Wilhelm Raabe
Das Odfeld
Wilhelm Raabe

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Einundzwanzigstes Kapitel

Er ist insolvent gestorben, der Sieger von Krefeld und Minden, der mildherzige Gutsherr von Vechelde, der gute Herzog Ferdinand von Braunschweig. Nun liegt er schon lange im Dome zu Braunschweig in der Gruft, über welcher geschrieben steht: Hic finis invidiae, persecutionis et querelae, und er liegt da in einem Hemde, das von Rechts wegen nicht ihm, sondern seinen Gläubigern gehörte. Er hat im Laufe seines Lebens nicht bloß die silbernen Knöpfe von seinem Uniformsrocke weggegeben; er hat auch wohl den Rock selber verschenkt, wenn er »ein Elend nicht länger ansehen« konnte. Er hat nach und nach alles weggeschenkt, was er an irdischem Eigentum besaß; denn es ist ihm viel Elend auf seinem Wege durchs Leben begegnet; im Kriege wie im Frieden, auf seinen Schlachtfeldern wie auf den Roggen- und Weizenfeldern um Haus und Dorf Vechelde.

Der Alte Fritz hat ihm seinerzeit auch den Stuhl vor die Tür gestellt, nach dem Siebenjährigen Kriege natürlich, und hat ihn höchstens für einen fou généreux erklärt, und der Neffe Karl Wilhelm Ferdinand hat ihn wohl häufig kurz le vieux fou de Vechelde genannt; aber –

Vivat Ferdinandus Dux!... Vive Monseigneur, le bon duc Ferdinand!... Three cheers for prince Ferdinand, good prince Ferdinand!... Es lebe Ferdinand der Gute, der gute Herzog Ferdinand von Braunschweig und von Vechelde!

Und er lebt und wird leben, der große Feldherr und Mensch mit dem mitleidigen und fröhlichen Herzen, er, der Menschlichste seines dickköpfigen, starrnackigen, aus dem Groben zugehauenen Stammes. Und es ist noch lange nicht das Ärgste, als zahlungsunfähiger Gutsherr von Vechelde und als Ehrenpräsident des Großen Klubs zu Braunschweig zu sterben! Man darf bei Berichten, wie dieser vorliegende, ja nicht zu weit um sich fassen und zu tief eingreifen in seiner Helden Daseinsverlauf. Man kommt da auf wunderliche Dinge und nachher auf sonderbare Gedanken und Betrachtungen.

Zum Exempel, der Herzog Victor Franz von Broglie hat noch Schulter an Schulter mit dem Herzog Karl Wilhelm Ferdinand gegen seine eigenen Landsleute im Felde gestanden, hat noch den König Ludwig den Sechzehnten köpfen und den Napoleon Bonaparte auf seinen Kaiserstuhl steigen sehen müssen. Und gar der Generalleutnant Luckner ist dänischer Graf und französischer Marschall geworden, aber auch selber geköpft – unter die neue Erfindung, die Guillotine, gelegt worden – zu Paris im Jahre 1794 als ein alter Herr, der sich als preußischer General und Freikorpsführer dieses auch nicht vermutet hatte.

Eben treiben sie die Helden von Amelungsborn, wie sie die aus den Schluften, Klüften und Höhlen des Iths herausgeholt haben, dem guten Herzog Ferdinand in den Kriegspfad; und daran und an den heutigen Tag allein wollen wir uns halten und nicht zu weit in die Zukunft sehen. Sie hatten aber nicht nur den Magister Buchius und seine Gesellschaft aus ihrem Unterschlupf vor dem schlimmen Zeitenwetter herausgegraben, sondern sie hatten auch das halbe Dorf Holzen aus der größern unterirdischen Kommodität im Drange der Zeit, aus der auch heute noch vorhandenen berüchtigteren und berühmteren Höhle am Rothen Stein, hervorgezerrt.

Viktoria! Trotz alles strategischen Zukurz- und Zuspätkommens hatte ja doch der Feind den kürzern gezogen und der Freund die Oberhand behalten. Dafür, daß das letztere für den Gelehrten aus Amelungsborn und seine Gesellschaft, für die Alten, die Weiber, die Kranken, die Kinder aus Holzen im besagten »Drange der Zeiten« ganz einerlei war, was die Behandlung anbetraf, dafür konnte keiner, unsern Herrgott abgerechnet. Auch den hohen Alliierten war es so wenig recht wie den Schelmen Franzosen, wann sich die eingeborene Bevölkerung auf dem Kriegstheater mit ihrem Vieh und ihren beweglichsten Habseligkeiten und vor allem mit ihren Lebensmitteln in Wald und Fels lieber verkroch, als daß sie gutwillig mit den besten Freunden geteilt hätte.

Das Herz des Herzogs Ferdinand mochte sich wohl bewegen, wie es sich jetzt vom Ith herunter, vom Rothen Stein her, auf der Landstraße zwischen Scharfoldendorf und Eschershausen ihm unter seinen ziehenden Truppen andrängte, groß und klein, Mann und Weib, in Lumpen und Tränen:

»Lieber Herre, nach Ihm haben wir ja immer ausgeguckt!... Herr Herzog, Herr Herzog, ich bin ja auch aus Bevern!... Liebster Herr Prinz Ferdinand, ich bin so ein alter Mann, ich habe bei Seiner Frau Mutter in Antoinettenruhe im Garten gegraben!... Und ich habe bei Seines Herrn Vaters Tod die Glocke im Kirchturm geläutet. Helfe Er mir aus dem Elend, Herre Durchlaucht, ich bin auch des Herrn Bruders Landeskind und hier zu Hause und habe noch einen Jungen unterm Herrn Erbprinzen, und zweie liegen schon begraben, einer in Böhmen unterm König Fritzen und einer unter Ihm selber bei Minden!«...

»Und ich habe Seinen Rockknopf, Durchlaucht Herr Herzog, zum Zeichen, daß Er mir helfen will; und das ist der Herr Magister Buchius, und da bringt mein Heinrich auch mit blutigem Kopfe den Herrn Junker von Münchhausen, und dies ist Mamsell Fegebanck, des Herrn Klosteramtmanns vornehme Jungfer Nichte, der sie auch die Falten aus dem Rock gerissen haben. Und meinen Heinrich wollen sie jetzt mir mit Gewalt unters Volk nehmen, nachdem ich's ihm mit Jammer und Not ausgeredet habe gestern abend, als er gutwillig drunter wollte, weil ihn der Herr Amtmann in der Zornwut mit dem spanischen Rohr über die Faust geschlagen hatte!...«

Mit zerfetzten Kleidern die Weiber; die Männer auch, aber dazu mit blutigen Köpfen, mit Beulen von Kolbenstößen und mit blauen blutrünstigen Striemen von der flachen Klinge! Alle zerzaust, halb verhungert, triefend vom Regen, zitternd im Novemberwind, im Schlamm der Heerstraße versinkend.

»Westphalen, Westphalen, sehen Sie, was zu tun – sehen Sie, wie den Leuten zu helfen ist! Kinder, reißt mich vom Gaul, zerteilt mich unter euch; aber kommt mir jetzt nicht in den Weg. Ja, du Kind, armes Kind, dir bin ich schon einmal begegnet auf eben solchem schlimmen Wege. Das ist mein Wahrzeichen, mein Rockknopf. In Braunschweig solltest du damit zu mir kommen. Bist du auch aus Bevern?«

»Nein, Herr Durchlaucht Ferdinand. Nur aus dem Halberstädtischen; aber mein Heinrich ist aus Lenne und der Herr Klosteramtmann –«

»Das geht da vorn gar nicht voran! Lord Frederic Cavendish, ich bitte Sie!... The welsh Fusiliers schärfer nach in die Berge! Nicht vor die Füße sehen! Das geht ja wie auf dem bloßen Strumpf über Glasscherben. Vorwärts und durch! Kann Bibow mit den braunschweigischen Karabiniers nicht um den Lagerbrand herum dem Herrn Marquis von Poyanne mit mehr vigueur auf den Hacken bleiben?... Ja, Kinder, Kinder, es wird noch alles gut werden! Ihr seid da aus dem Dorfe, Leute? Aus Holzen? Nun, das steht ja gottlob noch, und ihr sollt jetzt die Dächer überm Kopfe behalten, was ich dazu tun kann. Man hat's uns unverbrannt gelassen, und wir marschieren heute noch weiter und molestieren euch nicht mehr. So geht nach Hause, ruhig nach Hause, mit Gott nach Hause; es wird ja alles wieder gut werden – nur Geduld, Geduld. O Geduld, Kinder; wer muß mehr Geduld an diesem Tage und grade hier haben als Ferdinand von Braunschweig-Bevern?«

Sie hatten den Junker von Münchhausen vom Bevernschen Ast des berühmten Geschlechts doch gottlob noch nicht ganz totgeschlagen, wie Wieschen meinte. Er hatte sein Teil von den Schotten nicht einmal so schlimm gekriegt wie sein guter Kamerad Heinrich Schelze das seinige am Morgen von den Franzosen. Er war doch noch einmal, trotz seines schlimmsten, festesten Vornehmens, für Mamsell Selinde Fegebanck eingetreten, und dabei hatte er's selbstverständlich ebenfalls über den Schädel und die Nase bekommen, und es war ihm mit dem Kolben gelaust worden.

Aber er war noch ziemlich auf den Beinen und vermochte es, sich durchzudrängen und den Reiterstiefel des Herzogs zu umfassen:

»Durchlaucht, ich weiß noch besser Bescheid in der Gegend wie mein Herr Vetter da! Ich bin der Letzte von der wirklichen Wald- und Wildschule Amelungsborn und bringe Reiterei und Geschütz am Pfeffelsberge und Scheelehufsberge her über den Katthagen an die Hunde, wenn Sie mich mit zu Pferde und nach der Front nehmen! Monseigneur, der Herr Magister Buchius weiß, daß ich die Gegend kenne und mir darin zu trauen ist!«

Der Leutnant unter den hannöverschen Jägern, der Herr von Münchhausen aus der Bodenwerderschen Linie, stand und faßte den Verwandten erst am Zopfe, nachdem er sich mühsam in seiner Verwunderung gefaßt hatte:

»Kerl, reitet Ihn der Teufel? Vor Blut und Kot erkennt man sein eigen Blut nicht. Wie kommt Er hierher, Thedel? Hat man Ihn denn nicht an sieben Ketten zu Holzminden gelegt?«

»Zu Ihnen, mon cousin, Herr Vetter, wollte ich«, rief der Wildschützenschüler außer sich. »Jetzt einen Gaul auf der Franzosenfährte, nachher eine Büchse unter dem Herrn Vetter. Ein Sponton, ein Portepee unter dem Herrn Herzog Ferdinand! Vivat Fridericus! vivat Ferdinandus! Den letzten Blutstropfen für den König Fritzen und den Herrn Herzog Ferdinand!«

Der gute Herzog Ferdinand schüttelte nur den Kopf und seufzte, aber voll Unruhe und Ungeduld nach den Bergen im Süden ausschauend; dann rief er doch: »Er ist auch ein Münchhausen und will uns helfen, noch einmal die Reiterei an den Feind zu bringen? Junger Mensch, kann man Ihm trauen?«

»Parole de Munchhausen, Monseigneur!«

»Man helfe beiden Herren von Münchhausen zu Pferde. Was haben wir noch von unserer Kavallerie hier bei Eschershausen zur Disposition, Westphalen?«

»Die beiden Schwadronen von den Elliots, Durchlaucht; die Greys, Ancram, Moystin, Bauer und Riedesel stecken leider Gottes schon vor Stadtoldendorf in den Wäldern und hohlen Wegen fest.«

»Wollen die Herren von Münchhausen mit den Elliots reiten und denselben die Wege zeigen um die linke Flanke des Feindes.«

»Magister Buchius, jetzt holt sich auch Amelungsborn seine Ehren auf Wodans Felde!« jauchzte Thedel von Münchhausen schon aus dem Sattel eines englischen Reitpferdes. »So bin ich hundertmal im Traum über Sein Odfeld geritten, Magister Buchius! Es lebe die Große Schule von Amelungsborn, und komme Sie gut nach Hause und grüße Sie den Herrn Oncle, Mamsell Selinde. Vivat Ferdinand! Den letzten Blutstropfen für Bevern und den Herzog Ferdinand! Hussasa, vorwärts Herr Vetter von Bodenwerder!«

»Messieurs, comme c'est dit, das Hauptquartier heute ist in Wickensen – morgen in Einbeck und dann in Hildesheim. Wir stecken eben nur wieder die Winterquartiere ab, meine Herren«, seufzte der Herzog, den abschwenkenden Reitern nachblickend. »Wo ist das Kind mit meinem Rockknopf?«

»Hier, allerhöchster Herre«, schluchzte Wieschen. »Und dies ist mein Heinrich, und wenn Sie ihn mir nur lassen wollten, so wollte ich Sie ja auch gar nicht mehr in Braunschweig mit mir molestieren. Und wenn Sie es nur dem Herrn Amtmann von Amelungsborn mit einem einzigen guten Worte für uns sagen wollten! Hier ist der Herr Magister, der kann es uns bezeugen, daß es kein Mensche besser in der schlimmen Zeit mit Kloster Amelungsborn meint als wie mein Heinerich. Und wenn er gestern abend noch mit unter das Volk wollte, jetzo will er's gewiß und wahrhaftig nicht mehr. Also bitte ich um Gott und Jesus, lasse Er ihn los, Durchlaucht Herzog Ferdinand, lasse Er uns los! Der Herr Magister kann es uns allen bezeugen, daß wir nur arme, schlechte Leute sind und beinahe zuviel ausstehen müssen, weil es der liebe Herrgott so will.«

Der Sieger von Krefeld und Minden sah nun zum erstenmal im Gedränge des heutigen Tages genauer auf den Magister, und der Magister Buchius stand mit der Mamsell Fegebanck an seinem Arm und dem Hut in der Hand wie ein Verzückter, wie als wenn es kein Gedränge des Tages und des Lebens gäbe, und sah seinen Heros im Felde und im Leben, sah zum erstenmal seinen guten, seinen großen, seinen guten Herzog Ferdinand vom Bevernschen Aste, und – er war auch aus Bevern, und es war ihm kein Zweifel, daß sie beide aus einem Neste waren und sich an den Federn erkennen mußten, wenn – sie bloß Zeit dazu hatten.

Leider hatte der Feldherr, der im Westen des Römischen Reichs Deutscher Nation den Siebenjährigen Krieg auf den Schultern trug, keine Zeit, und der Magister Buchius wußte das.

»Bitte den Herrn, sich zu bedecken«, sagte er, der Herzog, gleichfalls den Hut höflich lüftend. »Kann ich dem Herrn dienen? Oder kann mir der Herr selber raten, wie diesen armen Leuten hier zu helfen steht?«

Wir haben es schon gesagt, daß der alte Schulmeister gleich einem Verzückten stand; doch wir müssen es noch einmal sagen.

»Durchlaucht – Monseigneur – größester Held«, stammelte er, immer den Helden- und Biedermann auf dem Schimmel glänzenden Auges betrachtend und alles übrige um sich her vergessend. »Durchlauchtigster Herr – mächtiger Kriegesfürst, ach, daß doch Euer Durchlaucht unter so unruhigen Umständen in unserer und Hochdero Heimatgegend arrivieren müssen. Durchlauchtigster –«

»Ich bitte doch ein wenig kürzer«, lächelte der gute Herzog trotz seiner Eile mit vollem Wohlwollen und Verständnis; aber wie hätte Magister Buchius sich kurz, ja nur kürzer fassen können?

»Durchlauchtiger Herr und Herzog von Braunschweig, Lüneburg und Bevern, ich bin auch aus Bevern. Mein Name ist Buchius – dies ist hier die Mademoiselle Fegebanck, des Herrn Klosteramtmanns von Amelungsborn Nichte und Vetterstochter, und ich bin der letzte wirkliche Kollaborator der weiland berühmten Großen Schule zu Kloster Amelungsborn, und was hätte ich für mich wohl zu erbitten, da ich augenblicklich meines höchsten Wunsches Erfüllung teilhaftig werde? Der liebe Gott segne Sie auf Ihren schweren, blutigen Wegen, gnädigster lieber Herzog Ferdinand, und reiten Sie nur ruhig weiter! Wir werden ja auch schon sehen, wie wir mit Gottes Hülfe durchkommen. Wir werden durchkommen gut oder schlecht, Durchlaucht; aber der alte Magister Buchius von Amelungsborn, der Sie mit seinen Unbequemlichkeiten auf Ihrem schwersten Wege unnötig aufhielte und molestierte, der würde sich darob die bittersten Vorwürfe und Reprochen machen. Reiten Sie ruhig zu, Euer Durchlaucht, und kümmern sich nur ja nicht um was anderes als sich selber; das ist das beste für uns alle! Der allerhöchste Gott segne und erhalte den Herrn Herzog auf seinem schweren, schweren Wege!«

»Herr?!«... sagte und fragte der Herzog, nie in seinem Leben so wie jetzo verwundert über einen Menschen, dessen Bekanntschaft er machte. Er sah sich auch fragend im Kreise seiner Begleiter um und blickte vor allem jetzt wie um genauere Auskunft auf seinen Freund Westphalen.

Darauf aber zog er den Handschuh von seiner Rechten und reichte sie vom Pferde herab dem größesten Kollaborator von Amelungsborn, dem Magister Noah Buchius, und schüttelte die festgefaßte, verständnisvoll festgehaltene hagere, nasse, verklammte Schulmeister- und Freundeshand:

»Mein lieber Herr Magister, ich danke Ihnen ganz recht höflich. Vraiment, ich danke von ganzem Herzen; denn so wie der Herr jetzt hat noch keiner dem zerplagten Ferdinand von Braunschweig-Lüneburg auf seinen schlimmen Wegen ein braves Wort gesagt! Und ich hatte es nötig – hatte es nötig heute mehr als sonsten. Magister Buchius von Amelungsborn, wenn ich recht verstanden habe? Jaja, mein lieber Herr Magister, Sie wären mir auch willkommen in Braunschweig im Bevernschen Schloß – im Frieden – wie das arme Mädchen hier. Kind, leider ist noch immer nicht die Zeit gekommen, wo ich mich mit dir hinter den Ofen setzen könnte, um von den Tagen, die uns beiden nicht gefallen konnten, das Genauere zu hören und zu erzählen. Und der junge Mensch, dieser zweite Junge von Münchhausen, gehörte auch zu dem Herrn Magister? Lieber Westphalen – ja, aber auch Sie haben keine Zeit – Herr Magister Buchius, das Hauptquartier ist heute in Wickensen; ich kann Sie mit Ihrer Gesellschaft nicht dorthin invitieren; aber wenn es mir möglich ist, werde ich in Amelungsborn nach Ihnen nachfragen lassen. Ah, monsieur – Herr Hauptmann von Meding, wollen Sie dafür sorgen, daß die Leute von Amelungsborn und der Herr Magister wenigstens augenblicklich aus dem Gedränge kommen. Au revoir also, mein lieber Herr Magister Buchius. Wie gesagt, Sie haben in Wahrheit ein wackeres Wort zu mir gesprochen, und es ist in Wahrheit mein Wunsch, daß auch wir uns bei besserer Gelegenheit und in mehrerer Ruhe noch einmal wieder begegnen mögen.«

Herzog Ferdinand von Braunschweig-Lüneburg und Bevern hob noch einmal freundlich den Hut vom Kopfe und ritt langsam weiter mit seinem buntscheckigen Gefolge von deutschen und englischen Herren. Magister Buchius stand immer noch mit der Mamsell Fegebanck am Arm und Heinrich und Wieschen von Amelungsborn zur Seite und sah dem großen Feldherrn nach, vollständig entrückt nicht nur dem augenblicklichen Gedränge, sondern allem und jeglichem Erdentumult, Drangsal und Wirrsal. Auch er hatte seinen Trost bekommen am heutigen bösesten Tage. Er hatte ihn abgelesen von dem klugen, guten, zornvoll-kummervollen Gesicht des braven Mannes, den sie damals als den Zweitgrößesten in den Schlachten ihrer Zeit rechneten und der diesmal wiederum nichts weiter vermochte, als im Vorbeireiten ein herzlich bedauerndes und freundlich tröstendes Wort vom Gaul in den ihn umdrängenden Jammer hineinzusprechen. Oft hatte der Magister in seinem Leben mit dem Lächeln der Entrückung, und natürlich dazu mit halboffenem Munde, gestanden im Strudel dessen, was man die Menschheit nennt; aber nie so wie jetzt. Er sah den Heros in das an diesem fünften November auch sehr ungemütliche und von Freund und Feind nach Bedürfnis zugerichtete Eschershausen hineinreiten. Erst nachdem der letzte Zipfel seines Gefolges im Ortseingange verschwunden war und die marschierenden Truppen wieder rücksichtsloser zudrängten, fand er ein Wort zwischen den Ellenbogenstößen, Fußtritten, den Hufen und Rädern für die Höflichkeiten des Herrn von Meding.

Dem Herrn Hauptmann von Meding erschien sein empfangener Auftrag zum mindesten sonderbar an einem Tage wie der heutige. Verdrießlich schnarrte er:

»Herr Kantor, wenn Er mir nun rasch sagen will, wie grade ich Ihm und Seiner Kompagnie bequem nach Hause helfen kann, so soll's mir lieb sein. Aber zum Teufel, beeile Er sich nach Möglichkeit. Er sieht, wie es uns auf den Nägeln brennt.«

Magister Buchius verrichtete, selbst zwischen den Gamaschenschuhen, den Ellenbogen, Rädern und Pferdehufen, seine Courtoisie gegen den Herrn Kapitän mit merklich klarerer Besinnlichkeit als wie gegen Seine Durchlaucht den Herzog Ferdinand den Guten. Er machte sein untadelhaft Kompliment, indem er sprach:

»Euer Gnaden sollen sich doch nicht bei uns aufhalten. Wenn der Herr Kapitän die große Gütigkeit haben werden, uns aus dem Heereszug der hohen Alliierten –«

»Herr, halte Er mich nicht durch langes Gesalbader auf. Sage Er brewemang, in welchem warmen Ofenwinkel ich Ihn mit Seiner – Seiner Weibsbagage abzusetzen habe. Amelungsborn! Was ist das? Kloster Amelungsborn? Nun, Seine Durchlaucht haben befohlen – he, Kerl, Er da, Korporal Baars, gehe Er doch mal mit den Leuten so weit es nötig ist – bis an die nächste Ecke. Weise Er ihnen, wo der Satan den bequemsten Weg nach dem – dem Amelungsborn offengehalten hat, wenn Er's weiß.«

»Zu Befehl, Herr Hauptmann«, sprach der Korporal, und der Hauptmann von Meding, den Hut berührend, sagte mürrisch-eilig:

»Also, bon voyage, Herr Küster. Madam oder Mamsell, ich empfehle mich«, und so ritt er, so rasch das Gedränge zuließ, seinem Feldherrn nach, auch hinein in Eschershausen, um seinen Platz im Stabe und sein besseres Unterkommen im Hauptquartier ja nicht zu lange aus den Augen zu verlieren. Verdenken konnte man es ihm nicht.

»Kotz Mohrenelement«, schnauzte aber jetzo, nachdem der Vorgesetzte aus Hörweite war, Korporal Baars mit dem Gewehrkolben aufstoßend, »das heiße ich auf die Taternjagd kommandiert werden! Na meinetwegen. Hier, mal zwei Kerls mit'm Herrn Pastor und seiner Kumpanei aus'm Wege. Ihr habt gehört, was der Herr Hauptmann befohlen haben, und das gluhe Donnerwetter euch über die Köpfe, wenn ihr mir nachher beim Appell fehlt. Himmel, Hölle, der Satan und seine Großmutter, läuft einem auch noch so was zwischen die Beine, wo man schon genug über Leben und Tod und durch den Schmaratz bei Tage und bei Nachte wegzusteigen hat! Angeschlossen, ihr anderen – sackerment, könnt's ja sonsten nicht weich genug kriegen, nu ist euch der Boden wohl wieder zu weich. Na, Gnade Gott, wer mir mit seinen Pontons steckenbleibt, wie uns der Herr Generalleutnant von Hardenberg heute. Fühlung, Kerls, Fühlung; meint ja nicht, weil ihr den guten Herrn Herzog Ferdinand Durchlaucht über euch habt, daß ihr nicht auch noch den lieben Korporal Baars über euch hättet.«


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