Ferdinand Raimund
Der Alpenkönig und der Menschenfeind
Ferdinand Raimund

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Vierzehnter Auftritt

Vorige. Astragalus aus dem Kabinette.

Astragalus.
Also so werden meine Befehle respektiert? (Zu Sophie.) Was machst du hier? Was hat der Maler hier im Hause wollen? Wir sprechen uns schon noch.

Sopie.
So sei nur ruhig, lieber Mann, dir ist nicht wohl, setz dich doch und nimm Arznei. (Sie reicht ihm das Glas.)

Astragalus (wild).
Wasser will ich, und sonst nichts.

Sopie.
Du mußt, ich darf dich nicht erkranken lassen. So nimm, ich bitte dich.

Astragalus.
Nein!

Malchen.
Lieber Vater, nehmen Sie.

Rappelkopf.
Es gehört wirklich eine Geduld dazu. Ich möcht mich selbst ohrfeigen, aber auf seinem Gesicht.

Astragalus.
So gib denn her. (Er nimmt das Glas.) Hölle, was ist das? der Trank ist trübe. Gesteh, du hast ihn mir vergiftet.

Malchen.
Aber Vater –

Lischen.
Gnädger Herr!

Astragalus.
Da hilft kein Leugnen mehr, der Trank ist Gift.

Rappelkopf.
Ah, das ist noch über den Zichori.

Sopie.
So hör doch nur, es ist ja niederschlagendes Pulver.

Astragalus.
Es ist nicht wahr.

Rappelkopf.
Ich schlag ihn noch ohne Pulver nieder.

Astragalus (wirft das Glas um die Erde).
Ich bin in meinem eignen Haus des Lebens nicht mehr sicher.

Rappelkopf.
Entsetzlich! meine eigenen Worte.

Astragalus.
Mein Weib ist eine Mörderin. Darum herab mit euch, ihr Früchte, die für meinen Haß gereift. (Entreißt Sophien ihre Halskette, woran sein Porträt hängt.) Was trägst du hier am Hals? hinweg damit, du sollst kein Angedenken von mir tragen als den Fluch, womit ich deine Bosheit krönen will. So hör mich denn, du mörderisches Weib –

Rappelkopf.
Genug, genug! das ist der ganze Narr wie ich, ich kann mich selber nicht mehr anschauen mehr.

Sopie (fällt in einen Stuhl).
Ich unglückselges Weib!

Astragalus.
Verlaß mein Schloß, ich will allein hier hausen, und mein Geschäft heißt Menschenhaß. Ich will von dir und von der Welt nichts wissen mehr, verwünsche dich, verwünsch mein Kind –

Rappelkopf.
Nein Sapperment, jetzt wirds mir z'viel. Der Mensch verflucht mir 's ganze Haus.

Astragalus.
Geh hin zu deinem Maler, treib es bunt, wie ein Chamäleon sollst du in allen Farben prangen, werd grün vor Galle, blau von Schlägen, rot vor Schande, weiß vor Kummer, gelb von Fieber, grau vom Alter und –

Rappelkopf (freudig).
Das ist gscheid, jetzt gehn ihm d' Farben aus.

Astragalus.
Doch laß dich nimmermehr vor meinen Antlitz sehen, verleugne mich, ich bin dein Vater nicht –

Malchen (umklammert weinend seine Knie).
Vater, Barmherzigkeit, verstoßen Sie mich nicht!

Astragalus.
Hinweg von mir! (Stoßt sie fort.)

Rappelkopf.
Das leid ich nicht – potz Donnerkeil und Wolkenbruch – Nun hab ichs satt, ich muß mich um meine Familie annehmen. Der Mensch ruiniert mir Weib und Kind. Sapperment! Sie sind kein Mensch, ein Teufel sind Sie, der mich schwärzer darstellt, als ich bin.

Astragalus.
Du kommst mir eben recht, du schändlicher Betrüger! Gib mir Genugtuung dafür, daß du Komplotte hinter meinem Rücken schmiedest. Gib Rechenschaft – (er packt ihn an der Brust) wie mein Vermögen steht –

Malchen.
Zu Hülfe! Onkel!

Sopie (gleichzeitig).
Zu Hülfe! Bruder!

Lischen (gleichzeitig).
Zu Hülfe!

Rappelkopf.
Was? anpacken? Ha, Entehrung! Satisfaktion, Duell!

(Alle Hausleute.)

Astragalus.
Pistolen her!

Rappelkopf.
Kanonen her!

Astragalus (nimmt Pistolen von der Wand).
Hier sind sie schon.

Rappelkopf.
Das wird ein Treffen wie bei Navarin.

Sopie.
Mann, ich bitte dich um alles in der Welt!

Astragalus.
Umsonst!

Malchen.
Onkel, sind Sie doch vernünftig!

Rappelkopf.
Geh weg, ich hab keine Zeit dazu.

Astragalus.
Fünf Schritte sind genug. Wir schießen uns zugleich. Zähl drei!

Sopie.
Versöhnt euch doch!

Rappelkopf.
Wir sind die besten Freund, jetzt sind wir erst auf du und du. Geh fort, ich muß. (Zählt und zielt.) Eins, zwei –

Sopie (fällt in Ohnmacht).
Ach!

Rappelkopf.
Die fallt schon um, ich hab noch gar nicht gschossen.

Malchen.
Die Mutter stirbt!

Rappelkopf.
Sie soll noch warten, sag!

Astragalus.
Drück los!

Malchen (umschlingt ihren Vater).
Ach Onkel, halten Sie, sonst töten Sie zwei Menschen.

Rappelkopf (prallt zurück).
Was? Himmel, jetzt fallt mir was ein, ich kann mich gar nicht duellieren mit ihm! Wir haben nur alle zwei ein Leben. Wann ich ihm erschieß, so schieß ich mich selber tot. Wenn ich jetzt losdruckt hätt, jetzt wärs schon gar.

Astragalus.
Mach fort! warum besinnst du dich?

Rappelkopf.
Nu wenn sich einer da nicht besinnen soll, hernach gehts recht.

Astragalus.
Nur einer fällt, ich oder du.

Rappelkopf.
Das kann nicht sein, wir falln in Kompagnie.

Astragalus.
Gleichviel, es geht auf Leben und Tod. (Zielt.)

Rappelkopf.
Halt, es geht auf Tod und Tod.

Astragalus (geht auf ihn zu).
Warum willst du nicht schießen, feiger Wicht?

(Sophie hat sich indessen erholt.)

Rappelkopf.
Weil mich meine Schwester dauert – ich will sie nicht zur Witwe machen –, und ihr Kind, und ihr Schwager, und die ganze Freundschaft. (Beiseite.) Das ist eine Schande, ich weiß gar nimmer, was ich sagen soll.

Astragalus.
Ich will mein Leben nicht für sie erhalten, und dir will ichs am wenigsten verdanken. Es gilt mir nichts, ich werf ihn weg, den unschmackhaften Rest des altgewordnen Seins, ich brauch ihn nicht.

Rappelkopf.
Wie der mit meinem Leben herumwirft, und ihm gehts gar nichts an.

Astragalus.
Doch deine Feigheit will ich nicht hier dulden, du packst dich fort aus meinem Haus, sonst werf ich dich hinaus –

Rappelkopf.
Jetzt wirft er mich gar aus meinen eignen Haus? Der Mensch spielt noch Ballon mit mir, und bring ich ihn recht in Zorn, so trifft uns alle zwei der Schlag. Ich weiß gar nicht, was er noch immer will, ich sehs ja ein, ich war ein unvernünftig Tier, ein Tiger, drum will ich wissen, was denn jetzt noch kommt. (Habakuk mit einem Brief tritt schnell ein.)

Habakuk (eintönig).
Ein Brief.

Rappelkopf.
Aus Paris? Du Dummkopf!

Habakuk.
Nein, dasmal ist er aus Venedig.

Astragalus (schießt darauf los).
Aus Venedig? her damit!

Rappelkopf.
Her damit! Der intressiert mich selbst. (Will hineingehen.)

Astragalus (fährt ihn an).
Was wollen Sie?

Rappelkopf (erschrickt).
Ja so! Jetzt darf ich meine eignen Briefe nicht lesen. Verdammter Doppelgänger du! (Astragalus wird während des Lesens unruhig und bleich und zittert.) Das muß eine schöne Nachricht sein.

Astragalus (läßt zitternd das Blatt fallen und sagt mit Entsetzen).
Ich bin verloren!

Rappelkopf (fängt zum zittern an).
So bin ichs auch.

Astragalus (sinkt in einen Stuhl.)
Mir wird nicht wohl.

Rappelkopf.
Und mir wird übel. (Sinkt in den gegenüberstehenden Stuhl.)

Astragalus.
Ich geh zugrunde

Rappelkopf.
Ich bin schon hin.

Alle.
Wasser! Wasser!

(Die Weiber sind besorgt. Lischen läuft ab.)

Astragalus (springt auf).
Wasser! Ja, ihr erinnert mich darauf. (Zu Rappelkopf) Du Verräter bist an allem schuld. (Stürzt ab.)

Rappelkopf (springt auch auf).
Nein, mein Schwager ist an allem schuld! Wo ist der Brief? (Liest. Erstarrt.) »Mein Herr, ich berichte Ihnen, daß das Handlungshaus, bei welchem Ihr Vermögen liegt, ge – ge – fallen ist.« Ich lieg schon da – ich streck schon alle vier von mir. (Lischen kommt zitternd.)

Lischen.
Hülfe! Hülfe! der gnädge Herr ist fort, er ruft, er wolle sich ersäufen, er stürzt sich in den Strom.

Sopie.
Mein Mann!

Malchen.
Der Vater!

Alles.
Eilt ihm nach! (Alles stürzt ab.)

Rappelkopf (kann vor Angst nicht von der Stelle).
Halts ihn auf, den unglückselgen Kerl, was der Mensch mit meim Leben treibt! Ich komm aus einen Tod in den andern hinein. (Die Knie brechen ihm.) Ich kann nicht fort, er springt hinein. Er ist schon drin, ich fang zum schwimmen an. (Schleppt sich fort.) Der Himmel steh mir bei, dasmal ein Menschenfeind, in meinem Leben nimmermehr. Verzweiflung, gib mir Kraft, sonst muß ich untergehn. (Ab.)


Fünfzehnter Auftritt

Verwandlung

Freie Gegend vor dem Schlosse. Im Hintergrunde ein tiefer Strom, an der Seite ein hoher Fels.

Alle Hausleute. Malchen. August. Astragalus wird gehalten. Sophie kniet vor ihm. Gruppe.

Chor.
Haltet ihn, haltet ihn!
Seht, er will entrinnen.
Laßt ihn nicht, laßt ihn nicht,
Denn er ist von Sinnen!

(Astragalus reißt sich los und eilt auf den Fels. In dem Augenblick erscheint)

Rappelkopf (und ruft).
Halt!

(Astragalus springt hinab. Rappelkopf fällt ohnmächtig in die Arme seiner Frau und Tochter.)


Schnelle Verwandlung

in den Tempel der Erkenntnis. Hohe Säulen von Kristall mit Gold geziert. Auf der Hinterwand eine große Sonne, in deren Mitte die Wahrheit schwebt. Vor ihr ein Opferaltar. Astragalus' Gestalt, welche in das Wasser sprang, war eine falsche. Dieser zeigt sich nun wie zu Anfang des zweiten Aktes. Mit ihm ideal gekleidete Alpengeister. Rappelkopf hat sich indessen in seine wahre Gestalt verwandelt. Sophie. Malchen. August.

Astragalus (zu Rappelkopf).
Willkommen hier in der Erkenntnis hellstrahlendem Tempel, im wahrheiterleuchteten Saale. Ich sehe dich beschämt und reuergriffen vor mir stehen.

Rappelkopf.
Ja leb ich denn noch? Bin ich denn nicht in Kompagnie ersoffen?

Sopie.
Du lebst noch, lieber Mann!

Malchen.
Sie leben, lieber Vater!

Rappelkopf.
Und künftig nur für euch. (Umschlingt sie beide.) Wenn ich euch nicht zu schlecht bin, daß ihr für mich auch lebt.

Astragalus.
Du hast nun Menschenhaß geschaut und eines Menschenfeindes Ende.

Rappelkopf.
Und ist er denn wirklich hin, dieser verwünschte Lebenskompagnon, dieses Zerrbild meiner Unverträglichkeit?

Astragalus.
Er ist verschwunden wie dein Menschenhaß.

Rappelkopf.
Nu das waren ein Paar saubre Leute, ich bin froh, daß ich sie losgeworden bin. Aber weil Eure Hoheit gar so viel vermögend sind, könnten Sie denn nicht auch etwas über mein verlornes Vermögen vermögen. Damit ich auch meinem Schwager verzeihen könnt, weil er der einzige ist, den ich noch hasse. (Man hört ein Posthorn. Linarius, als Postknecht gekleidet, mit Herrn von Silberkern.)

Linarius.
Hier lad ich meinen Passagier von seiner Wolkenreise ab. Die Alpenluft hat ihm recht gut getan.

Silberkern.
Nu wart, du saubrer Postillon! Herr Schwager, seh ich Sie einmal?

Rappelkopf.
Sie sind mir schon der liebste Schwager, jetzt kommt er erst daher, wenn schon alles vorbei ist. Sie sind an meinem Unglück schuld, ich bin ein Bettler.

Silberkern.
Von einmalhunderttausend Gulden Münze, die ich ohne Ihre Einwilligung bei dem Bankier erhoben habe, bevor das Haus noch fiel. Weil ich Wind bekam und Ihr Vermögen retten wollte, das ich Ihnen hier in Wechseln übergebe.

Rappelkopf.
Ach, das ist ein Schwager, den laß ich mir gfallen, der bringt doch was ins Haus. (Umarmt ihn, Silberkern umarmt Sophie.) Kinder, mein Vermögen, die Menge Wechsel, ich bin völlig ausgewechselt vor lauter Freuden. Herr Schwager, das werd ich Ihnen nie vergessen.

Silberkern.
Zahlen Sie mir lieber meine Angst, die ich Ihretwegen ausstehn mußte.

Rappelkopf.
Ich geh Ihnen die meinige dafür, Sie kommen nicht zu kurz.

Silberkern.
Aber wie hängt denn das alles zusammen?

Rappelkopf.
Freund, das werden wir Ihnen morgen früh erzählen, sonst möcht es den Leuten zu viel werden. Denn ich hab heut schon so viel geredet, daß ich nichts mehr sagen kann als: (zu August) Sie sind mein Schwiegersohn. Nehmen Sie sie hin. Aber Sie sind ein Maler, schmieren Sie s' nicht an. Lieben Sie s' so, wie ich Sie unrechterweise gehaßt habe, dann kann sie schon zufrieden sein.

August, Malchen (zugleich).
Bester Vater!

Rappelkopf (auf den Alpenkönig zeigend).
Dort bedankt euch.

August, Malchen (stürzen zu Astragalus' Füßen).
Großer Alpenkönig, Dank!

Astragalus (mit Rührung).
Ich hab dir gestern einen Kranz versprochen,
Als ich dein Leid im Alpentale sah.
Du siehst, ich habe nicht mein Wort gebrochen,
Das Leid ist fort, der Kranz ist da.

(Er nimmt einen Kranz aus schönen Alpenblumen von glänzender Folio, den ihm einer von den Alpengeistern reicht, und setzt ihn Malchen auf.)

So nimm ihn hin, du Mädchen seltner Art,
Das treulich hält, was liebend es verspricht,
Und weil ich euch so väterlich gepaart,
Vergeßt auch auf den Alpenkönig nicht.

(Geht ab.)

Rappelkopf.
Kinder, ich bin ein pensionierter Menschenfeind, bleibt bei mir, und ich werde meine Tage ruhig im Tempel der Erkenntnis verleben.

Schlußgesang
Erkenntnis, du lieblich erstrahlender Stern,
Dich suchet nicht jeder, dich wünscht mancher fern.
Zum Beispiel die Leute, die uns oft betrügn,
Die wolln nicht erkannt sein, sonst würden s' nicht lügn.

Doch seien vor allen die Schönen genannt,
Die werdn von uns Männern am ersten erkannt.
Die Guten, die brauchen schon längere Zeit,
Obwohl die Erkenntnis dann ewig erfreut.

Die Jugend will oft mit Erkennen sich messen,
Die hat den Verstand schon mit Löffeln gegessen.
Doch rückt nur das Alter einmal an die Reih,
Dann kommt die Erkenntnis schon selber herbei.

Der Mensch soll vor allem sich selber erkennen,
Ein Satz, den die ältesten Weisen schon nennen,
Drum forsche ein jeder im eigenen Sinn:
Ich hab mich erkannt heut, ich weiß, wer ich bin.

Erkannt zu sein wünscht sich vor allem die Kunst.
Die feine Kokette bewirbt sich um Gunst.
Und wird sie auch heute mit Ruhm nicht genannt,
So werde denn doch nicht ihr Wille verkannt!


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