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»Merde!« sagte Junker Thedel von Münchhausen in der freien Luft, im Licht des Tages vor der Ithhöhle seinen linken, blutrünstigen Backen reibend, und das Wort kam mit herzlichstem Nachdruck aus seiner Brust. Er war nicht, ein umgekehrter junger Curtius, aus dem Schlunde aufwärts in die Schrecken der Erdoberfläche – gekrochen, ohne ein letztes, aber auch unvergeßlichstes Zeichen von Mamsell Selindens Zärtlichkeit mit ins Tageslicht emporzunehmen. Die Schöne drunten in Nacht und Dunkel hatte diesmal nicht nur zugeschlagen, sondern auch vier von ihren fünf Fingernägeln ihm in die Wange eingesetzt und vier blutige Striemen dem zärtlichen Knaben vom linken Ohr hinunter bis zum Kinn gezogen: »So karessiere ich, Musjeh Thedel, Herr Junker von Münchhausen!...«
»I so 'ne Katze! So 'ne Wildkatze!« ächzte Thedel, seine vom Zufühlen blutgerötete innere Handfläche betrachtend. »Dafür Kavalier und Ehrenretter bis zum Tode durch Strick und Gewehrkolben? O Venus, o Cypria, Paphia, und wie du sonst geheißen wirst, Canaille! Eine schöne Narbe bringe ich für mein Teil aus der glorreichen Bataille heute. Ja, rufe der Herr Magister da unten nur aus seiner Caverna! An meinen Rockschoß will er sich hängen? Merci – merde! Vivat der Tod fürs Vaterland! Pro duce – pro rege. Zum Teufel mit allem Frauenzimmer. Dulce et decorum est. – So 'ne Wildkatze! Ausgestopft im Glaskasten möchte ich sie jetzo haben und nimmer anders! Da kriecht der alte Herr richtig zutage und mein Mädchen, ma belle, ma princesse, ihm nach. Du mein Gott, kann sich der Welt allerhöchste Schönheit und Lieblichkeit so in einen wütigen Satan verwandeln? Für solch Konfekt danke ich in alle Ewigkeit. Kochen Sie sich Jungfer Nichte sauer, Herr Klosteramtmann von Amelungsborn!«
Es war ihm einerlei, was ihm in den Hals kam; aber singen – brüllen mußte er; und da war der Halberstädter Grenadier immer wieder der rechte Mann:
»Zu rächen jeden Tropfen Blut,
Der unter Bevern floß,
War alles Feuer, schäumte Wut,
Schnob Rache Mann und Roß!«
Aber im Begriff, sich in das Lennetal und den heutigen Schlachttumult des guten Herzogs Ferdinand von Bevern hinunterzustürzen, spürte er plötzlich nicht die Hand des Magisters Buchius an seinem Rockschoß, sondern wahrlich eine gröbere Faust an seinem Rockkragen.
»Stop, laddie! Lal de daudle, lal de daudle... What, toddling hame?«
Und sich wütend umsehend, fand er sich wehrlos im Griff und in der Gewalt eines baumlangen, nacktbeinigen Schottländers mit Mütze, Schurz, Flinte und Messer – letzteres beides ganz und gar zu seinem Dienst parat. Daß ein zweiter Gäle sich eben bückte und den deutschen Magister und letzten Kollaborator von Amelungsborn gleich einem schwarzen Riesenmaulwurf aus der Felsenspalte emporzog und daß noch ein halb Dutzend von derselben Art auswärtiger hoher Verbündeter des Königs Friedrich in Preußen mit Spannung achthatte auf das, was der germanische Wald und Erdboden noch zutage fördern könne: das sah er auch – wie man solches unter solchen Umständen eben sieht und sehen kann.
Es unterlag keinem Zweifel, dies Volk wußte aus seiner Heimat her Bescheid in Wald, Berg und Fels und wußte die Jagdbeute nötigenfalls auch unter die Erde zu verfolgen. Ei, diese Herren verstanden es, den Dachs zu graben und den Fuchs im Notfall auszuräuchern. Den schwarzen »Domine« hatten sie draußen, lachend den Überraschten, im Tageslicht Blinzelnden unter sich im Kreise drehend und sassenisch wie keltisch auf ihn einredend. Daß er in fremden Zungen nur hebräisch, griechisch, lateinisch und mit »Mon dieu, messieurs, mais – nous sommes des amis!« zu antworten wußte, war unter den gegebenen Umständen mißlich genug. Für sein verdächtiges Französisch schlug man ihm nur den Hut auf die Nase hinab und versetzte ihm einige Püffe und Rippenstöße mehr.
Aber schon lag einer dieser fremdländischen Schlingel lang vor dem Loche und griff mit langem Arme hinunter in die Felsenspalte des Idistavisus, während zwei Kameraden ihre Flintenmündungen ebenfalls auf den Ausgang von des Magister Buchius' letztem, sicherstem Zufluchtsort im Wirbel der Zeiten richteten.
»Uiih!« pfiff er gellend. Der Kelte oder Gäle nämlich! Mit einem wahrscheinlich scheußlichen Fluch in seiner Muttersprache fuhr er mit der Hand an den Mund wie ein von der Katze gekratztes Kind. Die vier blutigen Striemen, die sie dem Junker Thedel von Münchhausen über die Wange gezogen hatte, hatte Mademoiselle dem unvorsichtigen Macmahon, Macpherson, Macaulay oder Macintosh über die beutegierige rechte Faust gerissen.
Er sog auch wie ein Kind an seiner schmerzenden Pfote, der wilde Kaledonier; aber nur einen Augenblick. Im nächsten Moment griff er von neuem zu und in die Tiefe und hielt fest, was er gefaßt, ohne sich an das Gekreisch unter ihm, im Erdinnern, zu kümmern.
»Flegel!« keuchte Mamsell Selinde Fegebanck, ihrerseits im Tageslicht wieder festen Fuß fassend und unter den schottischen Wilden, trotz Adlerfedern, Messern und Flintenläufen nach rechts, nach links hin eine Ohrfeige um die andere verteilend.
»Ihr unpolierten Lümmel, hat euch König Fritze dazu hergerufen?« schrillte sie. »So'n verzotteltes, hosenloses, rothaariges Lumpenvolk? Da – da – da! Wart, ich werde euch kuranzen, ihr Kannibalen! Ihr wollt unsere Alliierten, unsere liebsten, besten Freunde sein? Ich danke für euch und lobe mir meine Franzosen zu Pferde und zu Fuße. Selber die Lucknerschen sind mir noch lieber als ihr Waldteufel, ihr Uriane, ihr Grobiane, ihr indianisches, dudelsackrattenfängerisches Taterngesindel!«
Die überseeischen Wilden lachten ziemlich gutmütig über die erboste, die wutentbrannte Schöne; und das Abenteuer fing dann erst an, eine schlimmere Wendung zu nehmen, als man auch das Wieschen und den Knecht Heinrich Schelze aus dem Berge hervorgeholt hatte.
Die schottischen Gebirgsleute wußten es, wie man Felsenhöhlen auszusuchen habe. Sie schlugen Feuer und schickten ihre Schmächtigsten mit den Messern zwischen den Zähnen und einem dürren, harzigen, in Flammen gesetzten Tannenast in die Tiefe und Dunkelheit zu genauerer Nachforschung nach Kriegsbeute oder auch nur notdürftigem weiterem Marschproviant: Deil tak the hindmost! Guid speed the wark!...
Es flog des Magisters Laterne ans Tageslicht, der französische Tornister und der deutsche Ranzen. Sie fanden aber leider auch die geleerte Tasche des toten Kameraden von der Heerstraße bei Scharfoldendorf und stiegen aufwärts mit ihr aus dem Dolomit des Iths und hielten sie dem Magister Buchius, dem Knecht Heinrich und dem Junker Thedel von Münchhausen zugleich mit den Fäusten, Messern und Büchsen vor die Nasen und baten jetzt um Auskunft in ihrer wirklichen Muttersprache. Sie fragten mit Ossian, Fingal und Duchomar auf der Heide, wie die Seehundstasche des Kriegsgenossen in die Ithhöhle und wie das Blut an die Tasche komme? Wer von den Landeseingeborenen das Wort nicht verstand, dem war die Gebärde deutlich genug. Die Fremden aus dem Norden sprachen jetzt, gegen zehn Uhr morgens, unter dem Rothen Stein zwischen Scharfoldendorf und Eschershausen nicht weniger verständlich mit den Kindern des Landes als wie vorhin die Fremdlinge aus dem Süden, gegen Tagesanbruch, auf dem Amelungsborner Klosterhofe. Wenn der Historiograph keltisch verstünde, würde er mit Vergnügen seinen wahrheitsgetreuen Bericht auch durch dieses Idiom verzieren und zu Papier bringen, wie es auf schottisch, gälisch, irisch und so weiter lautet, das gute deutsche Wort: »Mord und Tod, hängt sie! Schlagt ihnen die Schädel ein! Zieht den Kerlen die Messer durch die Gurgeln und nehmt die Weibsbilder mit, wenn es der Beschwerde wert ist!«...
Zu der nämlichen Stunde, wie gesagt, so gegen zehn Uhr morgens, seufzte der gute Herzog Ferdinand, mit seinem bunten Generalstabe, unter seinen deutschen und englischen Herren auf einer Anhöhe haltend zwischen Scharfoldendorf und Eschershausen:
»Mon dieu, mon dieu, lieber Westphalen, quelle guerre! Wieder ein vergeblicher Bluttag. Granby hält die Stellung, aber Monsieur de Poyanne ist unverhindert auf dem Rückzuge nach Göttingen. Leider, leider! – Westphalen, was ist das mit Hardenberg gewesen? Ich bitte Sie um des Himmels willen, wo blieb Hardenberg? Dort drüben jenseits Stadtoldendorfs sollte er seit Stunden stehen, der Herr Generalleutnant von Hardenberg. Quelle fumée épaisse là-bas? Welch ein schwarzer Qualm! Das ist nicht mehr die Artillerie. Man sitzt ja hier jetzo wie in der Kirche in der Stille. Auch Mylord Granby hat sein Feuer eingestellt.«
»Der Herr Marquis wünschet sich eben den Rücken von uns frei zu halten, Durchlaucht. Er hat es herausgefunden, was man mit ihm im Sinn hatte, und den Herrn Generalleutnant verspürt er vielleicht früher als wir hier im Anmarsch. So salviert er sich, da es noch Zeit ist. Er wird sein Lager bei Stadtoldendorf in Brand gesteckt haben, um uns die hohlen Wege durch Feuer und Qualm zu sperren. Durchlaucht werden leider Gottes auch heute noch nicht dem Dritten Schlesischen Kriege wenigstens hier an der Weser ein Ende machen. Durchlaucht werden heute mittag nur Ihr Hauptquartier in Wickensen nehmen können.«
Der Herzog hob sich im Sattel, und zu seinem militärischen Gefolge sich wendend rief er:
»Order an Lord Granby, mit allen Truppen, die er von General Conway an sich ziehen kann, über Vorwohle und Wenzen dem Erbprinzen unter der Hube zum Soutien weiterzugehen. Wir stecken wieder nur die Winterquartiere ab für dies Jahr und nehmen, was wir kriegen können von unserm Grund und Boden. Zurück mit dem Herrn Herzog von Broglio und den übrigen Herren Franzosen – wenigstens zurück über den Solling! Gentlemen, wir rücken auf Einbeck, wo wir leider heute unserm Herrn Neffen, dem Prinzen Karl Wilhelm Ferdinand, nicht die verabredete Unterstützung bieten konnten. Wir werden nach geordneten Umständen im nächsten Monat unser Hauptquartier in Hildesheim nehmen und wieder nicht in Frankfurt am Main.«
Dann in seinem Sattel wieder zusammensinkend murmelte er von neuem:
»Quelle guerre! Welch ein Krieg! Welch ein Krieg, welch eine Schlächterei ohne Ende!«
Ach, er hatte wohl recht; es sah um ihn und sein freundliches Herz her nur zu sehr aus wie in einem riesenhaften Schlächterhause. Die Toten und Sterbenden aus Deutschland, England, Schottland und Frankreich lagen dicht gesät rundum. Kein Baum an der zerwühlten Heerstraße den Ith entlang, unter welchem nicht Verwundete vor den Rädern und den Hufen der Pferde Schutz gesucht und in der Nässe und im scharfen Herbstwinde sich zusammengekauert hatten!
Der Regen hatte um diese Zeit wohl aufgehört, aber der Wind war bissiger und bissiger geworden und trieb fort und fort dunkles zerrissenes Gewölk vom Hils gegen die Weser und den Brandqualm vom Lager Herrn Marquis von Poyanne und aus den Defilees bei Stadtoldendorf dem Herrn Generalleutnant von Hardenberg grade ins Gesicht – wenn der noch im Anmarsch sein sollte. Der Herzog sah immer noch nach derselben Richtung und griff nur von Zeit zu Zeit mechanisch an den Hut, wenn ihn die im ununterbrochenen Zuge an ihm vorbei gegen den Hils marschierenden einheimischen und fremdländischen Truppen durch wilde Zurufe grüßten. Westphalen, der treue Mann, blickte mit immer größerer Sorge auf seinen Herrn. Er sah ihn unter den Nachwirkungen des bösen Fiebers von Ohr frösteln, ach, und er kannte nur zu gut den Charakterunterschied zwischen seinem großen Feldherrn, dem kriegsgewaltigen Schützer des deutschen Westens, und jenem im Osten, der eben vielleicht wieder einmal auf einem seiner Schlachtfelder mit erhobenem Krückstock grollte: »Wollen die Racker denn ewig leben?«...!
Ganz vergeblich wendete sich Westphalen auf seinem Sattel und sah sich nach einem Trost und einer Aufrichtung unter den englischen, schottischen, bückeburgischen, hannöverschen, hessischen, braunschweigischen, preußischen Herren des Generalstabes um für seinen Gönner.
»Vom Herrn Generalleutnant von Hardenberg, Durchlaucht, – Leutnant von Münchhausen von den hannöverschen Jägern unter Obristleutnant Friederichs, Herzogliche Durchlaucht«, sagte in diesem Augenblick, militärisch grüßend, dicht neben dem Schimmel des Feldherrn ein Individuum, das dem Kostüm nach nichts vom Soldaten an sich trug, aber von allem heutigen Wasser- und Erdbrei zwischen der Weser und dem Flecken Eschershausen von der Pudelmütze bis zu den Bauerschuhen die ausgiebigsten Spuren. Und daß es durch Busch und Dorn gekrochen war, Felsabhänge hinaufgeklettert und hinabgerutscht war, sah man ihm auch an.
Aber dem Herzog Ferdinand von Braunschweig sah man in dem nämlichen Moment von Müdigkeit und Melancholie nicht das geringste mehr an. Und wer von seinem gütigen Herzen, seiner Politesse gegen jedermann das allerbeste hatte rühmen hören und ihn jetzo vernahm, der mochte sich wohl betroffen hinter dem Ohr krauen und sich vorsichtig beiseite drücken. Der gute Herzog Ferdinand, sich wieder im Sattel bewegend, zeigte dem Boten des Herrn Generalleutnants von Hardenberg auf das kräftigste, wie grob das Haus Braunschweig bei vorkommenden Gelegenheiten sein und wie grimmig es Gottes Ebenbilder im Drange der Geschäfte dieser Erde anschnauzen könne.
»Hardenberg?! Herr, der Satan soll Ihm und Seinem Herrn von Hardenberg auf die Köpfe fahren. Messieurs, messieurs, wo steckt ihr, wo bleibt ihr? Wir würgen uns seit der Nacht nach ordre de bataille und disposition de marche durch die Berge und den Feind; aber Seiner Excellenz dem Herrn Generalleutnant pressiert's beileibe nicht. Er reibet sich wohl noch in Bodenwerder den Schlaf aus den Augen unter seiner Nachtmütze? Muß man denn überall sein, um die Herren an ihren Zöpfen aus dem Sumpfe zu ziehen? Seit vier Stunden sollte der Mann drüben zwischen dem Solling und uns stehen mit den Herren von Poyanne, Chabot und Guerchy zwischen uns im Sack. Sperr Er das Maul auf, rede Er, Leutnant von Münchhausen: was hat Hardenberg mir zu sagen?«
»Monseigneur, Seine Excellenz werden erst am Nachmittag vor Stadtoldendorf sein können«, sprach der Mann im zerzausten Bauernkittel, und der Herzog, sich rückwärts wendend, meinte, jetzt wieder mit etwas gelassenerer Stimme:
»Lieber Westphalen, wollen Sie sich das fürs erste für unsern Bericht an Mylord Bute in London merken. Ich bitte auch die englischen Herren, näher heranzureiten. Wollen Sie weiter erzählen, Herr Leutnant von Münchhausen. Traduisez, Westphalen. Dolmetschen Sie's nach Möglichkeit genau den Herren, was uns der Herr Generalleutnant sagen lassen.«
»Excellenz lassen untertänigst vermelden, daß sie wohl selber zu richtiger Stunde, wie befohlen, bei Bodenwerder angelanget sind, aber mit dem allerbesten Willen die schweren Pontons auf den schlechten Wegen nicht an den Fluß haben bringen können. Sie haben daher vors erste uns Jäger durch die Weser schwimmen lassen, und hat man auch die feindlichen Posten den Heinser Wald entlang bis Polle und Forst delogiert, während dem Brückenschlag. Herr Obristleutnant Friederichs –«
»Lasse Er mich mit Seinem Obristleutnant Friederichs in Ruhe, Herr!« schneuzte der Herzog. »Wann Hardenberg mit seiner Brücke fertig geworden ist, möchte ich erfahren. Aber exactement, Herr Leutnant von Münchhausen. Keine écarts, bitte ich; point de visions, keine entortillements, keine Verkleisterungen; kurz, die Wahrheit, Herr! Wann beliebte es Seiner Excellenz mit seiner Brücke fertigzuwerden?«
»Halten Durchlaucht zu Gnaden, ein Freiherr von Münchhausen spricht nur die Wahrheit«, sagte der Leutnant bei den hannöverschen Jägern, Freiherr von Münchhausen, ebenso ruhig wie sein größerer Stammesverwandter in russischen, osmanischen und andern Diensten. »Um sieben Uhr, leider erst bei Tage, haben die Truppen den Fluß passieren können, und so melden Excellenz allergehorsamst, daß sie, nachdem sie drei Bataillons und vier Eskadrons zwischen Rühle und dem Vogler zur Deckung der Defilés vorgeschoben haben, nunmehr auf dem Wege nach Stadtoldendorf sind –«
»Um den Herrn von Guerchy nach Holzminden und den Herrn von Poyanne bequem nach Dassel entwischen zu sehen. Ich bitte die englischen Herren, noch ein wenig näher heranzureiten. Da Sie die Wege selber kennengelernt haben, würde es mir lieb sein, Messieurs, Sie für den Herrn Generalleutnant von Hardenberg und mich um Ihre Meinung angehen zu können, wenn im Parlament die Rede auf den heutigen Morgen kommen sollte. Westphalen, seien Sie so exakt als möglich bei Aufstellung unseres Verbrauchs an Menschen, Geld und Kriegsmaterial. Gentlemen, das Hauptquartier ist in Wickensen, wo wir Hardenberg zu erwarten haben! C'est à Scharfoldendorf, où messieurs, les généreaux anglais se trouveront en quartier. Wollen Sie die Dispositionen treffen, Westphalen, und im Auge behalten, daß der Marsch, womöglich ohne Stockung, jetzt auf Einbeck geht.«
»Mylord Granby und Generalleutnant Conway sind bereits über Vorwohle hinaus, wie sie melden lassen, Durchlaucht.«
»So wollen wir ihnen denn sachte nach Wickensen nachreiten«, seufzte der gute Herzog Ferdinand. »Meine Herren, wir werden unser Winterquartier leider nicht in Frankfurt am Main nehmen. Das werden wir wieder, der Pontons des armen Hardenberg wegen, dem Herrn Herzog von Broglio überlassen müssen. Ja, die Witterung wird schlecht, es geht in den Winter; wir müssen nun in Einbeck haltmachen, da es nicht anders sein kann. Auch Hildesheim ist ja eine angenehme Stadt. Wir werden unser Hauptquartier in Hildesheim nehmen: was sagen Sie dazu, Westphalen?«
»Ich bin ganz Euer Durchlaucht Meinung«, sagte Westphalen; und Herzog Ferdinand von Braunschweig, mehr und mehr auf seinem müden, dampfenden, schnaufenden Gaul ins Nachdenken über seine ferneren Dispositionen versinkend, murmelte: »Jaja, so wird's gehen müssen; Luckner bleibt nach uns in Einbeck und übernimmt hier die Postierungskette. Unter ihm Generalmajor von Veltheim in Holzminden, Generalmajor von Mansberg in Osterode.«
»Die königlich großbritannischen Völker werden Euer Herzogliche Durchlaucht wieder zurück über die Weser, ins Westfälische legen?« fragte Westphalen.
»Wir werden das mit Lord Granby arrangieren müssen, mon cher!... Sind Sie von den Bodenwerderschen Münchhausens, Herr Leutnant von Münchhausen, oder von den Bevernschen?«
»Von den Bodenwerderschen, zu Eurer Durchlaucht Befehl.«
»Haben oder hatten Sie nicht einen Vetter oder Oheim, jedenfalls einen Stammes- oder Namensverwandten, in russischen Diensten?«
»Durchlaucht untertänigst zu dienen, der Herr Rittmeister stammt von der Bodenwerderschen Linie.«
»Das soll ein feiner Kopf sein, und gute Historien soll er erzählen können. Er hat mir aber auch eine saubere Geschichte berichtet, Leutnant von Münchhausen, von den Pontons des Herrn von Hardenberg. Eine leider wahre, wahre, wahre Geschichte! Ich wollte, sie stammte auch –«
Er unterbrach sich, oder er wurde vielmehr unterbrochen; denn in diesem Augenblick überschrillte eine jammernde Weiberstimme den ganzen Lärm seines ziehenden Heeres:
»Herr Prinz, Herr Herzog! Herr Herzog Ferdinand! Liebster Herr Herzog von Braunschweig, sie haben den Junker von Münchhausen totgeschlagen und wollen den Herrn Magister an den Baum hängen und meinem Heinrich die Hosen abziehen und ihn als wilden Engländer mit ins Feld nehmen. Und ich bin ja sein Wieschen vom Wege nach Lübbeke, und hier ist Sein Rockknopf, lieber Herr Herzog Ferdinand, und ich will ja in Seinem Mosthause in Braunschweig gar nichts mehr von Ihm, wenn Er allbarmherzig uns nur jetzo heraushilft! Helfe Er uns bloß nach Eschershausen vor das Gericht, unsere Unschuld an diesem Kriege und Unbilden zu erweisen, liebster, aller barmherziger Herr Herzog Ferdinand!«