elten den drohenden Bankrott im Eilmarsch herbeiführen mussten.

Machte dieser jammervolle Zustand eines schönen Hofes auf die Tochter einen sichtbar schmerzlichen Eindruck, so schienen die Eltern derselben wie die bejahrten Brüder die drohende Wolke nicht sehen zu wollen, die über ihren Häuptern schwebte. Selbst die Heuschreckenplage der immer zahlreicher und frecher auftretenden Gläubiger brachte auf dieselben keine andere Wirkung hervor, als dass der Papa vor jedem derselben behände Reißaus nahm, die Mutter immer unwohl zu Bette ging und manchen Tag genötigt war, ein halbes Dutzend Schmerzanfälle zu bekommen und sich wieder zu erholen. Was den Erbnachfolger Blasi anbelangt, so fand er's unter einer Würde, mit den Gläubigerkanaillen auch nur zu verhandeln, und Victor verlief sich gewöhnlich Späße machend unter das Gesinde, sobald ein Gläubiger zum Vorschein kam.

Aber alle Dinge haben ihre Grenze, und die Stunde der Abrechnung für begangene Fehler ist noch selten ausgeblieben; – dem Dasselhofe erschien die Entscheidungsstunde ebenfalls, es war im Jahre 1832, gerade den 12. Mai, nachmittags fünf Uhr …


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