Ferdinand Raimund
Der Alpenkönig und der Menschenfeind
Ferdinand Raimund

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Elfter Auftritt

Verwandlung

Kürzeres Zimmer. Rechts die Eingangstür, links führt eine Glastür nach dem Garten. Auf dieser Seite befindet sich ein massiver altmodischer Tisch und ein Stuhl. Rechts an der Wand neben der Tür ein hoher Spiegel. Neben der Gartentür ein Sekretär.

Rappelkopf kömmt in heftiger Bewegung zur Glastür herein. Sein ganzes Wesen ist sehr auffahrend. Er sieht die Menschen nur auf Augenblicke oder mit Seitenblicken an und wendet sich schnell, entweder erzürnt oder verächtlich, von ihnen ab.

Rappelkopf.
Ha! Ja!

Lied  
Ja, das kann nicht mehr so bleiben,
's ist entsetzlich, was sie treiben.
Ins Gesicht werd ich belogen,
Hinterm Rücken frech betrogen,
's Geld muß ich am End vergraben,
Denn sie stehln als wie die Raben.
Ich hab keinen Kreuzer Schulden,
Bare hunderttausend Gulden,
Und doch wirds mir noch zu wenig,
Es tät not, ich wurd ein König.
Meine Felder sind zerhagelt,
Meine Schimmel sind vernagelt,
Meine Tochter, wie betrübt,
Ist das ganze Jahr verliebt.
Alle Tag ist das ein Gwinsel
Um den Maler, um den Pinsel,
Der kaum hat ein Renommee,
Und vom Geld ist kein Idee.
Und mein Weib, bei allen Blitzen,
Will die Frechheit unterstützen,
Sagt, er wär ein Mann zum Küssen,
Wie die Weiber das gleich wissen!
Und das soll mich nicht verdrüßen?
Ja, da möcht man sich erschießen.
Und statt daß man mich bedauert,
Wird auf meinen Tod gelauert,
Und so sind sie alle, alle,
Ich zerberste noch vor Galle.
Drum hab ich beschlossen und werd es vollstrecken,
Ich laß von den Menschen nicht länger mich necken.
Ich lasse mich scheiden, ich dringe darauf.
Der ganzen Welt künd auf Michäli ich auf.
Die Liebe, die Sehnsucht, die Freundschaft, die Treue,
Mir falln s' nur nicht alle gschwind ein nach der Reihe,
Die lockenden, falschen, gewandten Mamsellen,
Die mich fast ein halbes Jahrhundert schon prellen,
Die lad ich noch einmal zum Frühstück ins Haus
Und peitsch sie, wie Timon, zum Tempel hinaus.

Es ist aus! Die Welt ist nichts als eine giftge Belladonna, ich habe sie gekostet und bin toll davon geworden. Ich brauch nichts von den Leuten, und sie kriegen auch nichts von mir, nichts Gutes, nichts Übles, nichts Süßes und nichts Saures. Nicht einmal meinen sauren Wein will ich ihnen mehr verkaufen. Ich habe Aufrichtigkeit angebaut, und es ist Falschheit herausgewachsen. Es ist schändlich, ich bin auf dem Punkte durch meinen eignen Schwager zum Bettler zu werden. Er hat mich überredet, mein Vermögen einem Handlungshause in Venedig anzuvertrauen, das jetzt dem Sturze nah sein muß. Ich erhalte keine Interessen, keinen Brief von meinem heuchlerischen Schwager, den ich verkannt und der vielleicht im Bunde steht mit dem betrügerischen Volk. Und so täuscht mich alles! alles! Darum will ich keinen Kameraden mehr haben als die zanksüchtige Erfahrung.

Das ist der vorsichtge, weltghetzte Hase
Mit der vom Unglück zerstoßenen Nase,
Mit dem millionmal verwundeten Schädel,
Das ist mein Mann, den behandle ich edel.

Ich hab zu viel ausgestanden in der Welt. Mich hat die Freundschaft getäuscht, die Liebe betrogen und die Ehe gefoltert. Ich kanns beweisen, ich hab vier Attestaten, denn ich hab das vierte Weib. Und was für Weiber! Eine jede hat eine andere Untugend ghabt. Die erste war herrschsüchtig. Die hat wollen eine Königin spielen. Bis ich als Treffkönig aufgetreten bin. Die zweite war eifersüchtig bis zum Wahnsinn. Wie sich nur eine Fliegen auf meinem Gsicht hat blicken lassen, pums, hat sie s' erschlagen. Das waren zwei Ehen – da kann man sagen, Schlag auf Schlag. Die dritte war mondsüchtig. Wenn ich in der Nacht hab etwas auf sie sprechen wollen, ist sie auf dem Dach oben gsessen. Jetzt frag ich einen Menschen, ob das zum Aushalten war? Aber sie haben doch behauptet, sie könnten mit mir nicht leben, und sind aus lauter Bosheit gestorben. Bin aber nicht gscheid geworden, hat mich die Höllenlust angewandelt, eine vierte zu nehmen. Eine vierte, die viermal so falsch ist als die andern drei. Die mein Kind in ihrem Ungehorsam unterstützt. Den Maler protegiert, den Maler, der vor Hunger alle Farben spielt. Nichts als immer wispert mit der Dienstbotenbrut, Komplotte macht gegen ihren Herrn und Meister. (Sieht zur halboffnen Eingangstür hinaus.) Aha! Da schleicht das Stubenmädel herum. Die hat schon wieder eine Betrügerei im Kopf. Die wär nicht so übel, das Stubenmädel, das ist noch die sauberste – aber ich hab einen Haß auf sie, einen unendlichen – ich werd sie aber doch hereinrufen, bloß um sie auf eine feine Art auszuforschen. He! Lischen! (Schreit.) Herein mit ihr!


Zwölfter Auftritt

Voriger. Lischen tritt furchtsam ein.

Lischen.
Was befehlen Euer Gnaden?

Rappelkopf (immer barsch).
Ich hab etwas zu reden mit ihr.

Lischen (erschrickt).
Mit mir? (Beiseite.) Nun das wird eine schöne Konversation werden. Was er schon für Augen macht!

Rappelkopf (beiseite).
Ich werd alle möglichen Feinheiten gebrauchen. (Roh.) Da geh Sie her! (Lischen nähert sich verzagt. Rappelkopf betrachtet sie verächtlich vom Kopf bis zu den Füßen.) Infame Person!

Lischen.
Aber Euer Gnaden –

Rappelkopf.
Was Gnaden – nichts Gnaden – schweig Sie still und antwort Sie.

Lischen.
Das kann ich ja nicht zugleich.

Rappelkopf.
Sie kann alles. Es gibt keinen Betrug, der Ihr nicht möglich wäre. Sie ist eine Mosaik aus allen Falschheiten zusammengesetzt. (Beiseite.) Ich muß mich zurückhalten, damit ich nur nicht unhöflich mit ihr bin.

Lischen (empört).
Aber wer wird sich denn solche Impertinenzen sagen lassen?

Rappelkopf (heftig).
Sie, Sie wird 's sich sagen lassen. Und wird keinen Laut von sich geben. Was hat Sie für eine Betrügerei vorgehabt? Sie will mich bestehlen?

Lischen.
Nein!

Rappelkopf.
Was denn?

Lischen.
Ich will mich empfehlen. (Will fort.)

Rappelkopf (nimmt ein ungeladenes Jagdgewehr).
Nicht von der Stelle, oder ich schieß Sie nieder!

Lischen (schreit).
Hülfe, Hülfe!

Rappelkopf.
Nicht mucksen! Antwort! Warum hat Sie so verdächtig herumgesehen? Was ist im Werk?

Lischen.
Himmel, wenn es losgeht!

Rappelkopf.
Nutzt nichts! losgehn muß etwas, entweder Ihr Maul oder die Flinten.

Lischen.
Ach, was soll ich denn mein Leben riskieren! (Kniet nieder.) Lieber gnädiger Herr, ich will alles bekennen.

Rappelkopf.
Endlich kommts an den Tag. Himmel, tu dich auf!

Lischen.
Ich habe gelauscht, ob das Fräulein nicht aus dem Alpental zurückkömmt, die gnädge Frau hat mich ausgezankt, weil ich nicht bei ihr geblieben bin, da sie ihren Liebhaber erwartet, der heute ankommt. Die gnädige Frau ist mit ihr einverstanden, doch weil sie mich so mißhandelt hat, so verrate ich sie.

Rappelkopf.
Entsetzlicher Betrug! O falsche Niobe! Und Sie niedrigdenkende Person, Sie wagt es, Ihre Frau zu verraten – der Sie so viel Dank schuldig ist? O Menschen, Menschen! Ausgeartetes Geschlecht! Aus meinen Augen geh Sie mir, Sie undankbare Kreatur, ich will nie mehr etwas von Ihr wissen.

Lischen.
Aber was hätt ich denn tun sollen?

Rappelkopf.
Schweigen hätt Sie sollen.

Lischen.
Aber Euer Gnaden hätten mich ja erschossen.

Rappelkopf.
Ist nicht wahr, es ist nicht geladen. Betrug für Betrug.

Lischen.
So, also hätt ich diese Angst umsonst ausgestanden? Das ist abscheulich.

Rappelkopf.
Nein, nicht umsonst. Du Krokodil von einem Stubenmädel – du sollst eine Menge dafür haben: meine Verachtung, meinen Haß, meinen Schimpf, meine Verfolgung und deinen Lohn. (Wirft ihr einen Beutel vor die Füße.) Nimms und geh aus meinem Haus. Mach dich zahlhaft, oder ich zahl dich auf eine andre Art aus. So nimms, warum nimmst du es denn nicht?

Lischen.
Oh, ich werds schon nehmen. (Denkt nach.) Gnädger Herr!

Rappelkopf.
Was denkst denn nach, du Viper? Nimms und ruf mir deine Frau.

Lischen (schnell auf die Gartentür deutend).
Dort ist sie ja!

Rappelkopf (schießt schnell gegen die Gartentür).
Wo ist sie? Wo? Her mit ihr.

Lischen (hebt schnell den Beutel auf).
Das ist ein alter Narr! (Läuft schnell ab.)

Rappelkopf (sieht ihr nach).
Hat ihn schon! O ihr Welten, stürzt zusammen, dieses weibliche Insekt wagt es, mich zum besten zu halten! O Rappelkopf! Wie falsch diese Menschen mit mir sind, und ich bin so gut mit ihnen! Ha! Dort kommt mein Weib, entsetzlicher Anblick – meine Haar sträuben sich empor, ich muß aussehen wie ein Stachelschwein.


Dreizehnter Auftritt

Voriger. Sophie.

Sopie (gelassen).
Was willst du denn, lieber Mann?

Rappelkopf.
Dich will ich, aus der gesamten Menschheit dich! und von dir mein Fleisch und Blut, mein Kind! Wo ist sie?

Sopie (verlegen).
Sie ist nicht zu Hause –

Rappelkopf (sehr heftig).
Nun also, wo ist sie –? Wo? –

Sopie.
So sei nur nicht so heftig.

Rappelkopf.
Jetzt bin ich heftig, und ich bin ganz erstaunt über meine Gelassenheit. Im Wald ist sie draußen. Also auch mein Kind ist verloren für mich?

Sopie.
Nu, nu, in dem Wald ist ja kein Bär.

Rappelkopf.
Aber ein junger Herr – Also die Gschicht ist noch nicht aus, mit diesem Maler?

Sopie.
Und darf nicht aus sein, denn das Glück und die Ruhe deiner Tochter stehen auf dem Spiele. Sie wird ihn ewig lieben.

Rappelkopf.
Und ich werd ihn ewig hassen.

Sopie.
Was hast du als Mensch an ihm auszusetzen?

Rappelkopf.
Nichts, als daß er einer ist.

Sopie.
Was hast du gegen seine Kunst einzuwenden?

Rappelkopf.
Alles! Ich hasse die Malerei, sie ist eine Verleumderin der Natur, weil sie s' verkleinert. Die Natur ist unerreichbar. Sie ist ein ewig blühender Jüngling, doch Gemälde sind geschminkte Leichen.

Sopie.
Ich kann deine Ansichten nicht billigen und darf es nicht. Meine Pflicht verbietet es.

Rappelkopf.
Weil du dir die Pflicht aufgelegt hast, mich zu hassen, zu betrügen, zu belügen et cetera. (Wendet sich von ihr ab.)

Sopie.
So laß dir doch nur sagen –

Rappelkopf.
Ist nicht wahr.

Sopie.
Ich habe ja nichts gesagt noch –

Rappelkopf.
Du darfst nur das Maul aufmachen, so ist es schon erlogen.

Sopie.
So blick mich doch nur an –

Rappelkopf.
Nein, ich hab meinen Augen jedes Rendezvous mit den deinigen untersagt. Lieber Kronäugeln als Liebäugeln. Aus meinem Zimmer! (Setzt sich und dreht ihr den Rücken zu.)

Sopie (empört).
Du wendest mir den Rücken zu?

Rappelkopf.
In jeder Hinsicht. Weil du alles hinter meinem Rücken tust, so red auch mit mir hinter meinem Rücken. Ich bin kein Janushaupt, ich hab nur ein Antlitz, und da ist nicht viel daran, aber wenn ich hundert hätt, so würd ich sie alle von euch abwenden. Darum befrei mich von deiner Gegenwart! Hinaus, Ungeheuer!

Sopie.
Mann, ich warne dich zum letzten Male. Diese Behandlung hab ich weder verdient, noch darf ich sie länger erdulden, wenn ich nicht die Achtung vor mir selbst verlieren soll. Niemand ist deines Hasses würdiger als dein Betragen. Es ist ein Feind, der sich in seinem eignen Haus bekriegt. Und es ist wirklich hohe Zeit, daß ich mich entferne, damit ich mich nicht durch den Wunsch versündige, der Himmel möchte dich von einer Welt befreien, die deinem liebeleeren Herzen zur Last geworden ist und in der du keine Freude mehr kennst als die Qual deiner Angehörigen. (Geht erzürnt ab.)

Rappelkopf (allein).
Das ist eine schreckliche Person. Alles ist gegen mich, und ich tu niemand etwas. Wenn ich auch manchmal in die Hitz komm, es ist eine seltene Sach, wenn ich ausgeredt hab, ich weiß kein Wort mehr, was ich gsagt hab. Aber die Menschen sind boshaft, sie könnten mich vergiften. Und dieses Weib, gegen die ich eine so auspeitschenswerte Liebe ghabt hab, ist imstande, mich so zu hintergehen. Und doch fordert sie Vertrauen. Woher nehmen? Wenn ich nur einen wüßt, der mir eines leihte! Ich wollte ihm dafür den ganzen Reichtum meiner Erfahrung einsetzen. (Stellt sich an die Gartentür.) Dieser Garten ist noch meine einzige Freud. Die Natur ist doch etwas Herrliches. Es ist alles so gut eingerichtet. Aber wie diese Raupen dort wieder den Baum abfressen. Dieses kriechende Schmarotzergesindel. (Sich höhnisch freuend.) Freßts nur zu. Nur zu. Bis nichts mehr da ist, nachher wieder weiter um ein Haus. O bravissimo! (Bleibt in den Anblick versunken mit verschlungenen Armen stehen.)


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