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Erstes Kapitel.
Die Eltern

Des Tages erinnern sich noch viele Leute, als es plötzlich hieß, der Bürgermeister von Hohengant habe seinem Sohne erlaubt, sich über Land, unters Bauernvolk zu verloben.

Im Städtchen wollten die Leute bei aller Achtung für ihren Gemeindevorstand finden, dass er während dieser Entschließung nicht ganz bei Troste gewesen, und auf dem Land sagte man: Was soll ein Bürgersohn, der gut reden und essen, aber keinen Pflug führen kann, für einen Bauern geben? Zudem hatte im Städtchen manches hübsche Kind auf den Sohn des Bürgermeisters, über Land so mancher wackere Bursche auf die Erbin des Dasselhofes gehofft, und beiderseits hatte man jetzt empörte Mütter, entrüstete Tanten, verstimmte Geschwister und grollende Verwandte hinter sich.

Schon hieraus lässt sich entnehmen, welchen Lärm es damals im Städtchen, wie in den umliegenden Dörfern setzte.

Wäre das Ereignis einige hundert Jahre früher vorgefallen, so hätte es wohl einen gesunden Bürgerkrieg hervorgerufen, in welchem die Bauern das Städtchen, die Bürger aber Dorf um Dorf verheerten, um schließlich mit blutenden Köpfen die ernste Lehre zu bedenken, dass man gelegentlich eben so einfältig handeln könne als mancher große Herr, der aus Ruhmgier oder noch kleineren Nichtswürdigkeiten Krieg erregt und ganze Länder verwüstet. Zum Glücke leben wir jetzt in bedachtsameren Zeiten, und wenn es auch auf Thronen, in Städten und Dörfern noch immer einzelne Streithähne gibt, so ist doch die Liebe zum Frieden stark genug, um den Zänkern rasch in den Arm zu fallen und ihnen das Handwerk zu legen.

Und so kam denn auch trotz der aufgeregten Gemüter die Heirat jenes Hohnganter Bürgers mit einem Bauernkinde ohne Mord und Totschlag zustande, höchstens dass man hie und da einen guten Namen zwischen vier Wänden erbarmungslos zerriss, mit nadelspitzigen Worten nach dem Rücken ehrlicher Leute stach und kurz vor Torschluss noch im Hause des Bürgermeisters wie im Dasselhofe Feuer der Zwietracht legte; aber das Feuer fand keine Nahrung, die heimlich beigefügten Wunden brachten niemand ums Leben, und als Gott den Schaden besah, fanden sich am Hochzeitstische manche freundlich gerundete Gesichter ein, die kurz zuvor noch langmienig das Land durchzogen, um überall Krieg und Unheil zu säen.

Damit freilich ist noch nicht gesagt, dass die Ehe jenes Paares ebenso glücklich ausfallen musste, als man dessen Hochzeit fröhlich beging.

Die Leute im Städtchen hatten prophezeit, dass Bürger- und Bauernkind als Gatten nimmer gut tun würden, und auf dem Lande hieß es warnend, man könne immerhin mehr als ein Bauer wissen und darum doch kein guter Bauer sein; die Folge zeigte, dass in letzterer und nicht in ersterer Bemerkung der Keim des Übels lag, welches später sehr verderblich wurde.

Der Sohn des Bürgermeisters, der ein paar Jahre in der Studie gewesen, auch im Elternhause und im Städtchen gesehen hatte, wie man sich das Leben angenehm macht, hatte wahrhaftig nicht daran gedacht, sich deshalb einen Stand tiefer zu verheiraten, um sich fürderhin Entbehrungen gefallen zu lassen, sein wohlbedachter Plan ging vielmehr danach aus, im Dorfe den Herrn erst recht zu Ehren zu bringen und von gewohnten städtischen Genüssen auf dem Lande herbeizuschaffen, was zu haben war. Also legte er nach der Heirat seine städtische Gewandung nicht ab, musste öfter seinen Ehrengast im Hause, täglich sein gewohntes Stück Fleisch mit Zubehör auf dem Tische haben und gab sich folgerichtig, den geselligen Verkehr betreffend, mit den Bauern der Gemeinde gar nicht oder nur dann ab, wenn es durchaus sein musste oder wenn der Amtmann oder Pfarrer und Apotheker auch zugegen waren.

Denn darauf hielt der neue Dasselherr besonders viel, dass man ihn von »höherer Seite« nicht umging und wenigstens im Dorf als Mittelpunkt der äußeren Ehren und Würden gelten ließ. Um diesen Vorzug recht in Fluss zu halten, wurde nicht bloß die Zugkraft seiner besseren Herkunft ausgenützt, der junge Dasselherr sorgte weislich auch dafür, dass Leute von Stand und Namen stets in seinem Hause einen guten Trunk und Imbiss fanden. Wirklich erzielte letztere Fürsicht nicht nur, dass kein Pfarrer, Beamter oder sonstig Angestellter in das Dorf kam, ohne im Dasselhofe einzusprechen, sondern der Dasselherr hatte auch die Ehre, dann und wann von jenen Potentaten zu Tisch geladen oder, was ihm noch mehr galt, durch einen Extraboten geholt zu werden, wenn man in der Nachbarschaft bei einem Glase Gerstensaft sich's wohl sein ließ.

Man könnte fragen: Was war denn nun aber die Tätigkeit des neuen Dasselherrn, wie er spottweise hieß? Was war sein Amt in Haus und Hof?

Seine Tätigkeit? Sein Amt in Haus und Hof?, müssen wir hinwieder fragen.

Der Dasselherr stand morgens auf, wenn seine Leute längst schon bei der Arbeit waren, zog sich sorgfältig an, bevor er jemand zu Gesichte kam und fragte dann beim Kaffee, freilich mit krauser Stirn und großen Augen, was denn eigentlich los sei heute. Und wenn ihm diese Frage beantwortet war, hieß er die Anordnung gut, sagte, er sei es zufrieden – werde aber selbst und sofort nachsehen!

War nun das Wetter schlecht, dann hatte es so seine Sache mit diesem Selbst und Sofort; denn man konnte fest darauf rechnen, dass er auf keine Weise aus seiner Staatsstube zu bringen war; er schrieb dann gewöhnlich Briefe an hohe Freunde über den kostbaren Abend gestern Abend beim »blutroten Nazi«. War das Wetter gut, dann freilich geschah es wohl nicht selten, dass er eine Stunde lang, aber gar nicht eilig, um seine Felder ging, hier und dort zu seinem Gesinde trat und sie durch unnütze Fragen und Anleitungen in ihrer Arbeit störte.

Um für diesen Geschäftsgang das gehörige Ansehen mitzubringen, hatte er stets ein Paar gewaltige Jagdstiefel an den Beinen und eine Reitpeitschen in der Hand, obwohl die Dienstboten am besten wussten, dass er von der Wirtschaft für keinen Heller was verstand und auch sonst kein Kind beleidigen konnte.

Fast noch leichter als mit der Oberleitung der Wirtschaft nahm es der Dasselherr mit der Führung der Kasse in Bezug auf Einnahmen und Ausgaben. War nur Geld überhaupt vorhanden, so wurde zugegriffen und der Standesehre unbesehen geopfert, ob das Geld für die Wirtschaft nötig war oder nicht; war kein Geld da, so wusste man, dass der Kredit jeden Augenblick volle Hände offen hielt, wobei nur die Vorsicht beobachtet wurde, dass man nie von einem Nachbarn oder Bauern überhaupt, sondern stets nur von etwas entfernt wohnenden Geldleuten oder Juden borgte. Dass auf diese Weise die Wirtschaft nicht gedeihen konnte und der Wohlstand des Dasselhofes in demselben Maße abnahm, als die Familie und der Schuldenstand sich mehrten, braucht wohl nicht beteuert zu werden, und billig muss man fragen: Wie nahmen ein solches Hausen die nächsten Anverwandten, besonders die eigene Freu des Dasselherrn auf?

Was die Schwiegereltern angelangt, so waren sie schon vor der Heirat ihrer Tochter gestorben und mischten sich also nicht mehr in die vergänglichen Dinge dieser Welt. Aber auch der Bürgermeiste von Hohengant, Vater des Dasselherrn, hatte nur ein Jahr lang Zeit, seinen Sohn im Ganzen glücklich zu sehen und manche gute Stunde bei ihm zuzubringen, worauf er mit einer Art Übereilung Amt und Würden niederlegte und das Zeitliche gesegnete. Es blieb also nur die Einsprache übrig, welche von Seiten der Erbin des Dasselhofes gegen die Wirtschaft ihres Mannes erhoben werden konnte; – allein auch diese Einsprache unterblieb, und zwar aus zweierlei Gründen.

Fürs Erste war die Erbin des Dasselhofes das allein am Leben gebliebene Kind ihrer Eltern, und die Erfahrung lehrt gar sehr, was es mit der Erziehung dieser »einzigen Kinder« zumeist für eine Bewandtnis hat. Ist das Vermögen des elterlichen Hauses einigermaßen sicher und namhaft, so wird von diesen einzigen und verwöhnten Sprösslingen die Sorge des Lebens frühzeitig in den Bann getan und ein froher Leichtsinn als Milchbruder in das Haus genommen.

War die Erbin des Dasselhofes schon aus diesem Grunde nicht geartet, einen gewissen Aufwand in ihrem Hause zu verwehren, so kam noch ein zweiter Umstand hinzu, der sie bewog, diesen Aufwand eher zu befördern als zu hintertreiben.

Von Jugend auf war es ihr frommer Wunsch gewesen, wenn sie einmal in die Jahre käme, wo geheiratet werden müsste, dass sie dann auch einen Mann bekäme, der ein wenig höher geachtet würde, als man gewöhnlich einen bloßen Bauern achtet. Nun hatte ihr das Schicksal diesen Wunsch mit einer gewissen Bereitwilligkeit erfüllt, und sie fühlte dankbar genug, um ihre Erkenntlichkeit an irgendjemandem auszulassen. Und wer konnte sich besser zum Opfer ihrer Dankbarkeit schicken als gerade ihr Mann, der, wie sie glaubte, durch seine Gattinwahl auch ihr ein großes Opfer gebracht habe? Anstatt also ihren Mann zu bewegen, alte Standeserinnerungen abzulegen, Bauerntracht anzutun und neben tüchtiger Arbeit manche Entbehrung sich aufzuerlegen, sagte sie:

»Ne, mein Männchen, ne; tu' Du, als wärest Du immer noch zu Hause, lass' Dir's wohl sein und bedenk', man lebt nur einmal, sei und trete immer auf wie Deinesgleichen!«

Er mochte nun wünschen, verlangen und ausgeben, was er wollte, die Frau gab ihm volle Macht dazu, sie selbst besorgte das Wesentliche des Hauskommandos, und damit ihr Anblick, was die Tracht anging, ihrem Männchen nicht störsam ins Auge fiel, so ließ auch sie ihre Röcke immer länger werden, scheitelte ihr Haar und tat noch sonst dazu, was sie nach dem Muster der Pfarrköchin für laufende Mode hielt, so dass man von ihrem Anzug endlich sagte:

»Schön ist er nicht, aber eine Schande gerade auch nicht!«

So fehlte es denn im Dasselhofe nicht an ehelicher Harmonie im Denken und Genießen. Herr und Hausfrau nahmen sichtlich zu an Alter, Umfang und Behagen, ein Häuflein Kinder, vier an der Zahl, drängte sich, ohne viel zu fragen, an das Licht des Lebens und half die Auslagen vermehren, während die Einnahmen fast dieselben blieben.

Hier muss nun freilich ausgesprochen werden, dass der Dasselhof kein gewöhnliches Besitztum war und eine anständige Last ertragen konnte.

Inmitten des Dorfes gelegen, auf einem Hügel erbaut und von hübschen Gärten umgeben, stand er da wie ein Reicher unter Armen, und man hatte Recht zu sagen, er habe leicht so dazustehen – »ein Rittergutshof von Geburt!« Das war er wirklich, und wenn er, wie mancher Rittersmann zur Zeit, kein Volk mehr hinter sich hatte, so war ihm doch ein tüchtiges Gebiet zu eigen und eine Familiengeschichte, die mit der stattlichen Burgruine im Rücken habe zusammenhing und erzählt zu werden verdiente.

Es ist bezeichnend, dass der neue Dasselherr, bevor er den Umfang und Zustand seines Hofes noch ordentlich kannte, schon daran ging, die Wohn- und Wirtschaftsgebäude zu verschönern, obwohl sie noch für lange fest und anständig genug gewesen wären. Besonders das Wohnhaus musste herrschaftlich hervorstechen, was durch ein neues Ziegeldach, grüne Fensterläden und einen frischen, hellgelben Anstrich sattsam erzielt wurde.

»Das Gesicht, das ein Haus den Leuten zeigt, ist da Gesicht der Wirtschaft selber«, sagte der flotte Dasselherr, und es ist nicht zu leugnen, dass er vielen Leuten dadurch Respekt und die Meinung von dauerhafter Wohlhabenheit beibrachte. Dies tat auch in der Folge umso mehr not, als der Wohlstand heimlich immer rascher abnahm und der Hof alle Vorsicht nötig hatte, gute Miene zum bösen Spiel zu machen.

Man sagt, und hat auch recht, es zu behaupten, dass Eheleute, wenn sie lange Jahre in Frieden und Eintracht miteinander leben, eine gewisse Ähnlichkeit in ihren Gesichtszügen erhalten. Und in der Tat war es schwer, das Herrscherpaar des Dasselhofes, nachdem es eine Reihe von Jahren gelebt, geliebt, genossen und sorglos gewirtschaftet hatte, nicht seltsam ähnlich zu finden. Das länglich runde, volle Gesicht, die etwas hängenden Wangen, das genusssüchtige Behagen in den Mundwinkeln, die vielen Fältchen quer über die Stirne, wie sie von der Wellen der Jahre gekräuselt werden, ja auch die etwas abgestorbene Färbung des Gesichtes und der Blick des energielosen Auges glichen sich fast auf ein Haar.

Diese äußere Ähnlichkeit wäre vielleicht noch auffallender geworden, wenn nicht doch in den Charakteren beider Eheleute sich eine kleine Verschiedenheit erhalten hätte. Trotz des körperlichen Umfangs und der grauen Haare war der Dasselherr in seinem fünfzigsten Jahre gelegentlich noch einer seltenen Rührigkeit fähig, und nichts glich der behänden Wirkung auf seinen schwer beweglichen Körper, wenn es etwa hieß, beim roten Nazi sei eben frisch angestochen worden, oder eine Sendung echter Bücklinge sei bei Meiers angekommen. Er war für Augenblicke dann ein anderer Mensch, seine Blicke leuchteten, er ging, die Arme überm Rücken, tiefsinnig und bewegt in seiner Stube auf und ab, und wenn man dachte, jetzt habe er das Losungswort gefunden, um die Welt vor allen Übeln zu bewahren – nahm er Stock und Hut und wackelte den »frischen Neuigkeiten« zu.

Ganz verschieden in solchen Fällen benahm sich seine Frau. Wusste die bequeme Dasselherrin überhaupt nur, dass ihr dieser oder jener Genuss nicht entgehen könne, so bezeigte sie eine Enthaltsamkeit, die geeignet war, Erstaunen zu erregen. Tage lang konnte sie dann, ohne ein Wort zu verlieren, ohne eine Miene zu verziehen, in ruhiger Erwartung des Genusses leben und in dieser Erwartung, die ihren Appetit oft zur Verzweiflung trieb, einen wahren Vorgenuss finden.

Diese Selbstbeherrschung oder glückliche Natur war es auch, die in anderen Fällen recht sichtbar zur Erscheinung kam. Näherte sich zum Beispiel – was gar oft geschah – einer der vielen Gläubiger des Hofes, um, was selten zu erreichen war, ein Stück Kapital oder Zinsen herauszukämpfen, dann war zuverlässig anzunehmen, dass sich der Dasselherr plötzlich eines dringenden Ganges erinnerte, Hut und Stock ergriff und durch ein Hinterpförtchen in das Freie trabte. Seine Frau dagegen, so wenig es ihr auch in den Sinn kam, den oft hart gepanzerten Gläubigern sich zu stellen, ließ es doch gewöhnlich darauf ankommen, dass der böse Gast bis in den Hof, ja bis an die Türe – »jusque à la mer« – gelangte, worauf sie ruhig aufstand, einem Kinde den Auftrag gab, den Gast zu bewirten und zu sagen, der Vater sei ausgegangen, die Mutter krank und zu Bette.« Wirklich war's in solchen Fällen das große Himmelbett in der Kammer, wo sie, bis die Luft wieder rein war und der Gläubiger wohl oder übel zufrieden sich seines Weges scherte, geduldig aushielt.

Solchen Eltern und Umständen gegenüber ist es wohl am Platze zu fragen, wie denn die Familie des Dasselhofes sich ausnahm, wie zahlreich sie war, wie sie erzogen wurde, wie sie lebte und dache und wie sie gedieh.


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