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Ehe Magister Buchius, wie der Klosteramtmann von Amelungsborn angeraten hatte, noch bei währendem Tageslicht nach dem Seinigen sah, sahe er doch noch erst nach der Frau Amtmännin und ihren Kindern. Wie eine Klucke mit ihren Küken, über denen der Habicht gewesen ist, fand er sie in einer andern Ecke des Amthauses kümmerlich in einen Haufen zusammengedrückt und die Frau Amtmännin auch nicht mehr imstande, ihm das Leben in der Zelle des Bruders Philemon saurer zu machen, als es nötig war.
»Mein Gott, o du lieber Gott, da ist ja unser armer Herr Magister noch! O Gott sei Dank!« ächzte die brave Frau, die ihm sonst gewöhnlich etwas ganz anderes nach seinem Altenteil hin bestellen ließ, wenn sie es ihm nicht, mehr oder weniger durch die Blume, selber sagte. »O das ist ja das erste, was einem wieder einen Trost gibt! O wo haben denn der Herr Magister eine bessere Unterkunft gefunden, daß Sie uns so alleine gelassen haben?« schluchzte sie, dem alten, sonst so überleidigen Hausgenossen beide Hände hinhaltend.
Und Magister Buchius ergriff sie beide, während die Kinder alle an seinen zerfetzten schwarzen Rockschößen hingen, um seine Kniee sich klammerten und ihm die Beine fast unterm Leibe wegzogen.
»Liebste, beste Frau«, stammelte er, »Kinderchen, armes kleines Volk, arme liebe Schelme; es ist wohl gleich gewesen, wo wir uns heute verkrochen haben, ob über der Erde, ob unter ihr. Des Herrn Hand hat uns doch gefunden und herausgezogen unter die Gewappneten und uns hingeworfen unter ihren Fuß und Huf; aber seine Güte hat auch bis dahin gereichet: er hat uns aufbehalten und bewahret einen für den andern bis auf einen. Den hat er hingenommen und weggeführet in seiner Jugend; – er wird es ja wohl wissen, was das beste für den war. Kinderchen und Frau Amtmännin, draußen liegt er auf dem Odfelde in seinem jungen Blute, der letzte, der schlimmste, der beste Primus der Prima der alten, echten, wirklichen Großen Schule zu Kloster Amelungsborn!«
»Himmel, Herr Magister, doch nicht der Schlingel, der Thedel?« rief die Frau Klosteramtmännin.
»Der letzte Münchhausen aus Bevern! Seine Durchlaucht, Herzog Ferdinand von Braunschweig-Bevern haben ihn mit dem Herrn Vetter von Bodenwerder unter den englischen Reitern gegen den Franzosen geschickt, und er hat den letzten Schlag auf ihn heute getan. Frau Drostin, er ist der einzige von uns, der heute einen vergnügten Tag, einen Tag nach seinem Herzen erlebt hat, und er liegt mit einem Lachen auf dem Gesicht draußen auf dem Odfeld unter den Völkern und Präsagio vom gestrigen Abend!«
»Du liebster Gott! Das hätte ich ihm doch nicht gewünschet, selbst wenn er uns hier im Amthause den Kopf am heißesten machte! So jung – und hat nun in seiner ganzen Tollheit und in allen seinen Dummheiten davongemußt!« seufzte die Frau kopfschüttelnd; doch die eigenen, den Tag über bestandenen Bedrängnisse lasteten noch zu schwer; es war nicht zu verwundern, daß sie nicht allzuviel Zeit und Mitgefühl für den wilden Junker von Münchhausen übrig hatte.
»Wir wollen inskünftige besser zusammenhalten, lieber Herr Magister, wenn uns Gott in seiner Barmherzigkeit noch einmal aus diesem Schrecknis heraushilft«, seufzte sie, und das war schon etwas bei dem bösen Verhältnis, wie es bis zum letzten zwischen dem Klosteramt und der Klosterschule zu Amelungsborn geherrscht hatte.
»Hm, hm, hm«, murmelte Magister Buchius, als er durch das verwüstete, geplünderte Amthaus, in dem kaum noch ein Fenster heil und ganz war, hinschwankte, als er sich durch die von Feind und Freund mit Trümmern und Unflat erfüllten Gänge tastete und auf den mit allem schlüpfrigen Erdreiche von Gottes Boden zwischen dem Solling, der Weser und Amelungsborn ›bedeckten Stiegen‹ bei jedem dritten Schritte ausglitt und stolperte. »Hm, hm, wenn der Knabe nicht draußen unter den Toten läge, möchte ich wohl sagen, daß mir der Raben Bataille über dem Odfelde nicht bloß zum bösen Zeichen für die künftigen Tage gewiesen worden sei.«
Auch er schüttelte das Haupt, und trotz seines schweren Kummers mußte er lächeln:
»Ei, ei, wie reden wir doch? Wie laufen unsere Gedanken! Der Mensch auf Erden kann doch keine Einbildung in sich verhindern, ob sie schlimm oder gut sei!... Aber er kann sich fassen und zusammennehmen in christlicher und heidnischer Weisheit und kann sagen: Buchius, es kommt für dich Alten nicht mehr darauf an, wie du heut abend die Stelle findest, allwo dein Bette gestanden hat, auf welchem du nur zu oft in boshaften Gedanken und ärgerlichen Einbildungen dich um und um gewendet hast. Kehre bei dir selber ein, Menschenkind, und lege dich da, wo du deine Stätte zugerichtet findest!«
Er fand das Stück von Kloster Amelungsborn, wo ihm seine Stätte bereitet war, wahrlich ebenfalls sauber zugerichtet. Wie die wilden Tiere hatten sie auch da gewirtschaftet, Feind und Freund. Was in den alten, schon so verstörten Auditorien von der früheren gelehrten Herrlichkeit und Würde sich noch bis gestern erhalten hatte, das war jetzo ganz hin. Das letzte Subsellium, das letzte Katheder war in Feuer aufgegangen, dem fremden wie dem einheimischen Kriegsvolk die Suppen zu kochen und die verklommenen Gliedmaßen zu wärmen. Was von dem Durchmarsch in den früheren Schulstuben von Kloster Amelungsborn zurückgeblieben war, das war eitel scheußlicher Unrat, teuflischer Hohn, Stank und Mutwillen – ein Spott auf alle klösterliche und pädagogische Zucht und Reinlichkeit. Magister Buchius wendete schaudernd den Blick nach oben und hielt trotz allem, was er schon in seinem Leben und vor allem am heutigen Tage hatte riechen müssen, die Nase zu.
Er wäre fast umgekehrt am Fuße der letzten, leiterartigen Stiege, die zu seinem Winkel unter dem Dache führte; aber sein tapfer Herz litt es denn doch nicht, daß der schwache Leib nachgab.
»Er liegt draußen in Sumpf und Morast, der letzte Schüler der Großen Schule zu Amelungsborn. Er, der Decurio, der Erste unter zehnen – was sage ich: er, Primus e viginti – er, der Centurio, der Oberste unter Hunderten – der Schlimmste und der Beste von allen. Schäme Er sich, alter überflüssiger ludimagister, alter ungebraucht verbrauchter Schulmeister, daß Er heute, heute – heute noch ein Grauen und einen Ekel verspüren kann und sich mit Kummer um Seine Impedimenta, Sein armselig Lebensgepäck, Seine törichten Siebensachen das Herz beschweren will! Buchius, jetzo ist Seine Zeit. Nun gedenke Er der Stoa, nun zeige Er, daß ihm der Titan, der hohe Prometheus, aus dem bessern Leimen das Herz knetete, zeige Er sich erlauchter Ahnen wert und sorge Er in christlichem Vertrauen nicht darum: was werdet ihr essen, was werdet ihr trinken, wo werdet ihr euer Haupt niederlegen, und was wird die Schlacht der Raben auf dem Odfelde von euren vergänglichen Habseligkeiten und unersetzlichen Pretiosen und Kuriositäten übriggelassen haben nach eingetretener und eingeschlagener Türe?«
Nun stand er in dem höchsten Korridor des alten Gemäuers der Ordensleute des heiligen Bernhard von Clairvaux und, wie er es sich gedacht hatte: das letzte Tageslicht fiel auch hier nicht bloß durch die eingeschlagenen Fenster, sondern auch durch die eingestoßenen Pforten der verwaiseten Zellen der Brüder Zisterzienser in den Gang unter dem Dache. Nun machte der Gang einen Haken, und Magister Buchius stand vor des Bruders Philemon und seiner Tür im dunkeln Winkel.
Zu!
Magister Buchius legte die Hand auf den Griff.
»Verschlossen!« Die Kniee bebten unter dem alten Mann.
Er griff in der Dämmerung an der Türfüllung umher. Er rüttelte am Schloß – es blieb kein Zweifel übrig: es gehörte selbst an diesem Abend des fünften Novembers siebenzehnhunderteinundsechzig, nach der Schlacht über dem Odfelde und am Ith, immer noch ein Schlüssel dazu, um hier Einlaß zu gewinnen!
Magister Buchius schlug erst in keuchender Aufregung die bebenden Hände zusammen, griff dann mit beiden Händen an den Hosen herunter, fuhr mit der linken wie mit der rechten Hand in die Tasche und holte ihn hervor, den Schlüssel – seinen Schlüssel – den Schlüssel zu seiner Stube und Kammer. Vor der nicht eingeschlagenen Tür hatte er allein im Kloster Amelungsborn nach dem Stubenschlüssel in der Hosentasche zu suchen!...
Es kostete ihm nicht ohne Grund einige Mühe, das Schlüsselloch diesmal zu finden.
Das altgewohnte Gekreisch der Haspen und Angeln – alles, wie er's verlassen hatte! Alles, als ob es dem guten Herzog Ferdinand und dem bösen Herzog von Broglio nicht im Traum eingefallen sei, sich auch in dieser Gegend um den Weg über Einbeck nach Braunschweig zu raufen! Alles, als ob Kloster Amelungsborn nicht sein Teil von der Schlacht abbekommen habe! Alles, als ob nicht der Junker Thedel von Münchhausen draußen auf Odins Felde mit unter den Toten von den Elliots liege!... Der alte Herr und Schulmeister, der Magister Buchius, stand ungläubig, zweifelnd, seinen Sinnen nicht trauend. Er stand starr, sah an den vier Wänden herum, nach der alten, schwarzen Balkendecke hinauf und zu dem Gipsboden, den schon der Fuß des Bruders Philemon im Dreißigjährigen Kriege beschritten haben mochte, hinab und – – das Weinen war ihm näher als das Lachen:
»Großer Gott! Guter Gott, mir das? Mir alleine in Gnaden solches?«
Er saß, an allen Gliedern zitternd, nieder auf dem Stuhl neben dem Tische, auf dem gestern abend Knecht Heinrich mit seiner Kreide den Lauf der Weser und die Stellung der kriegsführenden Parteien hingemalt hatte. Er saß hin in seinem nur durch ein Wunder unangetastet verbliebenen Altenteil:
»Ist es denn die Möglichkeit? Rundum auf Meilen und Meilen Weges alles ruiniert und mir – mir – o mir allein solche Gnade und Barmherzigkeit! Herr, womit habe ich armer, unnützer Sünder diese Ausnehmung und Verschonung verdienet?«
Er erhob sich wieder vom Stuhl, stand inmitten seines Gemachs und schlug die Hände zusammen wie ein sich verwunderndes Kind. Doch nun traf im letzten Tageslicht sein Auge auf Zeichen, daß doch jemand trotz verschlossen gebliebener Tür im Museo anwesend gewesen sei und nicht ganz so bescheiden und zierlich gehauset habe, wie es sich für einen höflichen und frommen Gast gezieme. Es lag der Suppennapf aus der Küche der Frau Klosteramtmännin in Scherben am Boden, ebenso der Teller, auf dem der letzte Hering aus der Speisekammer von Amelungsborn gelegen hatte. Ein Buch lag in Fetzen zerrissen unter dem Tische, und einzelne Blätter daraus waren durch die ganze Zelle verstreuet.
Magister Buchius bückte sich natürlich zuerst nach dem Buche, und mit jeder Einzelnheit stand ihm nunmehr der vergangene Abend, der Abend des vierten Novembers 1761, vor der Seele und im Gedächtnis.
Auch das Titelblatt war ausgerissen worden; aber Magister Buchius wußte doch, was er wieder in den zitternden Händen hielt; nämlich den Wunderbaren Todesboten oder schrift- und vernunftsmäßige Untersuchung, was zu halten sei von und so weiter – ans Licht gegeben von Theodoro Kampf, Schloßpredigern zu Iburg:
»O mein Sohn Diedericus! Mein Thedel! Mein armer Thedel von Münchhausen! So bin ich alter unnützer Knecht unverdientermaßen erhalten in meinem Eigentum, und du liegest draußen auf dem Odfelde in deinem erstarreten jungen Blut, und wenn ich morgen reden will von dir, werden sie mir den Mund verbieten und sprechen: du habest dein Teil nur verdientermaßen empfangen, habest nur das erhalten, was du gewollt habest!«
Er hielt ein Blatt aus dem zerrissenen Scherzbuch des Kollegen Zinserling und entzifferte schwimmenden Auges noch eine Zeile beim letzten Abendgrauen:
»Bringet mir diesen zur Ruhe!«
In diesem Augenblick fuhr er heftig erschrocken zusammen, er, der den halben Tag über das Krachen des Kleingewehrs und den Donner des groben Geschützes aus der Schlacht am Ith im Ohr gehabt hatte. Und es zupfte ihn doch nur jemand unten am Rock und hackte in seine Schuhschnallen und sagte:
»Krah!«...
Da stand er, der den ganzen Tag über den einzigen sichern Platz in Kloster Amelungsborn und weit rundherum für sich allein gehabt hatte und doch nicht darin mit seinem Schicksal zufrieden gewesen war. Inmitten der von ihm angerichteten Verwüstung stand zwischen den Beinen des Magisters Buchius der schwarze Kämpfer aus der Schlacht auf dem Wodansfelde, Wodans – Odins Vogel, geisterhaft, gespenstisch frech und unbefangen, aber dessenungeachtet so wenig mit Triumphatorgefühlen wie die zwei großen Feldherren von Braunschweig und von Broglio in ihren Hauptquartieren zu Wickensen und zu Einbeck am heutigen Abend.
Er war grimmig hungrig, ob er von Hugin oder ob er von Munin stammte, der dunkle Bote Wodans, und er sperrte den Schnabel darnach auf und schrie empor zum guten alten Magister Buchius. Papier sättigt nicht, und der Spukvogel vom Odfeld hatte seinen Magen höchstens voll von Papier – Papier aus des Iburgischen Schloßpredigers Theodori Kampfs gelehrten Untersuchungen über das, was von Eulen- und Leichhühner-Schreien, von seines eigenen schwarzgeflügelten Geschlechtes Geschrei und andern Anzeigungen des Todes zu halten sei.
»Du bist es?« sprach der Magister, sein letztes Erschrecken bezwingend und seines Grauens noch einmal Herr werdend. »Du? Du? Du? O Gespenst, meldest du dich nun wieder und zerrest an mir und fragest, ob du deine Botschaft wohl ausgerichtet habest als Bote des höchsten barmherzigen Gottes, des Herren Zebaoths, oder – als höllischer Gaukler seines Affen, des leidigen Satans? O Kreatur, ach Rab, Rab, wohl ist dein Zeichen Wahrheit geworden! Sie liegen bei deinen Kameraden in Campo Odini und weit rundum verstreuet, meine Brüder und unter ihnen meiner Seele Sohn im jammerhaften Saeculo. O Vieh, ich habe dich im Tuch vom Schlachtfeld, von Wodans Felde, hereingetragen und in Sicherheit gebracht; aber ich habe meinen lieben Knaben, meinen tapfern Thedel, meinen Thedel von Münchhausen, liegenlassen müssen unter den Erschlagenen auf dem Odfelde!«
Der schwarze Vogel hatte einen grimmigen Hunger, er hüpfte ein paar Schritte auf dem Fußboden hin und her und schrie mit heiserer Stimme seine Not und seinen Grimm aus und hackte in einen Gegenstand, der in der Dämmerung genau einem Menschenarm glich.
Und es war auch einer; aber aus Holz geschnitzet; der Arm der heiligen Jungfrau Maria, des Wunderbildes von Kloster Amelungsborn. Das hatte heute keine Wunder verrichten können, und der unheimliche Gast des Magisters Buchius wurde auch nicht satt von ihm; aber dem – dem Gast des Magisters Buchius konnte freilich bei so gloriosen Zeitläuften leicht geholfen werden.
»I du Halunke! Bestia, Verwüster!« rief der alte Herr, sich jetzt genauer auf dem Fußboden und an den Wänden seines Museums umschauend und trotz allem heute Erlebten von Augenblick zu Augenblick ärgerlicher werdend. »Den Hals sollte man dem Ungetier umdrehen! Ist das der Lohn für Hospitalität, Teilung des letzten Bissens? Bösewicht, bei genauerer Inspectio könnte es nicht schlimmer hier in meiner Stube aussehen, wenn sie ihre Bataille in ihr ausgefochten hätten und nicht zwischen dem Ith und den Stadtoldendorfer Hohlwegen. Spitzbube, Schurke, Halunk, hattest du noch nicht genug an euerm Gerauf über Odins Felde? Nun sieh mal, guck mal, guck nur mal an, wie du hier bei intimerer Besichtigung gehauset hast. Da liegen die kurieusen Töpfe der Vorfahren, da liegen ihre Knochen! Das halbe Raritätenkabinett vom Brett gestoßen – Zettel abgerissen, und – hier – sehe Er einmal hier, Er Erzschweinigel! Gehet man so mit den Cimelien eines teuren gelehrten Büchervorrats um? Nun sage Er selber, was ich mit Ihm anfangen, was ich Ihm antun soll für Seinen Mißbrauch des Gastrechts? Wenn die ganze Schule von Amelungsborn sich hier in meiner Abwesenheit einen Jokus erlaubt hätte, könnte es nicht ärger bei mir aussehen.«
»Krah! Krah!« schrie der schwarze Gespenstervogel und Gastfreund des Magisters Buchius, den Schnabel immer gieriger, immer unwirscher aufsperrend, grade als wisse er ganz genau, was für eine leckere, wohlbestellte Tafel ihm draußen rund um das Odfeld und auf demselben wiederum gedeckt worden sei.
»Die Tür soll ich dir öffnen, das Fenster soll ich dir aufmachen?« murmelte der alte Schulmeister, allgemach über seine Kuriositäten hinaus wieder zu andern Bildern, Vorstellungen, Gedanken und Gefühlen kommend. »Du großer Gott, wer wird mir helfen, seinen jungen Leib zur Ruhe zu betten? Das Aufgebot der Bauern? Wie neulich bei Vellinghausen – zweitausend Mann drei Tage und drei Nächte durch?«
»Krah!« rief der Vogel, als wolle er bemerken, daß er noch immer da sei. Und er flatterte auf und ungeduldig in der Zelle des Bruders Philemon im Kreise umher und schlug noch einen letzten germanischen Aschenkrug dem Gastfreund vom Brette. Man merkte es ihm wahrlich nicht mehr an, daß er gestern seinerseits eine Wunde aus der Schlacht über dem Odfelde davongetragen habe.
»Du? Du? Du?« murmelte der Magister Buchius. »Du willst hinaus? Du willst helfen von der Weser bis zum Hils? Du willst mir, mir helfen auf dem Odfelde?«
Er hielt den Fensterriegel, wie um ihn gegen Gott, Teufel und Welt festzuhalten, und das Fenster zu. Und er reichte in seinem Grauen mit seiner Kraft doch nicht aus. Der wilde, schwarze Bote und Streiter Wodans wurde immer ungebärdiger, wurde wie toll in seinem Willen. Er flog gegen den Kopf des Magisters, er stieß mit seinem Kopf gegen die kleinen runden Scheiben, daß sie in ihren Bleieinfassungen erklirrten. Vergebens wehrte sich der alte Schulmeister der weiland Großen Schule von Amelungsborn mit vorgehaltenem linken Arm und Ellenbogen: das Tier setzte seinen Willen durch.
»Fahre zu!« ächzte der Greis, das Fenster öffnend und seinem dunkeln Gast den Ausgang aus seiner Zelle freigebend. »Ich weiß nicht, von wannen du gekommen bist, ich weiß nicht, wohin du gehst; aber gehe denn – in Gottes Namen – auch nach dem Odfelde. Im Namen Gottes, des Herrn Himmels und der Erden, fliege zu, fliege hin und her und richte ferner aus, wozu du mit uns andern in die Angst der Welt hineingerufen worden bist.«